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21.01.2010 · IWW-Abrufnummer 100062

Oberlandesgericht Brandenburg: Beschluss vom 07.10.2009 – 1 Ss 86/09

1. War der Angeklagte „bei Beginn der Hauptverhandlung“ erschienen und die Hauptverhandlung wegen Ausbleibens des Verteidigers des Angeklagten unterbrochen worden, so kann die spätere Abwesenheit des Angeklagten nach erneutem Aufruf die Verwerfung der Berufung gem. § 329 Abs. 1 StPO nicht rechtfertigen. Vielmehr hätte das Berufungsgericht nach §§ 231 Abs. 2, 332 StPO verfahren müssen.



2. Dem Angeklagten ist Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung im Wege der Analogie zu § 329 Abs. 3 StPO zu gewähren, da er zu Unrecht als säumig behandelt worden ist. Die Gewährung der Wiedereinsetzung in diesen Fällen beruht auf der Überlegung, dass derjenige, der zu Beginn der Hauptverhandlung nicht säumig war, aber zu Unrecht als säumig behandelt worden ist, einem schuldlos Säumigen gleichgestellt werden muss (ähnlich Senatsbeschluss vom 22.10.2004 – 1 Ws 151/04 –; Senatsbeschluss vom 8.9.2009 – 1 Ss 53/09).


OLG Brandenburg
Beschluss vom 07.10.2009
1 Ss 86/09
07.10.2009
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss
In der Strafsache

wegen Trunkenheit im Verkehr u. a.
hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch
die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Thaeren-Daig,
den Richter am Oberlandesgericht Dr. Weckbecker und
die Richterin am Landgericht Severin
am 7. Oktober 2009
beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 30. Juli 2009 aufgehoben. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Landeskasse auferlegt.
2. Dem Angeklagten wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung gewährt.
3. Das Verwerfungsurteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 2. Juni 2009 und die dagegen erhobene Revision sind gegenstandslos.
4. Auf die Beschwerde des Verteidigers des Angeklagten wird der Beschluss der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin vom 2. Juni 2009 über die Auferlegung der Kosten hinsichtlich der Aussetzung der Hauptverhandlung aufgehoben. Die insoweit im Beschwerdeverfahren entstandenen Verfahrenskosten und notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.
5. Der Antrag des Angeklagten, die (vorläufige) Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben und den Führerschein an den Angeklagten herauszugeben, wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft Neuruppin hat dem Rechtsmittelführer mit Anklage vom 15. Oktober 2008 die Begehung des Verbrechens eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in der Absicht der Verdeckung einer Straftat gem. § 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 iVm. § 315 Abs. 3 Nr. 1 lit. b 2. Var. StGB in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte unter Beisichführen eine Waffe gem. § 113 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB und in weiterer Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Straßenverkehr gem. § 316 StGB sowie in Tatmehrheit dazu Bestechung vorgeworfen. Der Angeklagte soll in der Nacht zum 26. Juli 2008 nach vorangegangenem erheblichem Alkoholgenuss in fahruntüchtigem Zustand gegen 2:15 Uhr mit dem Pkw Opel, amtliches …., die Bundesstraße 109 in Kenntnis der eigenen Fahruntüchtigkeit befahren haben. Als der Angeklagte im Bereich des Straßenabschnittes 95 durch die Polizeibeamtin Kluge einer Verkehrskontrolle unterzogen werden sollte und durch Haltekelle zum Anhalten aufgefordert worden war, sei er mit unverminderter Geschwindigkeit auf die ihn zum Anhalten auffordernde Polizeibeamtin zugefahren.
Die wegen des eingeschalteten Blaulichtes am Funkstreifenwagen und der von ihr geschwenkten Haltekelle sowie mit einer signalgelben Warnweste deutlich sichtbare Polizeibeamtin habe nur durch einen reaktionsschnellen Sprung von der Fahrbahn einer Frontalkollision mit dem vom Angeklagten geführten Fahrzeug ausweichen können. Hierdurch habe der Angeklagte seine ungehinderte Weiterfahrt erzwingen und der Aufdeckung seiner Trunkenheitsfahrt entgehen wollen. Eine um 4:21 Uhr entnommen Blutprobe habe eine Alkoholkonzentration von 1,95 mg/g ergeben. Des Weiteren soll der Angeklagte auf dem Weg zur Polizeiwache gegenüber den Polizeibeamten geäußert haben: „Fahrt doch dort zur Tankstelle, ich geb' euch einen Kaffee aus, na das wird nicht reichen, dann mach ich euch auch noch den Tank voll, dann verschwinde ich und wir vergessen die ganze Angelegenheit, es war ja nicht so schlimm, es weis ja niemand davon.“
Mit Urteil vom 23. Februar 2009 hat das Amtsgericht Zehdenick den Angeklagten wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen je 50,00 € verurteilt, die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen sowie eine Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von 6 Monaten verhängt. Im Übrigen hat das Amtsgericht den Angeklagten freigesprochen.
Gegen diese Entscheidung haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Neuruppin, letztere zum Nachteil des Angeklagten, jeweils am 24. Februar 2009 Berufung eingelegt. Der Angeklagte hat seine Berufung nicht, die Staatsanwaltschaft unter dem Datum des 14. April 2009 begründet. Mit der Berufung strebt die Staatsanwaltschaft Neuruppin eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe (auch) wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie wegen Bestechung an.
Mit Verfügung vom 15. Mai 2009 hat der Vorsitzende der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Neuruppin Termin zur Hauptverhandlung auf den 2. Juni 2009, 12:00 Uhr anberaumt.
Bei Aufruf der Sache war der Angeklagte vor Gericht erschienen.
Im Sitzungsprotokoll vom 2. Juni 2009 ist ausgeführt:
„Die Hauptverhandlung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Schöffengerichts in Zehdenick vom 23. Februar 2009, Az: 4 s 11/08, begann mit dem Aufruf der Sache.
Bei Beginn der Terminsstunde um 12:00 Uhr wurde festgestellt, dass der Angeklagte vor dem Gerichtssaal anwesend war. Sein Verteidiger hatte kurz zuvor telefonisch mitteilen lassen, dass er sich im Stau befände und ca. 30 Minuten später eintreffen werde. Dies wurde dem Angeklagten mitgeteilt. … Gegen 12:30 Uhr ließ der Verteidiger mitteilen, dass er keine Hoffnung mehr habe, in absehbarer Zeit am Gerichtsort zu erscheinen und beabsichtige umzukehren. Auf den Rückruf des Vorsitzenden in der Kanzlei des Verteidigers wurde mitgeteilt, dass dieser nunmehr bereits die Rückfahrt angetreten habe. Zu diesem Zeitpunkt war eine Terminsaufhebung noch nicht erfolgt und sämtliche Prozessbeteiligten einschließlich der geladenen Zeugen befanden sich im Gerichtssaal.
Es ist gerichtsbekannt, dass sich in den frühen Morgenstunden auf dem nördlichen Berliner Ring ein schwerer Verkehrsunfall ereignet hat, infolgedessen es zur Sperrung der Autobahn und massiven Staus kam. Allerdings war hierüber bereits am Morgen in den Medien berichtet und auf Umfahrungsmöglichkeiten hingewiesen worden. Zudem wurde seit diesem Zeitpunkt der Verkehr von der Autobahn abgeleitet und über die Umleitung der A 24 in Richtung Norden zugeführt.
Der Angeklagte konnte bei Aufruf der Sache um 13:00 Uhr im Gerichtsgebäude nicht mehr festgestellt werden. Ihm gegenüber ist auch zu keinem Zeitpunkt erklärt worden, dass der Termin aufgehoben sei oder werde …“
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat die 4. kleine Strafkammer des Landgerichts Neuruppin die Berufung des Angeklagte gem. § 329 StPO verworfen, „weil er ohne genügende Entschuldigung bei Aufruf der Sache abwesend war“. Weiter heißt es im Urteilstenor: „Das Ausbleiben des Verteidigers vermag sein eigenes Fernbleiben nicht zu entschuldigen, ebenso wenig wie eine mögliche Mitteilung durch die Kanzlei des Verteidigers, dass sich dessen Erscheinen weiter verzögern werde. Vielmehr wäre es dem Angeklagten ohne weiteres möglich gewesen, sich bei dem Gericht zu erkundigen, ob und gegebenenfalls wann der Termin stattfinden werde bzw., ob dieser aufgehoben worden sei.“
Hinsichtlich der Berufung der Staatsanwaltschaft Neuruppin hat das Landgericht die Hauptverhandlung ausgesetzt, darüber hinaus dem Verteidiger des Angeklagten die durch sein Fernbleiben im Termin am 2. Juni 2009 entstandenen Kosten im Beschlusswege auferlegt.
Das Verwerfungsurteil sowie der Aussetzungsbeschluss nebst Kostenentscheidung wurden dem Verteidiger des Angeklagten am 10. Juni 2009 zugestellt. Mit dem am 16. Juni 2009 beim Landgericht Neuruppin eingegangen Anwaltschriftsatz hat der Angeklagte Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung beantragt sowie gegen das Verwerfungsurteil Revision eingelegt und beides begründet.
Mit weiterem Schriftsatz, eingegangen bei Gericht ebenfalls am 16. Juni 2009, wendet sich der Verteidiger des Angeklagten gegen die Auferlegung der Kosten der Aussetzung im Beschluss vom 2. Juni 2009. In beiden Schriftsätzen wird auf die unvorhersehbare Verkehrssituation mit zwei Unfällen hingewiesen.
Mit Beschluss vom 30. Juli 2009 hat die 4. kleine Strafkammer des Landgerichts Neuruppin den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als „unzulässig“ verworfen. Gegen diese, dem Verteidiger des Angeklagten am 6. August 2009 zugestellte Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit seiner am 13. August 2009 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde.
Mit Anwaltschriftsatz vom 30. September 2009 beantragt der Angeklagte des Weiteren, die (vorläufige) Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben und den Führerschein herauszugeben.
II.
1. a) Die nach §§ 329 Abs. 3, 46 Abs. 3 StPO in analoger Anwendung statthafte und gemäß §§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO form- und fristgerecht bei Gericht angebrachte sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Gem. § 329 Abs. 3 iVm. § 44 StPO setzt die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand voraus, dass der Angeklagte ohne Verschulden gehindert war, den Berufungstermin wahrzunehmen. Im vorliegenden Fall jedoch war der Angeklagte zur Berufungshauptverhandlung erschienen. Gem. § 243 Abs. 1 Satz 1 StPO beginnt die Hauptverhandlung mit dem Aufruf der Sache. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls vom 2. Juni 2009 „begann“ auch die Hauptverhandlung über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft mit dem Aufruf zur Sache am 2. Juni 2009 um 12:00 Uhr, und es wurde festgestellt, dass der Angeklagte erschienen war.
Entsprechend hat das Landgericht Neuruppin die Berufung des Angeklagten zu Unrecht verworfen. Sinn und Zweck des § 329 Abs. 1 StPO ist es, den Angeklagten zu hindern, die Entscheidung des Berufungsgerichts dadurch hinauszuzögern, dass er sich der Verhandlung entzieht (BGHSt 17, 188; BGHSt 23, 331, 334; BGHSt 25, 281, 283; BGHSt 27, 236, 238; KK-Ruß, StPO, 6. Aufl. 2009. § 329 Rdnr. 1; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, Rdnr. 2).
Das Gesetz nimmt dabei aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung in Kauf, dass ein möglicherweise unrichtiges Urteil allein wegen des unentschuldigten Ausbleibens des Angeklagten rechtskräftig wird. Diese Ausnahme von dem Grundsatz, dass gegen einen abwesenden Angeklagten kein Urteil erlassen werden darf (vgl. §§ 230 Abs. 1, 332 StPO) beruht auf der Unterstellung, dass der säumige Angeklagte an der Durchführung der Hauptverhandlung kein Interesse hat und auf das Rechtsmittel und damit auf eine sachliche Prüfung des angefochtenen Urteils verzichtet (BGHSt 15, 287, 289; BGHSt 24, 143, 150; OLG Düsseldorf StV 1982, 127; OLG Hamm NStZ 1997, 368). Wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift ist allgemein anerkannt, dass § 329 Abs. 1 StPO im Interesse des Angeklagten eng ausgelegt werden muss. Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof im Anschluss an die Rechtsprechung des Reichsgerichts entschieden, dass die sofortige Verwerfung der Berufung des Angeklagten nach § 329 Abs. 1 StPO nicht mehr zulässig ist, wenn das Berufungsgericht schon in einem früheren Termin zur Sache verhandelt hat (vgl. BGHSt 17, 188). Ebenso ist nach einhelliger Ansicht die sofortige Verwerfung der Berufung wegen der Ausnahmenatur der Vorschrift nicht mehr statthaft, wenn der Angeklagte zu Beginn der Hauptverhandlung erschienen ist, sich aber kurz darauf wieder entfernt hat (vgl. RGSt 63, 53, 57; BGHSt 23, 331, 332; BayObLG VRS 61, 131, BayObLG NStZ 1981, 112; KG JR 1985, 343; Eb. Schmidt, StPO II, 329 Rdnr. 9; Schneidewin NJW 1961, 841; Bloy JuS 1986, 592).
So liegt der Fall aber hier. Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls war der Angeklagte am 2. Juni 2009 „bei Beginn der Hauptverhandlung“ erschienen, was einem Verwerfungsurteil gem. § 329 Abs. 1 StPO entgegensteht. Mag die Hauptverhandlung wegen Ausbleibens des Verteidigers des Angeklagten unterbrochen worden sein, so kann die spätere Abwesenheit des Angeklagten nach erneutem Aufruf die Verwerfung der Berufung des Angeklagten nicht rechtfertigen. Vielmehr hätte das Berufungsgericht nach §§ 231 Abs. 2, 332 StPO verfahren müssen.
Damit liegt an sich kein Fall vor, in dem eine Frist (hier: Teilnahme an der Berufungshauptverhandlung) versäumt worden wäre. Jedoch ist Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung im Wege der Analogie zu § 329 Abs. 3 StPO auch demjenigen zu gewähren, der zwar zum Termin geladen und erschienen war, jedoch zu Unrecht als säumig behandelt worden ist. Die Gewährung der Wiedereinsetzung in diesen Fällen beruht auf der Überlegung, dass derjenige, der zu Beginn der Hauptverhandlung nicht säumig war, aber zu Unrecht als säumig behandelt worden ist, einem schuldlos Säumigen gleichgestellt werden muss (ähnlich Senatsbeschluss vom 22.10.2004 – 1 Ws 151/04 –; Senatsbeschluss vom 8.9.2009 – 1 Ss 53/09 –; BGH NJW 1987, 1776, 1777; OLG Hamburg StV 2001, 339; OLG Köln NStZ-RR 2002, 142; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 329 Rdnr. 41 [Fehlen ordnungsgemäßer Ladung]; OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 174, 175; Meyer-Goßner aaO. [Verwerfung der Berufung wegen erst im Laufe des Verfahrens erkannter Verhandlungsunfähigkeit]).
b) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich in der Sache letztlich nichts ändern würde, wenn man das unentschuldigte Entfernen des Angeklagten vor 13:00 Uhr aus dem Gerichtsgebäude als ein unentschuldigtes Nichterscheinen bei Beginn der Hauptverhandlung ansehen würde. In diesem Fall wäre dem Angeklagten ebenfalls Wiedereinsetzung in der Berufungshauptverhandlung zu gewähren. Denn dann wäre zu berücksichtigen, dass gem. § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO (Verbrechen) ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt (§ 315b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 iVm. §§ 315 Abs. 3 Nr. 1 lit. b 2. Var., 12 Abs. 1, 3 StGB) und der Verteidiger des Angeklagten ohne eigenes Verschulden gehindert war, zur Hauptverhandlung zu erscheinen. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass das Ausbleiben des Angeklagten dann als entschuldigt anzusehen ist, mithin und auch kein Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO ergehen darf, wenn unter Verstoß entgegen § 140 Abs. 2 StPO kein Verteidiger bestellt (vgl. OLG Stuttgart StV 2009, 12) oder unter Verstoß gegen § 218 StPO der Verteidiger nicht geladen worden ist (vgl. BayObLG StV 2002, 356; OLG Köln VRS 95, 138, 139). Gleiches muss in Bezug auf den Angeklagten auch dann gelten, wenn im Fall der notwendigen Verteidigung der Verteidiger ohne Verschulden gehindert war, an der Berufungshauptverhandlung teilzunehmen. Denn in diesem Fall hätte das Gericht ohnehin in der Sache nicht verhandeln dürfen (arg. aus § 338 Nr. 5 StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1, Abs. 7 StPO.
2. Infolge der Wiedereinsetzung in die Berufungshauptverhandlung ist das ebenfalls angefochtene Verwerfungsurteil beseitigt und die Revision des Angeklagten gegenstandslos (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 342, Rn. 2; KK-Kuckein, StPO, 6. Aufl. 2008, § 342, Rn. 6), was lediglich aus Klarstellungsgründen im Tenor aufgeführt ist.
3. Die Beschwerde gegen die Auferlegung der Kosten der Aussetzung der Hauptverhandlung durch Beschluss vom 2. Juni 2009 ist gem. § 304 Abs. 2 StPO statthaft. Das Rechtsmittel ist begründet und führt zur Aufhebung des Beschlusses.
Gemäß § 145 Abs. 4 StPO können einem (notwendigen) Verteidiger die durch eine Aussetzung des Verfahrens entstandenen Kosten nur dann auferlegt werden, wenn ihm am Fernbleiben von der Hauptverhandlung ein Verschulden trifft.
Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der Verteidiger des Angeklagten war aufgrund einer unvorhersehbaren Verkehrssituation, insbesondere wegen erheblichen Verkehrsstaus infolge mehrerer Verkehrsunfälle mit massiven Folgen, an der Teilnahme an der Hauptverhandlung gehindert.
Nach den Ausführungen im Hauptverhandlungsprotokoll vom 2. Juni 2009 war gerichtsbekannt, dass sich in den frühen Morgenstunden auf dem nördlichen Berliner Ring (A 10) ein schwerer Verkehrsunfall ereignet hat, infolgedessen es zur Sperrung der Autobahn und massiven Staus kam. Der Verteidiger des Angeklagten hat glaubhaft gemacht, dass es in engem zeitlichem Abstand am Morgen des 2. Juni 2009 auf dem Berliner Ring zu zwei Unfällen gekommen ist: Bei einer Karambolage unter Beteiligung von Lkw und Pkw zwischen dem Autobahndreieck Pankow und Mühlenbeck sei eine Frau schwer verletzt und mit einem Hubschrauber in ein Krankenhaus geflogen worden, des Weiteren seien im weiteren Verlauf der A 10 zwischen Oberkrämer und Dreieck Havelland zwei Lastkraftwagen kollidiert, die Feuer gefangen hätten. Infolge der Unfälle sei die Fahrbahn Richtung Hamburg für mehrere Stunden gesperrt gewesen. Des Weiteren führte der Verteidiger des Angeklagten aus, dass er trotz eines eingeplanten Zeitpuffers für die Fahrt von Berlin nach Neuruppin von 60 bis 90 Minuten nicht mehr das Landgericht zu einer Zeit erreicht hätte, zu der mit einer Hauptverhandlung noch zu rechnen war. Da mit einer solchen Kombination von schwerwiegenden Unfällen nicht zu rechnen war, trifft den Verteidiger kein Verschulden an seinem Ausbleiben im Termin am 2. Juni 2009. Die Kostenentscheidung beruht – da die Beschwerde des Verteidigers nicht Teil des Strafverfahrens ist – auf einer entsprechenden Anwendung von § 467 StPO.
4. Der Antrag des Angeklagten auf Aufhebung der Entziehung der Fahrerlaubnis und Herausgabe des Führerscheins bleibt ohne Erfolg.
Während des Revisionsverfahrens ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach herrschender Meinung nicht deshalb aufzuheben, weil die Verfahrensdauer die Dauer der Sperre übersteigt. Denn der Ablauf der Sperrfrist verleiht dem Angeklagten keinen Rechtsanspruch auf Neuerteilung (vgl. KG VRS 53, 278; OLG Naumburg BA 2000, 378; OLG Karlsruhe MDR 1977, 948; OLG Hamburg DAR 1981, 27; OLG Stuttgart VRS 63, 363; OLG Düsseldorf DAR 1983, 62; OLG Düsseldorf VRS98, 190; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl. 2009, § 111a Rdnr. 12). Dem Berufungsgericht bleibt es unbenommen, über die Frage der Aufrechterhaltung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis erneut zu entscheiden, wobei der Angeklagte mit einer gewissen Verlängerung der tatsächlichen Sperre als Folge der Berufungseinlegung rechnen muss (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1999, 389; OLG Koblenz VRS 68,41).

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