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16.11.2009 · IWW-Abrufnummer 093686

Oberlandesgericht Koblenz: Beschluss vom 10.09.2009 – 2 Ss Rs 54/09

Die Fürsorgepflicht des Gerichts gebietet grds. nur unter besonderen Umständen eine Vertagung der Hauptverhandlung wegen Verhinderung des Verteidigers. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Eine beantragte Terminsverlegung darf nach einem rechtzeitig eingegangen Verlegungsantrag aber nicht abgelehnt werden, wenn der Angeklagte auf Antrag seines Verteidigers vom persönlichen Erscheinen entbunden worden war und deshalb darauf vertrauen konnte, in der Hauptverhandlung von diesem vertreten zu werden, der Verteidiger an der Hauptverhandlung aber wegen einer Erkrankung nicht teilnehmen kann. Der Verteidiger ist im Übrigen nicht verpflichtet, die Erkrankung über die anwaltliche Versicherung hinaus glaubhaft zu machen.


2 SsRs 54/09
10.09.2009

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ

Beschluss

In der Bußgeldsache



wegen Lenkdauerüberschreitung u.a.

hier: Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde

hat der 2. Strafsenat – Senat für Bußgeldsachen – des Oberlandesgerichts Koblenz durch XXX am 10. September 2009

beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Koblenz vom 22. Mai 2009 wird wegen Versagung des rechtlichen Gehörs zugelassen.

Auf die Rechtsbeschwerde wird das Urteil des Amtsgerichts Koblenz vom 22. Mai 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Koblenz zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Koblenz verurteilte den Betroffenen am 22. Mai 2009 wegen verspäteter Einlegung der Fahrtunterbrechung in Tateinheit mit Tageslenkzeitüberschreitung sowie wegen eines weiteren Falles der verspäteten Einlegung der Fahrtunterbrechung in Tateinheit mit Tageslenkzeitüberschreitung zu Geldbußen von 90 € bzw. 135 €. Außerdem verhängte es wegen Lenkdauerüberschreitung eine Geldbuße von 150 € und wegen verspäteter Einlegung der Fahrtunterbrechung in Tateinheit mit Tageslenkzeitüberschreitung eine Geldbuße von 135 €. Gegen dieses Urteil richtet sich der Antrag des Betroffenen, mit der er die Sachrüge und die Verletzung rechtlichen Gehörs rügt.

II.

1.
Der nach §§ 80 Abs. 1 und 3, 79 Abs. 3 OWiG, §§ 341 ff. StPO rechtzeitig gestellte und form- sowie fristgerecht begründete Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zulässig. Er hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Soweit die festgesetzte Geldbuße 90 EUR beträgt, richten sich die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG, im Übrigen, soweit Geldbußen in Höhe von 135 € und 150 € verhängt worden sind, nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG. In beiden Fällen ist die Rechtsbeschwerde zulässig, wenn das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).

2.
Im vorliegenden Fall liegt eine Versagung des rechtlichen Gehörs vor. Die Verfahrensrüge, mit der die Gehörsversagung geltend gemacht wird, genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO und ist deshalb zulässig. Sie ist auch begründet.

a) Dieser Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde: Am 24. November 2008 wurde der Betroffene auf seinen Antrag vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden. Hauptverhandlungstermin wurde auf den 22. Mai 2009, 10.10 Uhr bestimmt. Mit Fax vom 22. Mai 2009, das um 8.48 Uhr bei der Telefaxstelle des Amtsgerichts Koblenz einging und um 9.00 Uhr ausgehändigt wurde, wurde von dem Büro des Verteidigers mitgeteilt, dass der Verteidiger, der alleinige Sachbearbeiter, „heute“ erkrankt sei und zwei weitere Rechtsanwälte der Kanzlei anderweitige Termine wahrzunehmen hätten. Es wurde deshalb um Terminsverlegung gebeten. Den Terminsverlegungsantrag wies das Amtsgericht in der Hauptverhandlung zurück. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, die Erkrankung des alleinigen Sachbearbeiters sei in keiner Weise glaubhaft gemacht worden. Im Übrigen arbeite der Verteidiger in einer Kanzlei mit mehreren Anwälten zusammen. Unter diesen Umständen sei von dem Verteidiger zu erwarten, dass er im Falle seiner Erkrankung für Vertretung sorge. Darüber hinaus sei eine Verhinderung des Verteidigers grundsätzlich kein Anlass für eine Terminsverlegung. Zwar habe der Betroffene ein Recht von einem Verteidiger seiner Wahl verteidigt zu werden. Dies sei aber abzuwägen gegen das Gebot der beschleunigten Behandlung des Verfahrens. Es sei zu berücksichtigen, dass das Gericht angesichts der derzeitigen Belastung einen neuen Termin erst im November 2009 terminieren könne. Darüber hinaus handele es sich um einen einfach gelagerten Sachverhalt.

b) Aufgrund des dargestellten Verfahrensganges stellt die Ablehnung der Terminsverlegung eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Betroffenen dar. Der Verlegungsantrag des Verteidigers ist rechtzeitig gestellt worden. Das entsprechende Fax ist am Terminstage um 8.48 Uhr beim Amtsgericht eingegangen und wurde um 9.00 Uhr ausgehändigt worden. Der Beginn der Hauptverhandlung war auf 10.10 Uhr terminiert. Diesem Antrag hätte das Amtsgericht stattgeben müssen.

Die Fürsorgepflicht des Gerichts gebietet zwar nur unter besonderen Umständen eine Vertagung wegen Verhinderung des Verteidigers. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls, wobei insbesondere die Bedeutung der Sache, die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, die Lage des Verfahrens bei Eintritt des Verhinderungsfalls, der Anlass, die Voraussehbarkeit und die voraussichtliche Dauer der Verhinderung sowie die Fähigkeit des Betroffenen, sich selbst zu verteidigen, zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, NJW 1984, 862 = NStZ 1984, 176; OLG Köln, VRS 92 [1997], 261; Göhler/Seitz, OWiG, 14. Aufl. § 71 Rdnr. 30). Nach diesen Grundsätzen wäre aber eine Vertagung geboten gewesen.

Aufgrund der konkreten Verfahrenssituation konnte der Betroffene, der auf Antrag seines Verteidigers vom persönlichen Erscheinen entbunden worden war, darauf vertrauen, dass er in der Hauptverhandlung von diesem vertreten werde. Es war für den Betroffenen im vorliegenden Falle nicht zumutbar, sich auf eine Hauptverhandlung ohne seinen gewählten Verteidiger einzulassen. Zwar gewährleistet Art. 103 Abs. 1 GG nicht den Beistand durch einen bestimmten Verteidiger (vgl. Göhler a.a.O., § 80 Rdnr. 16a m.w.N.). Zudem hat ein Betroffener gem. § 228 Abs. 2 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG keinen Anspruch darauf, im Falle der Verhinderung des Verteidigers die Aussetzung der Verhandlung zu verlangen. Andererseits kann gem. § 137 Abs. 1 S. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG sich ein Betroffener in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes durch einen Verteidiger bedienen. Das Interesse des Betroffenen an seiner Verteidigung durch einen Rechtsanwalt einerseits und das Interesse der Justiz an einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens andererseits sind gegeneinander abzuwägen, wobei dem Verteidigungsinteresse im Zweifel Vorrang gebührt (Göhler a.a.O., § 71 Rdnr. 30 m.w.N.). Das gilt insbesondere dann, wenn der Verteidiger wie im vorliegenden Fall wegen einer plötzlichen Erkrankung, die im Übrigen über die anwaltliche Versicherung hinaus nicht weiter glaubhaft zu machen ist, an der Hauptverhandlung nicht teilnehmen kann. Dadurch ist das Recht des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs in der Hauptverhandlung beschnitten worden.

3.
Nach allem war somit die Rechtsbeschwerde zuzulassen und das angefochtene Urteil wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

RechtsgebieteGG, StPO, OWiGVorschriftenArt. 130 Abs. 1 GG; §§ 137 Abs. 1 S. 1, 228 Abs. 2 StPO; §§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG

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