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09.10.2009 · IWW-Abrufnummer 093361

Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 28.05.2009 – 3 K 4125/08

Grobes Verschulden eines steuerlichen Beraters im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bei der Erstellung einer Einnahmeüberschussrechnung


FG Baden-Württemberg

Urteil vom 28.5.2009

3 K 4125/08

Tatbestand

Streitig ist, ob die Änderung eines Einkommensteuerbescheids gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) wegen eines groben Verschuldens des zwischenzeitlich verstorbenen und als Zeuge nicht mehr zur Verfügung stehenden Steuerberaters ausgeschlossen ist.

Die Kläger sind seit dem.1973 verheiratete und im Streitjahr 2001 zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der am 1943 geborene Kläger ist von Beruf Zahnarzt mit eigener Praxis, die am 1949 geborene Klägerin ist Lehrerin. Die Kläger haben zwei Söhne. Die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr datiert vom 20.03.2003. Bei deren Anfertigung wirkte der Steuerberater und Diplom-Finanzwirt S mit, der im November 2008 verstarb. Auf der zweiten Seite der Anlage GSE gaben die Kläger Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit als Zahnarzt in Höhe von 404.524 DM an. Sie fügten eine von ihrem Steuerberater erstellte zweiseitige „Einnahme-Überschußrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG für das Kalenderjahr 2001“ bei, in welcher der Gewinn von 404.524,70 DM als Differenz der Betriebseinnahmen von 883.732,22 DM und der Betriebsausgaben von 479.207,52 DM ausgewiesen wurde (Einkommensteuerakte Fach 2001, Blatt 8 f.).

Die Betriebsausgaben sind in der Einnahmenüberschussrechnung aufgegliedert, z.B. in die Positionen Personalkosten (191.594,94 DM) und Aufwendungen für Medikamente, Materialien, Labor und Technik (179.605,41 DM). Der Steuerberater vermerkte, er habe das vorstehende Ergebnis auf der Grundlage der vorgelegten Aufzeichnungen und Unterlagen sowie der erteilten Auskünfte als Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ermittelt. Er hielt fest, Umsatz und Reingewinn hätten erfreulicherweise um 16,79% bzw. 33,35% gesteigert werden können.

Die Finanzbuchhaltungs- und Steuererklärungsarbeiten waren zwischen den Klägern und ihrem langjährigen Steuerberater wie folgt aufgeteilt: Der Kläger erfasste die laufenden Einnahmen und Ausgaben der Zahnarztpraxis in einem ersten Schritt im eigenen PC mit einem EDV-Programm, an dessen genaue Bezeichnung der Kläger sich im Erörterungstermin nicht mehr erinnern konnte. Hiervon ausgehend erstellte der Steuerberater in einem zweiten Schritt die Einnahmenüberschussrechnung und darauf aufbauend die Einkommensteuererklärung. Der Steuerberater übernahm die Buchhaltung des Klägers nicht in Dateiform, sondern in Papierform. Er erhielt die Unterlagen des Klägers monatlich, nach Ablauf des Jahres erhielt er die Kontensalden für den Dezember und eine Summen- und Saldenliste für das Gesamtjahr.

Der Steuerberater vervollständigte die Buchungen des Klägers um Jahresendkorrekturen wie insbesondere Abschreibungen und Erfassung von Privatanteilen. Im Interesse der besseren Nachvollziehbarkeit der Betriebsausgaben nahm der Steuerberater eine Umgliederung der Ausgaben in 22 Einzelpositionen vor. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Erläuterungen des Steuerberaters im Schreiben vom 23.05.2003 verwiesen (Rechtsbehelfsakte Blatt 1 f.). Die eigenen Arbeitspapiere und Berechnungen erstellte der Steuerberater handschriftlich bzw. mit einer Rechenmaschine. Eine EDV-basierte Unterstützung für die Erstellung der Einnahmenüberschussrechnung bestand im Büro des als Einzelsteuerberater tätigen Beraters nicht.

Nach Eingang der Einkommensteuererklärung am 21.03.2003 veranlagte das Finanzamt die Kläger gemäß der eingereichten Steuererklärung, setzte die Einkommensteuer auf 83.995,03 EUR (164.280 DM) fest und passte die Einkommensteuervorauszahlungen entsprechend an. Der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Einkommensteuerbescheid datiert vom 08.04.2003 (Einkommensteuerakte Blatt 18 f.) und wurde bestandskräftig.

Wegen aufgekommener Zweifel an der Richtigkeit der Einkommensteuerfestsetzung wandte sich der Kläger an den Steuerberater, der Kontakt mit dem Finanzamt aufnahm. Im Schreiben vom 23.05.2003 (Rechtsbehelfsakte Blatt 1 f.) nahm er Bezug auf ein vorangegangenes Telefonat mit dem Finanzamt vom 19.05.2003. Dem Kläger sei aufgefallen, dass die Zahlungen an Fremdlabore höher als in der Einnahmenüberschussrechnung deklariert und die festgesetzten Steuern unverhältnismäßig hoch ausgefallen seien. Im Einzelnen handle es sich um einen Betrag in Höhe von 60.807,46 DM, um den die Materialkosten in der Einnahmenüberschussrechnung zu niedrig ausgewiesen worden seien. Eine überaus gründliche Nachprüfung habe ergeben, dass „in mehreren Monaten die gebuchten Zahlungen auf den Unterkonten nicht ausgewiesen, die Salden aber fortgeschrieben und im Schlußprotokoll erschienen“ seien.

Mit einem weiteren Schreiben vom 29.07.2003 (Rechtsbehelfsakte Blatt 6 ff.) beantragte der Steuerberater die Änderung des Einkommensteuerbescheids und legte Fotokopien seiner Arbeitspapiere (Anlagen 1 und 2) sowie zwei Summen- und Saldenlisten (Anlagen 3 und 4) vor. Er erläuterte, dass es ihm bei der Erstellung der Einnahmenüberschussrechnung in erster Linie um die Beurteilung gegangen sei, welche Einnahmen betriebliche Einnahmen und welche Ausgaben betriebliche Ausgaben gewesen seien. Entsprechend sei die Zusammenstellung erfolgt. Wörtlich führt der Steuerberater im Anschluss daran aus: „Daher war für mich die Jahresauswertung 2001 (Anlage 3) schon im Hinblick auf die Anzahl der Konten ziemlich bedeutungslos.“ Ein erneuter Abruf der jährlichen Auswertung für 2001 habe völlig neuartige Zahlenwerte erbracht. Es habe sich eine Differenz bei Technik und Laborkosten, BDS Materialien und Fremdlaborkosten zu Gunsten des Steuerpflichtigen in Höhe von 60.807,46 DM ergeben. Hiernach seien sämtliche Buchungen der angegebenen Konten überprüft worden. Diese Prüfung der gesamten Buchführung habe schließlich zu dem aus der Summen- und Saldenliste 2001 hervorgehenden Ergebnis geführt. Offenbar seien Buchungen zwar im Buchungsjournal, nicht aber auf den Konten bzw. in den Auswertungslisten erschienen. Es liege ein mechanisches Versehen vor, da jede Möglichkeit eines Rechtsirrtums, eines Denkfehlers oder unvollständiger Sachaufklärung bzw. fehlerhafter Tatsachenwürdigung ausgeschlossen werden könne.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die mit der Steuererklärung 2001 eingereichte Einnahmenüberschussrechnung im Bereich der Laborkosten tatsächlich zu geringe Betriebsausgaben der Zahnarztpraxis in Höhe von 60.807,46 DM ausweist.

Mit Ablehnungsbescheid vom 05.08.2003 (Gerichtsakte Blatt 6 ff.) wies das Finanzamt den Änderungsantrag der Kläger gemäß Schreiben des Steuerberaters vom 29.07.2003 zurück.

Den beim Finanzamt am 29.08.2003 eingegangenen Einspruch (Gerichtsakte Blatt 9) wies das Finanzamt ebenfalls zurück. Wegen des Verlaufs des Einspruchsverfahrens wird auf die Rechtsbehelfsakte (Blatt 14 ff.) Bezug genommen. Der von den Klägern beauftragte Prozessbevollmächtigte hielt den Einspruch aufrecht und trug unter Vorlage von Kopien der Buchhaltungsunterlagen des Klägers (Kontenblätter 20, 201, 203, 204, 205) mit Schreiben vom 15.12.2003 ergänzend zum Sachverhalt und dessen rechtlicher Würdigung vor (vgl. im Einzelnen Gerichtsakte Blatt 10 ff., Rechtsbehelfsakte Blatt 31 ff. und Ordner „Duplikate“). Ein grobes Verschulden sei zu verneinen, da weder der stets zuverlässige Steuerberater noch die Kläger ihre Sorgfaltspflichten in ungewöhnlichem Maße bzw. unentschuldbarer Weise verletzt hätten. Vielmehr sei ein einfaches Verschulden des Steuerberaters, der lange Jahre zur Zufriedenheit der Kläger tätig gewesen sei und auf dessen Gewissenhaftigkeit sie vertraut hätten, zunächst schlicht unbemerkt geblieben.

Ausweislich eines Aktenvermerks vom 29.03.2005 (Rechtsbehelfsakte Blatt 55) teilte die Sachbearbeiterin des Finanzamts dem Prozessbevollmächtigten mit, dass für die Beurteilung des groben Verschuldens zunächst klar und nachvollziehbar sein müsse, wie welcher Fehler passiert sei. Anhand der bisher vorgelegten Kopien und der Sachverhaltsbeschreibung sei die Sache undurchsichtig, zumal auch andere Zahlen der Summen- und Saldenliste, insbesondere die Betriebseinnahmen und die Personalkosten, nicht mit der Einnahmenüberschussrechnung übereinstimmten.

Das Finanzamt gelangte zur Erkenntnis, dass diverse Ausgaben der Monate März, April und August in der Einnahmenüberschussrechnung unberücksichtigt geblieben bzw. unzutreffend erfasst waren (Rechtsbehelfsakte Blatt 56 ff.). Wegen der hiermit im Wesentlichen übereinstimmenden, nach nochmaliger Rücksprache mit dem Steuerberater verfassten präzisierenden Erläuterungen des Prozessbevollmächtigten wird auf dessen Schreiben vom 26.10.2005 Bezug genommen (Rechtsbehelfsakte Blatt 60 ff., vgl. dort insbesondere Blatt 63 f. mit Farbkopien der handschriftlichen Zusammenstellung des Steuerberaters sowie Blatt 69 mit einer detaillierten Abweichungsanalyse). Unter der Ziffer 6 des Schreibens wird zusammenfassend ausgeführt, dass dem Steuerberater bei der Übertragung der monatlichen Ergebnisse aus den Summen- und Saldenlisten Übertragungsfehler unterlaufen seien. So habe der Steuerberater die Ausgaben der Konten 20 (Technik, Labor, Medikamente), 201 (BDS Materialien), 203 (Labor X), 204 (Labor Y) und 205 (Labor Z) in den Monaten März und August 2001 übersehen. Ferner sei ihm im Monat April ein Additionsfehler unterlaufen.

Das Finanzamt hielt nach einem Telefonat mit dem Prozessbevollmächtigten in einem weiteren Aktenvermerk vom 14.02.2006 (Rechtsbehelfsakte Blatt 70) fest, dass ein grob fahrlässiges Handeln des Steuerberaters jedenfalls darin zu sehen sei, dass er keinen Abgleich der in der Einnahmenüberschussrechnung erfassten Ausgaben mit jenen laut Summen- und Saldenliste vorgenommen habe (vgl. auch Schreiben des Finanzamts vom 06.07.2006, Rechtsbehelfsakte Blatt 72). Der Prozessbevollmächtigte erwiderte schließlich noch einmal mit Schreiben vom 08.08.2006, erläuterte hierbei die Abweichungen im Bereich der Betriebseinnahmen, sonstigen Einnahmen und Personalkosten und wandte sich erneut gegen die Annahme einer groben Fahrlässigkeit des Steuerberaters, der für die Kläger seit 1975 Jahresabschlüsse und Steuererklärungen ohne jegliche Beanstandungen erstellt habe (Rechtsbehelfsakte Blatt 73 ff.).

In der Einspruchsentscheidung vom 13.12.2006 (Mittwoch) blieb das Finanzamt bei der Rechtsauffassung, dass den Steuerberater ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden der höheren Betriebsausgaben deswegen treffe, weil er die vom ihm ermittelten Gesamtaufwendungen der Konten 20, 201 und 203 bis 205 (179.605,41 DM) nicht mit der Summe dieser Konten laut der Summen- und Saldenliste (240.412,87 DM) verglichen habe. Bei der Erstellung der Einnahmenüberschussrechnung sei eine Vollständigkeits- und Plausibilitätsprüfung unerlässlich. Eine Abstimmung mit der Summen- und Saldenliste hätte gezeigt, dass der Kostenansatz für Medikamente und Labor zu niedrig gewesen sei. Eine Durchbrechung der Bestandskraft nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheide aus, ebenso wenig bestehe eine Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO. Wegen der weiteren Einzelheiten der Einspruchsentscheidung wird auf Blatt 14 ff. bzw. 33 ff. der Gerichtsakte verwiesen.

Mit ihrer am 17.01.2007 bei Gericht eingegangenen Klage begehren die Kläger weiterhin die Herabsetzung der Einkommensteuerfestsetzung unter Berücksichtigung der bisher nicht erfassten Betriebsausgaben von 60.807,46 DM. Unstreitig sei zwar, dass dem Steuerberater bei der Übertragung der Zahlen aus der Summen- und Saldenliste des Klägers in seine eigenen handschriftlichen Aufzeichnungen und bei der nachfolgenden Berechnung mit der Rechenmaschine der beschriebene Flüchtigkeitsfehler unterlaufen sei. Nicht richtig sei jedoch der Vorwurf einer groben Fahrlässigkeit des Steuerberaters, dessen fehlerfreie und korrekte Arbeit das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung ausdrücklich hervorhebe.

Angesichts der jahrzehntelangen sorgfältigen und korrekten Tätigkeit des Steuerberaters und angesichts der mit der Berechnung des Steuerberaters übereinstimmenden Einkommensteuerfestsetzung des Finanzamts seien die Kläger nach Bescheiderhalt zunächst nicht misstrauisch geworden. Für Misstrauen gegenüber dem Zahlenwerk habe kein Anlass bestanden, weil sich eine Erhöhung der Betriebseinnahmen im Vergleich zum Vorjahr um immerhin über 127.000 DM ergeben habe. Die in der Einnahmenüberschussrechnung ausgewiesenen Betriebsausgaben hätten sich demgegenüber um knapp 26.000 DM erhöht. Die Umsatzrendite hätte sich danach von 40,09% auf 45,77% erhöht. Weder dem Kläger noch dem Steuerberater habe sich anhand der Zahlen ein Übertragungs- oder Rechenfehler aufdrängen müssen, zumal sich auch die Ausgabenposition „Medikamente, Materialien, Labor, Technik“ laut der Einnahmenüberschussrechnung um über 9.600 DM erhöht gehabt habe.

Durch Periodenverschiebung von Zahlungen könne es durchaus zu unterschiedlichen Beträgen von Laborkosten in zwei Abrechnungsjahren kommen, ohne dass dies stutzig machen müsse. Erst als die Zahlung der Nachforderung angestanden habe, sei der Kläger stutzig geworden, da er noch nie zuvor sein Konto derart für eine Steuernachzahlung habe plündern müssen. Zu diesem Zeitpunkt sei der Einkommensteuerbescheid aber schon bestandskräftig gewesen.

Wegen der Klagebegründung im Einzelnen wird auf die Klageschrift (Gerichtsakte Blatt 1 ff.) und die darin in Bezug genommenen Schriftsätze vom 15.12.2003, 26.10.2005 und 08.08.2006 verwiesen.

Die Kläger beantragen (Gerichtsakte Blatt 1 f.),
1. den Ablehnungsbescheid vom 05.08.2003 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 13.12.2006 aufzuheben und
2. dem Antrag der Kläger auf Änderung des Einkommensteuerbescheids 2001 vom 08.04.2003 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO unter Berücksichtigung höherer Betriebsausgaben von 60.807,46 DM stattzugeben.

Das Finanzamt beantragt (Gerichtsakte Blatt 30), die Klage abzuweisen.

In der Klageerwiderung (Gerichtsakte Blatt 30 ff.) nimmt es Bezug auf die Einspruchsentscheidung. Es liege nicht nur ein Flüchtigkeitsfehler vor. Vielmehr seien gleich mehrere Fehler des Steuerberaters hinsichtlich seiner Verfahrensweise zu verzeichnen. Bei der handschriftlichen Zusammenstellung der in der Einnahmenüberschussrechnung erfassten Beträge handle es sich zum Teil um Monatssummen sämtlicher Laborkonten und zum Teil um Monatssummen einzelner Laborkonten. Bei der insoweit festzustellenden uneinheitlichen Verfahrensweise ließen sich Fehler bei der Erstellung der Einnahmenüberschussrechnung nicht vermeiden, weil eine Vollständigkeitsprüfung auf den ersten Blick nicht möglich sei. Zur Überprüfung sei ein Vergleich des vom Steuerberater ermittelten Gesamtbetrags der Laborkosten mit dem Betrag laut Summen- und Saldenliste (Jahresauswertung oder Dezember-Auswertung) schon zur Vermeidung von Tippfehlern unbedingt erforderlich. Der gebotene Summenvergleich hätte den zu niedrigen Ansatz der Laborkosten sofort aufgezeigt.

Die Beteiligten erklärten im Erörterungstermin vom 15.05.2009 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung. Wegen des Protokolls wird auf Blatt 55 ff. der Gerichtsakte verwiesen.

Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung die Akten des Finanzamts vorgelegen (Einkommensteuerakte Band IV - 1994 bis 2002, 1 Band Rechtsbehelfsakten, 1 Ordner „Duplikate“).


Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet. Die Ablehnung der von den Klägern beantragten Korrektur des Einkommensteuerbescheids 2001 ist rechtmäßig, da die Anwendung der Korrekturvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO jedenfalls daran scheitert, dass der wesentliche streitursächliche Fehler zur Überzeugung des Gerichts auf einem groben Verschulden des Steuerberaters bei der Erstellung der mit der Einkommensteuererklärung vorgelegten Einnahmenüberschussrechnung beruht.

1.) a) Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide zu Gunsten des Steuerpflichtigen aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO stehen. Als grobes Verschulden hat der Steuerpflichtige Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten. Grobe Fahrlässigkeit ist anzunehmen, wenn der Steuerpflichtige die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat (BFH, Urteile vom 20.11.2008 III R 107/06, BFH/NV 2009, 545 und vom 19.12.2006 VI R 59/02, BFH/NV 2007, 866 mit weiteren Nachweisen). Ob ein Beteiligter unter den gegebenen Verhältnissen grob fahrlässig gehandelt hat, ist im Wesentlichen Tatfrage.

b) Bei der Anwendung des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist dem Steuerpflichtigen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ein grobes Verschulden (d.h. Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit) seines steuerlichen Beraters zuzurechnen (BFH, Urteile vom 17.11.2005 III R 44/04, BFHE 211, 401, BStBl II 2006, 412 und vom 03.06.1987 X R 61/81, BFH/NV 1988, 342, jeweils mit weiteren Nachweisen). Die Zurechnung des Verschuldens des steuerlichen Beraters bei der Anfertigung der Steuererklärung ist nach der Rechtsprechung - unabhängig davon, aus welchen Vorschriften der Rechtsgedanke abgeleitet wird - deshalb gerechtfertigt, weil sich der Steuerpflichtige, der für die Richtigkeit seiner Angaben in der Steuererklärung einzustehen hat, sich dieser Verantwortung nicht dadurch entziehen darf, dass er die Ausarbeitung der Steuererklärung seinem steuerlichen Berater überträgt (BFH in BFHE 211, 401, BStBl II 2006, 412). An den steuerlichen Berater, dessen sich der Steuerpflichtige zur Ausarbeitung der Steuererklärung bedient, sind hinsichtlich der zu erwartenden Sorgfalt erhöhte Anforderungen zu stellen (BFH in BFH/NV 1988, 342).

2.) Nach Maßgabe dieser Rechtsprechungsgrundsätze genügt für die Abweisung der Klage die Feststellung des Gerichts, dass der verstorbene Steuerberater S die ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hat. Dies müssen die Kläger sich zurechnen lassen, ohne dass es noch auf ein etwaiges eigenes grobes Verschulden ankommt.

a) Die grobe Fahrlässigkeit des Steuerberaters liegt noch nicht darin begründet, dass er als „Steuerberater alter Schule“ auf die heutzutage gängige EDV-Unterstützung gänzlich verzichtet und seine Mandatsarbeit in weiten Teilen handschriftlich und mit einer einfachen Rechenmaschine geleistet hat. Das mag zwar in den Jahren 2001 (Streitjahr) bzw. 2003 (Erstellung der fehlerhaften Einnahmenüberschussrechnung) „altmodisch“ und eher ungewöhnlich gewesen sein. Die zwischen den Beteiligten unstreitige hohe Professionalität und Zuverlässigkeit des Steuerberaters bringt indessen klar zum Ausdruck, dass in der fehlenden EDV-Unterstützung für sich genommen im konkreten Fall keineswegs ein grobes Verschulden des Steuerberaters erblickt werden kann.

Ein gewisses Risiko für einen Verschuldensvorwurf besteht bei einem EDV-unkundigen Steuerberater zwar insofern, als er sich bei der Datenübernahme aus einem Computerprogramm seiner eigenen Unvertrautheit mit der Datenerfassung im PC und der gegebenenfalls auch im Vergleich zum Mandanten schlechteren technischen Ausstattung stets bewusst sein muss. Anhaltspunkte für einen hieraus abgeleiteten Vorwurf groben Verschuldens liegen im Streitfall indessen nicht vor. Ebenso wenig begegnet die vom Steuerberater im Interesse der Aussagekraft und Nachvollziehbarkeit für notwendig bzw. sinnvoll befundene Umgliederung der Ausgabenpositionen als solche dem Grunde nach einen Verschuldensvorwurf (zum möglicherweise erhöhten Unvollständigkeitsrisiko näher sogleich Buchst. d).

b) Keinen Vorwurf groben Verschuldens begründet auch die absolute Höhe des in der Einnahmenüberschussrechnung ermittelten Gewinns von 404.524,70 DM. Zwar lag dieser fehlerhaft ermittelte Gewinn um ein Drittel über dem Vorjahresgewinn von 303.365,41 DM laut der Einnahmenüberschussrechnung 2000 (Einkommensteuerakte, Fach 2001). Tatsächlich lag er aber um 60.807,46 DM zu hoch, so dass mehr als die Hälfte der vermeintlichen Gewinnsteigerung von 101.159,29 DM auf einen Berechnungsfehler des Steuerberaters und nicht auf ein tatsächlich erzieltes Mehrergebnis zurückzuführen war. Auch der Hinweis in der Einnahmenüberschussrechnung, wonach Umsatz und Reingewinn sich erfreulicherweise um 16,79% bzw. 33,35% erhöht hätten, beruht deshalb auf einem Fehler bei der Zusammenstellung der Einnahmenüberschussrechnung.

Trotz des frappierenden Mehrergebnisses sieht das Gericht keine Rechtfertigung, aus der absoluten Höhe des ausgewiesenen Gewinns eine grobe Fahrlässigkeit abzuleiten. Schon allein ein Blick auf die Einnahmenüberschussrechnung des Jahres 1998 zeigt, dass der Kläger in diesem Jahr schon einmal einen Gewinn von 402.278,79 DM erzielt und entsprechend auch versteuert hatte. Die Höhe des vermeintlichen Gewinns des Jahres 2001 allein trug deshalb nicht zwangsläufig die Vermutung der Unrichtigkeit in sich.

c) Näherer Betrachtung bedarf indessen die exakte Fehleranalyse, die vorliegend für die Beteiligten zunächst alles andere als leicht nachzuzeichnen war, inzwischen aber weitestgehend aufgeklärt ist. Aus der Abweichungsanalyse gemäß der Anlage 1 zum Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 26.10.2005 (Rechtsbehelfsakte Blatt 69, Gerichtsakte Blatt 65) ergibt sich, dass dem Steuerberater nicht etwa nur ein vereinzelter Flüchtigkeitsfehler unterlaufen ist, sondern gleich deren zehn. So fehlen im März 2001 insgesamt vier Beträge (auf vier Konten) und im August 2001 insgesamt fünf Beträge (auf fünf Konten). Hinzu kommt noch ein weiterer kleinerer Fehler - mit umgekehrtem Vorzeichen - im Monat April.

Zieht man die vorgelegte handschriftliche Berechnungsliste des Steuerberaters zur Veranschaulichung heran (Farbversion siehe auch Gerichtsakte Blatt 66 f.), so wird deutlich, dass der Steuerberater im Bereich der Ausgaben („A“) unter Ziffer 4 die Position „Medik., Material, Labor“ berechnet hat bzw. zu berechnen versucht hat. Die dort genannten Zahlen weisen hinsichtlich ihrer Anordnung und ihrer Verteilung auf die einzelnen Monate des Jahres ein überraschend und unerklärlich konfuses Bild auf. Da der Steuerberater nahezu keine erkennbare Ordnung und innere Logik bei der Erfassung der einzelnen Monate gewahrt hat, erscheint die fehlerhafte, weil unvollständige Erfassung als eine beinahe logische Konsequenz seiner mutmaßlich schon an dieser Stelle grob sorgfaltswidrigen Vorgehensweise. Mangels weiterer Arbeitspapiere vermag das Gericht keine vernünftige Erklärung für die Darstellung der handschriftlichen Betragsangaben sowie insbesondere auch für deren konkrete Anordnung nebeneinander und untereinander zu erkennen.

d) Eine zweifelsfrei festzustellende und deshalb zur Klageabweisung führende grobe Fahrlässigkeit ist dem Steuerberater zumindest insoweit anzulasten, als er augenscheinlich keinerlei Vollständigkeitskontrolle vorgenommen hat. Es ist in keiner Weise ersichtlich, dass der Steuerberater geprüft hätte, ob er im Ausgangspunkt alle (noch vergleichsweise übersichtlichen) Einnahmenkonten der übergebenen Summen- und Saldenlisten und vor allen Dingen auch alle (deutlich unübersichtlicheren) Ausgabenkonten erfasst hatte und ob er auch nach den von ihm vorgenommenen Korrekturen, Ergänzungen und Umgliederungen alle Positionen der übernommenen Buchhaltung ausnahmslos und vollständig abgearbeitet hatte.

Völlig zu Recht weist das Finanzamt darauf hin, dass ein Vollständigkeitsabgleich der Summen- und Saldenliste des Kalenderjahres und der aus ihr heraus vom Steuerberater entwickelten bzw. zu entwickelnden Einnahmenüberschussrechnung aus Gründen der Richtigkeit und Vollständigkeit der Gewinnermittlung zwingend notwendig ist. Unterbleibt der erforderliche Vollständigkeitsabgleich, bei dem es gerade in Ermangelung jeglicher EDV-Unterstützung einer besonderen Sorgfalt und Konzentration bedarf, so können - wie vorliegend geschehen - vermeidbare grobe Fehler resultieren.

Das Gericht bedauert, dass es dem als zuverlässig und gut bekannten Steuerberater wegen seines zwischenzeitlichen Todes nicht mehr möglich war, vor Gericht als Zeuge Angaben zum Sachverhalt zu machen. Das Gericht kann sich aufgrund der Schreiben des Steuerberaters im Verwaltungsverfahren aber immerhin ein gewisses Bild machen. Zur Überzeugung des Gerichts steht bei Gesamtwürdigung aller verfügbaren Informationen zweifelsfrei fest, dass der Steuerberater den zwingend notwendigen Vollständigkeitsabgleich zwischen Summen- und Saldenliste des Mandanten und eigenem Zahlenwerk im konkreten Einzelfall nicht durchgeführt hat. Dieser Vollständigkeitsabgleich muss aber zum „Kleinen Einmaleins“ der steuerlichen Beratung gerechnet werden, wenn ein Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer bei der Jahresabschlusserstellung bzw. -prüfung oder bei der Erstellung einer Einnahmenüberschussrechnung Zahlen des Mandanten in das eigene EDV-System einliest oder händisch übernimmt. Ein gänzliches Unterlassen des unabdingbaren Vollständigkeitsabgleichs ist als grobe Sorgfaltswidrigkeit des Beraters zu qualifizieren.

Obwohl der Steuerberater im Laufe des Verfahrens mehrfach befragt wurde und auch selbst Stellung bezogen hat, liegen nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür vor, dass er einen Vollständigkeitsabgleich auch nur ansatzweise vorgenommen haben könnte. Wenn der Steuerberater im Schreiben vom 29.07.2003 erläutert, die „Jahresauswertung 2001 (Anlage 3)“ (in Wahrheit Summen- und Saldenliste bis einschließlich Oktober 2001) sei für ihn „schon im Hinblick auf die Anzahl der Konten ziemlich bedeutungslos“ gewesen, so kommt darin im Gegenteil zum Ausdruck, dass der Steuerberater der für die Richtigkeit einer Gewinnermittlung bzw. Einnahmenüberschussrechnung unerlässlichen Vollständigkeit der Datenübernahme bzw. Datenerfassung entweder gar kein Augenmerk gewidmet oder aber nur eine völlig unzureichende Bedeutung beigemessen hat. In beiden Fällen liegt eine nach den persönlichen Fähigkeiten und Verhältnissen des Steuerberaters S ungewöhnliche und nicht entschuldbare Verletzung der ihm zumutbaren Sorgfalt vor, die eine Korrektur zu Gunsten der Kläger nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ausschließt.

e) Das Gericht kann nach alledem offen lassen, ob bzw. inwieweit neben dem jedenfalls zuzurechnenden groben Verschulden des Steuerberaters auch ein eigenes grobes Verschulden des Klägers gegeben sein könnte. Zwar gilt - ebenso wie für den Steuerberater - auch für den Kläger, dass der im Jahr 1998 schon einmal erzielte Gewinn über 400.000 DM für sich genommen kein zwingender Grund zu weiteren Nachforschungen gewesen sein mag.

Allerdings dürften in tatsächlicher Hinsicht insofern gewisse Zweifel am Sachvortrag der Kläger bestehen, als ausgeführt wird, dass der Kläger stutzig geworden sei, als die ungewöhnlich hohe Steuernachzahlung angestanden habe, dass der Einkommensteuerbescheid zu diesem Zeitpunkt aber schon bestandskräftig gewesen sei. An der Sachverhaltsdarstellung zur zeitlichen Reihenfolge des Ablaufs der Einspruchsfrist, der Fälligkeit der Steuernachzahlung und der Fehlererkennung bestehen insofern tatsächliche Zweifel, als die Nachzahlung am 12.05.2003 (Montag) fällig war und dieser Fälligkeitstermin mit dem Ablauf der Einspruchsfrist zusammenfiel. Auf die sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen zum genauen zeitlichen Ablauf muss das Gericht mangels Entscheidungserheblichkeit nicht mehr näher eingehen.

Schließlich könnte man immerhin auch noch die Frage aufwerfen, ob der Kläger aufgrund seines - dem Gericht mangels Erinnerung nicht mit Namen genannten - Buchhaltungsprogramms nicht selbst auf einfachem Wege eine Ermittlung des (tatsächlich niedrigeren) Jahresgewinns seiner Zahnarztpraxis hätte erstellen können, die ihm nach dem Erhalt der fehlerhaften Einnahmenüberschussrechnung des Steuerberaters (mit vermeintlich höherem Gewinn) Anlass zu Rückfragen hätte geben können oder gar müssen. Ohne die Frage abschließend gewürdigt zu haben, dürfte dem Kläger hier insbesondere zugute zu halten sein, dass laut Summen- und Saldenliste sonstige Einnahmen von 117.813,28 DM ausgewiesen waren, die mit 100.000 DM aus einer gewinnneutralen und deshalb im Dezember unzutreffender Weise erfolgswirksam verbuchten Kreditaufnahme resultierte (vgl. Rechtsbehelfsakte Blatt 74, 77). Vor diesem Hintergrund könnte der deutlich überhöht erklärte Gewinn für den Kläger nicht leicht erkennbar gewesen sein. Anderes könnte gelten, wenn der Kläger tatsächlich eine Jahresabschlussauswertung für das Jahr 2001 vorgenommen haben sollte, aus der die Gesamteinnahmen und Gesamtausgaben in anschaulicher Weise hervorgingen. Hierfür und für eine gegebenenfalls dadurch zu begründende grobe Sorgfaltswidrigkeit des Klägers persönlich liegen dem Gericht allerdings keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte vor.

Sämtlichen tatsächlichen Fragen zu einer etwaigen Sorgfaltswidrigkeit des Klägers und deren Ausmaß musste das Gericht nicht mehr weiter nachgehen, da es das grobe Verschulden des Steuerberaters für zweifelsfrei erachtet und dieses den Kläger zuzurechnen ist.

3.) Gemäß § 105 Abs. 5 Finanzgerichtsordnung (FGO) sieht das Gericht, da es der Begründung der Einspruchsentscheidung vom 13.12.2006 folgt, von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Das gilt insbesondere auch insoweit, als die von den Klägern begehrte Bescheidänderung ebenso wenig wie auf die Korrekturvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO auf die Änderungsvorschrift des § 129 AO gestützt werden kann.

4.) a) Das Gericht hielt es für sachgerecht, gemäß dem Einvernehmen der Beteiligten durch Berichterstatterurteil und ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden (§§ 79a Abs. 3 f., 90 Abs. 2 FGO).

b) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war mangels Vorliegen eines Zulassungsgrundes im Sinne der abschließenden Aufzählung des § 115 Abs. 2 FGO nicht zuzulassen.

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