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16.04.2009 · IWW-Abrufnummer 091191

Oberlandesgericht Brandenburg: Beschluss vom 04.12.2008 – 2 Ss OWi 121 Z 08

Eine ausdrücklich für das Strafverfahren erteilte und bei den Akten befindliche Vollmacht fingiert nicht ohne weiteres die Zustellungsvollmacht nach § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG in einem nachfolgenden Bußgeldverfahren.



Der Senat ist der Auffassung. dass nach der Änderung des § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG die Vorschrift des § 24 Abs. 3 2. Halbsatz StVG in dessen Licht auszulegen ist, mit der Folge dass auch die Verlängerung der Verjährungsfrist nur dann eintritt, wenn der Bußgeldbescheid innerhalb von zwei Wochen zugestellt wird.


2 Ss OWi 121 Z 08 OLG Brandenburg

Brandenburgisches Oberlandesgericht

Beschluss

In dem Bußgeldverfahren
gegen pp.
wegen fahrlässigen Abbiegens ohne ein Fahrzeug durchzulassen

hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts als Senat für Bußgeldsachen durch XXX am 4. Dezember 2008 beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Fürstenwalde vom 21. April 2008 aufgehoben.

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

I.

Der Betroffenen wird vorgeworfen, am 29. März 2007 in Beeskow an der Kreuzung Schützenstraße/Liebknechtstraße mit ihrem Pkw einen Unfall verursacht zu haben, weil sie die Vorfahrt eines von rechts kommenden Fahrzeuges nicht beachtet habe.

Wegen dieses Sachverhaltes wurde gegen die Betroffene zunächst ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt,1/Oder wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung geführt. In diesem meldete sich unter dem 20. April 2007 der Verteidiger der Betroffenen und legte eine auf ihn lautende Vollmacht der Betroffenen vor. Diese Vollmacht lautet. soweit es hier darauf ankommt, wie folgt:
„ Vollmacht
Rechtsanwälten W. & P.
wird hiermit in Sachen R., S. wegen fahrlässiger Körperverletzung Vollmacht erteilt
1......
2.....
3. zur Vertretung und Verteidigung in Strafsachen und Bußgeldsachen (§ 302, 374 StPO) einschließlich der Vorverfahren ..“'

Der Verteidiger erhielt sodann Akteneinsicht. Mit Verfügung vom 8. Juni 2007 stellte die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder das Verfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein und gab die Sache wegen der verbleibenden Ordnungswidrigkeit an die Bußgeldbehörde ab. Davon informierte die Staatsanwaltschaft den Verteidiger.

Unter dem 27. Juni 2007 erließ die Zentrale Bußgeldstelle des Landes Brandenburg gegen die Betroffene einen Bußgeldbescheid wegen Linksabbiegens ohne einen entgegenkommenden Rechtsabbieger durchzulassen, wobei es zu einem Unfall kam, und setzte gegen sie eine Geldbuße in Höhe von 50.00 EUR fest. Der Bußgeldbescheid wurde dem Verteidiger der Betroffenen am 4. Juli 2007 zugestellt. Dieser legte mit Schriftsatz vom 16. Juli 2007 namens und in Vollmacht der Betroffenen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein.

A m 21. April 2008 hat das Amtsgericht Fürstenwalde die Betroffene wegen eines fahrlässigen Abbiegefehlers mit Unfallverursachung zu einer Geldbuße von 50,00 Euro verurteilt. Dagegen wendet sich die Betroffene mit ihrem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde vom 22. April 2008, den sie mit Schrittsatz ihres Verteidigers vom 22. Mai 2008 begründet hat. Sie beantragt, das Verfahren wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung einzustellen. Sie macht geltend. die Zustellung des Bußgeldbescheides an ihren Verteidiger sei unwirksam. weil sich zu diesem Zeitpunkt eine Vollmacht des Verteidigers nicht bei den Akten befunden habe.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Zulassungsantrag als unbegründet zu verwerfen.

Mit Beschluss vom 23. Oktober 2008 hat der Einzelrichter die Rechtsbeschwerde der Betroffenen zugelassen und die Sache gemäß § 80 a Abs. 3 S. 1 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil es geboten ist, die angefochtene Entscheidung zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

II. Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist zulässig und begründet. Sie kann im Falle des § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG nur auf die Sachrüge gestützt werden (vgl. Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 80, Rn. 16 h). Zwar rügt die Rechtsbeschwerde nicht ausdrücklich die Verletzung materiellen Rechts. In dem Einwand des Eintritts der Verfolgungsverjährung ist aber zugleich die Erhebung der Sachrüge zu sehen (vgl. Göhler, a.a.O., § 79, Rn. 27 c).

Die Rechtsbeschwerde führt zur Einstellung des Verfahrens, weil hinsichtlich der vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit Verfolgungsverjährung eingetreten ist.

1. Das Amtsgericht nimmt an, dass die im Strafverfahren vorgelegte Vollmacht des Verteidigers auch Auswirkungen für das Bußgeldverfahren entfalte und deshalb die Zustellung des Bußgeldbescheides an den Verteidiger wirksam war. Diese Auffassung teilt der Senat nicht.

Soweit das Amtsgericht in diesem Zusammenhang auf die Entscheidungen des Senats vom 23. Mai 2005 (2 Ss (OWi) 58 B/05), 9. November 2006 (2 Ss (OWi) 196 B/06 und vom 4. Oktober 2007 (2 Ss (OWi) 142 B/07) Bezug nimmt. liegt dies letztlich neben der Sache. Denn diese Entscheidungen befassen sich ausschließlich mit Fragen zu Vollmachten, die in den entsprechenden Bußgeldverfahren erteilt worden waren bzw. damit, ob der Rechtsanwalt als Verteidiger anzusehen war. Darum geht es hier nicht. Der Verteidiger der Betroffenen hat zu keiner Zeit in Abrede gestellt, die Betroffene zu vertreten. Es geht hier auch nicht darum, ob es sich bei der im Strafverfahren vorgelegten Vollmacht überhaupt um eine Verteidigervollmacht handelt. Fraglich ist allein. ob diese Vollmacht Wirkungen für das Bußgeldverfahren entfaltet bzw. die Fiktion des § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG eintreten lässt.

Der Senat verneint diese Frage. Eine ausdrücklich für das Strafverfahren erteilte und bei den Akten befindliche Vollmacht fingiert nicht ohne weiteres die Zustellungsvollmacht nach § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG in einem nachfolgenden Bußgeldverfahren.

Anerkannt ist zwar, dass die Rechte und Pflichten des Verteidigers umfassend sind und sich auf die Verteidigung des Mandanten gegen alle in dem Verfahren gegen diesen erhobenen Vorwürfe erstreckt (BGHSt 27, 148, 150). Auch endet das (Wahl)Verteidigerverhältnis nicht ohne weiteres mit der Rechtskraft eines gegen den Mandanten ergangenen Urteils, sondern erstreckt sich grundsätzlich darüber hinaus insbesondere auch auf ein sich anschließendes Vollstreckungsverfahren (OLG Hamm NJW 1955. 1201: OLG Schleswig SchlHA 1992, 12), mit der Folge, dass auch eine Zustellungsvollmacht fortbesteht. Eine damit vergleichbare Situation liegt hier aber nicht vor. Bei dem Bußgeldverfahren handelt es sich nicht um ein (notwendiges) Folgeverfahren. wenn das Strafverfahren (nur) unter dem Gesichtspunkt der Straftat eingestellt wird.

Dafür spricht zunächst, dass es sich bei dem Strafverfahren und dem Bußgeldverfahren um unterschiedliche Verfahren handelt. Auch ist die Ordnungswidrigkeit gegenüber der Straftat ein Aliud. Durch den Verzicht auf „Strafe" hat der Gesetzgeber die Ordnungswidrigkeit bewusst anders eingestuft (vgl. BVerfGE 27, 18, 30. Göhler, a.a.O., Vor 5 1, Rn 6, 8).

Zwar kann im gerichtlichen Verfahren aus Gründen der Prozessökonomie vorn Strafverfahren in das Bußgeldverfahren und umgekehrt übergegangen werden, wobei die Verfolgungskompetenz allein bei der Staatsanwaltschaft liegt (vgl. § 81 ff OWiG). Im außergerichtlichen Verfahren ist dies hingegen nicht auf diese Weise nahtlos möglich. Die Bußgeldbehörde kann die dem Betroffenen vorgeworfene Handlung nämlich nicht unter dem Gesichtspunkt der Straftat verfolgen. Sie muss die Sache vielmehr an die Staatsanwaltschaft abgeben. wenn sich Anhaltspunkte für das Vorliegen auch einer Straftat ergeben (§ 41 Abs. 1 OWiG), sofern nicht die Verwaltungsbehörde selbst Verfolgungsbehörde ist (z.B. § 386 Abs. 1 AO). Umgekehrt ist zwar die Staatsanwaltschaft grundsätzlich für die Verfolgung der Tat auch unter dem Gesichtspunkt der Ordnungswidrigkeit zuständig (§ 40 OWiG). Stellt sie aber das Verfahren nur wegen der Straftat ein, gibt sie die Sache an die Verwaltungsbehörde ab, wenn Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass die Tat als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden kann (§ 43 Abs. 1 OWiG). Eine Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft besteht dann insoweit nicht mehr (vgl. Göhler, a.a.O., § 40, Rn. 7). Auch darin zeigt sich, dass Straftat und Ordnungswidrigkeit bewusst anders behandelt werden.

Hinzu kommt, dass es bei der Abgabe der Sache an die Verwaltungsbehörde durch die Staatsanwaltschaft nach Einstellung des Strafverfahrens wegen der Straftat nicht selbstverständlich ist, dass das dem Verteidiger für das Strafverfahren erteilte Mandat weiterhin Bestand hat. Es kann bereits nicht sicher davon ausgegangen werden, dass der Betroffene sich überhaupt des Beistandes eines Rechtsanwaltes bedient hätte. wenn von vornherein nur der Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit bestanden hätte. Der Betroffene könnte daher, sei es etwa aus Kostengründen. entscheiden, nach Einstellung des Verfahren wegen der Straftat auf den weiteren Beistand durch den Rechtsanwalt zu verzichten. Bei einer derartigen Sachlage ist auch nicht von vornherein sicher, ob überhaupt ein Bußgeldbescheid erlassen wird und ob aus Sicht des Betroffenen deshalb noch Bedarf an anwaltlichem Beistand besteht. Schließlich könnten bei der Annahme, die für das Strafverfahren erteilte Vollmacht gelte im Bußgeldverfahren fort, dem Betroffenen Kosten entstehen, die nicht beabsichtigt waren. Allein das Schweigen der Beteiligten vermag deshalb insoweit eine ausdrückliche Erklärung nicht zu ersetzen. Gerade wenn es um die Feststellung geht, ob eine Zustellung wirksam ist, muss Klarheit darüber bestehen, ob etwa eine Zustellungsvollmacht bestand oder gesetzlich fingiert werden kann.

Die Zustellung des Bußgeldbescheides an den Verteidiger der Betroffenen war mithin unwirksam. weil sich zu diesem Zeitpunkt dessen Vollmacht für das Bußgeldverfahren nicht bei den Akten befand und § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG deshalb keine Anwendung fand.

2.
Hinsichtlich der der Betroffenen vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit ist Verfolgungsverjährung eingetreten.

Der Betroffenen wird ein falsches Verhalten beim Linksabbiegen im Straßenverkehr mit der Folge eines Unfalls vorgeworfen. Die Frist für die Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten beträgt drei Monate, solange ein Bußgeldbescheid nicht ergangen ist (§ 26 Abs. 3 StVG). Der Bußgeldbescheid wurde am 27. Juni 2007 erlassen, mithin noch innerhalb dieser Frist. Sein Erlass unterbricht die Verfolgungsverjährung, wenn er binnen zwei Wochen zugestellt wird, anderenfalls unterbricht die Zustellung die Verjährung (§ 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG). Vorliegend hat eine wirksame Zustellung an die Betroffene, wie oben ausgeführt, nicht stattgefunden. Deshalb ist auch die Verjährung nicht unterbrochen worden. Die Frist lief daher am 29. September 2007 ab. Der nächste Umstand, der geeignet war, die Frist zu unterbrechen, trat erst am 19. Oktober 2007 mit dem Eingang der Akten bei dem Amtsgericht ein (§ 33 Abs. 1 Nr. 10), also bereits nach Ablauf der Frist.

Der Erlass des Bußgeldbescheides hat auch nicht dazu geführt, dass ab diesem Zeitpunkt die Frist für die Verfolgungsverjährung nunmehr sechs Monate betragen hätte. Allerdings bestimmt § 24 Abs. 3 2. Halbsatz StVG, dass sich die Verjährungsfrist bei Verkehrsordnungswidrigkeiten auf sechs Monate verlängert. nachdem ein Bußgeldbescheid ergangen ist. Käme es nur auf den Erlass des Bußgeldbescheides an, wäre die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen, weil sie innerhalb der sechs Monate durch weitere Maßnahmen unterbrochen worden wäre. Der Senat ist jedoch der Auffassung. dass nach der Änderung des § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG die Vorschrift des § 24 Abs. 3 2. Halbsatz StVG in dessen Licht auszulegen ist, mit der Folge dass auch die Verlängerung der Verjährungsfrist nur dann eintritt, wenn der Bußgeldbescheid innerhalb von zwei Wochen zugestellt wird (BGH NJW 2000, 820; KG NStZ 1999, 193; Thüringisches OLG VRS 108, 272). Die Änderung des § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG durch das Änderungsgesetz vom 26. Januar 1998, nach der die verjährungsunterbrechende Wirkung des Erlasses des Bußgeldbescheides nur dann eintritt, wenn dieser binnen zwei Wochen zugestellt wird. beruhte auf der erklärten Absicht des Gesetzgebers, die Verwaltungsbehörden zu beschleunigter Erledigung anzuhalten und auch die Rechtssicherheit zu fördern (vgl. dazu BGH, a.a.O., 821). Dem würde es aber zuwiderlaufen, wenn die Verlängerung der Verjährungsfrist auf sechs Monate nach § 24 Abs. 3 2. Halbsatz StVG bereits mit Erlass des Bußgeldbescheides ohne Rücksicht auf dessen Zustellung einträte. Eine § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG in seiner derzeitigen Fassung berücksichtigende Auslegung des § 26 Abs. 3 2. Halbsatz StVG kann deshalb nur dahin gehen. dass der Bußgeldbescheid mit der Folge der Verlängerung der Verjährungsfrist auf sechs Monate ab diesem Zeitpunkt mit seinem Erlass nur „ergangen" ist. wenn er binnen zwei Wochen zugestellt wird (BGH a.a.O.). Erfolgt, wie hier, keine wirksame Zustellung, so tritt auch die Verlängerung der Verjährungsfrist nicht ein.

Damit war die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit verjährt und das Verfahren einzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1 StPO.

RechtsgebieteVerkehrsrecht, VollmachtVorschriften§§ 51 Abs. 3, 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG; § 24 Abs. 2 StVG

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