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16.04.2009 · IWW-Abrufnummer 091189

Landgericht Berlin: Beschluss vom 02.02.2009 – 501 Qs 2/09

Jedenfalls bei der Anordnung der Blutentnahme im Zusammenhang mit dem Verdacht einer Alkoholisierung im Straßenverkehr dürfte regelmäßig Gefahr im Verzug nach § 81a Abs. 2 StPO nahe liegen. Bei der Anordnung der Blutentnahme wegen Gefahr im Verzug besteht aber eine Dokumentationspflicht. Aus deren Verletzung folgt aber kein Beweisverwertungsverbot.


Geschäftszeichen: 501 Qs 2/09
LG Berlin

In der Strafsache
gegen pp.
wegen Trunkenheit im Verkehr

hat die 1. große Strafkammer des Landgerichts Berlin am 2. Februar 2009 beschlossen:

Die Beschwerde der Beschuldigten vom 11. Dezember 2008 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 10. Oktober 2008 wird auf ihre Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe:

Der Beschuldigten wird vorgeworfen, am 1. August 2008 gegen 1.51 Uhr in Berlin-Kreuzberg in alkoholbedingt fahruntauglichem Zustand einen PKW geführt zu haben.

Sie wendet sich über ihren Verteidiger gegen die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, wobei sie weder das Führen des Kraftfahrzeugs noch eine alkoholische Beeinflussung in Abrede stellt. Allerdings wird der Verwertbarkeit der Alkoholbestimmungen mittels AAKMessung und Blutentnahme widersprochen.

Das zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet. Es liegen dringende Gründe für die Annahme vor, dass der Beschuldigten die Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB entzogen werden wird. Denn sie ist einer (zumindest fahrlässigen) Trunkenheit im Verkehr dringend verdächtig, § 316 StGB.

Dies folgt aus der mittels Blutentnahme festgestellten Blutalkoholkonzentration von 1,68 o/oo um 2.40 Uhr. Bei einer Alkoholkonzentration dieser Höhe kommt es auf die von den Zeugen PK B., POK P. und PHM M. beobachteten Fahrfehler nicht mehr an.

Entgegen der Verteidigerauffassung ist das Ergebnis der Blutprobe verwertbar.

Die Kammer hält an ihrer Auffassung fest, dass jedenfalls bei der Anordnung der Blutentnahme im Zusammenhang mit dem Verdacht einer Alkoholisierung im Straßenverkehr regelmäßig Gefahr im Verzug nach § 81a Abs. 2 StPO naheliegen dürfte, da bei Zuwarten einer richterlichen Entscheidung eine Beweisverschlechterung zu erwarten ist (vgl. Beschlüsse der Kammer vom 8. August 2008, 501 Qs 116108, und vom 24. Oktober 2008, 501 Qs 166/a8).

Allerdings bestehen Zweifel an der ordnungsgemäßen Anordnung der körperlichen Untersuchung der Beschuldigten gemäß § 81a Abs. 1 StPO durch PHM M. Denn gemäß bundesverfassungsgerichtlicher Vorgabe (Beschluß vom 28. Juni 2008 - 2 BvR 784/08) besteht bei der Anordnung der Blutentnahme wegen Gefahr im Verzug eine Dokumentationspflicht. Danach beinhaltet „das Gebot effektiven Rechtsschutzes in Fällen der Inanspruchnahme einer Eilkompetenz, wie sie § 81 a StPO der Staatsanwaltschaft und - nachrangig - der Polizei zugesteht, eine Dokumentations- und Begründungspflicht der anordnenden Stelle, um eine umfassende und eigenständige nachträgliche gerichtliche Überprüfung der Anordnungsvoraussetzungen zu ermöglichen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden; die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist."

Die zeitlichen Abläufe der Blutentnahme ergeben sich nicht zweifelsfrei aus der vorliegenden Akte. Obwohl die Tatzeit mit 1.51 Uhr angegeben wird - BI. 2 d.A. -, soll die AAK-Messung ebenfalls um (genau) 1.51 Uhr erfolgt sein - BI. 4 d.A. -. Die Anordnung der Blutentnahme soll nach Aktenlage - BI. 5 d.A. - um 0.00 Uhr und damit vor der festgestellten Trunkenheitsfahrt erfolgt sein. Ohne sichere Kenntnis der im einzelnen zu vermerkenden Umstände ist der Kammer die Prüfung des Vorliegens einer Gefahr im Verzug verwehrt. Ein Nachholen der mangelnden Dokumentation kommt nicht in Frage, denn nach der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist es „dem zur Überprüfung berufenen Gericht verwehrt, die fehlende Dokumentation durch Verwendung einer ihm erst nachträglich zugänglich gemachten Stellungnahme der Ermittlungsbehörden gleichsam zu ersetzen". Die im Freibeweisverfahren zu klärende Frage, ob die Voraussetzung der Anordnung durch den Polizeibeamten vorlegen haben, muss demnach offen bleiben, so dass zu Gunsten der Beschuldigten anzunehmen ist, dass bei der Anordnung Gefahr im Verzug nicht bestanden hat.

Ein Beweisverwertungsverbot hat die mangelhafte Dokumentation aber nicht zur Folge, vgl. die genannten Beschlüsse der Kammer.

Die Verwertbarkeit ergibt sich aus einer Abwägung des Interesses des Angeklagten an einem rechtstaatlichen Verfahren und an der Achtung seiner Grundrechte gegenüber dem allgemeinen Strafverfolgungsinteresse unter Berücksichtigung der Schwere des vorgeworfenen Delikts und des Gewichts des Verfahrensverstoßes. Dem hochrangigen Interesse an der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs - geschützt durch § 316 StGB - steht das Grundrecht der Beschuldigten auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG gegenüber. Dabei erweist sich der Eingriff, also die zwangsweise Blutentnahme durch den Arzt, als von geringer Intensität und Tragweite, da die nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommene Blutentnahme ungefährlich ist. Dem Verstoß, dass die Anordnung der Blutentnahme einerseits nicht durch einen Richter getroffen wurde und andererseits diese durch den Ermittlungsbeamten der Staatsanwaltschaft nicht hinreichend dokumentiert worden und deshalb nicht auszuschließen ist, dass er fehlerhaft das Vorliegen von Gefahr im Verzug angenommen hat, kommt in der Abwägung auch deshalb kein großes Gewicht zu, weil es - anders als etwa im Falle des § 100b Abs. 1 StPO, der die Anordnung ausschließlich dem Richter auferlegt - dem Polizeibeamten nicht von vornherein verboten war, die Anordnung - eben in Eilfällen - zu treffen. Die Bedeutung des Verstoßes mindert sich zudem dadurch, dass ein Bereitschaftsrichter, wäre er um Entscheidung ersucht worden, in einem derart klar und einfach gelagerten Fall nicht anders hätte entscheiden können, als die Blutentnahme anzuordnen. Ein Verbot der Beweisverwertung ist auch nicht damit zu begründen, dass der Polizeibeamte die Anordnung bewusst fehlerhaft oder objektiv willkürlich getroffen hat. Sein Handeln ist nämlich nicht darauf gerichtet gewesen, die Blutabnahme objektiv entgegen dem Gesetz oder subjektiv unter Ausschaltung des Ermittlungsrichters anzuordnen. Die Annahme von Gefahr im Verzug ist dem Beamten angesichts der divergierenden Rechtsprechung zu § 81a Abs. 2 StPO nicht vorwerfbar, auch bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, er sei seinen Dokumentationspflichten bewusst oder willkürlich nicht nachgekommen.

Auf die Frage der Verwertbarkeit der AAK-Messung kommt es nach alledem nicht mehr an, da es ihrer weder im Verfahren nach § 111 a StPO noch im Hauptsacheverfahren bedarf.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

RechtsgebieteVerkehrsrecht, Geschwindigkeitsüberschreitung Vorschriften§ 81a Abs. 2 StPO

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