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16.02.2009 · IWW-Abrufnummer 090575

Bundesverfassungsgericht: Urteil vom 18.07.2008 – 2 BvR 1423/08

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1423/08
-
In dem Verfahren XXX

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm vom 10. Juni 2008 - 4 Ss 197/08 -,
b) das Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 5. Dezember 2007 - 21 b ds 261 Js 688/07 - 309/07 -
u n d Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die XXX gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 18. Juli 2008 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

G r ü n d e :

I.

1. Der Beschwerdeführer ist mit Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 5. Dezember 2007 wegen „gewerbsmäßigen Diebstahls in drei Fällen, wobei es bei einem Fall beim Versuch blieb“, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden, die er derzeit verbüßt. Auf die Revision des Beschwerdeführers beantragte die Generalstaatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 30. April 2008, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, da die auf die allein erhobene Sachrüge gebotene Überprüfung des Urteils in materiell-rechtlicher Hinsicht Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers nicht aufdecke. Mit Beschluss vom 10. Juni 2008 verwarf das Oberlandesgericht Hamm die Revision des Beschwerdeführers einstimmig als unbegründet mit der Maßgabe, dass der Angeklagte des Diebstahls in drei Fällen schuldig sei. Der Schuldspruch sei zu berichtigen, weil der Angeklagte sich nach den getroffenen Feststellungen in allen drei Fällen des vollendeten Diebstahls schuldig gemacht habe; Strafzumessungsgesichtspunkte seien nicht in die Urteilsformel aufzunehmen.

Soweit das Amtsgericht bei der Strafzumessung trotz der Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit ohne jede weiteren Ausführungen den nicht gemäß § 49 Abs. 1 StGB reduzierten Strafrahmen der §§ 242, 243 StGB zu Grunde gelegt und hinsichtlich der Einzelstrafen keine Ausführungen zu § 47 StGB gemacht habe, sei das zwar rechtsfehlerhaft. Die ausgeworfenen Einzelstrafen seien angesichts der strafrechtlichen Vorbelastung des Beschwerdeführers, seiner hohen Rückfallgeschwindigkeit und des nicht unerheblichen Wertes der Beute auch unter Berücksichtigung der gegebenenfalls vorzunehmenden Strafrahmenverschiebung und der Voraussetzungen des § 47 StGB jedoch angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1a StPO.

2. Mit der fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Das Oberlandesgericht habe entgegen dem Grundsatz des fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens dem Beschwerdeführer keine Gelegenheit gegeben, sich zu der beabsichtigten Entscheidung nach § 354 Abs. 1a StPO zu äußern. Es sei daher nicht im Sinne des Beschlusses des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juni 2007 sichergestellt worden, dass dem Revisionsgericht ein lückenloser, wahrheitsorientiert ermittelter und aktueller Strafzumessungssachverhalt zur Verfügung stand.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>; 96, 245 <248 ff.>); sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Verfassungsbeschwerde ist mangels einer den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechenden substantiierten Begründung unzulässig.

1. Eine notwendige Ausformung des Prozessgrundrechts des fairen Verfahrens ist im Strafverfahren die Gewährleistung einer tragfähigen Grundlage der Strafzumessung. Zu diesem Zweck sind die Strafgerichte zur bestmöglichen Klärung des Sachverhalts - und damit der strafzumessungsrelevanten Faktoren - verpflichtet.

Aus diesem Grund ist durch verfassungskonforme Auslegung des § 354 Abs. 1a StPO sicherzustellen, dass die Kompetenz der Revisionsgerichte zu eigener Strafzumessung davon abhängt, dass ihnen für die Sachentscheidung ein zutreffend ermittelter, vollständiger und aktueller Strafzumessungssachverhalt zur Verfügung steht. Das Revisionsgericht hat dazu den Angeklagten auf die aus seiner Sicht für eine Sachentscheidung nach § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO sprechenden Gründe vorab hinzuweisen. Eines derartigen Hinweises bedarf es dann nicht, wenn - etwa wegen eines mit Gründen versehenen Antrags der Staatsanwaltschaft, auf den das Revisionsgericht seine Entscheidung stützen will – angenommen werden kann, dass der Angeklagte Kenntnis von einer im Raum stehenden Strafzumessungsentscheidung des Revisionsgerichts erlangt hat (vgl. BverfGE 118, 212 <230 ff.>). Nach diesen Maßstäben war das Oberlandesgericht im vorliegenden Fall verpflichtet, den Beschwerdeführer vor Erlass seiner Revisionsentscheidung auf die in Aussicht genommene Sachentscheidung nach § 354 Abs. 1a StPO hinzuweisen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu zu geben.

2. Die Rüge der Verletzung einer aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens resultierenden Anhörungspflicht kann jedoch letztlich nur dann Erfolg haben, wenn die angefochtene gerichtliche Entscheidung auf dem Verfassungsverstoß beruht, das heißt, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung des Beschwerdeführers das Gericht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts oder in einem wesentlichen Punkt zu einer anderen Würdigung veranlasst oder im Ganzen zu einer anderen, ihm günstigeren Entscheidung geführt hätte; die Sachlage ist insofern nicht anders als im Falle der Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (vgl. dazu BVerfGE 7, 239 <241>; 86, 133 <147>; stRspr). Im Hinblick darauf ist der Substantiierungspflicht aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nur genügt, wenn der Begründung der Verfassungsbeschwerde entnommen werden kann, was der Beschwerdeführer bei ausreichender Gewährung einer Möglichkeit zur Stellungnahme vorgetragen hätte. Nur dann kann geprüft und entschieden werden, ob die angegriffene Entscheidung auf dem Verfassungsverstoß beruht. Die bloße Behauptung des Unterlassens eines Hinweises und der Versagung der Möglichkeit zur Stellungnahme reicht zur Begründung einer auf eine angebliche Verle tzung des Art. 2 Abs. 1, 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG gestützten Verfassungsbeschwerde insofern nicht aus (vgl. zu den entsprechenden Anforderungen im Falle der Rüge eines Gehörsverstoßes BverfGE 28, 17 <20>; 72, 122 <132>). Diesen Anforderungen genügt das Beschwerdevorbringen vorliegend nicht. Es ist nicht vorgetragen oder sonst erkennbar, was der Beschwerdeführer im Falle eines Hinweises auf die in Aussicht genommene Revisionsentscheidung nach § 354 Abs. 1a StPO vorgebracht hätte.

3. Offen bleiben kann unter diesen Umständen, ob die Verfassungsbeschwerde auch deshalb unzulässig ist, weil der Beschwerdeführer den Rechtsweg nicht ordnungsgemäß im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG erschöpft hat. Zum Rechtsweg zählt in Fällen der vorliegenden Art grundsätzlich ein Antrag nach § 356a StPO. Zwar macht der Beschwerdeführer formal einen Verstoß nicht gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör, sondern gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens geltend. Ein Verstoß der hier gerügten Art geht jedoch mit einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG regelmäßig einher (zum Erfordernis der Erhebung einer Anhörungsrüge in einem solchen Fall vgl. nur BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. April 2005 - 1 BvR 644/05 -, NJW 2005, S. 3059 f.).

Deswegen und angesichts der vergleichbaren Interessenlage ist es naheliegend, dass eine Anhörungsrüge nach § 356a StPO im Falle der unterbliebenen Anhörung vor einer Revisionsentscheidung nach § 354 Abs. 1a StPO von den Fachgerichten für zulässig gehalten würde (vgl. zu der Frage auch BVerfGE 118, 212 <223; 225; 237 f.>). Dann aber war es dem Beschwerdeführer bereits zuzumuten, zunächst den Weg des fachgerichtlichen Rechtsschutzes zu beschreiten (vgl. BVerfGE 68, 376 <380 f.>; stRspr).

4. Von einer weiteren Begründung der Nichtannahmeentscheidung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen. Mit der Nichtannahme wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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