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06.04.2009 · IWW-Abrufnummer 090129

Sozialgericht Braunschweig: Urteil vom 28.10.2008 – S 6 KR 320/05

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


S 6 KR 320/05

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu 95 %, die Beklagte zu 5 % zu tragen.

3. Der Streitwert wird auf 29.058,78 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht von Pflegefachkräften.

Die Klägerin betreibt einen ambulanten Pflegedienst. Sie beschäftigte u.a. Pflegefachkräfte als Selbständige auf Honorarbasis. Als Ergebnis einer Betriebsprüfung am 04. Februar 2003 stellte die Beklagte mit Bescheid vom 25. Februar 2004 fest, dass alle für die Klägerin tätigen Pflegefachkräfte, auch die als Selbständige bezeichneten, in den Jahren 1998 und 1999 bei der Klägerin abhängig sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren. Die Beklagte schloss sich dabei dem Ergebnis der Finanzverwaltung an. Die aufgrund von Lohnsteueraußenprüfungen ergangenen Lohnsteuerhaftungsbescheide für den hier gegenständlichen Zeitraum hatte die Klägerin nicht angefochten. Die Beklage setzte die Gesamtsozialversicherungsbeitragsnachforderung auf 29.058,78 EUR fest.

Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Die freien Mitarbeiter seien nicht bei ihr abhängig beschäftigt gewesen. Sie hätten alle eine fachliche Ausbildung absolviert und seien nicht in dem Betrieb der Kläger eingegliedert gewesen, sondern hätten ihre Tätigkeit selbständig bei den Patienten ausgeübt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05. Juli 2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 25. Juli 2005 Klage erhoben. Sie wiederholt ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Auf Anforderung des Gerichts hat die Klägerin zwei der mit den Selbständigen abgeschlossenen Honorarvereinbarungen und zwei der mit den fest Angestellten abgeschlossenen Arbeitsverträge exemplarisch übersandt.

Im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens stellte sich heraus, dass zwei der im Bescheid aufgeführten Personen nie bei der Klägerin tätig waren. Die Beklagte hat daraufhin im Hinblick auf die Beitragsforderungen in Höhe von 1.079,69 EUR (Y., ehem. Beigeladene zu 1.) und 1.673,97 EUR (Z., ehem. Beigeladene zu 2.) ein Teilanerkenntnis abgegeben, welches die Klägerin angenommen hat.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 25.02.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.07.2005, so wie er sich nach den Teilanerkenntnissen darstellt, aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält den noch streitigen Teil des Bescheides für rechtmäßig.

Mit Beschluss vom 27. Juni 2008 und Änderungsbeschlüssen vom 17. Juli 2008 und 21. Oktober 2008 hat das Gericht die betroffenen Pflegefachkräfte, soweit deren Anschriften zu ermitteln waren, sowie die betroffenen Sozialversicherungsträger beigeladen.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. Oktober 2008 hat das Gericht einige der beigeladenen Pflegekräfte befragt.

Wegen des genaueren Vorbringens der Beteiligten, der näheren Einzelheiten des Sachverhalts und des Ergebnisses der Beteiligtenbefragung wird auf die Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten nebst Beiakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig aber unbegründet.

Die angefochtene Entscheidung der Beklagten ist, soweit sie noch strittig ist, nicht rechtswidrig. Die bei der Klägerin in den Jahren 1998 und 1999 tätigen Pflegefachkräfte waren alle abhängig beschäftigt und damit dem Grunde nach sozialversicherungspflichtig.

Dies hat die Beklagte bei ihrer Betriebsprüfung am 04. Februar 2003 und im Bescheid vom 25. Februar 2004 (bis auf den durch Anerkenntnis erledigten Teil) richtig festgestellt und die sich daraus ergebenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge richtig errechnet.

Wegen der bescheidmäßig erhobenen Beitragshöhe sind weder Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit ersichtlich, noch von der Klägerin vorgetragen. Dies gilt auch für den Teil des Bescheides, der als Summenbescheid ergangen ist, weil keine prüffähigen Angaben über die nur namentlich bekannten Pflegekräfte zu erlangen waren.

Die Versicherungspflicht zur gesetzlichen Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung setzt jeweils ein Beschäftigungsverhältnis voraus. Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer (abhängigen) Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Für die Zeit ab 01. Januar 1990 ist das im Satz 2 dieser Vorschrift dahingehend konkretisiert, dass Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisung und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers sind. Dies ist eine gesetzgeberische Klarstellung des seit Einführung des SGB IV (also bereits auch 1998) geltenden und in ständiger Rechtsprechung, insbesondere auch vom Bundessozialgericht angewandten Grundsatzes, wonach sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in einem fremden Betrieb dann vorliegt, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Vornehmlich bei Diensten höherer Art kann dieses auch eingeschränkt und zur "dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein (ständige Rechtsprechung des BSG).

Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im wesentlichen freigestellte Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen (insbesondere so wie sie sich nach Außen darstellen) ab, geben Letztere den Ausschlag.

Die tatsächlichen Gegebenheiten, unter denen die noch streitig im Bescheid aufgeführten Pflegekräfte ihre Arbeit verrichteten, lassen nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme ein nach diesen Grundsätzen abhängiges und damit sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis erkennen.

Wichtiges Indiz für das Verhältnis der Vertragsparteien zueinander ist stets die konkrete Ausgestaltung des Vertrages. Wenn die tatsächlichen Verhältnisse hiervon aber abweichen, sind Letztere maßgeblich (unbestritten herrschende Meinung, siehe oben). Zwar hat die Klägerin mit den Pflegekräften keine Arbeitsverträge geschlossen, sondern als solche bezeichnete Honorarvereinbarungen getroffen. In diesen heißt es, dass sich die Vertragsparteien darüber einig sind, dass durch diese Vereinbarung kein Arbeits- oder Dienstverhältnis begründet ist. Dies prägte aber nicht das tatsächliche Verhältnis zwischen den dort Beteiligten.

Schon die Honorarvereinbarung selbst lässt alle Elemente eines Vertrags zwischen Selbständigen vermissen. Zum Inhalt der Vereinbarung findet sich dort nur die Angabe, dass die jeweilige Pflegekraft ab einem bestimmten Datum häusliche Krankenpflege übernimmt. Anders als in einem Werk- oder Dienstvertrag, den ein Selbständiger mit einem Auftraggeber abschließt, finden sich keine Angaben zum konkreten Inhalt (z.B. Einsatzort und Dauer). Der konkrete Inhalt der Tätigkeit wurde vielmehr durch die Klägerin durch den von ihr erstellten Dienstplan im Einzelnen vorgegeben.

Zwar hat die Klägerin in diesem Dienstplan nach Möglichkeit weitgehend den zeitlichen Wünschen der Pflegekräfte entsprochen (die Beigeladene Frau AA. hat dies so formuliert: "Frau AB. hat das immer entsprechend berücksichtigt außer bei Ausnahmen, wenn es eng wurde"). Insofern unterschied sich der tatsächliche Ablauf aber nicht wesentlich von dem in einem Pflegedienst mit gutem Betriebsklima. Auch bei fest Angestellten wird regelmäßig bei der Erstellung des Dienstplans auf deren zeitliche Wünsche Rücksicht genommen, insbesondere dann, wenn es sich um qualifiziertes Personal handelt, welches gehalten werden soll.

Schon das Zustandekommen der Verträge lässt keinen Unterschied gegenüber der Begründung eines Arbeitsverhältnisses erkennen. Die Pflegekräfte sind fast durchweg durch eine Zeitungsannonce auf den Pflegedienst der Klägerin aufmerksam geworden. Sie haben sich daraufhin mündlich bei der Klägerin beworben und der Vertrag kam nach einem Vorstellungsgespräch (nach den Worten der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung: Bewerbungsgespräch) zustande. Dies entspricht eher dem Ablauf des Zustandeskommens eines Arbeitsvertrags als der Auftragssuche eines Selbständigen.

Auch die Möglichkeit der Nutzung eines Dienstwagens (die nach dem Wortlaut der Honorarvereinbarung allen Pflegekräften offen stand und die auch von einigen der Pflegekräfte genutzt wurde) ist für ein selbständiges Dienstverhältnis eher unüblich und spricht mehr für eine abhängige Beschäftigung. Durch die Nutzung des Dienstwagens, der vom Betriebsgelände abgeholt und nach dort wieder zurückgebracht werden muss, ergibt sich eine Eingliederung in den Betrieb.

Die Gepflogenheiten bei der Auszahlung des "Honorars" (welches sich nach einem in einem Arbeitsverhältnis typischen Stundenlohn richtete) sprechen nicht für eine selbständige Tätigkeit. Ein Selbständiger schreibt eine Rechnung. Das haben die bei der Klägerin tätigen Pflegekräfte nicht gemacht. Vielmehr hat die Klägerin selbst aufgrund ihrer eigenen Unterlagen den Auszahlbetrag ermittelt und an die Pflegekräfte ausgezahlt.

Auch der Umstand, dass die Pflegefachkräfte bei den Patienten ein Pflegetagebuch führen mussten, spricht für eine abhängige Beschäftigung, denn dies ist wie eine Verwaltungstätigkeit für die Klägerin zu sehen.

Die tatsächliche Tätigkeit der Pflegefachkräfte bei den Patienten unterschied sich durch nichts von der Tätigkeit fest angestellter Pflegefachkräfte der Klägerin. Dies hat auch die Beigeladene Frau AA., die die Tätigkeit in beiden "Vertragsvarianten" verrichtet hat, so empfunden ("hat sich beim Übergang von der freien Tätigkeit auf die Festanstellung im Hinblick auf die Tätigkeit nichts geändert"). Die freien Mitarbeiter waren genauso wie die fest Angestellten in den Betrieb der Klägerin integriert. Sie konnten zwar der Klägerin ihre zeitlichen Möglichkeiten mitteilen, nach denen diese sich dann wohl auch gerichtet hat. Den genauen Dienstplan mit Vorgabe der genauen Einsatzorte und Einsatzzeiten hat dann aber die Klägerin ohne weitere Absprache mit den Pflegekräften allein erstellt. An diesen Dienstplan waren die Pflegekräfte dann auch (egal ob formal selbständig oder abhängig beschäftigt) gebunden. Sie mussten die sich aus der Natur der Sache ergebenden teilweise sehr strengen zeitlichen Vorgaben beachten.

Diese zeitliche Einschränkung ergab sich aus den zu verrichtenden Tätigkeiten selbst. Rund-um-die-Uhr-Pflege (wie sie offenbar zumindest bei einer Patientin von mehreren der Beigeladenen anteilig verrichte wurde) ist nur möglich, wenn sich alle beteiligten Pflegekräfte genau an die festgelegten Übergabezeiten halten. Wenn mehrere Patienten hintereinander zu versorgen sind, müssen Medikamentengabe, Spritzen setzen usw. regelmäßig zu genau festgesetzten Uhrzeiten erfolgen. Ebenso können die pflegerischen Verrichtungen nicht irgendwann über den Tag verteilt durchgeführt werden. Hilfe beim Aufstehen muss morgens erfolgen, Mittagessen findet regelmäßig mittags statt und die Hilfen beim Zubettgeben sind auch auf einen engen zeitlichen Korridor festgelegt.

Da ausschließlich Patienten gepflegt wurden, die einen Pflegevertrag mit der Klägerin abgeschlossen hatten (keine der hier involvierten Pflegekräfte betrieb einen eigenen zugelassenen Pflegedienst mit eigenen Patienten), mussten sämtliche Vorgaben notwendigerweise von der Klägerin an die Pflegekräfte weitergegeben werden. Die genaue Einhaltung der (sich zum Teil aus der Natur der Sache ergebenden) zeitlichen und inhaltlichen Vorgaben ist Teil der vertraglichen Beziehungen zwischen der Klägerin und den zu pflegenden Personen bzw. der Leistungsträger. Um ihren Pflegeauftrag ordnungsgemäß zu erfüllen, muss die Klägerin diese Vorgaben an die Pflegefachkräfte nicht nur weitergeben sondern auch genau überwachen.

Was für die zeitlichen Vorgaben gilt, gilt teilweise sogar verschärft auch für die inhaltlichen Vorgaben. Auch hier hat die Klägerin die durch die ärztliche Verordnung bzw. die Anweisungen des MDK oder der Pflegekasse vorgegebenen konkreten Tätigkeitsvorgaben punktgenau an die Pflegefachkräfte weitergeben müssen. Letztere handelten demnach nicht nach selbst bestimmten Vorgaben sondern nach akribisch genauen Anweisungen und unter Kontrolle der Klägerin. Da das Gericht nicht davon ausgeht, dass die Klägerin dieser ihr gegenüber den Patienten obliegenden Verpflichtung nicht nachgekommen ist, ergibt sich zwangsläufig die diesbezüglich absolute Weisungsgebundenheit der Pflegefachkräfte.

Allein wegen der somit bestehenden absoluten Weisungsgebundenheit bis in kleinste Detail kann eine selbständige Tätigkeit nicht vorgelegen haben, auch wenn einige andere Umstände für eine solche sprechen. Auf diese muss deshalb im Einzelnen nicht mehr eingegangen werden. Es kann insbesondere dahingestellt bleiben, ob einzelne Pflegefachkräfte tatsächlich Patienten "mitgebracht" haben. Schon die Tatsache, dass mehrere Pflegekräfte mit der Pflege derselben Patientin betraut waren, schließt dies ohnehin aus. Zumindest die im Verhandlungstermin befragten Beigeladenen haben alle die Patienten von der Klägerin zugewiesen bekommen.

Auch kann dahingestellt bleiben, ob eine selbständige Tätigkeit der für die Klägerin arbeitenden Pflegekräfte bereits deshalb nicht vorliegen kann, weil es der Klägerin vertraglich untersagt ist, die von ihr angenommenen Krankenpflegeaufträge an Dritte weiterzugeben ((§ 6 der zwischen der Klägerin (als Mitglied im Arbeitgeber- und Berufsverband privater Pflege e.V.) und den gesetzlichen Krankenkassen geschlossenen Vereinbarung gemäß § 132 a Abs. 2 Satz 5 (häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 1 und § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V)).

Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197 a Sozialgerichtsgesetz in Verbindung mit § 154 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Kostenquote für die Beklagte berücksichtigt das Anerkenntnis. Der Streitwert ergibt sich aus der Höhe der bescheidmäßig geforderten Beitragszahlung.

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