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21.11.2008 · IWW-Abrufnummer 083606

Landgericht Berlin: Urteil vom 30.11.2005 – 505 Qs 185/05

Zum Zeugnisverweigerungsrecht von und zur Beschlagnahmefreiheit bei Syndikusanwälten.


505 Qs 185/05

Tenor

Die Beschwerde der Durchsuchungsbetroffenen gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 21. Juni 2005 wird verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beschwerdeführerin.

Gründe

I. Die Beschwerdeführerin ist eine Bank mit in … über 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie verschiedenen ausländischen Tochtergesellschaften, u.a. der … W. & Co. Luxembourg S.A. in Luxemburg. Die Rechtsabteilung der Konzernmutter in … besteht aus vier Personen, die sämtlich als Rechtsanwälte zugelassen sind (im Folgenden: Syndikusanwälte oder Syndici), sowie zwei Sekretärinnen. Bei der … Rechtsanwaltskammer sind die Syndikusanwälte nicht unter der Anschrift ihrer Arbeitgeberin, der Bank, sondern mit ihrer jeweiligen Privatadresse erfasst.

Die Staatsanwaltschaft führt das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Eingehungsbetruges bezüglich eines Darlehensvertrages über die Summe von 20 Mio DM. Der beschuldigte Darlehensnehmer beruft sich im Hinblick auf seine Rückzahlungsfähigkeit auf Geschäftsverbindungen zu einer Person aus einem afrikanischen Staat, deren Vermögen von der luxemburgischen Tochter der Beschwerdeführerin bis zur Beschlagnahme durch die Luxemburger Behörden verwaltet worden war.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das Amtsgericht am 21. Juni 2005 zwei im Wesentlichen inhaltsgleiche Durchsuchungsbeschlüsse mit Abwendungsbefugnis, einen betreffend die Geschäftsräume der Bank in Luxemburg, der zur Zeit im Wege der internationalen Rechtshilfe verfolgt wird, zum anderen den hier angefochtenen betreffend die Geschäftsräume der Bank in ... . Gesucht werden Unterlagen, die Aufschluss geben über 22 detaillierte, in den Durchsuchungsbeschlüssen über sechs Seiten aufgeführte Fragen zum Gegenstand des Ermittlungsverfahrens.

Der angefochtene Durchsuchungsbeschluss wurde durch den Polizeipräsidenten unter dem 26. August 2005 der Rechtsabteilung der Beschwerdeführerin mit der Bitte um Antwort unter Beifügung geeigneter schriftlicher Unterlagen zugesandt. Er ist bisher nicht vollstreckt worden.

Unter dem 22. September 2005 erhob die Durchsuchungsbetroffene Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss. Die im Rahmen des angefochtenen Durchsuchungsbeschlusses interessierende Angelegenheit habe allein der Syndikusanwalt Dr. E. bearbeitet. Nur dieser könne die Beweisfragen, soweit sich in … Kopien der Luxemburger Unterlagen befinden, beantworten. Er sei im Rahmen seiner Tätigkeit jedoch ausschließlich mit typischen anwaltlichen Aufgaben betraut gewesen und mache daher von seinem Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO Gebrauch. Bei den in … vorhandenen Kopien der Luxemburger Unterlagen handele es sich um Bestandteile der Handakten der Syndikusanwälte, die innerhalb des Bankgebäudes ausschließlich von diesen verwahrt würden. Die Durchsuchung sei daher unzulässig, weil sie nur darauf gerichtet sei, einen Gegenstand zu finden, dessen Beschlagnahme ausgeschlossen ist (§ 97 StPO).

Im Rahmen eines Telefonats mit der Staatsanwaltschaft sowie der Beantwortung einer Anfrage des Gerichts machte der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin ergänzende Angaben (Bl. 16 – 18 und 48 – 53 Bd. XVI).

II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Zwar sind Durchsuchungsbeschlüsse unzulässig, wenn sie nur dem Auffinden beschlagnahmefreier Gegenstände dienen. Jedoch steht den Syndikusanwälten der Rechtsabteilung hier kein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO zu, so dass auch keine Beschlagnahmefreiheit gemäß § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO besteht.

1. Es ist inzwischen allgemein anerkannt, dass auch Syndikusanwälte bei der Tätigkeit für ihren Arbeitgeber als Rechtsanwalt tätig werden können und dann ein Zeugnisverweigerungsrecht haben; die Abgrenzung ist jedoch noch nicht zweifelsfrei geklärt (vgl. aus der Rechtsprechung: Zeugnisverweigerungsrecht bzw. Beschlagnahmefreiheit bejahend LG München I (Zivilkammer), Urteil vom 18. Dezember 1979, Anwaltsblatt 1982, 197 und LG Frankfurt a.M., Beschluss vom 17. Dezember 1992, Strafverteidiger 1993, 351; verneinend für Tätigkeit im Aufsichtsrat OLG Celle, Beschluss vom 13. Dezember 1982, Niedersächsischer Rechtspfleger 1983, 124; ferner zur vergleichbaren Abgrenzung bei der Anrechnung von Tätigkeiten im Rahmen der Fachanwaltszulassung BGH, Beschluss vom 13. Januar 2003, NJW 2003, 883; aus dem Schrifttum: Hassemer, Das Zeugnisverweigerungsrecht des Syndikusanwalts, wistra 1986, 1; Kolvenbach, Der Syndikusanwalt und das Anwaltsrecht, Festschrift Quack 1991, S. 715, 728; Roxin, Das Zeugnisverweigerungsrecht des Syndikusanwalts, NJW 1992, 1129; Pankewitz, Anmerkung zu LG Frankfurt aaO, WuB 1995, 354; Munte, Der Syndikusanwalt im Konzernunternehmen, Anwaltsblatt 1998, 500). Eine klare Regelung durch den Gesetzgeber fehlt bis heute, obwohl mehr als 30 % aller zugelassenen Rechtsanwälte in einem ständigen Beschäftigungsverhältnis zu einem festen Arbeitgeber stehen (Fischer, Berufsfreiheit bei der Zulassung des Rechtsanwalts mit Zweitberuf, Anwaltsblatt 1994, 211 m.w.N.).

Nach Hassemer hat der Syndikusanwalt das Recht zur Zeugnisverweigerung immer dann, wenn er mit typisch anwaltlichen Aufgaben befasst ist, was nur dann nicht gegeben sein soll, wenn er nicht seinen eigenen anwaltlichen Überzeugungen, sondern Weisungen Dritter zu folgen hat. Nach Roxin besteht das Zeugnisverweigerungsrecht des Syndikusanwaltes, soweit er ihrer Natur nach anwaltliche Aufgaben erfüllt und seine Stellung im Unternehmen dem Berufsbild des von der BRAO zugrunde gelegten unabhängigen Anwaltes entspricht. Kolvenbach verweist rechtsvergleichend auf das Legal Privilege im angloamerikanischen Recht, das dort auch dem Syndikusanwalt zusteht. Munte grenzt in derselben Weise wie Roxin ab. Der Fall des Landgerichts Frankfurt am Main ist nicht ohne Weiteres übertragbar, weil dort der Syndikusanwalt der Firma ausschließlich den Geschäftsbereich „Kautschuk“ betreut hat, jedoch daneben mit ausdrücklicher Vollmacht zum Verteidiger bezüglich eines anderen Vorganges bestellt wurde, der zu seinem gewöhnlichen Geschäftsbereich keinerlei Bezug hatte. Der BGH nennt in seiner Entscheidung zur Anrechnung der Tätigkeit bei der Fachanwaltszulassung als entscheidendes Kriterium, ob und inwieweit hinsichtlich des betreffenden Falles nach den konkreten Umständen eine selbständige, d.h. eigenständige und von fachlichen Weisungen freie Bearbeitung durch den Syndikusanwalt gewährleistet ist bzw. ob umgekehrt zu besorgen sei, dass die Weisungs- und Richtlinienkompetenz des Arbeitgebers eines Syndikusanwalts in dessen konkreten Tätigkeit hineinwirkt. Dabei führt der BGH aus, dass eine fachliche Unabhängigkeit für einen Syndikusanwalt nicht typisch sei, jedoch im Einzelfall bestehen könne. Sei der Syndikusanwalt etwa bei einem Verband angestellt und obliege ihm nicht die Bearbeitung von eigenen Rechtsangelegenheiten des Verbandes, sondern die Beratung und Prozessvertretung der Mitglieder des Verbandes, sei nicht mit fachlichen Weisungen des Verbandes zur rechnen. Hingegen liege eine Weisungsgebundenheit des Syndikusanwaltes auch in fachlicher Hinsicht dann nahe, wenn der Syndikus im Interesse seines Arbeitgebers dessen eigene Rechtsangelegenheiten bearbeite (BGH NJW 2003, 884 unter II.4.).

2. Im konkreten Fall ergibt sich hier Folgendes: Das Zeugnisverweigerungsrecht der Syndikusanwälte entfällt nicht allein deswegen, weil sie im Rahmen ihres Angestelltenverhältnisses bzw. Dienstverhältnisses zur Übernahme der Tätigkeiten verpflichtet sind und daher nicht mehr beliebig Aufträge ablehnen können, denn auch ein von den Inhabern einer Anwaltssozietät fest angestellter Rechtsanwalt ist in der Annahme oder Ablehnung der Bearbeitung einzelner Aufträge, die der Inhaber der Sozietät gegenüber dem Mandanten angenommen hat, nicht frei. Ihm wird gleichwohl das Zeugnisverweigerungsrecht nicht abzusprechen sein.

Auch der Umstand allein, dass die Syndikusanwälte der Rechtsabteilung der Geschäftsleitung auf Verlangen Unterlagen vorlegen und Auskünfte erteilen müssen, schließt das Zeugnisverweigerungsrecht nicht aus. Denn auch bei einem „normalen“ Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei besteht eine Verpflichtung zur Herausgabe der Handakten an den Mandanten grundsätzlich jeder Zeit, wie sich im Umkehrschluss aus § 50 Abs. 3 BRAO ergibt.

Umgekehrt ist das Zeugnisverweigerungsrecht nicht allein deswegen gegeben, weil der Arbeitgeber bzw. Dienstherr der Syndikusanwälte die … Konzernmutter, die mit dem Vorgang befasste Stelle jedoch die Luxemburger Tochtergesellschaft ist. Denn, wie Munte (aaO S. 506f. unter I.3.c) überzeugend ausgeführt hat, hängen die Beschränkungen eines firmenangestellten Syndikusanwaltes hinsichtlich seines Auftretens vor Gericht wie auch in Bezug auf Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeprivileg nicht davon ab, ob er für die Konzernmutter oder für ein verbundenes Unternehmen tätig wird. Die meisten größeren Konzerne verfügen über zentrale Rechtsabteilungen, die organisatorisch und arbeitsrechtlich bei der Muttergesellschaft angesiedelt sind, sich jedoch typischerweise auch um die rechtlichen Belange einer oder mehrerer Tochtergesellschaften umfassend kümmern, da es nicht sinnvoll wäre, für jede – auch kleinere – Konzerntochter eine eigene Rechtsabteilung vorzuhalten. Bei einer solchen in der Praxis keineswegs seltenen Konstellation bestehen zwischen dem Syndikus und der von ihm betreuten Tochtergesellschaft keine dienstvertraglichen Bindungen. Die wörtliche Auslegung von § 46 Abs. 1 BRAO hätte zur Folge, dass der Syndikus der Konzernmutter für die Konzerntochter uneingeschränkt tätig werden könnte.

Ein solches Verständnis der Vorschrift, welches die Anwendung der Norm von der eher zufälligen und allein durch innerbetriebliche Bedürfnisse bedingten arbeitsrechtlichen Zuordnung des Syndikus zu einem bestimmten Konzernunternehmen abhängig macht, ergäbe jedoch wenig Sinn und kann dem Gesetzgeber nicht vorgeschwebt haben. Diese Überlegung gilt entsprechend auch bei der Abgrenzung hinsichtlich des Zeugnisverweigerungsrechts und des Beschlagnahmeprivilegs.

Nach der Entscheidung des BGH zur Fachanwaltsbezeichnung sowie tendenziell nach den meisten Literaturstimmen kommt es entscheidend auf die Weisungsgebundenheit im Einzelfall an. Dieses Kriterium ist zwar von der Herleitung her plausibel, jedoch unpraktisch. Denn es ist im Einzelfall kaum feststellbar, wie die tatsächlichen Strukturen in einem Unternehmen sind und wie stark oder wie wenig die Unternehmensleitung einem Mitglied der Rechtsabteilung bei der Bearbeitung einer einzelnen bestimmten Angelegenheit hineinregiert. Freiheit und Gebundenheit sind keine Folge des mehr oder weniger engmaschigen Dienstvertrages, sie sind vielmehr Ausfluss von Haltung, Gesinnung und Charakterstärke. An diesen Eigenschaften kann es sowohl bei einem Syndikusanwalt als auch bei einem Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei und einzelnen Mandaten (Nicht-Syndikusanwalt) mangeln (vgl. bereits Heins, Der neue Entwurf zur Bundes-Rechtsanwalts-Ordnung, NJW 1958, 201, 203).

Nach Auffassung der Kammer ist die Abgrenzung entscheidend aus dem Normzweck des Zeugnisverweigerungsrechts herzuleiten. Das – auch verfassungsrechtlich geschützte – Ziel sowohl von § 53 StPO als auch von § 203 StGB ist die Möglichkeit vertraulicher Kommunikation mit den Angehörigen bestimmter Berufsgruppen (vgl. bereits Hassemer, aaO, S. 11 unter 6.3). Es ist daher zu prüfen, ob es einen Rechtsratsuchenden (konsultierende Person) gibt, dessen im Vertrauen auf die Vertraulichkeit erfolgte Kommunikation mit dem Berater (konsultierte Person) schutzwürdig ist. Dabei ist zu bedenken, dass es dem Management eines Unternehmens grundsätzlich freistehen muss, sich Rechtsrat extern oder intern einzuholen.

Hier können gemäß der ausdrücklichen Stellungnahme der Beschwerdeführerin die Beweisfragen jedoch allein von einem der vier Syndici der Bank, nämlich Rechtsanwalt Dr. E., beantwortet werden. Die Beschwerdeführerin hat auf Nachfrage nicht angegeben, wer, wann, wo, wie und auf welche Art und Weise innerhalb des Unternehmens Mandatsverhältnisse begründet hat bzw. wen die Syndici hinsichtlich des konkreten Falles beraten und vertreten. Vielmehr werde die im Rahmen des angefochtenen Durchsuchungsbeschlusses interessierende Angelegenheit allein von Rechtsanwalt Dr. E. bearbeitet. Dieser Vortrag der Beschwerdeführerin legt den Schluss nahe, dass es im konkreten Fall einen Beratenen, dessen Vertrauen in die vertrauliche Kommunikation schutzwürdig sein könnte, nicht gibt, vielmehr der Syndikusanwalt quasi als Sachbearbeiter und damit wie ein Mitarbeiter der Bank, jedoch nicht in seiner Funktion als Rechtsanwalt tätig geworden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 Alternative 2 StPO.

RechtsgebieteStPO, StGB, BRAOVorschriften§ 53 Abs 1 S 1 Nr 3 StPO, § 97 Abs 1 Nr 1 StPO, § 203 StGB, § 46 Abs 1 BRAO

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