31.10.2008 · IWW-Abrufnummer 083396
Oberverwaltungsgericht Münster: Urteil vom 15.08.2008 – 6 A 2861/06
Oberverwaltungsgericht NRW
6. Senat
Urteil
6 A 2861/06
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Das beklagte Land wird unter Aufhebung des Bescheides des Landrates als Kreispolizeibehörde M. vom 8. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E. vom 7. März 2005 verpflichtet, dem Kläger zu den Aufwendungen für die Implantatbehandlung in regio 22 eine weitere Beihilfe in Höhe von 981,56 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 14. März 2005 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Land darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt eine weitere Beihilfe zu Aufwendungen für seine Versorgung mit einem Implantat im Oberkiefer.
Er verlor im Jahr 2003 infolge eines Unfalls einen Zahn (regio 22). Ein Heil- und Kostenplan des von ihm konsultierten Zahnarztes Dr. Dr. B. -Co vom 4. November 2003 sah eine Implantatbehandlung zu voraussichtlichen Gesamtkosten in Höhe von 2.966,61 EUR vor. Am 10. November 2003 beantragte der Kläger bei dem Landrat als Kreispolizeibehörde M. - BeihilfesteIle - unter Vorlage dieses Heil- und Kostenplanes die Vorabanerkennung der Aufwendungen für die Implantatversorgung als beihilfefähig. Der von der Bezirksregierung E. eingeschaltete Gutachter Dr. N. befürwortete den Behandlungsplan unter dem 27. November 2003, weil aufgrund der kariesfreien, nicht überkronten und nicht überkronungsbedürftigen Nachbarzähne eine Ausnahmeindikation für eine Implantatversorgung der Einzelzahnlücke gegeben sei. Noch im Jahr 2003 ließ der Kläger den verbliebenen Restzahn ziehen Lind einen Abdruck des Zahnbildes erstellen. Mit Bescheid vom 16. Januar 2004 lehnte der Landrat es ab, die Aufwendungen für die Implantatversorgung als beihilfefähig anzuerkennen. Der Kläger erhob nach erfolglosem Widerspruch am 19. Mai 2004 Klage beim Verwaltungsgericht Minden (4 K 1847/04). Später erklärte er ebenso wie das beklagte Land das Verfahren für in der Hauptsache erledigt, nachdem er die Implantatbehandlung im Jahr 2004 tatsächlich hatte durchführen lassen.
Mit Beihilfeantrag vom 18. Oktober 2004 machte der Kläger u.a. die ab dem 13. Januar 2004 entstandenen Aufwendungen für diese Implantatbehandlung in Höhe von insgesamt 2.213,12 EUR geltend. Der Landrat als Kreispolizeibehörde M. bewilligte dem Kläger hierfür eine Beihilfe in Höhe eines Pauschalbetrages von 125,- EUR (50 % von 250,- EUR). Mit Bescheid vom 8. November 2004 lehnte er die Gewährung einer weiteren Beihilfe im Zusammenhang mit der Implantatbehandlung abschließend ab.
Der Kläger erhob unter dem 11. November 2004 Widerspruch. Er trug vor, für die Beurteilung der Beihilfefähigkeit der Implantatbehandlung sei die bis zum 31. Dezember 2003 geltende Rechtslage zugrunde zu legen. Die Behandlung habe bereits mit der Einreichung des Heil- und Kostenplanes begonnen. Auch seien insbesondere mit der Entfernung des Restzahns und dem Abdruck des Zahnbildes die erstem Heilmaßnahmen bereits im Jahr 2003 begonnen worden. Dass der Antrag auf Vorabanerkennung erst im Jahr 2004 beschieden worden sei, habe er der Kläger - ebenso wenig zu vertreten wie den Umstand, dass die Behandlung erst im Jahr 2004 habe fortgesetzt werden können. Nach den bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Beihilfevorschriften sei die Implantatversorgung beihilfefähig gewesen. Die Behandlung sei ferner medizinisch indiziert gewesen. In einem solchen Fall könne ein Implantat auch abweichend von den Beihilfevorschriften beihilfefähig sein. Selbst wenn die ab dem 1. Januar 2004 gültigen Vorschriften der Beihilfeverordnung (BVO) zugrunde zu legen seien, müssten zumindest die Kosten als beihilfefähig berücksichtigt werden, die bei einer herkömmlichen Zahnersatzversorgung mit einer Brücke entstanden wären. Diese Kosten :beliefen sich nach einem alternativen Behandlungskonzept des behandelnden Zahnarztes auf 1.500,95 EUR. Soweit durch Verwaltungsvorschrift zur BVO in der ab dem 1. Januar 2004 geltenden Fassung für jeden Zahn bei nicht indizierter Implantatversorgung nur noch pauschal 250,- EUR als beihilfefähig anerkannt würden, trage dies dem Fürsorgegedanken nicht hinreichend Rechnung und verstoße gegen die Verpflichtung des Dienstherrn zur amtsangemessenen Alimentation .
Mit Widerspruchsbescheid vom 7. März 2005 wies die Bezirksregierung E. den Widerspruch zurück. Maßgeblich seien die ab dem 1. Januar 2004 geltenden Beihilfevorschriften, da mit der Implantatbehandlung erst im Jahr 2004 begonnen worden sei. Bis zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger über die Form der Zahnersatzversorgung frei entscheiden können. Unerheblich sei, aus welchen Gründen mit der Behandlung erst im Jahre 2004 begonnen worden sei. Die zum 1. Januar 2004 eingeführte Regelung in § 4 Abs. 2 lit b) BVO sehe nur noch einen sehr engen Indikationsbereich für eine Implantatversorgung vor. Da im Falle des Klägers! keine dieser Indikationen einschlägig sei, sei die Implantatbehandlung nicht angemessen im Sinne der BVO. Selbst im Falle einer medizinischen Indikation eines implantatgestützten Zahnersatzes seien die dadurch entstehenden Aufwendungen nicht ohne weiteres beihilfe fähig. Einen Anspruch auf Beihilfe zu der jeweils besten ärztlichen Versorgung gebe es nicht. Vielmehr werde der Dienstherr seiner Fürsorgepflicht gegenüber dem Beamten im Krankheitsfalle auch dann gerecht, wenn er ihm eine Beihilfe nur zu Aufwendungen für bestimmte geeignete und im Übrigen zumutbare Behandlungen gewähre. Mit dem bewilligten Pauschalbetrag von 125,- EUR seien sämtliche Kosten der zahnärztlichen und kieferchirurgischen Leistungen abgegolten.
Der Kläger hat am 14. März 2005 Klage erhoben. Zur Begründung hat er sein Widerspruchsvorbringen im Wesentlichen wiederholt.
Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides des Landrates als Kreispolizeibehörde M. vom 8. November 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E. vom 7. März 2005 zu verpflichten, ihm zu den Aufwendungen für die Implantatbehandlung in regio 22 eine weitere Beihilfe in Höhe von 981,56 EUR nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 14. März 2005 zu gewähren,
hilfsweise,
zu den Aufwendungen einer herkömmlichen Zahnersatzversorgung gemäß dem alternativen Kostenvoranschlag des behandelnden Zahnarztes eine Beihilfe in Höhe von 672,50 EUR nebst 8 % Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 14. März 2005 zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hat im Wesentlichen die Gründe des Widerspruchsbescheides wiederholt. Das Verwaltungsgericht Minden hat die Klage mit Urteil vom 28. Juni 2006 abgewiesen. Anwendbar sei die seit dem 1. Januar 2004 geltende Regelung in § 4 Abs. 2 Iit b) BVO. Das Erstellen von Heil- und Kostenplänen stelle noch keinen Beginn der zahnärztlichen Behandlung dar, weil der Beihilfeberechtigte noch frei darüber entscheiden könne, ob er die Heilbehandlung vornehmen lasse. Auch das Entfernen des Restzahns sei nicht als Beginn der Implantatversorgung anzusehen, da diese Maßnahme unabhängig von der sich anschließenden Versorgung durchgeführt worden sei. Nach der somit maßgeblichen Regelung des § 4 Abs. 2 lit b) BVO,seien die Aufwendungen für die Implantatversorgung nicht beihilfefähig, weil keine der dort genannten Indikationen einschlägig sei. Auch der mit dem Hilfsantrag erhobene Anspruch stehe dem Kläger nicht zu, weil Beihilfe nur zu solchen'Aufwendungen bewilligt werde, die tatsächlich entstanden seien. Das Ergebnis, dass dem Kläger für die Implantatbehandlung eine weitere Beihilfe nicht zustehe, sei nicht zu beanstanden. Eine Verletzung des Wesenskerns der Fürsorgepflicht des Dienstherrn lasse sich nicht feststellen. Die Fürsorgepflicht verlange nicht, dass der Beihilfeberechtigte seine krankheitsbedingten Aufwendungen lückenlos erstattet bekomme. Es sei in Fällen der vorliegenden Art nicht unzumutbar, die Beihilfeberechtigten auf die bestehende Alternativversorgung von Zahnlücken in der herkömmlichen Weise, also insbesondere mit einer Brücke, zu verweisen. Entscheide sich der Beihilfeberechtigte gleichwohl für eine Implantatbehandlung, sei es ihm zuzumuten, die darauf entfallenden Kosten selbst zu tragen.
Gegen das den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 13. Juli 2006 zugestellte Urteil haben diese am 18. Juli 2006 die Zulassung der Berufung beantragt. Mit Beschluss vom 5. Dezember 2007, den Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 11. Dezember 2007, hat der Senat die Berufung zugelassen.
Mit seiner am 19. Dezember 2007 bei Gericht eingegangenen Berufungsbegründung trägt der Kläger unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags vor, es entspreche nicht dem Kern der Fürsorgepflicht, eine Beihilfe für eine medizinisch notwendige, nicht sinnvoll zu ersetzende Behandlungsart unter Berufung auf im konkreten Fall nicht einschlägige Kostenersparnis- und Leistungsbegrenzungsgesichtspunkte zu versagen. Zur Implantatversorgung habe keine sinnvolle Alternative zur Verfügung gestanden. So habe es ihm nicht zugemutet werden können, gemäß einem alternativen Heil- und Kostenplan der zunächst konsultierten Zahnärztin Dr. X. vom 18. September 2003 das Abschleifen sieben gesunder Zähne in Kauf zu nehmen. Allein die Entscheidung des Patienten für die bestmögliche medizinische Versorgung könne nicht dazu führen, dass der Beihilfeanspruch in vollem Umfang entfalle, zumal nunmehr aufgrund eines Erlasses des Finanzministeriums vom 10. Oktober 2007 durch d~s beklagte Land zumindest die Beihilfefähigkeit der Kosten einer Suprakonstruktion anerkannt werde.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es verteidigt unter Bezugnahme auf sein bisheriges Vorbringen das angefochtene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte im Verfahren 4 K 1847/04 des Verwaltungsgerichts Minden und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des beklagtem Landes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die Klage ist mit dem Hauptantrag begründet, soweit die Bewilligung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 981,56 EUR und die Zahlung von Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit begehrt werden. In Bezug auf die weitergehende Zinsforderung ist die Klage unbegründet.
Der Bescheid des Landrates als Kreispolizeibehörde M. vom 8. November 2004 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung E. vom 7. März 2005 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat Anspruch auf die Gewährung einer weiteren Beihilfe in Höhe von 981,56 EUR zu den in dem angefochtenen Bescheid aufgeführten Aufwendungen für die Implantatversorgung gemäß § 88 Satz 1,2 und 4 LBG i.V.m. dem Bestimmungen der Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen (Beihilfenverordnung - BVO -), hier anwendbar in der Fassung der neunzehnten Verordnung zur Änderung der BVO vom 12. Dezember 2003 (GVBI. NRW 2003, 756). Die Aufwendungen sind notwendig und angemessen (I.). Ihre Beihilfefähigkeit ist nicht durch § 4 Abs. 2 lit b) Satz 1 BVO ausgeschlossen (II.) und in der Höhe nicht durch § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BVO begrenzt (III.).