Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

12.03.2008 · IWW-Abrufnummer 080763

Sozialgericht Mannheim: Urteil vom 13.07.2007 – S 4 KR 468/07

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Sozialgericht Mannheim

S 4 KR 468/07
verkündet am 13.7.2007

Urteil

In dem Rechtsstreit XXX

Die 4. Kammer des Sozialgerichts Mannheim hat auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13.7.2007 durch XXX für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 423,63 € nebst Zinsen von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, dabei seit 10.10.2006 aus einem Teilbetrag von 224,12 € und seit 28.11.2006 aus einem Teilbetrag von 199,50 € zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin für physiotherapeutische Behandlungsleistungen insgesamt 423,62 € nebst Zinsen zu zahlen hat.

I.

Die Klägerin ist zugelassene Physiotherapeutin in H. Über das Abrechnungszentrum 0..... reichte sie bei der Beklagten die Heilmittelverordnungen von Dr. B - Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg - vom 22.5.2006 für die Patientin G... und von Dres. A vom 26.6.2006 für die Patientin Se.. ein. Dr. B... hatte dabei 10 Mal manuelle Therapie (Bewegungsstörung) und 10 Mal Lymphdrainage (Schmerz) sowie 10 Mal Eis/Wärme verordnet (Erstverordnung). Dres. A verordnete 20 Mal Krankengymnastik nach Vojta als Doppelbehandlung (Folgeverordnung).

Hiervon setzte die Beklagte 224,12 € bzw. 199,50 € ab, da Verstöße gegen die Heilmittel-Richtlinien vorlägen. Zwei vorrangige Heilmittel dürften weder verordnet noch abgerechnet werden. Bei Erstverordnungen seien bei dem Integrationsschlüssel EX2d nur 6 Behandlungen vorgesehen. Bei dem zweiten Rezept seien bei einer Folgeverordnung nur eine Anzahl von 10 Behandlungen möglich.

II.

Am 7.2.2007 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Mannheim erhoben. Sie macht geltend, als Therapeutin sei sie nicht verpflichtet zu prüfen, ob der Vertragsarzt die formalen Vorgaben der Heilmittel-Richtlinien beachte. Vielmehr sei sie an die Verordnung des Vertragsarztes gebunden. Der für ihre Tätigkeit gültige Rahmenvertrag mit der Beklagten vom 1.12.2002 enthalte keine Rechtsgrundlage für die von der Beklagten geforderte formale Überprüfung vertragsärztlicher Verordnung. Weder die Heilmittel-Richtlinien noch die gemeinsamen Rahmenempfehlungen würden unmittelbar für sie gelten. Im übrigen seien Vertragsärzte in aller Regel nicht geneigt, Belehrungen durch nachgeordnete Berufsgruppen anzunehmen. Der Beklagten verbleibe die Möglichkeit, von ihr beanstandete Verordnungen im Regressverfahren mit den Vertragsärzten zu diskutieren. Die Differenzen über eine wirtschaftlichen Verordnungsweise der Ärzte auf dem Rücken der Physiotherapeuten auszutragen und diese in ein Dennuziationssystem einzubinden, sei unzulässig.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 423,62 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Teilbetrag von 224,12 € seit dem 10.10.2006 und aus einem Teilbetrag von 199,50 € seit dem 28.11.2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt unter Vorlage der Verwaltungsakten,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die Klägerin könne eine formale Überprüfung der Verordnung auf Vollständigkeit und Plausibilität vornehmen. Zu einem Vergütungsverlust müsse es nicht kommen, wenn der Leistungserbringer vor dem Beginn der Behandlung vom verordnenden Vertragsarzt bestätigt erhalte, dass dieser an seiner Verordnung festhalte und der Leistungserbringer diese Mitteilung handschriftlich auf der Verordnung vermerke. Es werde weder ein Anspruch des Versicherten gegen die Krankenkasse begründet noch entstehe eine Leistungspflicht der Krankenkasse, wenn ein Arzt bei der Verordnung gegen die Heilmittel-Richtlinien und damit gegen verbindliche vertragsärztliche Vorschriften verstoße. Dies entfalte auch normative Wirkung für den zwischengeschalteten weiteren Leistungsträger. Die Verpflichtung zur Beachtung der Heilmittel-Richtlinien ergebe sich bereits durch die Zulassung. Zur Abgabe der verordneten Leistung sei der Leistungserbringer nur dann berechtigt und verpflichtet, wenn er die Regelung einer ordnungsgemäßen und vertragsärztlichen Verordnung vor Behandlungsbeginn überprüfe. Einzufordern sei die bloße formale Überprüfung der Verordnung auf Vollständigkeit und Plausibilität. Verhindert werde soll ein Missbrauch der Gestalt, dass unvollständig und unklare Verordnungen in der Praxis vielfach dazu missbraucht würden, für Leistungserbringer nicht gerechtfertigte Abrechnungsspielräume zu eröffnen. Die Krankenkassen seien nach den Heilmittel-Richtlinien verpflichtet, daraufhin zuwirken, dass eine Kommunikation der sonstigen Leistungsträger mit dem verordnenden Vertragsarzt stattfinde.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gesamtakten verwIesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist als Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig und in der Sache begründet.

Für. die Klägerin besteht ein Rechtsanspruch auf volle Vergütung der eingereichten Heilmittelverordnungen vom 22.5. und 26.6.2006. Die Beklagte muss daher den in Abzug gebrachten Betrag von 423,62 (€ nebst Zinsen an die Klägerin zahlen.

Maßgebliche Rechtsgrundlage ist § 125 Abs. 2 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) i.V.m. dem zwischen den physiotherapeutischen Berufsverbänden in Baden- Württemberg und den Landesverbänden der Krankenkassen Baden- Württemberg geschlossenen Rahmenvertrag vom 1.12.2002 (RV). Nach § 15 Nr. 1 RV erfolgt die Vergütung der vertraglich erbrachten Leistungen nach der in Anlage 5 zum Rahmenvertrag geschlossenen Preisvereinbarung. Unstreitig hat die Klägerin die in den Verordnungen vom 22.5. und 26.6.2006 bestimmten Leistungen erbracht.

Diese Verordnungen entsprechen allerdings nicht in vollem Umfang den Vorgaben der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Heilmittel-Richtlinien) in der Fassung vom 1.12.2003/16.3.2004. Nach I 11.2.3 Heilmittel-Richtlinien beträgt die maximale Verordnungsmenge bei Erst- und Folgeverordnungen bis zum Erreichen der Gesamtverordnungsmenge jedes Regelfalles in der physikalischen Therapie bis zu 6 Einheiten. Ausnahmen werden im Heilmittelkatalog aufgeführt. Lässt sich die Behandlung mit der nach Maßgabe des Heilmittelkataloges bestimmten Gesamtverordnungsmenge nicht abschließen, sind weitere Verordnungen möglich, bedürfen aber einer besonderen Begründung mit prognostischer Einschätzung (I 11.3. Heilmittel-Richtlinien).

Bei gegebener Indikation richtet sich die Auswahl der zu verordnenden Heilmittel nach dem jeweils therapeutisch im Vordergrund stehenden Behandlungsziel, vorrangig soll eine im Heilmittelkatalog als "vorrangiges Heilmittel" (A) genannte Maßnahme zur Anwendung kommen (VI Nr. 24 Heilmittel-Richtlinien). Die Verordnung vom 22.5.2006 betraf die Diagnosengruppe EX2d (Komplexe Schädigungen / Funktionsstörungen bei zwei führenden Schädigungen /Funktionsstörungen). Ein vorrangiges Heilmittel ist im Heilmittelkatalog hier aber nicht genannt, sondern es sind verschiedene standardisierte Heilmittelkombinationen aufgeführt. Allerdings ist die Verordnungsmenge bei der Erst- und Folgeverordnung bis zu 6 Behandlungen begrenzt. Diese Vorgabe wurde von Dr. B nicht eingehalten. Vergleichbares gilt für die Verordnung vom 26.6.2006 betreffend die Diagnosengruppe ZN2a (Bewegungsstörungen von Extremitäten, Rumpf- und Kopfmuskulatur z. B. mit Hemiparese). Hier ist als Verordnungsmenge sowohl für die Erst-Verordnung als auch die Folge-Verordnung bis zu 10 Behandlungen bestimmt.

Die Nichteinhaltung der durch die Heilmittel-Richtlinien vorgegebenen Verordnungsmengen durch die verordnenden Ärzte berechtigen die Beklagte nach Überzeugung der Kammer aber nicht, die Vergütung der Klägerin zu reduzieren. Die Klägerin als Heilmittelerbringerin ist nämlich rechtlich nicht verpflichtet, die ihr vorgelegten Verordnungen auf deren Vereinbarkeit mit den Heilmittel-Richtlinien zu überprüfen. Für eine solche von der Beklagten angenommenen Prüfpflicht besteht keine Rechtsgrundlage. Weder aus dem RV, noch aus den Gemeinsamen Rahmenempfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen und den maßgeblichen Spitzenorganisationen der Heilmittelerbringer vom 17.1.2005 noch aus den Heilmittel-Richtlinien noch aus den Allgemeinen Bestimmungen des SGB V lässt sich eine solche Verpflichtung ableiten. Die Kammer schließt sich insoweit in vollem Umfang der Rechtsauffassung des SG Stuttgart im Urteil vom 13.12.2006 - S 10 KR 6018/05 - an.

Die Klägerin ist nach § 1 Nr. 1 f RV an die Bestimmungen des RV gebunden. Nach § 3 Nr. 1 RV bestimmt aber Art und Umfang der Leistungen der Vertragsarzt, der Leistungserbringer ist zur Abgabe dieser Leistungen im Rahmen der Leistungsbeschreibung berechtigt und verpflichtet. Diagnose, Art und Anzahl der Leistungen ergeben sich aus der vom Vertragsarzt ausgestellten Verordnung (§ 4 Nr. 3 RV). Die vertragsärztliche Verordnung kann nur ausgeführt werden, wenn diese für die Behandlung erforderlichen Informationen enthalten sind (§ 4 Abs. 3 Satz RV). Durch § 4 Nr. 3 Satz 3 RV ist nun ausdrücklich festgelegt, dass dem Leistungserbringer insoweit keine Prüfpflicht obliegt. Damit ist nach Auffassung der Kammer klargestellt, dass die Klägerin bei den hier streitbefangenen Verordnungen nicht überprüfen musste, ob die Ärzte die Anzahl der Leistungen in Übereinstimmung mit den Heilmittel-Richtlinien festgesetzt haben. Eine Prüfpflicht des Heilmittelerbringers ist daher nach § 3 Nr. 2 RV darauf begrenzt, dass er die Zulassung für jede der verordneten Leistungen hat, denn nur deren Erbringung ist ihm gestattet.

Die gemeinsamen Rahmenempfehlungen sind generell nicht geeignet, die von der Beklagten gewünschte Überprüfungspflicht der Klägerin zu begründen. Die Rahmenempfehlungen können als Empfehlungen keine Rechtsverbindlichkeiten für den Heilmittelerbringer begründen, hierzu wäre es erforderlich, dass dies in den RV übernommen würden. Im übrigen lässt sich aus § 18 Abs. 1 der gemeinsamen Rahmenempfehlungen auch keine Prüfpflicht des einzelnen Heilmittelerbringers ableiten.

Die Beklagte kann ihre Rechtsauffassung auch nicht mit Erfolg auf die Heilmittel-Richtlinien stützen. Zunächst ist bereits zweifelhaft, ob die Heilmittel-Richtlinien rechtsverbindliche Handlungsanweisungen an die Heilmittelerbringer enthalten. Nach § 91 Abs. 9 SGB V sind dies Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses im Regelfall für die Versicherten, die Krankenkassen und für die an der ambulanten ärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer und die zugelassenen Krankenhäuser verbindlich. Die Heilmittelerbringer gehören damit bereits nach dem eindeutigen Wortlaut nicht zum Bereich der ambulanten ärztlichen Versorgung (vgl. u. a. Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 31.5.2006 - B 6 KA 69/04 R -; Urteil des LSG Nordrhein- Westfalen vom 30.6.2004 - L 11 KR 116/03 -; a.A. unter anderem BSG SozR 3 - 2500 § 135 Nr. 4). Selbst dann, wenn man von einer Verbindlichkeit der Heilmittel-Richtlinien für die Klägerin ausgehen würde, lässt sich diesen ebenfalls keine konkrete Prüfpflicht ärztlicher Verordnungen entnehmen. Vielmehr ist der Heilmittelerbringer nach II Ziffer 9 Satz 2 Heilmittel-Richtlinien grundsätzlich an die Verordnung durch den Vertragsarzt gebunden.

Dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 12 SGB V eine Überprüfungspflicht des Heilmittelerbringers zu entnehmen, hält die Kammer für abwägig. § 12 Abs. 1 SGB V enthält lediglich eine Leitnorm die bei den einzelnen Anspruchsgrundlagen beachtet werden muss. Daraus kann sich aber keineswegs eine Überwachungspflicht desjenigen ergeben, der seine Leistungen nach ärztlichen Vorgaben zu erbringen hat.

Darüber hinaus hält die Kammer die von der Beklagten praktizierte Vorgehensweise nicht nur für rechts- sondern auch für systemwidrig. Das Versorgungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung ist "hierarchisch" konzipiert mit dem Primat der ärztlichen Entscheidung. Deshalb hat der Heilmittelerbringer seine Leistung auch stets nach den Vorgaben der ärztlichen Verordnung zu erbringen. Dass nun der im Versorgungssystem Nachgeordnete die ärztliche Verordnung auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüfen soll, ist systemfremd. Wenn die Beklagte fehlerhafte Verordnungen sanktionieren will, kann sie dies nur demgegenüber tun, der die Verordnung ausstellt. Eine andere Beurteilung wäre allenfalls in einem - hier in keinster Weise ersichtlichen Missbrauchsfall denkbar, d. h. wenn z. B. Verordnungen ausgestellt würden, bei denen die Verordnungsmenge jeglichen denkbaren Rahmen überschreiten und für den Heilmittelerbringer ohne nähere Prüfung sofort erkennbar wäre, dass eine solche Verordnung unzulässig ist.

Nach alledem war der Klage in vollem Umfang stattzugeben. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 2 BGB (vgl. Urteil des BSG vom 19.4.2007 - B 3 KR 10/06 R -).

Die Kostenentscheidung erfolgt aus § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 162 VWGO.

Da der Wert des Beschwerdegegenstandes 500,00 € nicht übersteigt, wäre die Berufung nicht zulässig (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung war jedoch nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Bisher ist in der Rechtsprechung noch nicht endgültig geklärt, ob Heilmittelerbringer verpflichtet sind, ärztliche Verordnungen auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen und ein etwaiger Verstoß gegen eine solche Verpflichtung zu einer Minderung des Vergütungsanspruches führen kann.

RechtsgebietSozialrechtVorschriften§ 125 Abs. 2 SGB V; § 12 SGB V; § 91 Abs. 9 SGB V

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr