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26.10.2007 · IWW-Abrufnummer 073235

Oberlandesgericht Saarbrücken: Beschluss vom 09.01.2007 – 1 Ws 236/06

Für die Berechnung der für die Gewährung eines sog. Längenzuschlags für den Pflichtverteidiger maßgeblichen Zeit ist auf den tatsächlichen Beginng der Hauptverhandlung abzustellen. Wartezeiten des Pflichtverteidigers werden nicht berücksichtigt.


1 Ws 236/06

SAARLÄNDISCHES (DBERLANDESGERICHT

BESCHLUSS

Strafsache XXX

w e g e n Mordes pp.
(hier: Festsetzung der Vergütung des Pflichtverteidigers)

Auf die Beschwerde des Rechtsanwaltes vom 3. November 2006 gegen den Beschluss der 1. Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken - Einzelrichter - vom 20. Oktober 2006 hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken am 9. Januar 2007 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter nach Anhörung des Bezirksrevisors bei dem Landgericht Saarbrücken beschlossen:

Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Der Rechtsanwalt, der dem Angeklagten mit Beschluss vom 8. September 2004 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden war, begehrt für seine Teilnahme an den Hauptverhandlungsterminen vom 28. Oktober und 8. November 2004 sowie vom 13. und 24. Januar 2005 die zusätzlichen Gebühren nach Nrn. 4122 bzw. 4123 VV RVG mit der Begründung, für die Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung komme es nicht auf den tatsächlichen Beginn der Hauptverhandlung sondern auf den in der Ladung bestimmten Zeitpunkt an, zu dem er jeweils pünktlich erschienen sei. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die zuständige Strafkammer des Landgerichts durch eines ihrer Mitglieder als Einzelrichter die Erinnerung des Rechtsanwalts gegen die Absetzung des Betrages von brutto 825, 92 Euro (4 x 178,00 Euro + 16% MWSt ) als unbegründet verworfen. Gegen den ihm am 211. Oktober 2006 zugestellten Beschluss hat der Rechtsanwalt mit am 6. November 2006 bei dem Landgericht eingegangenem Schriftsatz vom 3. November 2006 Beschwerde eingelegt.

Die Beschwerde, über die der Senat im Hinblick auf die bereits ergangene Grundsatzentscheidung vom 7. November 2005 - 1 Ws 166105 - durch den Einzelrichter zu entscheiden hatte (§ 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 S. 1, 2 RVG), ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt den Betrag von 200,-- Euro (§ 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 S. 1 RVG).

1n der Sache bleibt die Beschwerde jedoch aus den im Beschluss des Senats vom 7. November 2005 - 1 Ws 166J2005 - genannten Gründen ohne Erfolg.

Dort hatte der Senat Folgendes ausgeführt:
Für die Auffassung, dass es für die Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung auf deren tatsächlichen Beginn und nicht auf die in der Ladung vorgesehene Terminsstunde ankommt, spricht zunächst der Wortlaut der Vorschrift, der auf die Zeit der Teilnahme an der Hauptverhandlung abstellt. Auch Sinn und Zweck der Regelung und ihre systematische Stellung sprechen für diese Auslegung.
Durch das Rechtsanwaltsvergütungsrecht sind die Gebühren des Pflichtverteidigers völlig neu geregelt worden. Der Pflichtverteidiger erhält wie der Wahlverteidiger Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühren. Zusätzlich kann er Zuschläge verdienen, wenn sich sein Mandant in Haft befindet oder der Verteidiger an einer Hauptverhandlung mehr als 5 bis 8 Stunden oder mehr als acht Stunden teilgenommen hat.
Wartezeiten und Pausen werden im Rahmen dieser Gesetzessystematik bereits durch die großzügig erhöhte (allgemeine) Terminsgebühr erfasst. So erhält ein Strafverteidiger nach VV Teil 4 Vorbemerkung 4 Abs. 3 S. 2 auch dann die Terminsgebühr, wenn er zu einem Termin erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet. Wenn aber der bloße Zeitaufwand bereits durch die allgemeine Terminsgebühr abgegolten wird, muss mit dem Längenzuschlag etwas qualitativ anderes abgegolten werden als der bloße Zeitaufwand. Das kann nur die Tätigkeit als Verteidiger in der laufenden Hauptverhandlung sein (ebenso HartunqlRömermann, RVG, 16. A., VV 4101-4113).

An dieser Auslegung des Gebührentatbestandes VV RVG Nr. 4122 sieht sich der Senat auch nicht durch den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 15. Juni 2005 - 1 AR 22/05 - gehindert, denn diese Entscheidung betraf die Gewährung einer Pauschvergütung nach § 51 RVG; die Ausführungen zum Begriff der Hauptverhandlung in Nr 4116 VV RVG waren für die Entscheidung ausdrücklich nicht tragend.

Auf den hier in Rede stehenden Gebührentatbestand sind die Ausführungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe wegen der unterschiedlichen Zielsetzung der beiden Regelungen nach Auffassung des Senats nicht übertragbar.

Eine Pauschvergütung ist dem gerichtlich bestellten Rechtsanwalt nämlich in besonders umfangreichen oder besonders schwierigen Strafsachen zu bewilligen. Bei der Ermittlung des im Vergleich zu anderen gleichgelagerten Verfahren besonderen Umfangs einer Strafsache ist u. a. der Zeitaufwand des Rechtsanwalts zu berücksichtigen, der durch die Dauer der Hauptverhandlung ausgelöst wird. Nur in diesem Zusammenhang des § 99 BRAGO hat auch der Senat in der Vergangenheit bei Anwendung des alten Gebührenrechts, das keine Terminsgebühr kannte; für die Dauer der Hauptverhandlung auf die vorgesehene Terminsstunde und nicht erst auf den tatsächlichen Beginn der Hauptverhandlung abgestellt.

Soweit Burhoff unter Hinweis auf die frühere Rechtsprechung verschiedener Oberlandesgerichte zu § 99 BRAGO zu den Längenzuschlägen nach neuem Recht ebenfalls die entgegengesetzte Auffassung vertritt (vgl. BurhofflKindermannlBurhoff, RVG, Rn. 8-10 zu Nr. 4110), übersieht er, dass Wartezeiten und Pausen nach der Neuregelung bereits durch die allgemeine Terminsgebühr abgegolten sind.

Nur die hier vertretene Auffassung, für die Längenzuschläge auf den tatsächlichen und nicht auf den vorgesehenen Beginn der Hauptverhandlung abzustellen; dürfte letztlich auch - nicht nur in Umfangsverfahren mit mehreren Beteiligten wie dem hiesigen - zu praktikablen Ergebnissen führen, da die tatsächliche Dauer der Hauptverhandlung und die Anwesenheit des Rechtsanwalts während der Hauptverhandlung mit Wirkung für und gegen alle Beteiligten durch das Sitzungsprotokoll nachgewiesen wird. Käme es auf die vorgesehene Terminsstunde an, wären Feststellungen zur Anwesenheit der Verteidiger zu diesem Zeitpunkt und zu den Gründen für den verzögerten Sitzungsbeginn zu treffen, die in der Strafprozessordnung nicht vorgesehen sind."

An dieser Beurteilung hält der Senat auch angesichts der zwischenzeitlich bekannt gewordenen Entscheidungen anderer Obergerichte fest (KG RVGreport 2006, 33: OLG Stuttgart RVGreport 2006, 32). Weder der Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für die auch von Burhoff, RVGreport 2006, 1 vertretene Auffassung, Wartezeiten vor Beginn der Hauptverhandlung seien bei der Berechnung der Hauptverhandlungsdauer zugunsten des Rechtsanwalts zu berücksichtigen. Auch aus der amtlichen Begründung ergibt sich dies nicht, denn danach war Ziel der Neuregelung, feste Terminsgebühren zu schaffen, auf deren Höhe die Umstände des Einzelfalls keinen Einfluss haben (vgl. BT-Drucksache 15/1971, S. 224). Besondere Umstände des Einzelfalls können bei dieser Gesetzessystematik nach Auffassung des Senats daher weiterhin nur bei der Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG Berücksichtigung finden.

Für die hier vertretene Auffassung spricht schließlich auch deren Anbindung an die strafprozessualen Regelungen betreffend die Dauer der Hauptverhandlung und deren Protokollierung: Die Hauptverhandlung beginnt nach § 243 Abs. 1 S. 1 StPO mit dem Aufruf der Sache. Nur dieser Zeitpunkt und das Ende des jeweiligen Hauptverhandlungstermins werden eingangs in der Sitzungsniederschrift vermerkt; kürzere Pausen im Verlauf eines Verhandlungstages brauchen nach §§ 272, 273 StPO nicht aufgenommen zu werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. A., § 272 Rn. 3).

Deshalb gehört auch die Einhaltung von Mittagspausen nicht zu den für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen, nur durch die Sitzungsniederschrift nachweisbaren Förmlichkeiten (BGH VRS 32, 143). Die Dauer der vorliegend jeweils eingehaltenen Mittags- und sonstigen Pausen ist überdies bei der Berechnung der Hauptverhandlungsdauer zugunsten des Beschwerdeführers nicht in Abzug gebracht worden, obwohl dies, worauf der Beschwerdeführer selbst hinweist, u.U. möglich gewesen wäre (vgl. die Nachweise bei Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. A., W 4106-4123 Rn 14 ff.).

Nur die auf die protokollierte Dauer der Hauptverhandlung abstellende - Handhabung erscheint schließlich auch praktikabel, wie der Blick auf das hiesige, derzeit bei dem Landgericht Saarbrücken anhängige Großverfahren mit mehr als 10 gerichtlich bestellten Rechtsanwälten deutlich macht. Es kann nicht Aufgabe des mit der Sachbearbeitung befassten Gerichts sein, noch vor Aufruf der Sache - beginnend mit der in der Ladung vorgesehenen Terminsstunde bis zum tatsächlichen Beginn der Hauptverhandlung - fortlaufend Feststellungen zum Zeitpunkt des Erscheinens, der jeweiligen Verweildauer und den Möglichkeiten anderweitiger nutzbringender Beschäftigung sämtlicher gerichtlich bestellter Rechtsanwälte zu treffen (vgl. OLG Stuttgart a.a.0. und Burhoff a.a.0.), zumal mannigfaltige Gründe für den verspäteten Beginn der Hauptverhandlung denkbar sind.
Für die Längenzuschläge muss folglich der eingangs des Protokolls festgehaltene Beginn und das dort vermerkte Ende der tatsächlichen Dauer der Hauptverhandlung maßgeblich bleiben. Danach hat der Beschwerdeführer die Längenzuschläge an den genannten Tagen vorliegend nicht verdient.

Die Beschwerde war daher als unbegründet zu verwerfen.

Eine Kosten- und Auslagenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 56 II S. 2, 3 RVG).

RechtsgebietRVGVorschriftenNr. 4110 VV RVG

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