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14.08.2007 · IWW-Abrufnummer 072573

Landgericht Augsburg: Urteil vom 26.04.2007 – 10 KLs 509 Js 103192/03

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Landgericht Augsburg

Geschäftsnummer: 10 KLs 509 Js 103192/03

B e s c h l u ß

der 10. Strafkammer des Landgerichts Augsburg vom 26.04.07

in der Strafsache gegen

wegen Verstoß gegen die Abgabenordnung

Das Verfahren wird bezüglich beider Angeklagten bis zum rechtskräftigen Abschluss der Besteuerungsverfahren für die Einkommensteuern der Jahre 1999 bis 2001 ausgesetzt, § 396 I AO.

Gründe:

I.

Den angeklagten Brüdern liegt im Zusammenhang mit Wertpapierveräußerungen im Rahmen eines sog. Fonds-Switching-Modells die Nichtversteuerung von hieraus erzielten Veräußerungsgewinnen, sowie Zins- und Dividendenerlösen in den Jahren 1999 bis 2001 zur Last. Die Einspruchsverfahren gegen die im Jahre 2003 ergangenen Einkommensteuerbescheide auf Basis der Prüfungsergebnisse ruhen im Hinblick auf die offenen steuerrechtlichen Fragen.

II.

Die Beurteilung der angeklagten Taten als Steuerhinterziehungen hängt davon ab, ob die das Blankett des § 370 AO ausfüllenden Normen des § 23 I 1 Nr. 2 EStG 1999, sowie des § 20 I Nr.1 EStG, die im vorliegenden Fall die Steuerpflicht begründen, verfassungskonform sind und demnach entsprechende Steueransprüche überhaupt bestehen.

Im Hinblick auf die Besteuerung von Spekulationsgewinnen hat das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 09.03.2004, Az. 2 BvL 17/02, die Unvereinbarkeit des § 23 I 1 Nr. 1b EStG a.F. mit Art. 3 I GG und dessen Nichtigkeit für die Zeiträume 1997 und 1998 festgestellt, soweit er Wertpapierveräußerungsgeschäfte betrifft, da die mangelhafte Durchsetzung der in dieser Norm zum Ausdruck kommenden materiellen Steuerpflicht gegen das verfassungsrechtliche Gebot tatsächlich gleicher Steuerbelastung durch gleichen Gesetzesvollzug verstoße und dies zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm führe. Soweit der BFH mit Urteil vom 29.11.2005, Az. IX R 49/04, die Besteuerung der Gewinne aus privaten Wertpapierveräußerungsgeschäften für den Veranlagungszeitraum ab 1999 als verfassungsgemäß erklärte, ist dieses Urteil Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde vom 02.06.06, Az. 2 BvR 296/06, über die bislang nicht entschieden ist.

Der BFH hat in der zitierten Entscheidung festgestellt, dass seit der Einführung des Kontenabrufverfahrens (§ 93 Abs. 7, § 93b AO) durch das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom 23.12.2003 mit Wirkung zum 01.04.2005 das festgestellte strukturelle Vollzugsdefizit nicht mehr bestünde.
Dies führt jedoch noch nicht zur Möglichkeit einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, da nach Auffassung der Kammer insoweit das Rückwirkungsverbot gemäß Artikel 103 II GG, §§ 1, 2 StGB zu beachten wäre. Im Gegensatz zu der rein steuerrechtlichen Entscheidung des BFH ist in strafrechtlicher Hinsicht auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Tat abzustellen. Ob ein Verkürzungserfolg eingetreten ist, bestimmt sich allein danach, ob zum Steuerentstehungszeitpunkt dessen Voraussetzungen gegeben waren, nicht nach rückwirkenden, quasi heilenden Maßnahmen in Folgejahren (so auch Joecks, wistra 06, 401, 404; a.A. mit nicht überzeugender Argumentation Allgayer, wistra 07,133, da die zur Begründung herangezogene Entscheidung des BGH (Az. 5 StR 395/01) den Veranlagungszeitraum vor der Nichtigerklärung betrifft und demnach angesichts der Fortgeltungsanordnung des BVerfG vom 22. Juni 1995 (BverfGE 93, 121) keinen vergleichbaren Sachverhalt darstellt). Auch die Argumentation, dass zu den Tatzeitpunkten die Besteuerungsnorm des § 23 I 1 Nr. 2 EStG i.V.m. § 370 AO die steuerrechtlichen Pflichten und die aus Verstößen resultierenden Sanktionen hinreichend genau beschrieben habe, somit schützenswertes Vertrauen in die mögliche Verfassungswidrigkeit dieser Norm nicht bestehe, überzeugt die Kammer nicht. Denn auch die rückwirkende Inkraftsetzung einer nur verfahrensfehlerhaft erlassenen, im Übrigen aber voraussehbaren Norm, wie sie im Verwaltungsrecht zulässig sein kann, kommt unter dem Gesichtspunkt des Rückwirkungsverbots nicht in Betracht. Entscheidend ist der Zeitpunkt des Inkrafttretens (vgl. Maunz/Dürig-Schmidt-Aßmann, Art. 103 GG Rz. 236 m.w.N.).

Zwar betrifft das Rückwirkungsverbot grundsätzlich nur gesetzliche Vorschriften. Bei der Steuererhebung steht der Vollzug jedoch in so engem Zusammenhang mit der materiellen Besteuerungsnorm, dass die nachträgliche Schaffung rechtlicher Vollzugsinstrumentarien, die erst den Bestand der Besteuerungsnorm in verfassungsrechtlicher Hinsicht rechtfertigen, mit der Schaffung einer strafbegründenen Vorschrift gleichzusetzen ist.

Ferner könnte die Folgerung, die Heilung des strukturellen Vollzugsdefizits durch die Möglichkeit des Kontenabrufs reiche bis ins Jahr 1999 zurück, da bei Verdacht einer Steuerhinterziehung die verlängerte Festsetzungsfrist von 10 Jahren gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO gelte, zumindest in steuerstrafrechtlicher Hinsicht einen Zirkelschluss beinhalten. Denn nur bei Annahme des Vorliegens einer Steuerverkürzung kommt man zu einer rückwirkenden Überprüfungsmöglichkeit über die regelmäßige Festsetzungsfrist von vier Jahren hinaus, die wiederum Voraussetzung für die Beseitigung des strukturellen Vollzugsdefizits und der Verfassungskonformität der strafbarkeitsbegründenden Steuernorm wäre.

Auch spricht aus Sicht der Kammer eher gegen eine Heilung des Vollzugsdefizits durch das Instrument der Kontenabfrage, dass dieses, obwohl bereits am 23.12.2003 gesetzlich verabschiedet, vom BVerfG bei seiner Entscheidung vom 09.03.2004 nicht berücksichtigt wurde, obschon die Annahme einer 10jährigen Festsetzungsfrist auch Überprüfungen der Zeiträume 1997 und 1998 zugelassen hätte. Die Kammer hegt angesichts dieser offenen Fragen ernsthafte Zweifel, hierauf eine strafrechtliche Verurteilung zu stützen.

Nur ergänzend wird darauf verwiesen, dass derzeit offen ist, wie das BVerfG die dort anhängige Frage der Verfassungsmäßigkeit des Kontenabrufverfahrens entscheiden wird (Az. 1 BvR 2357/04). Eine Entscheidung hierüber wird nach Auskunft des Präsidenten des BVerfG Papier in den nächsten Monaten gefällt werden (SZ vom 03.03.2007, Bl. 258 d.A.).

Auch die Tatsache, dass aufgrund der Börsenentwicklung in den Jahren nach 2000 möglicherweise kein wesentlicher Ertrag mehr aus der Besteuerung privater Wertpapierveräußerungen zu erzielen war, sondern nach Aussage des sachverständigen Zeugen ORR H. die bundesweiten Verluste im Jahr 2000 1,9 Mrd. € betrugen und sich bis zum Jahr 2003 auf 15 Mrd. € aufsummierten, ist für die Kammer für sich genommen kein hinreichender Grund, von einem Wegfall des strukturellen Vollzugsdefizits ab 1999 auszugehen. Für die Beurteilung dieser Frage kommt es nämlich maßgeblich auf die Schaffung rechtlicher Grundlagen zur Beseitigung des strukturellen Vollzugsdefizits an (vgl. BFH, Urteil vom 29.11.2005 – Az. IX. R 49/04, II.Ziff.2a der Urteilsgründe m. Verweis auf die bereits zitierte Verfassungsgerichtsentscheidung vom 09.03.04).

Ob die mit Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2001 vom 24.03.1999 eingeführten Änderungen der einfachgesetzlichen Lage im Hinblick auf die Verlängerung der Haltefrist von 6 Monaten auf 1 Jahr, die Einbeziehung der Termingeschäfte und die Verlustabzugsmöglichkeit im Rahmen des § 23 EStG zur Beseitigung des strukturellen Erhebungsdefizits geführt haben, ist eine derart schwierige, und letztlich steuerrechtlich zu beurteilende Frage, die der Entscheidung der Fachbehörden und -gerichte im Besteuerungsverfahren vorbehalten bleiben soll.

Gleiches gilt auch für den ebenfalls im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2001 eingeführten § 45 d Abs. 2 EStG (erweiterte Verwendungsmöglichkeit von Freistellungsaufträgen). Es bestehen erhebliche Zweifel, ob diese Regelungen das strukturelle Vollzugsdefizit beseitigen konnten, da diese die Mitwirkung des Steuerpflichtigen voraussetzen, wie auch der sachverständige Zeuge H. bestätigte. Diese Zweifel wurden so auch vom BFH in seinem Vorlagebeschluss vom 16.07.2002 (Az. IX R 62/99, dort unter B.III.4.b) geäußert.

Bezüglich der Besteuerung von Kapitaleinkünften gem. § 20 EStG, deren Verkürzung den Angeklagten für die Jahre 2000 und 2001 zur Last liegt, stellt sich neben der gleichgelagerten Frage des strukturellen Vollzugsdefizits noch die der steuerlichen Benachteiligung gegenüber dem Strafbefreiungserklärungsgesetz vom 23.12.2003. Insoweit ist das BVerfG mit einem Vorlagebeschluss des FG Köln vom 22.09.2005, Az. 10 K 1880/05, das § 20 EStG aus den genannten Gründen für verfassungswidrig hält, bereits befasst.

Aufgrund der derzeit offenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Bestehen eines Steueranspruchs wurde in den Besteuerungsverfahren des Finanzamts Augsburg-Stadt nach jeweiliger Einspruchserhebung gegen die erlassenen Steuerbescheide das Ruhen der Verfahren angeordnet.

Auch nach Durchführung der Beweisaufnahme und insbesondere der Einvernahme des ORR H. als sachverständigen Zeugen war durch die Kammer nicht hinreichend zu klären, ob für die maßgeblichen Veranlagungszeiträume 1999-2001 das zuvor festgestellte strukturelle Vollzugsdefizit fortbesteht und demnach von der Nichtigkeit der zitierten Steuernormen auszugehen ist. Auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Verbindung mit der prozessualen Fürsorgepflicht hält das Gericht angesichts der geschilderten ernstlichen Zweifel an der materiellen Rechtslage die Verfahrensaussetzung für geboten.

Nachdem die entscheidungserheblichen Vorfragen sämtlich bereits beim BverfG anhängig sind und auch die Besteuerungsverfahren im Hinblick auf die dort vorliegenden Verfahren ausgesetzt sind, ist die Durchführung eines konkreten Normenkontrollverfahrens gem. Art. 100 Abs. 1 GG durch die Kammer auch unter besonderer Berücksichtigung der gebotenen Verfahrensförderung als entbehrlich anzusehen.

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