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27.06.2007 · IWW-Abrufnummer 072036

Landessozialgericht Thüringen: Urteil vom 23.05.2006 – L 2 RJ 378/02

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Thüringer Landessozialgericht

L 2 RJ 378/02
23.05.2006 rechtskräftig

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 29. Januar 2002 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beigeladenen zu 6) bis 10) als Beschäftigte versicherungspflichtig in der Rentenversicherung und beitragspflichtig zur Bundesanstalt für Arbeit waren und ob die Beigeladene zu 11) versicherungspflichtig in der Rentenversicherung war.

Die Beigeladenen zu 6) bis 10) sind Rechtsanwälte. Sie waren im Rahmen jeweils befristeter "Honorarverträge", später auch "Beraterverträge", im Amt zur Regelung offener Vermögensfragen des klagenden Landkreises Gotha als Berater tätig. Die Beigeladenen zu 8) bis 10) waren in unterschiedlichen Zeiträumen im Jahr 1994 und die Beigeladenen zu 6) und 7) in den Jahren 1994, 1995 und 1996 tätig. Auf die zugrunde liegenden Honorar- und Beraterverträge wird Bezug genommen.

Die Beigeladene zu 11) ist Ärztin. Auch sie schloss mit dem Kläger einen "Honorarvertrag". Auf diesen Vertrag vom 1. November 1994 wird ebenfalls Bezug genommen.

Die Beklagte stellte anlässlich einer Betriebsprüfung beim Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis zum 31. Dezember 1996 fest, dass es sich bei der Tätigkeit der Beigeladenen zu 6) bis 11) um abhängige versicherungspflichtige Beschäftigungen handele und forderte zunächst Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung in Höhe von 170.709,88 DM nach, die auch einen zwischen den Beteiligten unstreitigen Beitragsanteil in Höhe von 19.042,64 DM enthielten und die der Kläger unter Vorbehalt zahlte. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Bescheid vom 17. Februar 1998 und Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 1998).

Der Kläger hatte bereits unter dem 28. September 1998 vor dem Sozialgericht Gotha Klage erhoben, weil er das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 24. August 1998 als Widerspruchsbescheid wertete. Mit Bescheid vom 4. Mai 1999 hat die Beklagte dem Widerspruch teilweise abgeholfen und ihre Nachforderung auf 169.378,56 DM reduziert (hierin ist auch der unstreitige Beitragsanteil enthalten) enthalten. Für die Beigeladene zu 11) bestehe Versicherungsfreiheit nach § 169 a Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Insoweit werde die Nachberechnung zurückgenommen.

Das Sozialgericht Gotha hat mit Urteil vom 29. Januar 2002 die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass die Beigeladenen zu 6) bis 11) in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen gestanden hätten. Die beigeladenen Rechtsanwälte seien funktionsgerecht in den Verwaltungsapparat der Klägerin eingegliedert gewesen und hätten nur ein geringes unternehmerisches Risiko zu tragen gehabt. Bei der Beigeladenen zu 11) hätten Arbeitszeit und Arbeitsort festgestanden. Sie habe kein unternehmerisches Risiko getragen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Arbeitszeitgestaltung der Beigeladenen zu 6) bis 10) entspräche nicht typischerweise derjenigen in einem Angestelltenverhältnis. In den Honorarverträgen sei nur festgehalten, dass die Beigeladenen zumindest während der normalen Dienststunden dem Amt zur Regelung offener Vermögensfragen zur Verfügung zu stehen hätten. Einzelheiten seien abstimmbar gewesen. Er habe nicht das Recht gehabt, von den Beigeladenen zu 6) bis 10) eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden zu verlangen. Den Beigeladenen habe es völlig freigestanden, Abwesenheitszeiten nach ihrer Wahl in Anspruch zu nehmen. Sie hätten auch ein Unternehmerrisiko getragen, weil die Honorarverträge lediglich immer nur für ein Jahr befristet abgeschlossen worden seien und sie insoweit dem Risiko ausgesetzt waren, aus der Beratungstätigkeit auszuscheiden. Die Entscheidung des Beigeladenen zu 7), seine Kanzlei in Siegen aufzugeben, weil sich das wirtschaftlich nicht mehr gelohnt habe, und allein die Tätigkeit im Landratsamt auszuüben, dokumentiere seine unternehmerische Entscheidungsfreiheit. Die Aussagen der Zeuginnen belegten, dass sich die Ausübung der Tätigkeit der Beigeladenen wesentlich von der der Mitarbeiter des Klägers unterschieden habe. Sie hätten weder finanzielle Absicherung im Krankheitsfalle noch einen Urlaubsanspruch gehabt. Sie seien verpflichtet gewesen, eine Vermögensschadens¬haftpflichtversicherung in Höhe von 1 Mio. DM abzuschließen und nachzuweisen. Außerdem seien sie in ihrer fachlichen Tätigkeit weisungsfrei gewesen. Die Beigeladene zu 11) habe selbst entscheiden können, ob und wie sie die neun Stunden pro Woche ihrer Beratungstätigkeit ableiste. Ihre Tätigkeit sei nicht zwingend im Verwaltungsgebäude des Klägers zu erbringen gewesen, vielmehr auch vor Ort bei den Klienten, deren Angehörigen und Personen, die mit den Klienten in Kontakt stünden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 29. Januar 2002 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 1998, abgeändert durch Bescheid vom 4. Mai 1999, aufzuheben, soweit Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 150.335,92 DM nachgefordert werden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils. Sie sieht ihre Ansicht, dass die Beigeladenen in wirtschaftlicher Abhängigkeit ohne jedes Unternehmerrisiko bei dem Kläger beschäftigt waren, durch das Ergebnis der weiteren Ermittlungen bestätigt.

Die Beigeladenen haben keinen eigenen Antrag gestellt.

Der Senat hat Beweis zu der Ausübung der Tätigkeit durch die beigeladenen Rechtsanwälte erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen L. und Li. (Bl. 256 der GA). Auf das Ergebnis der Beweisaufnahme wird in den Entscheidungsgründen eingegangen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichts- und Beklagtenakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlungen waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die angefochtenen Entscheidungen der Beklagten sind rechtmäßig. Das Sozialgericht Gotha hat daher die Klage zu Recht abgewiesen. Auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des Urteils wird nach § 153 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verwiesen.

Zum maßgeblichen Sachverhalt sei allerdings ergänzend darauf hingewiesen, dass das erkennende Gericht - wie zuvor das Sozialgericht Gotha ? davon ausgeht, dass alle Kopien der vorliegenden schriftlichen Beweisstücke den Originalen entsprechen. Eine Verfälschung von Urkunden und Dokumenten wird vom Kläger auch nicht behauptet. Diese Kopien belegen bereits, dass die Beigeladenen bei dem Kläger abhängig beschäftigt waren. Insofern hätte die Einvernahme der Zeuginnen allenfalls die inhaltliche Richtigkeit der Urkunden in Frage stellen können.

Auch und erst recht nach dem ergänzenden Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren und der Vernehmung der von ihm benannten Zeuginnen sowie den Auskünften des Beigeladenen zu 7) ist der erkennende Senat der Überzeugung, dass die Umstände, die für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis der beigeladenen Rechtsanwälte und damit gegen eine freie Mitarbeitertätigkeit sprechen, erheblich überwiegen.

Nach den vom Kläger unwidersprochenen und vom Senat für glaubhaft erachteten Angaben des Beigeladenen zu 7) haben die Beigeladenen nicht nur in den Räumlichkeiten des Klägers gearbeitet und dabei zur Verfügung gestelltes Arbeitsmaterial benutzt, sie durften die von ihnen zu bearbeitenden Aktenvorgänge auch nur dort bearbeiten und nicht etwa mit nach Hause nehmen. Eine engere örtliche Eingebundenheit ist kaum denkbar.

Nach dem Wortlaut aller sogenannten Honorarverträge mussten sie zumindest während der normalen Dienststunden im Amt zur Regelung offener Vermögensfragen zur Verfügung stehen. Dieser Vertragsinhalt spricht eindeutig für eine vereinbarte Mindestdauer der Arbeitszeit, eine Anwesenheitspflicht im Amt zu bestimmten Zeiten und eine Pflicht zur Abstimmung der Fehlzeiten mit dem Geschäftsleiter des Amtes. Dem entspricht die Auskunft des Klägers selbst in seinem Berufungsschriftsatz vom 16. Mai 2002; er führt aus, dass die Beigeladenen zu 6) bis 10) zum Nachweis ihrer Tätigkeitszeiten das beim Kläger installierte elektronische Zeiterfassungssystem nutzten, um einen Nachweis gegenüber dem Bundesverwaltungsamt und dem Thüringer Finanzministerium zu haben, "dass sie in dem im Honorarvertrag beschriebenen Umfang Beratungsleistungen erbracht haben". Soweit dies auch geschah, um den Beigeladenen überhaupt die Möglichkeit des Zuganges zum Verwaltungsgebäude zu verschaffen, ist das unschädlich. Die in der Verwaltungsakte vorliegenden Monatsübersichten für die beigeladenen Rechtsanwälte belegen jedoch, dass akribisch die gesamten Stunden der Anwesenheit der Rechtsanwälte aufgeführt, diese den so genannten "Normalstunden" gegenüber gestellt und daraus als Differenz so genannte "Gleitzeitstunden" errechnet wurden. Die Orientierung fand dabei an einer 40-Stunden-Woche statt. Soweit die Beigeladenen zu 6) und 7) für 1996 mit dem Kläger einen "Beratervertrag" geschlossen hatten und hierin das Erfordernis der Anwesenheit während der üblichen Dienstzeiten nicht mehr enthalten ist, muss dazu ergänzend die Niederschrift vom 2. Januar 1996 des Klägers mit den Beigeladenen zu 6) und 7) herangezogen werden. In dieser Niederschrift wurde ausdrücklich festgehalten, dass die Rechtsanwälte ihre Tätigkeit in gleicher Art und Weise fortführen wie bisher und die Zeiterfassungsanlage weiterhin benutzt wird zum Nachweis des zeitlichen Umfanges ihrer Tätigkeit. Die Zeuginnen, an deren Glaubwürdigkeit der Senat keine Zweifel hatte, haben die Orientierung an einer 40-Stunden-Woche bestätigt. Sie haben zwar ausgesagt, dass die Beigeladenen zum Wochenbeginn und -ende nicht die üblichen "Dienstzeiten" wahrnahmen, aber auch herausgestellt, dass die Beigeladenen "immer dann erreichbar sein" sollten, "wenn schwierige Fragen auftauchten". Damit wird die Präsenz zu den "üblichen" Zeiten entsprechend dem Vertragsinhalt gerade nicht in Abrede gestellt. Außerdem haben sie in Übereinstimmung mit dem Gesagten erklärt, dass die Beigeladenen "abends länger gearbeitet" haben. Dies entspricht der Auskunft des Beigeladenen zu 7), dass Fehlstunden herausgearbeitet werden mussten.

Die Ausführungen des Klägers zur Befristung der Honorarverträge und dem damit verbundenen Risiko für die Beigeladenen, aus der Beratungstätigkeit auszuscheiden, ebenso zu den Regelungen, wonach sämtliche Versicherungsleistungen, Unfallversicherung, Altersvorsorge und Krankenversicherung von den Beigeladenen selbst zu tragen waren, rechtfertigen nicht die Annahme eines Unternehmerrisikos. Maßgebliches Kriterium für ein solches Risiko ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist. Die Überbürdung des Risikos, bei krankheits- oder urlaubsbedingten Ausfällen kein Honorar zu erhalten, wie es auch hier vereinbart worden ist, spricht nach der Rechtsprechung des BSG nur dann für Selbständigkeit, wenn dem auch eine größere Unabhängigkeit oder höhere Verdienstchance gegenübersteht. Allein die Belastung eines Erwerbstätigen, der im Übrigen nach der tatsächlichen Gestaltung des gegenseitigen Verhältnisses als abhängig Beschäftigter anzusehen ist, mit zusätzlichen Risiken rechtfertigt nicht die Annahme von Selbständigkeit (Bundessozialgericht, Urteil vom 12. Januar 2001, Az.: B 12 KR 17/00 R).

Die Annahme des Klägers, gerade durch den Umzug des Beigeladenen zu 7) werde seine unternehmerische Entscheidungsfreiheit dokumentiert, ist nicht nachvollziehbar. Hierdurch wird vielmehr deutlich, dass die beigeladenen Rechtsanwälte neben ihrer Tätigkeit für den Kläger keine Möglichkeit mehr hatten, in wirtschaftlich-relevantem Maße anwaltlich tätig zu sein.

Auch wenn die beigeladenen Rechtsanwälte bei der Bearbeitung der Akten im Wesentlichen fachlich weisungsfrei gewesen wären, spräche dies nicht gegen ihre Einbindung in die Arbeitsorganisation des Klägers. Die Qualifikation der Beigeladenen als Volljuristen schließt Weisungen zum Inhalt von Entscheidungsentwürfen, Beratungen, Gutachten und Schulungen sowie bei der Herbeiführung gütlicher Einigungen aus der Natur der Sache bereits aus. Die Kenntnis und Beachtung von Vorgaben zur Abfassung von Bescheidentwürfen gehört zum selbstverständlichen Handwerkszeug eines Volljuristen (Bundessozialgericht a.a.O.). Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung steht aber für den Senat fest, dass die Beigeladenen auch darüber hinaus gebunden waren. Sie hatten nicht nur konkrete Vorgaben und Richtlinien zur Ermessensausübung zu beachten. Zur Bearbeitung einzelner Fälle gab es Weisungen; die Amtsleiterin hatte im Zweifel das letzte Wort. Dies ist mit einer selbständigen Tätigkeit nicht zu vereinbaren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen.

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