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18.12.2006 · IWW-Abrufnummer 063716

Landgericht Kassel: Beschluss vom 04.04.2006 – 3 T 94/06

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Landgericht Kassel
3. Zivilkammer

Geschäfts-Nr.: 3 T 94/06
630 M 59/06 Amtsgericht Kassel

Beschluss

In dem Zwangsvollstreckungsverfahren

der ... Gemeinnützige Wohn. Gesellschaft mbH ..., gesetzlich vertreten durch den Geschäftsführer, ebendort,
Gläubigerin und Beschwerdeführerin,

- Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt Rust in Hamburg -

gegen

Herrn ... Kassel,
Schuldner,

an dem weiterhin beteiligt ist:
... Kassel, gesetzlich vertreten durch den Vorstand, ebendort,
Drittschuldnerin,

hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Kassel am 04.04.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Ohlerich, den Richter am Landgericht Dr. Kolter und Richterin am Landgericht Dr. Dreyer

b e s c h l o s s e n :

Der Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 16.01.2006 wird aufgehoben.

Der Antrag des Schuldners vom 05.01.2006 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Schuldner zu tragen.

Der Beschwerdewert wird auf EUR 403,87 festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

G r ü n d e

I. Die Beschwerdeführerin erwirkte gegen den Schuldner am 26.10.2004 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss - 620 M 23469/04 AG Kassel -, welcher sich auf die angeblichen Forderungen des Schuldners gegen die eingangs bezeichnete Drittschuldnerin bezog. Die Drittschuldnerin führt für den Schuldner das Sparkonto Nr. 4007055038, auf das seit dem 07.08.2003 monatlich EUR 25,00 eingezahlt wurden (Bl. 3-4 d.A.). Unter Berücksichtigung gelegentlicher Abhebungen ergab sich hierdurch schließlich ein Guthaben von EUR 403,87.

Am 05.01.2006 beantragte der Schuldner die Freigabe dieser Summe, wobei er darauf verwies, dass er pauschalierte Sozialhilfe bzw. Leistungen nach § 28 SGB XII erhalte. Einen Teil der jeweils empfangenen Beträge habe er auf Geheiß des örtlichen Sozialamtes zurückgelegt, um gegebenenfalls Neuanschaffungen tätigen zu können. Der Bedarf für eine solche Anschaffung sei nunmehr gegeben, weil er eine neue Waschmaschine benötige. Da er schwerbehindert sei (Bl. 5 d.A.) und sich nur unter Verwendung von Krücken zu bewegen vermöge, sei er auf eine eigene Maschine dieser Art angewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Begehren mit Schriftsatz vom 13.01.2006 (Bl. 10-12 d.A.) widersprochen.

Gleichwohl hat das Amtsgericht die Pfändung durch Beschluss vom 16.01.2006, auf den wegen der näheren Einzelheiten verwiesen wird, insoweit aufgehoben, als sie das auf dem Sparkonto Nr. 4007055038 verbuchte Guthaben von EUR 403,87 betrifft.

Hiergegen wendet sich die Beschwerde vom 23.01.2006 (Bl. 21-22 d.A.).

II. Das gemäß §§ 739, 567 I 1 Nr. 1 ZPO an sich statthafte Rechtsmittel wahrt Form und Frist des § 569 ZPO und ist daher zulässig; es muss auch sachlich Erfolg haben, weil dem Begehren des Schuldners eine hinreichende Grundlage fehlt.

Ansprüche auf laufende Geldleistungen, zu denen insbesondere Leistungen zur Grundsicherung gehören, können gemäß § 54 IV SGB I wie Arbeitseinkommen gepfändet werden, wobei der darauf bezogene Pfändungsschutz ganz eigenständig geregelt ist (vgl. BGH NJW 1988, 2670). Wird eine solche Leistung auf das laufende Konto des Schuldners überwiesen, hat er gemäß § 55 I SGB I zunächst das Recht, innerhalb von sieben Tagen nach Gutschrift frei über seine Bezüge zu verfügen, und zwar in voller Höhe des jeweils überwiesenen Betrages, unabhängig von den in §§ 850c, 850d ZPO bestimmten Pfändungsgrenzen. Dazu muss der Schuldner gemäß § 55 III SGB I nur nachweisen, dass das in Rede stehende Guthaben auf einer Sozialleistung beruht, was durch Vorlage des entsprechenden Leistungsbescheides ohne weiteres möglich ist (vgl. Zöller, ZPO, 25. Aufl. § 850i Rdnr. 49). Während der genannten Frist darf das Geldinstitut den geschützten Teil des Guthabens weder an den Pfändungsgläubiger abführen noch hinterlegen; bei einem Verstoß behält der Schuldner seine Forderung gegen das Geldinstitut, § 55 III SGB I. Der verlängerte Pfändungsschutz nach Maßgabe von § 55 IV SGB I greift sodann ein, wenn der Schuldner sein Geld länger als sieben Tage auf dem Konto belassen hat und das Guthaben alsdann gepfändet wird; dann kann der Schuldner mit der Erinnerung jeweils - indes auch nur - die Freigabe eines individuell zu bestimmenden Teilbetrages (vgl. OLG Hamm JurBüro 1990, 1058; LG Braunschweig Rpfleger 1998, 297; LG Koblenz FamRZ 1998, 691 (692)) insoweit verlangen, als dieser dem unpfändbaren Teil der Leistungen für die Zeit von der Pfändung bis zum nächsten Zahlungstermin entspricht.

Entsprechendes gilt, wenn der Schuldner auf diese Weise über sein Guthaben verfügt hat, für das ihm dadurch zufließende Bargeld, § 55 IV SGB I. Auch dieses Geld ist der Pfändung nur insoweit nicht unterworfen, als es betragsmäßig dem Verhältnis der Zeitspanne zwischen Pfändung und nächsten Zahlungstermin auf der einen und der ganzen Zahlungsperiode auf der anderen Seite korrespondiert. Ein weitergehender Schutz von gespartem Bargeld oder daraus anderweit gebildeten Rücklagen ergibt sich aus dem Gesetz dagegen nicht. Der Schuldner kann deshalb bereits durch die in der letztgenannten Bestimmung getroffene Regelung sowohl begünstigt als auch benachteiligt werden, je nach dem, ob er vor der Pfändung bereits einen wesentlichen Teil der auf die jeweilige Zahlungsperiode entfallenden Aufwendungen getätigt oder ob er aufgestaute Ausgaben noch vor sich hat (vgl. Zöller aaO. § 850i Rdnr. 54 a. E.).

Erst recht muss er die fraglichen Nachteile hinnehmen, wenn das Gepfändete nicht mehr der laufenden Zahlungsperiode zugeordnet ist, sondern - wie vorliegend - über die dem Schuldner für diese Periode insgesamt zu belassenden laufenden Leistungen hinausgeht. Derart überschießende Beträge sind selbst dann grundsätzlich dem Zugriff der Gläubiger ausgesetzt, wenn sie aus zunächst geschützten Leistungen angesammelt wurden (vgl. LG Bremen JurBüro 1990, 836 (837); LG Siegen JurBüro 1990, 786 (788); Stein/Jonas, ZPO, 22. Auflage § 850i Rdnr. 97; Musielak, ZPO, 4. Auflage § 850i Rdnr. 28; Stöber, Forderungspfändung, 14. Auflage Rdnr. 1439a); denn ein "Schonvermögen" im Sinne von § 90 SGB XII, § 115 ZPO oder § 1836c BGB kennt das Zwangsvollstreckungsrecht nicht. In seinem Rahmen geht es nämlich nicht um die Frage, von welchen Bedingungen die Gewährung staatlicher Leistungen abhängig gemacht wird, sondern wie der sachgerechte Interessenausgleich zwischen Gläubiger und Schuldner vorzunehmen ist. Wenn der Gesetzgeber zu Letzterem bestimmt, dass dem Schuldner regelmäßig nur Einkommen in bestimmter Höhe belassen werden soll, ist das hinzunehmen. Zwar ist es aus Gründen des Sozialstaatsprinzips, Art. 20 I, 28 I GG geboten, die Lebensgrundlage des Schuldners durch angemessene Pfändungsfreibeträge zu sichern (vgl. BGH NJW-RR 2004, 1439 (1440)), wegen des mit Art. 14 I GG gleichermaßen garantierten Rechts des Gläubigers auf effektive Befriedigung durch Zwangsvollstreckung (vgl. BGH NJW 2005, 1859 (1860); BGH NJW 2004, 2096 (2098)) ist den Gerichten die Gewährung darüber hinaus gehenden Schutzes aber grundsätzlich verwehrt. Die Beschränkung des grundgesetzlich geschützten Befriedigungsrechts der Gläubiger ist nämlich allenfalls zulässig, soweit gewichtige Gründe dies zwingend erfordern; als Inhaber des Zwangsvollstreckungsmonopols darf der Rechtsstaat den davon betroffenen Gläubigern das Vermögen bestimmter Schuldnerkreise nicht generell als Haftungsgrundlage entziehen (vgl. BGH NJW 1999, 1544 (1547)).

Dies gilt auch bei Anwendung von § 765a ZPO, auf den das Amtsgericht seine Entscheidung gestützt hat. Nach dieser Bestimmung darf das Vollstreckungsgericht die Zwangsvollstreckung nur dann einstweilen einstellen oder gar aufheben, wenn die anstehende Vollstreckungsmaßnahme unter voller Würdigung der Schutzbedürfnisse des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Zweck der Bestimmung ist es, untragbare, dem allgemeinen Rechtsgefühl widersprechende Beeinträchtigungen, welche das formstrenge Vollstreckungsrecht im Einzelfall mit sich zu bringen vermag, nach Möglichkeit in angemessener Weise zu mildern (vgl. Zöller aaO. § 765a Rdnr. 1). Trotz des scheinbaren Ermessenspielraums geht es deshalb um die Anwendung einer Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen ist (vgl. BGH Rpfleger 2004, 722; BGH NJW 1965, 2107 (2108); OLG Celle OLGR 1994, 306 (307); OLG Köln OLGR 1995, 230; OLG Köln OLGR 1995, 292 (293); OLG Hamm Rpfleger 2002, 39). Weder allgemeine wirtschaftliche Erwägungen noch soziale Gesichtspunkte gestatten für sich allein die Gewährung von Vollstreckungsschutz (vgl. OLG Köln OLGR 1996, 11 (12)). Vielmehr kommt es darauf an, ob das Vorgehen des Gläubigers im konkreten Einzelfall sittenwidrig erscheint und zu einem untragbaren Ergebnis führt. Nachteile, die mit jeder Zwangsvollstreckung verbunden sind, müssen regelmäßig hingenommen werden (vgl. Zöller aaO. § 765a Rdnr. 5).

Bei der insoweit gebotenen Abwägung hat das Vollstreckungsgericht auch die Wertentscheidungen des Grundgesetzes zu beachten (vgl. BGH NJW 2005, 1859 (1860)), wobei sowohl die durch Art. 2 I GG geschützten Interessen des Schuldners als auch diejenigen des Gläubigers, die dem Schutzbereich des Art. 14 GG zuzuordnen sind, berücksichtigt werden müssen. Vorliegend fällt deshalb auf Seiten des Schuldners ins Gewicht, dass er sichtlich am Rande des Existenzminimums lebt, wobei seine ohnehin schwierige Situation noch dadurch verschärft wird, dass er schwerbehindert ist und sich nur unter Verwendung von Gehhilfen fortzubewegen vermag. Allerdings hat der Gesetzgeber den damit verbundenen Problemen zunächst nur durch § 811 I Nr. 12 ZPO Rechnung getragen. Danach sind wegen körperlicher Gebrechen notwendige Hilfsmittel nicht der Pfändung unterworfen. Dazu kann unter Umständen auch ein zur Fortbewegung benötigtes Kraftfahrzeug gehören (vgl. BGH NJW-RR 2004, 789 (790)). Korrespondierenden Schutz gewährt § 811 Nr. 1 ZPO sodann für notwendigen Hausrat, zu dem im Einzelfall auch eine Waschmaschine zu rechnen sein mag (vgl. Zöller aaO. § 811 Rdnr. 15). Gleichermaßen werden insoweit jedoch nur tatsächlich vorhandene Einrichtungsgegenstände geschützt. Ihrer künftigen Beschaffung dienende Rücklagen können den genannten Bestimmungen dagegen nicht zugeordnet werden. Auf persönlichen Gründen beruhende besondere Bedürfnisse des Schuldners lassen sich vielmehr nur nach Maßgabe von § 850f I ZPO berücksichtigen, wobei diese Vorschrift wiederum nur eine Anhebung der in §§ 850c, 850d und 850i ZPO vorgesehenen Pfändungsfreigrenzen ermöglicht, um die es hier nicht geht.

Ist mithin bereits gesetzlich geregelt, dass und in welcher Beziehung sich die fraglichen Umstände im Rahmen der Zwangsvollstreckung auswirken, darf ihnen nicht aus allgemeinen sozialen Erwägungen durch Anwendung von § 765a I ZPO beliebig auch anderweit Rechnung getragen werden; denn die Gewährung von Vollstreckungsschutz dient - wie erörtert - nur der Vermeidung ganz ungewöhnlicher Härten des Einzelfalls. Dagegen ist § 765a I ZPO nicht dazu bestimmt, tatsächliche oder vermeintliche Gesetzeslücken allgemeiner Art zu schließen. Gerade dazu würde es indes kommen, wollte man den tragenden Erwägungen des Amtsgerichts folgen. Die Frage einer Pfändung von Rücklagen, die aus Sozialleistungen eingespart wurden, stellt sich nämlich nicht nur im Einzelfall. Im Hinblick auf die pauschalierte Einbeziehung der früher nach § 21 I, II BSHG gewährten einmaligen Leistungen für die Beschaffung und Instandsetzung von Bekleidung, Wäsche und Schuhen, von Hausrat und sonstigen Gebrauchsgütern in den jetzt maßgebenden Eckregelsatz erscheint es vielmehr durchaus als Gebot der Vernunft, vorausschauend Rücklagen zu bilden, um gegen die Widrigkeiten des Lebens gewappnet zu sein. Ohne eine korrespondierende Entscheidung des Gesetzgebers können solche Rücklagen indes nicht der Pfändung entzogen werden. Abgesehen davon, dass die Vollstreckungsgerichte keine Möglichkeit hätten, die angebliche Zweckbestimmung angesparter Mittel, hier etwa die Verwendung zum Erwerb einer neuen Waschmaschine, in tragfähiger Weise zu überprüfen, stellt sich insoweit kein gänzlich neues und insbesondere kein individuelles Problem; denn es liegt auf der Hand, dass auch Schuldner, die Arbeitseinkommen beziehen, mit den nach § 850c I ZPO pfändungsfreien monatlichen Beträgen nicht jede Ersatzbeschaffung von Hausrat und sonstigen Gebrauchsgütern sofort bar bezahlen können. Bei ihnen ergibt sich mithin gleichermaßen die Schwierigkeit, hierfür benötigte Mittel entweder anzusparen oder auf sonstige Weise zu beschaffen. Droht dabei der Zugriff von Gläubigern, verbleibt nur die Möglichkeit des Ratenkaufs; denn auch insoweit wird allgemein nicht erwogen, dem Schuldner - über den Bereich des § 850f I ZPO hinaus - gewisse Rücklagen zusätzlich zu dem gesetzlich normierten Pfändungsfreibetrag zu belassen. Ein solcher Kauf mag nicht immer in Betracht kommen und regelmäßig mit höheren Kosten verbunden sein. Solange es an gesetzlichen Bestimmungen fehlt, die Pfändungsschutz für Rücklagen gewähren, mit denen eine Befriedigung künftigen Bedarfs gewährleistet werden soll, muss das hingenommen werden; denn es geht insoweit lediglich um die allgemeinen Folgen jeder Zwangsvollstreckung bei beengten Vermögensverhältnissen, die sich einer besonderen sittenwidrige Härte im Sinne von § 765a I ZPO nicht gleichstellen lassen.

Damit mag die vorliegende Pfändung den Schuldner zwar durchaus fühlbar treffen, die notwendigen Voraussetzungen für eine Aufhebung der streitbefangenen Maßnahme sind aber nicht festzustellen. Dies gilt hier umso mehr, als die Gläubigerin zutreffend darauf verweist, dass ihre Forderungen aus den Jahren 1983/1984 stammen. War der Schuldner seither nicht bereit, zumindest auf eine Ratenzahlungsvereinbarung einzugehen, erscheint es nicht von vornherein unangemessen, wenn er nunmehr wenigstens zwischenzeitliche Ersparnisse zur Schuldentilgung einsetzen muss.

Sonstige Umstände, welche das Begehren des Schuldners rechtfertigen könnten, sind weder dargetan noch anderweit ersichtlich. Damit war sein Antrag vom 05.01.2006 unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zurückzuweisen.

Die hieran knüpfende Kostenentscheidung entspricht § 788 ZPO.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 3 ZPO.

Da es - soweit ersichtlich - bisher an einer höchstrichterlichen Klärung der entscheidungserheblichen Fragen fehlt, war es geboten, die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

RechtsgebieteVollstreckung, Hartz IV-EmpfängerVorschriften§ 28 SGB XII, §§ 54, 55 SGB IV, §§ 850c, 850d ZPO

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