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26.07.2006 · IWW-Abrufnummer 062145

Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 23.08.2005 – 9 U 204/04

1. Die Errichtung eines Gebäudes ohne gültige Baugenehmigung stellt eine bewusste Pflichtwidrigkeit des Versicherungsnehmers dar.


2. Die Beweislast dafür, dass der Schaden auch aufgrund einer Reserveursache eingetreten wäre, hat der Schädiger (hier der Versicherungsnehmer). Eine bloße Wahrscheinlichkeit kann nicht ausreichen, um den Eintritt der vom Schädiger behaupteten Reserveursache als gewiss anzunehmen. Dies gilt auch dann, wenn es sich um eine hohe Wahrscheinlichkeit handelt.


3. Zu den Anforderungen an die Behauptung des Ingenieurs, dass das pflichtwidrige Unterlassen der Einholung der Baugenehmigung nicht für den Mauereinsturz ursächlich sei.


OLG Köln

Urteil vom 23.08.2005

Az: 9 U 204/04

Gründe:

I.

Der Kläger ist Bauingenieur. Er unterhält bei der Beklagten eine Berufs- und Betriebshaftpflichtversicherung, die den von der Beklagten verwendeten AHB und besonderen Bedingungen (BBR) unterliegt.

Im Jahr 2000 plante der Kläger im Auftrag der I. GmbH in xxxxx T.-B. eine Stützmauer auf deren Betriebsgelände. Eine Baugenehmigung für eine entsprechende Mauer war im Jahr 1987 eingeholt worden. Dabei wurde von der Genehmigungsbehörde die Vorlage einer statischen Berechnung und Prüfung der Statik zur Auflage gemacht. Zur Zeit der Planung durch den Kläger und späteren Errichtung der Stützmauer war die zeitliche Gültigkeit der Baugenehmigung abgelaufen. Eine neue Baugenehmigung wurde nicht beantragt.

Am 20.01.2002 stürzte die nach den Plänen des Klägers errichtete Mauer ein. Die I. GmbH meldete Haftungsansprüche gegen den Kläger an. Der Kläger meldete dies der Beklagten. Die Beklagte lehnte mit dem Kläger am 22.02.2002 zugegangenem Schreiben die Deckung ab. Zur Begründung gab sie an, dass der Kläger eine wissentliche Pflichtverletzung begangen habe, weil die Mauer nicht nach den anerkannten Regeln der Technik erstellt worden sei und keine Baugenehmigung und geprüfte Statik vorgelegen habe. Sie wies auf die Klagefrist des § 12 Absatz 3 VVG sowie die Rechtsfolgen der Versäumung hin. Der Kläger beauftragte den Prüfingenieur G. mit der Erstellung eines Prüfberichts zu der statischen Berechnung und den Ausführungsplänen, die der Kläger für die Mauer erstellt hatte. Der Zeuge G. teilte dem Kläger unter dem 12.06.2002 mit, dass weitere Bewehrungen in den Bewehrungsplan der Stützmauer aufgenommen werden sollten. Dem Schreiben des Zeugen G. an die Beklagte vom 05.07.2002 zufolge übermittelte der Kläger daraufhin eine Austauschseite zu seiner Planung, in die die mit Schreiben vom 12.06.2002 mitgeteilten Prüfeintragungen eingearbeitet waren und die nunmehr einen Böschungswinkel von 20 Grad gegenüber zuvor 32 Grad angab. In seinem sodann erstellten Prüfbericht vom 18.06.2002 kam der Zeuge G. zu dem Ergebnis, dass bei Beachtung des Prüfberichts die geprüften Unterlagen in statischer und Konstruktiver Hinsicht in Ordnung seien. Mit an die Beklagte gerichtetem Schreiben vom 05.07.2002 teilte der Zeuge G. mit, dass die Austauschseite eine Böschungsneigung von 20 Grad enthielt, wodurch der Erddruck soweit reduziert worden sei, dass die Stützwand standsicher geworden sei.

Auf Wunsch des Klägers stimmte die Beklagte der Verlängerung der Klagefrist gemäß § 12 Absatz 3 VVG bis zum 22.09.2002 zu.

Der Kläger hat behauptet, seine Planung sei ordnungsgemäß gewesen. Er habe den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend mit einer Böschungsneigung von 20 Grad geplant. Die von dem Zeugen G. zusätzlich verlangte Bewehrung hätte den Einsturz der Mauer nicht verhindert. Der Schaden wäre auch bei Einholung des Prüfberichts im Rahmen eines Baugenehmigungsverfahrens entstanden.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm wegen Forderungen Dritter aus dem Zusammensturz der von ihm geplanten Stützwand am 20.01.2002 Versicherungsschutz zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Kläger sei bei seiner Planung zutreffend von einem Böschungswinkel von 32 Grad ausgegangen. Die nachträgliche Reduzierung auf 20 Grad habe nicht mit den örtlichen Gegebenheiten in Übereinstimmung gestanden. Bei einer im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens erforderlichen Überprüfung der von dem Kläger für die Mauer erstellten Statik wäre die fehlende Standsicherheit aufgefallen. Sie ist der Ansicht, sie sei gemäß Ziffer II 1.6.5 der BBR leistungsfrei, weil der Kläger den Schaden durch ein bewusst gesetz-, vorschrifts- oder sonst pflichtwidriges Verhalten verursacht habe. Er habe den Schaden dadurch verursacht, dass er trotz Kenntnis der Genehmigungsbedürftigkeit und der Notwendigkeit einer Prüfung der von ihm erstellten Statik durch einen Prüfingenieur ohne Beantragung der Genehmigung und Prüfung geplant habe.

Die Beklagte hat gemeint, die Ausschlussfrist des § 12 Absatz 3 VVG sei nicht eingehalten worden, da die Klage erst am 23.09.2002 bei Gericht eingegangen ist.

Das Landgericht hat die Klage nach Beweiserhebung durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Ing. F. und Vernehmung des Zeugen G. abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe den Schaden durch ein bewusst vorschriftswidriges Verhalten verursacht, indem er es unterließ, eine Baugenehmigung einzuholen, die Baufreigabe abzuwarten und einen Prüfingenieur zur Kontrolle der berechneten Statik einzuschalten.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger das Klagebegehren unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen weiter. Er stellt die Fehlerhaftigkeit seiner Planung nicht mehr in Abrede, meint jedoch, das Landgericht habe zu Unrecht die Kausalität der Pflichtwidrigkeit für den Schaden in Form des Einsturzes der Mauer angenommen. Man dürfe hinsichtlich der Überprüfung der Statik nicht von der von dem Sachverständigen vorgenommenen "sachgerechten" Prüfung ausgehen, sondern nur von einer "verkehrsüblichen". Bei einer solchen stehe nicht fest, dass ein Mangel der Statik aufgefallen wäre. Schließlich habe auch der Zeuge G. die nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. F. schadenursächlichen Querkräfte übersehen bzw. als vernachlässigenswert erachtet. Jedenfalls sei der von dem Sachverständigen aufgestellte Erfahrungssatz, dass die sachgerechte Prüfung den Fehler mit großer Wahrscheinlichkeit aufgedeckt hätte, juristisch wertlos, denn es sei von der Beklagten konkret zu beweisen, dass der Zeuge G. im Falle der Prüfung vor Errichtung den Fehler aufgedeckt hätte. Das könne nicht angenommen werden, denn die von dem Zeugen G. geforderten zusätzlichen Bewehrungen hätten den Einsturz der Mauer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht verhindert. Das Landgericht habe sich nicht auf die anders lautende Bekundung des Zeugen G. stützen können, denn die Frage sei allein dem Sachverständigenbeweis zugänglich und der Zeuge G. habe aufgrund seiner Vorbefassung ein erhebliches, auch wirtschaftliches Interesse daran, seine Prüfung als richtig zu verteidigen.

Zudem könne der Ausschlussgrund nicht greifen, da die Böschung aufgrund einer Verfügung des Landratsamts hätte befestigt werden müssen und zur Fristwahrung und Gefahrabwehr die Errichtung der Mauer dringend geboten gewesen sei. Die Nachholung des Prüfverfahrens sei später in Vergessenheit geraten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Köln vom 28.10.2004 abzuändern und wie folgt zu fassen:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger wegen der aus dem Einsturz der Stützmauer am 20.01.2002 in T.-B. resultierenden Haftpflichtforderung aus der bei ihr genommenen Berufshaftpflichtversicherung Versicherungsschutz zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt Bezug auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und verteidigt das Urteil des Landgerichts.

II.

Die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Berufung ist unbegründet.

Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger wegen der aus dem Einsturz der Stützmauer resultierenden Haftpflichtforderung Versicherungsschutz zu gewähren. Es gilt der Ausschluss gemäß II 1.6.5 der dem Vertrag der Parteien zugrunde liegenden BBR. Gemäß der Vertragsklausel sind Ansprüche wegen Schäden, die der Versicherungsnehmer durch ein bewusst gesetz-, vorschrifts- oder sonst pflichtwidriges Verhalten verursacht hat, von dem Versicherungsschutz ausgeschlossen. Der Versicherungsschutz bleibt jedoch bestehen, wenn der Ausschlusstatbestand von dem Versicherungsnehmer nicht zu vertreten ist.

Der Kläger handelte pflichtwidrig, indem er die Ausführungsplanung für die Errichtung der Mauer erstellte und die Ausführung selbst veranlasste, ohne dass zuvor die Genehmigungsplanung einschließlich der Vorlage bei der Bauordnungsbehörde durchgeführt worden war. Die Pflichtwidrigkeit erfolgte bewusst, denn dem Kläger war bekannt, dass eine gültige Baugenehmigung notwendig war und nicht vorlag.

Durch die Pflichtwidrigkeit ist der spätere Einsturz der Mauer verursacht worden.

Das Landgericht hat den von dem Versicherer zu erbringenden Beweis der Ursächlichkeit als geführt angesehen. Es bestehen keine konkreten Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung begründen (§ 529 Absatz 1 Ziffer 1 ZPO).

Aus dem eingeholten Gutachten und der Vernehmung des Zeugen G. ergibt sich mit der erforderlichen Gewissheit, dass bei dem Genehmigungsverfahren die mittlerweile unstreitige Fehlerhaftigkeit der Planung des Klägers aufgefallen und eine Korrektur bewirkt worden wäre. Den Ausführungen des Sachverständigen zufolge wurde das Bemessungsmoment wesentlich zu klein angesetzt, weil die bei geböschtem Gelände relativ große, vertikal nach unten gerichtete Komponente des Erddrucks nicht in Ansatz gebracht wurde. Die Bewehrung der Kragplatte und der Bewehrungsanschluss in den Plänen des Klägers waren deshalb unterdimensioniert. Der Zeuge G. hat bei seiner Vernehmung angegeben, dass er bei einer Prüfung vor Bauausführung - ausgehend von einem Böschungswinkel von 20 Grad - ebenfalls den Anschluss der Kragplatte an die Wand, die Bewehrung an der Ecke der Bodenplatte und die erdseitige Wandbewehrung bemängelt und eine verstärkte Ausführung gefordert hätte.

Es ist danach davon auszugehen, dass bei der Durchführung des Genehmigungsverfahrens die Mängel an der Planung des Klägers aufgefallen wären. Die Ausführungen des Klägers, dass bei dem Genehmigungsverfahren keine "sachgerechte", sondern nur eine "verkehrsübliche" Prüfung erfolgt wäre und der Zeuge G. den Mangel der Planung deshalb nicht entdeckt hätte, steht der Annahme der Kausalität der Pflichtwidrigkeit für den Schaden nicht entgegen. Es muss grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass eine "sachgerechte" Prüfung im Sinne einer rechtlich und technisch ordnungsgemäßen erfolgt wäre. Soweit der Kläger mit seinem Vortrag darlegen wollte, dass nur eine Prüfung erfolgt wäre, die den Anforderungen an eine rechtlich und technisch ordnungsgemäße nicht entsprochen hätte, handelt sich um den Einwand einer Reserveursache, deren Eingreifen der Kläger hätte beweisen müssen. Die Beweislast dafür, dass der Schaden auch aufgrund einer Reserveursache eingetreten wäre, hat der Schädiger (Palandt - Heinrichs, BGB, vor § 249, Rz. 101; BGH VersR 1981, 131). Der Kläger kann den Beweis eines solchen hypothetischen Kausalverlaufs nicht führen. Es ist bereits nicht gesichert, dass tatsächlich der Zeuge G. als Prüfingenieur beauftragt worden wäre. Der Vortrag des Klägers, dass der Zeuge G. seit mehr als 10 Jahren von dem Kläger beauftragt bzw. der Baubehörde empfohlen wurde, ergibt nicht zweifelsfrei, dass der Zeuge G. auch bei der Durchführung des Genehmigungsverfahrens für die Mauer eingeschaltet worden wäre. Überdies hat der Kläger selbst nur vorgetragen, dass die von dem Zeugen G. geforderten zusätzlichen Bewehrungen den Schadeneintritt "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" nicht verhindert hätten. Eine bloße Wahrscheinlichkeit kann nicht ausreichen, um den Eintritt der von dem Kläger behaupteten Reserveursache als gewiss anzunehmen. Dies gilt auch dann, wenn es sich um eine hohe Wahrscheinlichkeit handelt. Immerhin forderte der Zeuge G. jedenfalls weitere Bewehrungen, die die Standsicherheit der Mauer erhöht hätten. Was der Zeuge im Einzelnen geprüft und gefordert hätte, wenn er tatsächlich vor Errichtung der Mauer mit der genehmigungsrechtlichen Prüfung befasst gewesen wäre, steht nicht fest. Ebenso ist offen, wie die Mauer dann erstellt worden wäre. Es ist zu berücksichtigen, dass der Sachverständige Prof. Dr. F. angegeben hat, dass in den Berechnungen des Klägers die Böschung mit einem Winkel von 32 Grad konzipiert war und erst nachträglich andere Angaben vorgelegt wurden. Dies steht in Übereinstimmung mit den Angaben des Zeugen G. in dem Schreiben vom 05.07.2002 und in seiner Vernehmung, in der er bekundet hat, dass er von dem Böschungswinkel von 20 Grad ausgegangen sei, den der Kläger zuvor in einem Gespräch mit seiner Sekretärin als Möglichkeit angeboten habe. Nach der von dem Sachverständigen Prof. Dr. F. vorgenommenen Überprüfung des Winkels anhand der vorgelegten Fotos, aus denen die tatsächliche Ausführung der Böschung ersichtlich ist, wurde diese jedoch mit einem Winkel erheblich über 20 Grad erstellt, was wiederum in Übereinstimmung mit den ursprünglichen Plänen steht. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ergab sich auch nicht aus der von dem Kläger vorgelegten so genannten Ausführungsanweisung, dass entgegen dem tatsächlich Errichteten eine Böschung mit einem Neigungswinkel von höchstens 20 Grad zu errichten war. Bei seiner Vernehmung hat der Zeuge G. ausgeführt, dass bei einem Böschungswinkel von 32 Grad die Stützmauer noch ganz anders hätte dimensioniert werden müssen und die Standsicherheit der von dem Kläger geplanten Konstruktion dann rechnerisch nicht mehr gewährleistet gewesen wäre. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass sich in dem Prüfungsverfahren bei korrekter Angabe des später erstellten Böschungswinkels herausgestellt hätte, dass die von dem Zeugen G. angesprochene ganz andere Dimensionierung der Mauer erforderlich war.

Dass der Kläger den Ausschlusstatbestand nicht zu vertreten hätte, hat er nicht dargelegt. Insbesondere kann das nicht aufgrund des Vortrags des Klägers zur Erstellung der Mauer ohne Baugenehmigung aus Gründen der Gefahrenabwehr angenommen werden. Es ist schon nicht ersichtlich, auf welche Verfügung des Landratsamtes der Kläger sich bezieht. Soweit die Anordnung der Bau-Berufsgenossenschaft vom 15.12.1999 gemeint ist, folgt daraus nicht, dass die Stützmauer ohne Baugenehmigung erstellt werden musste.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Absatz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, denn die Voraussetzungen des § 543 Absatz 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist zur Rechtsfortbildung oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 49.084,02- EUR ( 80 % von 120.000 DM)

RechtsgebieteVVG, BGBVorschriftenBGB § 249; VVG § 12 Abs. 3

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