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14.07.2006 · IWW-Abrufnummer 062046

Finanzgericht München: Urteil vom 29.03.2006 – 4 K 2477/05

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


4 K 2477/05

Finanzgericht München

Urteil

In der Streitsache XXX

wegen Erbschaftsteuer

hat der 4. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung von XXX

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29. März 2006 für Recht erkannt:

1. Unter Änderung der Steuerfestsetzung in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8.6.2005 wird die Erbschaftsteuer auf 214.252,49 ? herabgesetzt

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten der Klägerin die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Rechtsmittelbelehrung XXX

Gründe

Streitig ist, ob eine Änderung des Erbschaftsteuerbescheids nach § 173 Abs.1 Nr.1 Abgabenordnung -AO- wegen falscher Steuerklasseneinstufung möglich ist.

I.

Die am 28.4.1997 in München verstorben Erblasserin Frau Dr. wurde aufgrund des notariellen Testaments vorn 12.6.1997 von der Klägerin, der Nichte ihres vorverstorbenen Ehemanns, allein beerbt. In der Erbschaftsteuer-Erklärung vom 23.10.2000 (Eingangsdatum) hatte die Klägerin als Verwandtschaftsverhältnis "Nichte II? angegeben. Mit Erbschaftsteuerbescheid vom 23.10.2001 setzte der Beklagte, das Finanzamt die Erbschaftsteuer wegen der Anrechnung ausländisch höherer gezahlter schweizerischer Erbschaftsteuer auf Null fest, wobei es fälschlicherweise von der Steuerklasse II ausging.

Der Bescheid erging vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 AO hinsichtlich der Zusammensetzung und des Werts des Nachlasses, hinsichtlich der Höhe der Pflichtteile und der anrechenbaren Schweizer Erbschaftsteuer, da die Werte noch nicht endgültig feststanden.

Den gegen diesen Bescheid wegen der Vorläufigkeit eingelegten Einspruch verwarf das Finanzamt mit Einspruchsentscheidung vom 9.9.2004 mangels Beschwer als unzulässig.

Mit nach § 165 Abs. 2 in Verbindung mit § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändertem Erbschaftsteuerbescheid vom 22.11.2004 wurde Erbschaftsteuer wie folgt festgesetzt:


Erbanteil (Werterhöhung): 485.086,00 DM
./. Freibetrag, § 16 Abs. 1 Nr.5 ErbStG: 10.000.00 DM
steuerpflichtiger Erwerb abgerundet: 475.000,00 DM

Steuerklasse 11/, Steuersatz 23°/. 23%, 475.00 DM =: 109.250,00 DM
./. ausländische Erbschaftsteuer 28.025 sFr. 1/ 1,17624 := 32.964.00 DM
festzusetzende Erbschaftsteuer + 1 ,95583: 76.286,00 DM 39.004,41 ?

Als Besteuerungsgrundlagen setzte das Finanzamt die Werte an, die der von der Klägerin eingereichten Verfügung des Kantonalen Steueramtes Zürich entnommen wurden.

Die Besteuerung erfolgte in Steuerklasse III, da dem Finanzamt im Rahmen des gegen den Erstbescheid geführten Einspruchsverfahrens bekannt geworden war, dass die Klägerin nicht die Nichte der Erblasserin. sondern die Nichte des vorverstorbenen Ehemannes der Erblasserin war (so BI. 89/ Finanzamts-Akte und Schreiben des Finanzamts vom 14.11.2002, BI. 121/ Finanzamts-Akte).

Der Bescheid erging weiterhin vorläufig gemäß § 165 Abs. 1 AO hinsichtlich des Verkehrswertes des Grundstücks B, da dessen Höhe noch nicht endgültig feststand und im Hinblick auf beim Bundesfinanzhof -BFH- oder Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Erbschafts- und Schenkungsteuergesetzes in vollem Umfang (§ 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AO).

Nach Bekanntwerden des Verkehrswertes des Grundstücks erhöhte das Finanzamt die Erbschaftsteuer mit nach § 165 Abs. 2 AO geändertem Bescheid vom 20.12.2004 wie folgt:

Erbanteil (Werterhöhung durch Verkehrswert Grundstück): 1.694.102,00 DM
./. Freibetrag, § 16 Abs. 1 Nr.5 ErbStG: 10.000.00 DM
steuerpflichtiger Erwerb abgerundet: 1.684.100,00 DM

Steuerklasse III, Steuersatz 35% 35% 1.684.100 DM =: 589.435,00 DM
./. ausländische Erbschaftsteuer 28.025 sFr. 1,17624 =: 32.964.00 DM
festzusetzende Erbschaftsteuer 1,95583: 556.471,00 DM 284.519,10 ?

Mit der Klage trägt die Klägerin vor. dass einer Änderung durch das Finanzamt nach § 173 Abs.1 Nr. 1 AO der Grundsatz von Treu und Glauben entgegenstehe. Das Finanzamt habe seine Ermittlungspflicht verletzt, weil es angesichts der Angabe "Nichte II? im Erklärungsvordruck und des Umstands, dass der Begriff "Nichte" häufig unpräzise verwendet werde, das Verwandtschaftsverhältnis hätte näher ermitteln müssen. Die fehlerhafte Angabe der Klägerin sei nur ein geringfügiger Verstoß aufgrund ihrer aus der Erklärung ersichtlichen Unerfahrenheit.

Die Klägerin beantragt nunmehr, unter Änderung der Änderungsbescheide vom 22.11.2004 und vom 20.12.2004 und des Erstbescheids in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 8.6.2005 bei der Festsetzung der Steuer statt der Steuerklasse III die Steuerklasse II anzuwenden.

Das Finanzamt beantragt Klageabweisung.

Aus der Bezeichnunig ,,Nichte II?habe man nur entnehmen könne, dass dies ein Hinweis auf § 1925 Bürgerliches Gesetzbuch -BGB- sei, wonach Nichten gesetzliche Erben 2. Ordnung sind. Außerdem habe die Erblasserin selbst die Klägerin als Nichte im Testament bezeichnet (BI.16RS / Finanzamts-Akte) und die Finanzdirektion des Kantons Zürich sie ebenfalls als Nichte bezeichnet (Bl.49 / Finanzamts-Akte). Ein Pflichtverstoß des Finanzamts entfalle damit, zumal die Klägerin das Verwandtschaftsverhältnis nicht wie im Vordruck gefordert angegeben habe.

Am 29.3.2006 hat vor dem Senat mündliche Verhandlung in öffentlicher Sitzung stattgefunden. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen

II.

Die Klage ist begründet.

Eine Änderung des Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO ist ausgeschlossen. Zwar wurde dem Finanzamt erst nach Abschluss seiner Willensbildung am 26.9.2001 (s. Bl. 61 / Finanzamts-Akte) bekannt, dass die Klägerin nicht die Nichte der Erblasserin ist (s. BI.89 / Finanzamts-Akte), ,jedoch steht einer Änderung des bestandskräftigen Erstbescheids vom 23.10.2001 der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Nach ständiger Rechtsprechung (s. Tipke/Kruse, AO, § 173 Rz.62 m. w. N.) verstößt nämlich das Finanzamt gegen Treu und Glauben, wenn es einen Steuerbescheid ändert, weil ihm nachträglich eine Tatsache bekannt geworden ist, die es bei gehöriger Erfüllung der ihm nach § 89 AO obliegenden Ermittlungspflicht hätte feststellen können.

Wenn das Finanzamt entgegen dem Hinweis im Erbschaftsteuer-Erklärungsvordruok in Tz. F in der Spalte "Verwandtschaftsverhältnis" eine genaue Angabe fordert, die bloße Angabe von Neffe, Onkel etc. nicht genügen lässt, sondern die genaue Angabe verlangt, ob z. R ,,Tochter des Bruders der Mutter", so hätte das Finanzamt bei der bloßen Angabe der Klägerin "Nichte II'" nachforschen müssen (s. Tipke/Kruse a.a.O., § 173 Rz. 66 m. w. N. zur Rechtsprechung), ob sie tatsächlich die Nichte der Erblasserin war und nicht die angeheiratete Nichte ihres Ehemanns, zumal im allgemeinen Sprachgebrauch unter Nichte auch die Tochter des Schwagers oder der Schwägerin verstanden wird (s. dtv-Konservationslexikon zum Begriff Nichte), was auch die testamentarische Bezeichnung der Klägerin durch die Erblasserin beweist. Die Angabe der Klägerin in der Erklärung lediglich als Hinweis darauf zu deuten, dass damit nur auf die Rechtsfolge des § 1925 BGB für Nichten, nämlich gesetzliche Erbin 2. Ordnung, verwiesen worden sei, erscheint nicht plausibel, zumal die Erklärung von der Klägerin selbst und nicht von einem Berufsträger erstellt worden war. Der Umstand, dass eine ausländische Behörde die Klägerin als Nichte einstufte, befreit das Finanzamt nicht von einer eigenen Nachprüfung, zumal diese Einstufung im ausländischen Recht möglicherweise ohne weitere Bedeutung ist.

Der Umstand, dass die Klägerin ihr Verwandtschaftsverhältnis entgegen dem Hinweis nicht genau angegeben hat, steht dem nicht entgegen. Dieser Pflichtenverstoß, zumal er nicht bewusst erfolgte, worauf die testamentarische Verfügung hindeutet, ist so unbedeutend, dass der Pflichtenverstoß des Finanzamts überwiegt (s. Tipke/Kruse a.a.O., § 173 Rz. 72 m. w. N. zur Rechtsprechung über die Abwägung beiderseitiger Pflichtverstöße). Angesichts des Umstands, dass die Steuerklasse nicht nur für die Freibeträge nach § 16 ErbStG, sondern auch für den Tarif nach §19 ErbStG (hier 27% zu 35 %) relevant ist, ist trotz der Arbeitsbelastung der Finanzämter insoweit eine genaue Nachprüfung erforderlich.

Bei einem unstreitig steuerpflichtigen Erwerb von 1.694.102 DM, vermindert um den Freibetrag von 20,000 DM in Steuerklasse 2 (§ 16 Abs.1 Nr. 4 ErbStG), ergibt dies einen steuerpflichtigen Erwerb von abgerundet.1.67 4.100 DM. In Steuerklasse II, bei einem Steuersatz von 27% ergibt dies eine Steuer in Höhe von 452.007 DM. Abzüglich der anzurechnenden ausländischen Steuer in Höhe von 32,964 DM ergibt dies eine Steuer von 419.043 DM (= 214.252,49 ?).

Die Kostenentscheidung erfolgt gemäß § 135 Abs.1 FGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.

RechtsgebietErbStGVorschriften§ 15 ErbStG i.V.m. § 173 Abs. 1 Nr. 1

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