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10.03.2006 · IWW-Abrufnummer 060763

Verwaltungsgericht Minden: Urteil vom 30.06.3005 – 7 K 818/04

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Verwaltungsgericht Minden
Datum: 30.06.2005
Gericht: Verwaltungsgericht Minden
Spruchkörper: 7. Kammer
Entscheidungsart: Urteil
Aktenzeichen: 7 K 818/04

Tenor:
Die Missbilligung vom 16.05.2003 in der Fassung vom 08.01.2004 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Hälfte des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher HÄ1fhe leistet.

Tatbestand:
Der Kläger ist niedergelassener Zahnarzt in Q. Frau K. T.-M. suchte ihn am 20.07.2001 wegen Zahnschmerzen auf, weil ihr behandelnder Zahnarzt, Herr Dr. I. in C , Urlaub hatte. Herr Dr. I. hatte ihr im Mai 2001 eine Brücke im linken Unterkiefer eingesetzt. Dem Gedächtnisprotokoll von Frau T.-M. vom 09.08.2001 zufolge diagnostizierte der Kläger eine Entzündung am ersten Brückenglied, behandelte sie außerdem am 24.07. und am 27.07.2001 und erläuterte ihr während der letzten Behandlung, dass die Brücke schadhaft sei, weil Prothese und Zahnfleisch am ersten Brückenglied nicht abschlössen. Daher kämen auch ihre Zahnschmerzen. Auf Dauer würde der Zahn dort kariös werden und müsste die Brücke nach wenigen Jahren wieder entfernt werden.

Am 06.08.2001 suchte Frau T.-M. Herrn Dr. I. auf und besprach diese Diagnose, die er nicht teilte, mit ihm. Sie vereinbarten, die Brücke von einem dritten Zahnarzt überprüfen zu lassen. Frau T.-M. wandte sich daraufhin an ihre Krankenkasse.

Der Zahnarzt Dr. E. in Q. untersuchte Frau T.-M. am 28.08.2001 und kam am 06.09.2001 zu dem Ergebnis, dass die Brücke funktionstüchtig sei. Bei Einsetzen der Brücke habe der Zahnarzt auch röntgenologisch nicht davon ausgehen müssen, dass der Nerv kurzfristig seine Funktion einstellen werde.

Der Zahnarzt Dr. S. in N. stellte als von der TKK beauftragter Obergutachter am 01.11.2001 dagegen fest, dass die Kauflächengestaltung der Brücke unzulänglich sei. Der Kronenrand der Brücke schließe bei Zahn 35 nicht vollständig die beschliffene Substanz ab, sodass der Zahnhals ca. 1 mm frei liege. Daher sei die Brücke nicht funktionstüchtig und müsse erneuert werden.

Mit Schreiben vom 21.11.2001 wandte sich Herr Dr. I. an die Beklagte und teilte mit, dass der Kläger gegen die zahnärztliche Berufsordnung verstoßen habe, weil er Frau T.- M. mitgeteilt habe, dass die Brücke unzulänglich sei. Damit habe er das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seiner Patientin zerstört. Er bat um Überprüfung, Stellungnahme und Einleitung von Disziplinarmaßnahmen.

Nachdem die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 16.01.2002 um Stellungnahme gebeten hatte, teilte der Kläger der Beklagten mit Schreiben vom 22.01.2002 mit, dass die ihm in den Mund gelegte Behauptung nie gefallen sei.

Daraufhin legte Herr Dr. I. der Beklagten das Obergutachten von Dr. S. vor, in dem dieser Frau T. -M. zitiert, und das Gedächtnisprotokoll der Frau T.-M.

Am 09.10.2002 beschloss der Vorstand der Beklagten einstimmig, dem Kläger eine Missbilligung auszusprechen.

Mit Schreiben vom 16.05.2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er berufsrechtlich nicht akzeptable Äußerungen gegenüber der Patientin getätigt habe. Die Äußerungen seien unkollegial, zudem dazu geeignet, das Vertrauen in den Berufsstand nachhaltig zu stören, und folglich berufswidrig. Der Vorstand missbillige diesen Verstoß gegen §§ 1 Abs. 3, 9 Abs. 1 der Berufsordnung der Beklagten.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 21.05.2003 Widerspruch ein. Er trug vor, dass er sich keineswegs gegenüber Frau T.-M. in der ihm unterstellten Weise geäußert habe. Die Brücke sei vom Obergutachter als nicht funktionstüchtig beschrieben worden. Selbst wenn er also die Äußerungen gemacht hätte, wäre dies nur eine objektive Tatsachenfeststellung gewesen, was keine Missbilligung rechtfertige. Der Kläger legte dazu ein undatiertes Schreiben von Frau T.-M. vor, wonach Herr Dr. I. nicht bereit gewesen sei, ihre Zahnschmerzen mit seiner zahnärztlichen Leistung in Verbindung zu bringen. Am 03.12.2003 beschloss der Vorstand der Beklagten, die Missbilligung aufrecht zu erhalten.

Die Beklagte teilte dies dem Kläger mit Schreiben vom 08.01.2004 mit. Dabei ging sie davon aus, dass der Kläger gegenüber Frau T.-M. geäußert habe, dass die Brücke unzulänglich sei. Der Kläger habe damit gegen § 9 Abs. 3 der Berufsordnung verstoßen, wonach die Vertretungsbehandlung nicht über das notwendige Maß hinaus ausgedehnt werden dürfe. Er hätte sich auf eine Schmerzbehandlung beschränken müssen.

Am 21.01.2004 hat der Kläger Klage beim VG N. erhoben, das den Rechtsstreit durch Beschluss vom 25.02.2004 an das VG Minden verwiesen hat.

Der Kläger ist der Ansicht, dass es sich bei dem angefochtenen Schreiben der Beklagten um einen Verwaltungsakt handele. Er macht geltend, dass es für die Missbilligung keine Ermächtigungsgrundlage gebe. Die Missbilligung verletze ihn in seiner Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG und sei ein Eingriff in seine Berufsehre. Außerdem liege gar keine Verfehlung vor. Er habe Herrn Dr. I. nicht gegenüber Frau T.-M. herabgesetzt, sondern lediglich das gesagt, was sich aus dem Gedächtnisprotokoll von Frau T.-M. vom 09.08.2001 ergebe. Er habe Frau T.-M. sogar geraten, nach der Urlaubsrückkehr sich von Dr. I. weiter behandeln zu lassen. Der Zahn 35 von Frau T.-M. habe schließlich gezogen werden müssen, weil er durch die fehlerhafte Behandlung zerstört worden sei.

Der Kläger beantragt,
die seitens der Beklagten in dem Bescheid vom 16.05.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.01.2004 ausgesprochene Missbilligung gegen ihn aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie sieht in ihren angefochtenen Schreiben keinen Verwaltungsakt. Es sei mit keinen Sanktionen verbunden gewesen. Ermächtigungsgrundlage für die Missbilligung sei § 28 [gemeint ist "§ 12"] Abs. 4 der Hauptsatzung der Beklagten. Zudem habe der Kläger mit seinen Äußerungen auch gegen das Verbot verstoßen, nicht gutachterlich tätig zu werden. Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten.

Entscheidungsgründe:
Mit dem Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Klage ist als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO zulässig und begründet. Die im Schreiben der Beklagten vom 16.05.2003 enthaltene Missbilligung ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG. Sie enthält eine Regelung eines Einzelfalles, indem sie einen Verstoß des Klägers gegen dessen ärztliche Berufspflichten feststellt und dies zum Anlass nimmt, ihm eine Missbilligung zu erteilen.

Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 25.06.1991 - 5 A 502/91 -, NJW 1992, 1580 und BVerwG, Urteil vom 06.12.1999 - 1 A 5.98 -, Buchhölz 452.00 § 81 VAG Nr. 8 (zitiert nach Juris) zum Verweis durch das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen gegenüber dem Vorstand eines Versicherungsunternehmens.

Auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist die Missbilligung schon deswegen, weil sie in die Meinungsäußerungsfreiheit des Klägers eingreift. Vgl. dazu Henneke, in: Knack, VwVfG, 8. Aufl. 2004, § 35 Rdnr. 36.

Die Beklagte hat hier als Behörde gehandelt, d.h. als Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. Denn sie ist nach § 1 Satz 2 HeilberufsG NRW eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 HeilberufsG NRW die Erfüllung der Berufspflichten der Kammerangehörigen - wie des Klägers - überwacht und - ggf. mit belastenden Verwaltungsakten - die notwendigen Maßnahmen zur Beseitigung berufsrechtswidriger Zustände trifft. Auf diese Aufgabe hat sich die Beklagte in ihrem angefochtenen Schreiben auch berufen.

Dafür, dass es sich bei der Missbilligung um einen Verwaltungsakt und nicht nur um ein unverbindliches Schreiben handelt, spricht auch, dass die Beklagte die Missbilligung in ihrer Beschlussvorlage für die Vorstandssitzung am 09.10.2002 als Möglichkeit für einen Beschlussvorschlag in einer Reihe mit Belehrung, Rüge und berufsgerichtlichem Verfahren aufgelistet hat.

Das Verwaltungsgericht Minden und nicht das Berufsgericht für Heilberufe ist das zuständige Gericht. Zwar sieht § 59 HeilberufsG NRW vor, dass Kammerangehörige, die ihre Berufspflichten verletzten, der Berufsgerichtsbarkeit unterliegen, die in erster Instanz durch die Berufsgerichte für Heilberufe in N. und Köln ausgeübt wird (§ 61 Abs. 1 HeilberufsG NRW). Dabei handelt es sich aber um ein disziplinarrechtliches Verfahren, in dem auf die in § 60 HeilberufsG aufgezählten Maßnahmen erkannt werden kann. Auch eine erteilte Rüge, die als Maßnahme gewählt wird, wenn die Schuld gering ist und kein berufsrechtliches Verfahren eingeleitet werden soll, unterliegt nach § 58 Abs. 3 Satz 1 HeilberufsG NRW der berufsgerichtlichen Überprüfung. Da die Berufsgerichte für Heilberufe jedoch keine umfassende Zuständigkeit besitzen und die hier vorliegende Missbilligung nicht bei den Zuständigkeiten im HeilberufsG NRW erwähnt ist, bleibt es bei der allgemeinen Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art.

Die von der Beklagten erteilte Missbilligung vom 16.05.2003 in der Fassung vom 08.01.2004 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Unabhängig von der Frage, auf welcher Ermächtigungsgrundlage die Missbilligung beruht, ob § 12 Abs. 4 Satz 3 der Hauptsatzung der Beklagten i.V.m. § 9 der Berufsordnung der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Heilberufsgesetz NRW eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Erteilung einer Missbilligung bilden, ist die hier ausgesprochene Missbilligung jedenfalls wegen Verstoßes gegen die Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG rechtswidrig.

Das BVerfG hat in einem Beschluss vom 18.12.2002 - 1 BvR 244/98 -, NJW 2003, 961 f., (ähnlich Beschluss vom 14.02.2000 - 1 BvR 390/05 -, NJW 2000,3413) Folgendes ausgeführt:

"Dieses Grundrecht [auf Meinungsfreiheit] gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Werturteile sind ohne weiteres von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt, Tatsachenbehauptungen jedenfalls insoweit; als sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt allerdings nicht die erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung (BVerfGE, 61, 1 < 7 f. > (...). Die Verwarnung des Beschwerdeführers bewirkt einen Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts, der nicht durch die Schranken der allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG) gerechtfertigt ist. Zu diesen Schranken gehören auch § 19 Abs. 1 der Berufsordnung der Ärztekammer Schleswig-Holstein vom 16. März 1994 und § 2 des Gesetzes über die Berufsgerichtsbarkeit der Heilberufe vom 22. Februar 1954.

Die Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften ist Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte. Diese haben jedoch das eingeschränkte Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten; dessen wertsetzende Bedeutung muss auch auf der Rechtsanwendungsebene gewahrt bleiben (vgl. BVerfGE 7, 198 >208 f.<). Im Zuge der Normanwendung verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG eine Gewichtung der Beeinträchtigung, die dem von der einschränkenden Norm geschützten Rechtsgut auf der einen und der Meinungsfreiheit auf der anderen Seite droht. Voraussetzung jeder Abwägung ist, dass der Sinn einer Äußerung zutreffend erfasst wird. Der Einfluss des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wird verkannt, wenn die Gerichte sich unter mehreren objektiv möglichen Deutungen für die zur Verurteilung führende entscheiden, ohne die anderen ohne Angabe überzeugender Gründe auszuschließen (vgl. BVerfGE 93,266 >295 f.<; stRspr).

Das Berufsgericht hat ferner die gebotene fallbezogene Abwägung zwischen dem Grundrecht der Meinungsfreiheit und dem Rechtsgut, dessen Schutz die einschränkende Norm bezweckt, nicht vorgenommen.

Eine derartige Abwägung war auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Schmähkritik entbehrlich. Liegt Schmähkritik vor, muss die Meinungsfreiheit allerdings stets zurücktreten (vgl. BVerfGE 93,266 <293 f.». Schmähkritik ist eine Äußerung nur dann, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern jenseits auch polemischer oder überstürzter Kritik die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. BVerfGE 82, 272 <283f.>; stRspr). So liegt es hier aber nicht. (...)

Das Berufsgericht hat zwar erkannt, dass § 19 der Berufsordnung der Erhaltung des Vertrauens in den Berufsstand des Arztes und darüber auch der Gesundheit der Patienten dient. In die Abwägung mit der Meinungsfreiheit ist daher das Schutzgut des Vertrauenserhalts einzubeziehen (vgl. dazu auch BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2000, S. 3413 <3415>; BVerfG, 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 2002, S. 1864 <1866». (...)

Zu der Frage, in welchem Maße durch die Äußerungen das notwendige Vertrauen der Patienten zu ärztlichem Tun konkret beeinträchtigt werden könnte, enthält das angegriffene Urteil keine Ausführungen (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2000, S. 3413 <3415». Die beanstandeten Äußerungen hatte der Beschwerdeführer allein gegenüber der privaten Unfallversicherung gemacht; nur die mit der Sache befassten Mitarbeiter der Unfallversicherung sowie die Versicherte erhielten davon Kenntnis. Der Vertrauensverlust bei dem Mitarbeiter der Versicherung dürfte auf Grund der gegebenen Sachkunde und Berufserfahrung eher als marginal einzustufen sein." Diesen grundsätzlichen Ausführungen schließt sich die Kammer an.

Die Äußerung des Klägers zu der Brücke seiner Patientin - damit inzident zu den Leistungen seines Kollegen Dr. I. - unterfällt dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.

Die Kammer unterstellt, dass sich der Kläger so gegenüber seiner Patientin geäußert hat, wie es sich aus deren Gedächtnisprotokoll vom 09.08.2001 ergibt. Dann bleibt es bei den Aussagen, dass die Brücke fehlerhaft sei, die Zahnschmerzen der Patientin auf den freiliegenden Zahnhals zurückzuführen seien, der betreffende Zahn kariös werde und die Brücke nach einigen Jahren wieder entfernt werden müsse.

Die fachliche Einschätzung, dass die Brücke fehlerhaft ist, teilt zumindest der Obergutachter Dr. S. , sodass davon auszugehen ist, dass die Einschätzung des Klägers jedenfalls gut vertretbar ist und nicht erwiesen oder bewusst unwahr. Dasselbe gilt für die Prognose des Klägers, dass der Zahn kariös werde und die Brücke wieder entfernt werden müsse. Die Entfernung der Brücke hielt nämlich der Obergutachter Dr. S. ebenfalls für notwendig. Die Einschätzung, dass ein beschliffener Zahn mit freiliegendem Zahnhals kariös wird, ist nach allgemeiner Lebenserfahrung jedenfalls nicht erwiesen oder bewusst unwahr.

Dem Äußerungsrecht des Klägers könnten § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der Berufsordnung der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe entgegen stehen, wonach jeder Zahnarzt seinen Kollegen durch rücksichtsvolles Verhalten Achtung zu erweisen hat und in der Form herabwürdigende Äußerungen über die Behandlungsweise eines anderen Zahnarztes zu unterlassen sind, und außerdem § 1 Abs. 3 der Berufsordnung der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe, wonach der Zahnarzt sich gegenüber allen Berufsangehörigen jederzeit kollegial zu verhalten hat. Diese Regelungen stellen allgemeine Gesetze i.S.d. Art 5 Abs. 2 GG dar, die sich nicht gegen die Meinungsfreiheit an sich oder gegen die Äußerung einer bestimmten Meinung richten, sondern vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienen.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14.01.1998 -1 BvR 1861/93, 1864/96, 2073/97 -, BVerfGE 97, 125 (146) und vom 10.10.1995 -1 BvR 1476, 1980/91, 102, 221/92 -, BVerfGE 93, 266 (291).

§ 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 und § 1 Abs. 3 der Berufsordnung der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe dienen dem Schutz der Gesundheit der Patienten, der nicht dadurch in seinem notwendigen Vertrauen zu ärztlichem Tun verunsichert werden soll, dass vorschnell Kritik in unsachlicher Form geäußert wird.

Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 14.02.2000 - 1 BvR 390/95 -, a.a.O. zum inhaltlich ähnlichen § 19 Abs. 1 der Berufsordnung der Landesärztekammer Baden-Württemberg. Das Vertrauen in den Berufsstand des Arztes soll erhalten bleiben und darüber auch der Gesundheit der Patienten dienen.

Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 18.12.2002 - 1 BvR 244/98 -, a.a.O. zum inhaltlich ähnlichen § 19 der Berufsordnung der Ärztekammer Schleswig-Holstein.

Hier handelt es sich aber schon nicht um herabwürdigende, sondern um sachliche Äußerungen, die zudem inhaltlich gut vertretbar waren. Selbst wenn dies kein rücksichtsvolles oder kollegiales Verhalten gegenüber Kollegen sein sollte, so erforderte eine Missbilligung eine Abwägung unter Berücksichtigung der jeweiligen Schwere der Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit einerseits und des kollidierenden verfassungsrechtlichen geschützten Rechtsguts der Volksgesundheit andererseits. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass die Patientin des Klägers ausweislich des Vermerks ihrer Krankenkasse vom 27.1 t. auf dem Gedächtnisprotokoll nicht bereit war, sich noch länger von Dr. I. behandeln zu lassen, weil sie offenbar das Vertrauen in sein zahnärztliches Können verloren hatte. Dies bestätigt Dr. I. in seinem Schreiben vom 20.11.2001 an die Kassenzahnärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe. Andererseits schrieb die Patientin im Juli 2003 an die Zahnärztekammer, dass der Kläger ihr geholfen habe und sie von ihren starken Zahnschmerzen befreit habe. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass sie generell das Vertrauen in Zahnärzte verloren hat und sich nicht länger von Zahnärzten behandeln lässt, was ihrer Gesundheit möglicherweise schaden könnte. Anderen Patienten gegenüber hat der Kläger diese Äußerungen nicht abgegeben, sodass diese nicht in ihrem Vertrauen in die Ärzteschaft beeinträchtigt werden. Ein etwaiger Vertrauensverlust bei den Mitarbeitern der Krankenversicherung und der Zahnärztekammer dürfte entsprechend der oben zitierten Einschätzung des BVerfG auf Grund der gegebenen Sachkunde und Berufserfahrung eher als marginal einzustufen sein.

Ferner ist zu beachten, dass der Kläger sich möglicherweise zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen aussetzen könnte, wenn er Behandlungen von Kollegen, die ~r für fehlerhaft hält, "deckt" und weiterbehandelt, selbst wenn es sich nur um einen kurzen Zeitraum gehandelt haben mag, bis die Patientin wieder zu ihrem behandelnden Zahnarzt hätte gehen können. Ein rücksichtsvolles, kollegiales und standeswürdiges Verhalten gegenüber Kollegen kann jedenfalls nicht bedeuten, erkannte Fehler ggf. auf Kosten der Gesundheit der Patienten zu vertuschen, zumal jeder Zahnarzt sich - wie in der Präambel der Berufsordnung der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe vorgesehen verpflichtet hat, seine zahnärztliche Tätigkeit in den Dienst der Gesundheitspflege, also vor allem auch der Patienten, zu stellen. Zu berücksichtigen ist hier auch, dass der Kläger sich erst während der dritten Behandlung der Patientin negativ zu der Brücke geäußert hat, also keineswegs vorschnell. Gerade auch, um das Vertrauen der Patienten in den Berufsstand nicht zu gefährden, ist eine aufrichtige Information über vorhandene Mängel einer Behandlung zulässig, zumal die wenigsten Patienten so naiv sein dürften zu glauben, dass Ärzte keine Fehler machen könnten. Wenn die Beklagte demgegenüber vom Kläger verlangt, dass er einer Antwort über die Qualität der Erstbehandlung möglichst aus dem Weg gehen solle, verlangt sie letztlich damit von ihm, die Standesinteressen über die Gesundheit der Patienten zu stellen.

Ob das Verbot des § 7 Abs. 1 Berufsordnung, sich gutachterlich zu betätigen, das die Beklagte erst im Laufe des gerichtlichen Verfahrens herangezogen hat, und das nicht Gegenstand der Missbilligung war, hier überhaupt einschlägig ist oder nur schriftliche Gutachten betrifft (vgl. § 7 Abs. 2 Satz 2: "Der Zweck des Schriftstückes ..."), kann offen bleiben. Denn auch für diese gutachterliche Äußerung kann sich der Kläger hier auf seine Meinungsäußerungsfreiheit berufen und gelten dieselben Erwägungen wie oben dargelegt. Soweit die Beklagte befürchtet, dass sich jeder Zahnarzt über die Behandlung seiner Kollegen gutachterlich äußern könnte, was das Arzt-Patienten-Verhältnis stören könnte, ist dem entgegenzuhalten, dass es dem Kläger hier nicht darum ging, allgemein und ohne konkreten Anlass zu den Behandlungsmethoden seines Kollegen Stellung zu nehmen, sondern dass eine Patientin mit starken Schmerzen zu ihm kam und ihn um Hilfe bat. In dieser Situation war der Kläger schon auf Grund seines Behandlungsvertrages und ärztlichen Eides gehalten, der Patientin möglichst wirksam zu helfen, wozu eine Aufklärung über die Ursachen der Schmerzen gehört, und sie nicht lediglich darauf zu vertrösten, dass sie sich demnächst bei seinem Kollegen weiterbehandeln lassen könne. Aus den dargelegten Gründen ist die Missbilligung auch nicht wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 3 der Berufsordnung der Zahnärztekammer Westfalen-Lippe gerechtfertigt, wonach der Zahnarzt eine Vertretung oder eine Notfallbehandlung nicht über die notwendigen Maßnahmen hinaus ausdehnen darf.

Da die Missbilligung bereits gegen Art. 5 Abs. 1 GG verstößt, kommt es auf einen etwaigen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11,711 ZPO.

RechtsgebieteGG, HeilberufsG NRW, BO Ärztekammer Schleswig-Holstein, GesetzVorschriftenGG ARt. 5 Abs. 1, HeilberufsG NRW § 58 Abs. 3 Satz 1, § 59, § 60, § 61 Abs. 1, BO Ärztekammer Schleswig-Holstein § 19 Abs. 1, Gesetz über Berufsgerichtsbarkeit der Heilberufe § 2, BO Zahnärzte Westfalen-Lippe § 1 Abs. 3, § 9 Abs. 1 Satz 1 und 2

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