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01.03.2006 · IWW-Abrufnummer 060579

Oberlandesgericht Karlsruhe: Beschluss vom 31.01.2006 – 1 Ss 165/05

1. Auch in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren hat der Betroffene grundsätzlich das Recht, sich durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, denn diese Gewährleistung ist Ausdruck seines Anspruchs auf ein faires Verfahren und auf Gewährung rechtlichen Gehörs.



2. Die Terminierung ist grundsätzlich Sache des Vorsitzenden, welcher dabei aber gehalten ist, über Anträge auf Terminsverlegung nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminsplanung, der Gesamtbelastung des Spruchkörpers, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen der Prozessbeteiligten zu entscheiden.



3. Stellt der Verteidiger rechtzeitig und mit nachvollziehbarer Begründung erstmals einen Antrag auf Verlegung eines Hauptverhandlungstermins, so wird einem solchen Gesuch bei einem den Tatvorwurf bestreitenden Betroffenen in der Regel zu entsprechen sein, es sei denn, es handelt sich um einen eher einfach gelagerten Sachverhalt, zu dem der Betroffene ausreichend unter Wahrung seiner Verteidigungsrechte selbst Stellung nehmen kann.


Oberlandesgericht Karlsruhe

Beschluss vom 31. Januar 2006 ? 1 Ss 165/05 -

1. Senat für Bußgeldsachen

Bußgeldsache gegen

aus
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

Beschluss vom 31. Januar 2006

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts X. vom 28. Oktober 2005 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts X. zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Mit Urteil vom 28.10.2005 verwarf das Amtsgericht X. den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums Z. vom 24.05.2005, durch welchen gegen diesen wegen Überschreitens der außerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 63 km/h ein Bußgeld in Höhe von ? 275 und ein zweimonatiges Fahrverbots verhängt wurde, weil der Betroffene zur Hauptverhandlung am 28.10.2005 nicht erschienen war. Mit der erhobenen Rechtsbeschwerde macht der Betroffene unter anderem geltend, das Amtsgericht habe den wegen anderer Verpflichtungen gestellten Antrag seines Verteidigers auf Verlegung des Hauptverhandlungstermins zu Unrecht abgelehnt.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

Das Urteil war aufzuheben, weil sich dieses nicht mit den vom Betroffenen vorgebrachten Entschuldigungsgründen auseinandersetzt. Will der Tatrichter einen Einspruch nach § 74 Abs.2 OWiG wegen unentschuldigtem Ausbleiben des Betroffenen in der Hauptverhandlung verwerfen, so müssen sich aus dem Urteil die Tatsachen, welche als Entschuldigungsgründe vorgebracht wurden, sowie die Erwägungen des Gerichts ergeben, die es veranlasst haben, das Ausbleiben des Betroffenen gleichwohl als nicht entschuldigt anzusehen (BayObLG NZV 1996, 377 f.; Brandenburgisches Oberlandesgericht JMBl BB 2005, 94 ff.; OLG Köln VRS 92, 261 f.; OLG Hamm ZfSch 1992, 141 f.; KG, Beschluss vom 20.12.2000, 2 Ss 56/00). Nur bei Vorliegen einer entsprechender Begründung kann das Rechtsbeschwerdegericht nämlich die Gesetzmäßigkeit der ergangenen Entscheidung beurteilen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.01.2000, 3 Ss 192/99).

Dass der Betroffene vorliegend Entschuldigungsgründe vorgebracht hat, ergibt sich aus der formgerecht unter Schilderung der besonderen Verfahrenslage erhobenen Rüge formellen Rechts (zu den Darlegungserfordernissen vgl. KG, Beschluss vom 07.05.2001, 2 Ss 243/00), welcher u.a. zu entnehmen ist, dass der Verteidiger wegen einer bestehenden Terminskollision beim Arbeitsgericht M. um Verlegung der kurzfristig vom Amtsgericht X. anberaumten Fortsetzungsverhandlung ersucht und hierfür sogar Alternativtermine angeboten hatte (vgl. OLG Jena VRS 105, 137).

Es liegt auch kein Fall vor, in welchem eine Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Entschuldigungsgründen im Urteil deshalb entbehrlich gewesen wäre, weil die von der Rechtsbeschwerde vorgetragen Umstände offensichtlich ungeeignet gewesen sind, das Fernbleiben des Betroffenen in der Hauptverhandlung genügend zu entschuldigen (OLG Karlsruhe a.a.O.; OLG Hamm VRS 68, 55 ff.; KG, Beschluss vom 07.12.2001, 2 Ss 272/01).

Auch in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren hat der Betroffene grundsätzlich das Recht, sich durch einen Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen, denn diese Gewährleistung ist Ausdruck seines Anspruchs auf ein faires Verfahren und auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Allerdings ist die Terminierung grundsätzlich Sache des Vorsitzenden, welcher dabei aber gehalten ist, über Anträge auf Terminsverlegung nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der eigenen Terminsplanung, der Gesamtbelastung des Spruchkörpers, des Gebots der Verfahrensbeschleunigung und der berechtigten Interessen der Prozessbeteiligten zu entscheiden. Das bedeutet, dass nicht jede Verhinderung des gewählten Verteidigers dazu führt, dass die vom Gericht anberaumte Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden kann und ein Ausbleiben des Betroffenen als entschuldigt angesehen werden muss. Vielmehr kommt es maßgeblich auch darauf an, ob die prozessuale Fürsorgepflicht eine Verlegung geboten hätte (KG NZV 2003, 433 f.; dass Beschluss vom 30.10.2000, 2 Ss 242/00).

Stellt der Verteidiger rechtzeitig und mit nachvollziehbarer Begründung erstmals einen Antrag auf Verlegung eines Hauptverhandlungstermins, so wird einem solchen Gesuch bei einem den Tatvorwurf bestreitenden Betroffenen in der Regel zu entsprechen sein (BayObLG MDR 1996, 955; a.A. OLG Köln VRS 92, 261 f.), es sei denn, es handelt sich um einen eher einfach gelagerten Sachverhalt, zu dem der Betroffene ausreichend unter Wahrung seiner Verteidigungsrechte selbst Stellung nehmen kann. Eine solche Fallgestaltung liegt hier aber fern, nachdem das Amtsgericht wegen der Schwierigkeit der Sachlage einen Sachverständigen zur Hauptverhandlung geladen hatte und sogar einen weiteren Sitzungstag bestimmen musste. Auch ist zu sehen, dass hinsichtlich dieses Fortsetzungstermins bereits eine Terminsabsprache getroffen worden war, welche vom Vorsitzenden ohne zwingenden Gründe und Rücksprache mit den Verfahrensbeteiligten einseitig unter Vorverlegung des vereinbarten Zeitpunktes abgeändert wurde.

Bei dieser Sachlage hätte sich das Amtsgericht zur Überprüfung der von ihm getroffenen Ermessensentscheidung in den Urteilsgründen aber mit der Frage auseinandersetzen müssen, warum es gleichwohl dem Interesse an eine möglichst reibungslosen Durchführung der Hauptverhandlung Vorrang vor dem Verteidigungsinteresse des Betroffenen eingeräumt hat.

Da solche Ausführungen fehlen, war das Urteil aufzuheben und an eine andere Abteilung des Amtsgerichts X. zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

RechtsgebieteOWiG, StVGVorschriftenOWiG: § 74 Abs. 2 StVG: §§ 25

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