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08.02.2006 · IWW-Abrufnummer 060362

Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 14.09.2005 – 20 U 117/05

Grobe Fahrlässigkeit für den Diebstahl des Fahrzeuges ist zu bejahen, wenn der Schlüssel in den ungesicherten, problemlos zu öffnenden Briefkasten der Werkstatt an der Außenwand des Gebäudes eingeworfen wird, auf dessen Funktion durch Schilder überdies hingewiesen wird.


OBERLANDESGERICHT HAMM

BESCHLUSS

20 U 117/05 OLG Hamm
15 O 35/05 LG Münster

In dem Rechtsstreit

pp

wird dem Kläger folgender Hinweis erteilt:

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da sie keine Aussicht auf Erfolg hat und die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung besitzt, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senates erfordern.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Entschädigung in Höhe von 7.850,00 ? nebst Zinsen aus einer bei der Beklagten genommenen Teilkaskoversicherung wegen der Beschädigung eines bei der Beklagten versicherten Lkw (amtliches Kennzeichen MS ? MM 4100).

Der Kläger ist Inhaber des Umzugsunternehmens ?Move and More? in M und vermietet in dieser Eigenschaft Lkw an umzugswillige Kunden. Wenn die Kunden außerhalb der Geschäftszeiten die Fahrzeuge zurückbringen, sind sie gehalten, die Fahrzeugschlüssel und die Papiere in einen an der seitlichen Hauswand angebrachten Briefkasten einzuwerfen und das Fahrzeug direkt vor dem Geschäft abzustellen. Die Hauswand, an der der Briefkasten angebracht ist, wird durch einen Scheinwerfer, der über einen Bewegungsmelder geregelt wird, ausgeleuchtet. Auf dem Briefkasten befindet sich ein Aufkleber mit dem Text: ?Nachteinwurf Bitte Tankquittungen, Schlüssel und Papiere einwerfen?. Am Schaufenster des Ladenlokals befindet sich der Hinweis: ?Schlüsselkasten um die Ecke?. Wegen der weiteren Einzelheiten der Örtlichkeit und des Briefkastens wird auf die mit Schriftsatz der Beklagten vom 25.02.2005 überreichten Lichtbilder (Bl. 26 ff. d. A.) Bezug genommen.

Am 27.07.2004 brachte ein Kunde den oben genannten Lkw nach Geschäftschluss zum Laden des Klägers zurück. Mit dem Schlüssel verfuhr er in der oben beschriebenen Weise. Dabei wurde er von dem 19jährigen M beobachtet, der den Briefkasten aufbrach, die Schlüssel zu dem Lkw entnahm und mit dem Lkw unter Benutzung der Schlüssel wegfuhr. Dabei verursachte er diverse Verkehrsunfälle, die zu einem Totalschaden am Lkw führten. In Höhe von 7.850,00 ? nimmt er die Beklagte in Anspruch.

Die Beklagte hat sich auf Leistungsfreiheit berufen. Der Kläger habe den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt. Dies hat der Kläger in Abrede gestellt. Er hat ferner die Ansicht vertreten, dass der Agent der Beklagten darauf hätte hinweisen müssen, dass die Schlüsselrückgabepraxis, die dem Agenten bekannt gewesen sein müsste, zum Verlust des Versicherungsschutzes führen könnte.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil, auf das zur näheren Sachdarstellung und Begründung Bezug genommen wird (Bl. 51 ff. d. A.), die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte sei nach § 61 VVG leistungsfrei geworden, da der Kläger den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung, mit der er seinen Anspruch unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen weiterverfolgt. Er habe seine Sorgfaltspflichten bereits objektiv nicht in besonders schwerwiegendem Maße verletzt. Der Briefkasten sei gegen Aufbrechen durch einen Überwurf aus Metall besonders geschützt gewesen. Der Bereich des Briefkastens sei durch den Scheinwerfer gut ausgeleuchtet gewesen.
Er habe in subjektiver Hinsicht darauf vertrauen dürfen, dass die von ihm getroffenen Sicherheitsvorkehrungen ausreichend waren. Seit der Gründung des Geschäfts vor zwei Jahren sei es zu keinen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Briefkasten gekommen. Im Übrigen handele es bei der Schlüsselrückgabepraxis um eine bei Leihwagenunternehmen und anderen Kfz-Betrieben absolut übliche Praxis.
Die Beklagte habe ihre vorvertragliche Aufklärungspflicht verletzt. Die Beklagte oder ihr Agent hätten bei Abschluss des Versicherungsvertrages die örtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten und die geübte Geschäftspraxis gekannt bzw. kennen können.

II.

Die zulässige Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Dem Kläger steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Das Landgericht hat die Klage mit zutreffender Begründung abgewiesen. Die mit der Berufung hiergegen gerichteten Angriffe rechtfertigen keine andere Entscheidung. Die Beklagte ist nach § 61 VVG leistungsfrei geworden. Sie hat auch keine vorvertraglichen Pflichten verletzt.

1.) Die Beklagte ist nach § 61 VVG leistungsfrei geworden; der Kläger hat den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt.

a) Die Annahme der Herbeiführung des Versicherungsfalles im Sinne des § 61 VVG setzt zunächst voraus, dass der Versicherungsnehmer durch sein Verhalten den als vertragsgemäß vorausgesetzten Standard an Sicherheit gegenüber der Diebstahlsgefahr deutlich unterschritten hat (BGH VersR 1989, 141; BGH VersR 1994, 29). Das ist vorliegend der Fall. Die Gefahr eines Diebstahls wird deutlich dadurch erhöht, wenn ein Pkw oder Lkw auf einer öffentlich zugänglichen Fläche abgestellt wird und der zugehörige Fahrzeugschlüssel in einen in unmittelbarer Nähe befindlichen Außenbriefkasten eingeworfen wird. Diese Umstände können einen potentiellen Dieb leichter veranlassen, sich den Fahrzeugschlüssel zu beschaffen und den Wagen zu entwenden (so auch OLG Köln, MDR 2001, 449; OLG Celle, Urteil vom 09. Juni 2005, 8 U 182/04).

b) Das Vorliegen (objektiv) grober Fahrlässigkeit ist zu bejahen, wenn der Versicherungsnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgalt in hohem Maße außer Acht gelassen hat. Dieses ist u. a. dann der Fall, wenn er das Nächstliegende, das jedem in der gegebenen Situation einleuchtet, nicht beachtet. Die Schadenswahrscheinlichkeit muss offenkundig so groß sein, dass es ohne weiteres nahelag, zur Vermeidung des Versicherungsfalles ein anderes Verhalten als das tatsächlich geübte in Betracht zu ziehen. In subjektiver Hinsicht erfordert grobe Fahrlässigkeit ein unentschuldbares Verhalten. Es muss sich auch in subjektiver Hinsicht um ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden handeln (BGH aaO; Senat Beschluss vom 02. November 1999 ? 20 W 17/99 -, r+s 2000, 403). Auch diese Voraussetzungen sind gegeben. Der Vorwurf der (objektiv) groben Fahrlässigkeit ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass der an der Außenwand angebrachte Briefkasten gegen den Zugriff Dritter erkennbar unzureichend gesichert war. Der Briefkasten befand sich frei zugänglich im Gang neben der Außenfassade des Ladenlokals. Ausweislich der von der Beklagten überreichten Lichtbilder handelte es sich um einen einfachen weißen Blechbriefkasten, der zusätzlich nur mit einem leichten Metallüberwurf gesichert war (Bl. 27 ff. d. A.). Dieser leichte Metallüberwurf bot keine hinreichende Sicherung gegenüber dem Zugriff auf den Inhalt. Wie sich aus dem Lichtbild Bl. 32 ergibt, konnte der Überwurf mit einfachen Mitteln aufgehebelt werden. Dies folgt auch aus dem Umstand, dass der Täter bereits unmittelbar nach dem Einwerfen des Schlüssels durch den Mieter in den Besitz des Schlüssels gelangte. Ausweislich des polizeilichen Protokolls vom 03.08.2004 (Bl. 34 d. A.) befanden sich der Mieter und sein Begleiter erst auf der anderen Straßenseite, als sie den Täter schon im Fahrzeug sahen. Damit war ein solcher Briefkasten kein sicherer Aufbewahrungsort für Fahrzeugschlüssel, mit denen in unmittelbarer Nähe stehende Kraftfahrzeuge bedient werden konnten (wie hier OLG Celle aaO, OLG Köln aaO).
Soweit der Kläger bestreitet, dass der sich aus den Lichtbildern ergebende Zustand der Örtlichkeit mit dem Zustand der Örtlichkeit zum Entwendungszeitpunkt übereinstimmt, so kann er damit nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht gehört werden. Die Beklagte hat die vorgenannten Lichtbilder und das polizeiliche Protokoll mit der Klageerwiderung eingereicht und sich zur Untermauerung seines Rechtsstandpunktes auf den aus den Lichtbildern ersichtlichen Zustand berufen. Der Kläger wäre gehalten gewesen, diesen Vortrag erstinstanzlich zu bestreiten und ggfls. zu rügen, dass ihm die Lichtbilder nicht zur Kenntnis gebracht worden waren. Letztlich kommt es darauf aber auch nicht entscheidend an, da der vom Kläger beschriebene Zustand von dem Zustand, der aus den Lichtbildern hervorgeht, nicht abweicht.

Erschwerend kommt hinzu, dass ein potentieller Täter durch die vorhandenen Hinweisschilder geradezu ?eingeladen? wurde, den Schlüssel zu entwenden. Zumindest wurde der Täter durch die Hinweisschilder darauf hingewiesen, wo Schlüssel zu den vor dem Ladenlokal abgestellten Fahrzeugen zu finden waren. So befindet sich am Schaufenster des Ladenlokals ein in gelber Farbe ? und somit deutlich wahrnehmbarer ? Aufkleber mit dem Text ?Schlüsselkasten um die Ecke?. Am Briefkasten selbst ist ? ebenfalls in gelb ? der Hinweis angebracht ?Nachteinwurf, Bitte Tankquittungen, Schlüssel und Papiere einwerfen?. Ein Versicherungsnehmer, der solche Hinweise anbringt, hat für besondere Sicherungsmaßnahmen, die eine Entwendung verhindern, zu sorgen. Das Anbringen eines Scheinwerfers mit verbundenem Bewegungsmelder stellt eine solche besondere Sicherungsmaßnahme nicht dar. Denn das Aufbrechen des angebrachten Briefkastens konnte ? wie bereits oben ausgeführt ? in kurzer Zeit durchgeführt werden. Das Risiko für einen potenziellen Täter, aufgrund des ?Anspringens? des Scheinwerfers von Anwohnern wahrgenommen zu werden, war daher erkennbar gering und somit nicht geeignet, den Täter davon abzuhalten, den Briefkasten aufzubrechen.

Auch in subjektiver Hinsicht ist dem Kläger der Vorwurf des grob fahrlässigen Verhaltens zu machen. Es sind keine Umstände ersichtlich, die das Verschulden des Klägers in einem milderem Licht erscheinen lassen. Der Umstand, dass es im Geschäft des Klägers bislang noch nicht zu einem Schadensvorgang der hier vorliegenden Art gekommen ist, entlastet den Kläger naturgemäß nicht. Denn dann wäre im erstmaligen Schadensfall der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nie berechtigt. Auch der - von der Beklagten bestrittene - Umstand, dass die hier beschriebene Schlüsselrückgabepraxis der Praxis anderer Leihwagenunternehmer entsprechen würde, also üblich sei, vermag den Kläger nicht zu entlasten. Es erscheint dem Senat bereits wenig wahrscheinlich, dass eine solche ?allgemeine Üblichkeit? existiert. Zwar ist dem Senat bekannt, dass Schlüssel nach Geschäftsschluss zurückgegeben werden. Im Regelfall erfolgt die Rückgabe aber dergestalt, dass die Schlüssel in gesicherte Briefkästen in der Hauswand in das Innere des Gebäudes geworfen werden und nicht ? wie hier ? in einen an der Außenwand angebrachten Briefkasten. Letztlich kann die Frage der ?Üblichkeit? aber dahingestellt bleiben. Denn dieser Umstand entbindet den Kläger nicht von der Prüfung, ob auch hier der konkrete Aufbewahrungsort für die Schlüssel sicher genug konstruiert war. Es ist stets im Einzellfall zu prüfen, ob die Sicherung ausreicht. Dieses war im vorliegenden Fall aus den vorstehend genannten Gründen gerade nicht der Fall.

2.) Der Kläger hat nicht hinreichend dargetan, dass die Beklagte eine ? die Erfüllungshaftung auslösende - vorvertragliche Aufklärungspflicht verletzt haben könnte. Bei dem pauschalen ? von der Beklagten bestrittenen - Vortrag, die Beklagte bzw. ihr Agent (welcher?) habe die ?bereits damals geübte Geschäftspraxis gekannt bzw. kennen müssen? und ihm daher einen entsprechenden Hinweis erteilen müssen, handelt es sich erkennbar um ?Angaben ins Blaue hinein?. Damit kommt der Kläger seiner prozessualen Darlegungslast nicht nach.

III.

Dem Kläger wird Gelegenheit gegeben, binnen 3 Wochen ab Zustellung des Beschlusses Stellung zu nehmen.

RechtsgebietVVGVorschriften§ 61 VVG

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