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11.10.2005 · IWW-Abrufnummer 052812

Finanzgericht Düsseldorf: Beschluss vom 06.09.2005 – 4 S 3702/05

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Finanzgericht Düsseldorf
4. Senat

Entscheidungsart: Beschluss

Aktenzeichen: 4 S 3702/05

Tenor:


Der Antrag auf Anordnung der Durchführung einer Verdachtsnachschau bei dem Antragsgegner wird abgelehnt.


Gründe:

I.

Am 31.05.2005 ging bei einer Dienststelle des Zollfahndungsamts - ZFA - telefonisch ein anonymer Hinweis ein, den der aufnehmende Beamte in einem Vermerk vom 06.06.2005 wiedergab:

"Ein Herr RE. verkaufe seit etwa drei Monaten wöchentlich bis zu 10 Stangen unverzollte und unversteuerte Zigaretten. RE. sei bei der Firma C in D-Stadt, B-Str. beschäftigt. Er verkaufe die Zigaretten an seine Arbeitskollegen, die im Lager beschäftigt seien, sowie an unmittelbare Vorgesetzte. Es handele sich um russische oder polnische Marlboros, die der E. jeweils aus dem Kofferraum seines Fahrzeugs, eines BMW blau mit amtl. Kennzeichen, hole. Von wem der R.E. die Zigaretten beziehe, könne er nicht sagen. RE. habe gegenüber seinen Arbeitskollegen aber schon mehrfach angedeutet, daß er auch größere Mengen besorgen könne."

Als Halter dieses blauen BMW ermittelte das ZFA:
E. 1., * 1942 in O-Stadt , wohnhaft T-Str. ,D-Stadt

Zu dem Namen R.E. übermittelte die Stadt 0 am 09.08.2005 zwei Bescheinigungen:

eine Aufenthaltsbescheinigung, betr. den deutschen Staatsangehörigen RE., *1977 in Kirgisistan, wohnhaft I-Str. in D-Stadt und eine Aufenthaltsbescheinigung, betr. den deutschen und russischen Staatsangehörigen RE., *1949 in
Krasnoturinsk.
Computergestützte Zollauskünfte zu allen Arbeitgebern eines R. (oder "R") E. an hand der Versicherungsnummer ergaben, daß
"R".E., *1977 , seit 2000 bei der C-GmbH in D-Stadt als einziger Arbeitnehmer mit dem Namen E. und daneben seit 2004 auch noch bei der Firma S, D-Stadt, beschäftigt ist.
Demgegenüber ist/war RE., * 1949 bei
Firma T, F-Stadt,
Firma M , D-Stadt und
Firma V GmbH, N- Stadt
beschäftigt.

Nach fernmündlicher Auskunft des Bürgeramtes D-Stadt gegenüber dem ZFA ist RE., 1977 in , der Sohn des I. E., *1942 in O-Stadt.

Weiter wurde ermittelt, daß auf I. E., *1942 in O-Stadt, wohnhaft T-Str in D-Stadt ein weiterer PKW SEAT , rot, mit dem amtlichen Kennzeichen zugelassen ist.

Aufgrund dieses Sachverhaltes beabsichtigt das Hauptzollamt D-Stadt - Antragsteller -, bei R ("R") E. - Antragsgegner eine Nachschau durchzuführen, und erstrebt in dem vorliegenden Verfahren hierzu eine finanzgerichtliche Anordnung nach § 210 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO).

Der Antragsteller bringt hierzu vor:

Er sei zwar befugt, eine einfache Nachschau i. S. v. § 210 Abs. 1 AO am Arbeitsplatz des RE. durchzuführen, da in diesem Fall die Firma C-GmbH Adressat der Steueraufsicht sei.

Dies gelte jedoch nicht bezüglich der privaten Personenkraftwagen, mit denen R.E. die vorgenannte Firma aufsuche und möglicherweise unversteuerte Zigaretten verkaufe.

Selbst die - hilfsweise angenommene - freiwillige Inaugenscheinnahme des/der PKW mit möglicherweise feststellbaren Zigaretten ausländischer Herkunft führe in den erfahrungsgemäß gut unterrichteten Hehlerkreisen zu der Erklärung, daß es sich um eine zusammengefaßte Menge handele, die aufgrund von ordnungsgemäßen Einfuhren (durch Verwandte, Freunde usw.) in das Steuergebiet verbracht worden sei.

Die Befugnisse des § 10 des Zollverwaltungsgesetzes kämen mangels Grenzbezugs nicht zum Tragen.

Hingegen lägen die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 210 Abs. 2 AO vor.

Die in der anonymen Anzeige enthaltenen Informationen seien im Hinblick auf den Wortlaut "Tatsachen die Annahme rechtfertigen" geprüft worden. Als Tatsache könne gewertet werden, daß Personalie, Arbeitgeber und Fahrzeugkennzeichen nicht nur existierten, sondern auch so, wie in der Anzeige angegeben, in Beziehung zueinander stünden.

Der Antragsteller beantragt
die finanzgerichtliche Anordnung für die Durchsuchung folgender Sachen:
. Wohnung des Antragsgegners I-Str in D-Stadt einschließlich Kellerräumen, Dachboden und Garage
. PKW BMW, blau, amtl. Kennzeichen des Halters I.E.
. PKW SEAT, rot, amtl. Kennzeichen des Halters I.E.

II.

Der Antrag ist abzulehnen.

Für die vom Antragsteller beabsichtigten Ermittlungsmaßnahmen (Verdachtsnachschau) liegen die Voraussetzungen des § 210 Abs. 2 Satz 1 AO nicht vor.

1. Gegenstand der Nachschau

Der Nachschau unterliegen nach § 210 Abs. 2 AO (nur) Grundstücke und Räume. Hierzu gehören auch (private) Wohnungen und deren Nebenräume.

Der Senat folgt insoweit nicht der - soweit ersichtlich - nur von Tipke (in Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 210 AO Rdn. 7) vertretenen abweichenden Auffassung, nach der § 210 Abs. 2 AO - wie § 210 Abs. 1 AO - private Grundstücke und Räume, also insbesondere Wohnungen/Wohnräume nicht erfassen soll. Gegen diese Auffassung spricht, daß in § 210 Abs. 2 Satz 2 AO ausdrücklich auch Wohnräume angesprochen sind, die bei Gefahr im Verzug ohne richterliche Anordnung durchsucht werden dürfen. Hieraus ist im Umkehrschluß zu folgern, daß dann, wenn Gefahr nicht im Verzug ist, mit richterlicher Anordnung auch Wohnräume der Durchsuchung unterliegen. Der Unterschied in den Regelungen der Sätze 1 und 2 des § 210 Abs. 2 AO besteht zum einen hinsichtlich des zusätzlichen Merkmals der Gefahr im Verzug, zum anderen in der Erweiterung der Ermittlungsbefugnis auf eine Durchsuchung, nicht nur Nachschau. Besteht eine derartige Gefahr, ist eine richterliche Anordnung für die Ermittlungsmaßnahmen entbehrlich (Satz 2), besteht eine solche Gefahr nicht, darf eine Nachschau auch in Wohnräumen - nur aufgrund richterlicher Anordnung erfolgen (Satz 1). Würde Satz 1 nicht auch Wohnräume erfassen, bestünde insoweit eine Regelungslücke: ohne Gefahr im Verzug dürften auch mit richterlicher Anordnung Wohnräume nicht zum Zwecke der Nachschau betreten werden.

Soweit Tipke (a. a. 0.) sich für seine Auffassung auch auf Mösbauer (Deutsche Steuerzeitung 1988,267 ff. [270]) beruft, dürfte dies fehlgehen. Der beschließende Senat versteht die Ausführungen Mösbauers so, daß er (lediglich) die Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen als von der Rechtsgrundlage des §.210 Abs. 2 Satz 1 AO nicht gedeckt ansieht ("... Feststellungen [nach § 210 Abs. 2 Satz 1 AO] ... schließen aber eine Durchsuchung von Wohn- und Geschäftsräumen regelmäßig nicht mit ein"). Hierfür sprechen auch die von Mösbauer (a. a. O. Seite 270, Fußnote 29) angeführten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - und des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - . Im Urteil des BVerwG vom 12.12.1967 - I C 112.64 - BVerwGE 28, 285 (= NJW 1968, 563) ging es um die Frage, ob die Durchsuchung einer Wohnung auf der Grundlage des baden-württembergischen Polizeigesetzes - wie geschehen ohne vorherige richterliche Anordnung durchgeführt werden durfte, was verneint wurde, weil eine "Gefahr im Verzug" nicht vorlag; dieser Fallgestaltung entspricht in § 210 Abs. 2 AO die in Satz 2 getroffene Regelung. Im hier vorliegenden Fall geht es aber nicht um eine Durchsuchung nach dieser Vorschrift, sondern um eine Nachschau nach der in Satz 1 getroffenen Regelung. Die Entscheidung des BVerfG vom 13.10.1971 - 1 BvR 280/66 - BVerfGE 32, 54 geht im Zusammenhang mit dem Betretungs- und Prüfungsrecht nach §§ 17 Abs. 2 und 20 der Handwerksordnung (in der damals geltenden Fassung) von einer weiten Auslegung des Wohnungsbegriffs aus, der auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume umfasse, und steht nicht in Widerspruch zu der hier vertretenen Auffassung.

Im übrigen wird auf die Ausführungen von Teichner in Koch/Scholtz, Kommentar zur Abgabenordnung, § 210 Rdn. 11, 12; Wöhner in Schwarz, Abgabenordnung, § 210 Rdn. 21; Kock in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 210 AO Rdn. 24; Trzaskalik in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 210 AO Rdn. 14 und Koenig in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 1. Aufl. 2004, § 210 Rdn. 8 verwiesen.

Während demnach die Wohnung des Antragsgegners (nebst zugehörigen Nebenräumen) i. S. d. § 210 Abs. 2 Satz 1 AO taugliches Objekt einer Nachschau ist, trifft dies hinsichtlich der beiden im Antrag bezeichneten PKW nicht zu, da von dieser Vorschrift eben nur Grundstücke und Räume (Wohn- und Geschäftsräume) erfaßt werden. Ein PKW ist in diesem Sinne kein Raum, sondern ein Fortbewegungsmittel (vgl.hierzu auch den Beschluß des BGH-Ermittlungsrichters vom 11.04.1997 in NJW 1997, 2189 sowie Trzaskalik a. a. 0.).

2. Adressat der Ermittlungsmaßnahme

Hinsichtlich der beiden im Antrag bezeichneten PKW ist der Antragsgegner zudem nicht der richtige Adressat der beabsichtigten Maßnahme.

Ob der Antragsgegner Eigentümer der Fahrzeuge ist, ist nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis nicht bekannt. Er ist jedenfalls nicht ihr Halter, denn beide Fahrzeuge sind nicht auf ihn, sondern auf seinen Vater I.E. zugelassen. Ob der Antragsgegner .. unabhängig von den Eigentumsverhältnissen und der Haltereigenschaft - Inhaber der Fahrzeuge ist, etwa weil er sie ständig nutzt, steht ebenfalls noch nicht fest. Nach der anonymen Anzeige benutzt der Antragsgegner lediglich den BMW zu Fahrten zur Arbeit. Ob dies regelmäßig oder nur gelegentlich der Fall ist, geht aus der Anzeige nicht hervor; angegeben wurde nur, daß der Antragsgegner die Zigaretten jeweils aus dem Kofferraum dieses BMW hole, was den Schluß zuläßt, daß der Antragsgegner jedenfalls an den "Liefertagen" dieses Fahrzeug nutzt. Wenn der Antragsgegner aber etwa nur an diesen Tagen den BMW zur Verfügung hat, ist er damit noch nicht generell als Inhaber dieses Fahrzeugs anzusehen.

Angaben zur Nutzung des zweiten ebenfalls auf den Vater des Antragsgegners zugelassenen PKW SEAT enthält die anonyme Anzeige überhaupt nicht.

Hinsichtlich der Wohnung und etwa vorhandener Nebenräume dürfte der Antragsgegner der richtige Adressat sein, denn er dürfte (als Mieter) Inhaber dieser Räumlichkeiten sein.

3. Rechtfertigung der Maßnahme durch auf Tatsachen beruhenden konkreten Verdacht

Die Verdachtsnachschau ist nach § 210 Abs. 2 Satz 1 AO nur dann zulässig, "wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß sich dort Schmuggelwaren oder nicht ordnungsgemäß versteuerte verbrauchsteuerpflichtige Waren befinden ...". Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall nicht erfüllt.

In der einschlägigen Kommentar-Literatur - Rechtsprechung hierzu ist nicht ersichtlich - besteht unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung Übereinstimmung, daß ein konkreter, auf die betroffenen Räumlichkeiten bezogener Verdacht vorliegen muß (vgl. z. B. Trzaskalik, a. a. O. § 210 AO Rdn. 12). Es müssen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, aus denen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auf Schmuggelware etc. geschlossen werden kann (so Wöhner, a. a. O. § 210 Rdn. 19). Der dahingehende Verdacht muß bereits durch prüfbare Tatsachen erhärtet sein (Teichner, a. a. O. § 210 Rdn. 10).

Die hier konkret vorliegenden Tatsachen rechtfertigen einen derartigen Verdacht nicht hinreichend.

Es liegt vor eine fernmündlich erstattete anonyme Anzeige, dokumentiert durch einen Vermerk des aufnehmenden Beamten. Die nachfolgenden Ermittlungen haben als weitere Tatsachen ergeben, daß die in der Anzeige bezeichnete Person, R.E., existiert und tatsächlich bei der Firma C in D-Stadt beschäftigt ist, und zwar als einziger Arbeitnehmer dieses Namens. Weiter existiert der in der Anzeige angegebene PKW. Ferner wurde ermittelt, daß der Antragsgegner der Sohn des Halters dieses PKW ist.

Hiermit erschöpft sich der nachprüfbare Teil der Tatsachenermittlung.

Bezüglich der abgabenrechtlich relevanten Vorgänge liegen lediglich die Angaben des Anzeigenerstatters vor, die zudem recht vage erscheinen. Es soll sich um russische oder polnische Marlboro-Zigaretten handeln, die der Antragsgegner an Arbeitskollegen im Lager und an unmittelbare Vorgesetzte verkauft haben und aus dem Kofferraum des BMW geholt haben soll. Nähere Angaben hierzu fehlen (z. B. Verpackung, Steuerbanderolen, Verkaufspreise).

Da der Anzeigenerstatter zudem anonym geblieben ist, ist es schwierig einzuschätzen, ob seine Angaben glaubhaft sind. Anzunehmen ist, daß er das Umfeld des Antragstellers kennt, vermutlich sogar ebenfalls bei der Firma C ' beschäftigt ist. Denn sonst hätte er die personen- und ortsbezogenen Angaben nicht machen können.

Es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, daß persönliche Umstände den Anzeigeerstatter zu den Angaben veranlaßt haben, etwa um sich an dem Antragsgegner aus einem bestimmten Grund zu rächen und ihm Schwierigkeiten zu bereiten.
Bei der vorzunehmenden Einschätzung bezüglich des Wahrheitsgehalts der in der Anzeige enthaltenen Angaben ist es erforderlich, daß hinsichtlich des eigentlichen Abgabensachverhalts zusätzliche tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, um eine Verdachtsnachschau zu rechtfertigen. Zu denken wäre hier etwa daran, daß im Umfeld von Arbeitnehmern der Firma C unversteuerte und unverzollte Zigaretten aufgetaucht sind. Derartiges ist hier aber offenbar nicht bekannt geworden. Damit liegen hinsichtlich des eigentlichen Abgabensachverhalts zusätzliche tatsächliche und nachprüfbare Anhaltspunkte für ein Abgabenvergehen nicht vor.

Nach Auffassung des beschließenden Senats gibt die vorliegende Anzeige zwar Veranlassung, ihr durch Ermittlungsmaßnahmen weiter nachzugehen, rechtfertigt aber eine Verdachtsnachschau nach § 210 Abs. 2 Satz 1 AO nicht.

RechtsgebieteAO, ZollVGVorschriften§ 210 Abs. 1 und Abs. 2 AO, § 10 ZollVG

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