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20.09.2005 · IWW-Abrufnummer 052635

Hessisches Landessozialgericht: Beschluss vom 20.06.2005 – L 7 AL 100/05 ER

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


L 7 AL 100/05 ER
20.06.2005 rechtskräftig
S 11 AL 109/05 ER Sozialgericht Darmstadt

I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts A-Stadt vom 24. März 2005 aufgehoben.

II. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, an den Antragsteller den vom Arbeitslosengeld für die Zeit vom 3. August 2004 einbehaltenen Kürzungsbetrag in Höhe von 1.500,- EUR auszuzahlen.

III. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller war zuletzt seit Oktober 2002 ? mit Unterbrechungen ? als Bauingenieur beschäftigt. Sein letztes Arbeitsverhältnis begann am 1. Januar 2004 und war ausweislich der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers bis zum 31. Juli 2004 befristet.

Am 3. August 2004 meldete sich der Antragsteller arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld. Diese Leistung bewilligte ihm die Antragsgegnerin, nahm jedoch eine Kürzung des auszuzahlenden Betrages vor. Den Bewilligungsbescheid vom 8. Dezember 2004 erläuternd, teilte sie dem Antragsteller mit Schreiben vom 6. Dezember 2004 mit, nach § 37 b des Dritten Buches des Sozialgesetzbuch (SGB III) seien Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis ende, verpflichtet, sich unverzüglich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden, sobald sie den Zeitpunkt der Beendigung ihres versicherungspflichtigen Verhältnisses kennen würden. Dieser Pflicht sei der Antragsteller nicht rechtzeitig nachgekommen. Er hätte sich spätestens am 3. Mai 2004 bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend melden müssen. Dieser Tag sei der erste Tag mit Dienstbereitschaft der Agentur für Arbeit nach dem Tag der Kenntnisnahme (1. Januar 2004) von der Beendigung des versicherungspflichtigen Verhältnisses. Der Antragsteller habe sich jedoch erst am 3. August 2004 gemeldet, so dass die Meldung um 92 Tage zu spät erfolgt sei. Nach § 140 SGB III mindere sich der Anspruch auf Leistungen um 50,- EUR für jeden Tag der verspäteten Meldung (längstens jedoch für 30 Tage). In seinem Falle errechne sich somit ein Minderungsbetrag in Höhe von insgesamt 1.500,- EUR. Die Minderung erfolge, indem dieser Minderungsbetrag auf die halbe Leistung angerechnet werde, dass heiße, dem Antragsteller werde bis zur vollständigen Minderung des Betrages nur die Hälfte der ohne die Minderung zustehenden Leistung ausgezahlt. Die Höhe des Abzuges von der täglichen Leistung betrage 21,29 EUR. Die Anrechnung beginne am 3. August 2004 und sei (voraussichtlich) mit Ablauf des 12. Oktober 2004 beendet. Der Widerspruch, mit dem der Antragsteller geltend machte, dass nach dem Gesetz im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses die Meldung "frühestens" drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen habe, die "Umdeutung" von "frühestens" in "spätestens" mithin eine Gesetzesumgehung seitens der Antragsgegnerin darstelle, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 2. März 2005). Über die Klage ist noch nicht entschieden (Sozialgericht Darmstadt S 11 AL 125/05).

Bereits am 27. Januar 2005 hatte der Vermieter des Antragstellers beim Amtsgericht A-Stadt Klage (302 C 11/05) wegen Räumung von Wohnraum und ausstehenden Mietzins erhoben und beantragt, den Antragsteller zu verurteilen, die von ihm innegehaltene Wohnung zu räumen und alle übergebenen Schlüssel an den Vermieter herauszugeben sowie an diesen 3.600,- EUR nebst Zinsen zu zahlen.

Insbesondere unter Hinweis auf diese Räumungsklage hat der Antragsteller am 15. März 2005 beim Sozialgericht Darmstadt (SG) beantragt, die bei ihm vorgenommene Minderung seines Arbeitslosengeldes in Höhe von 1.500,- EUR unverzüglich rückgängig zu machen. Durch Beschluss vom 24. März 2005 hat das SG den Antrag abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe keinen Anordnungsgrund, wie er von § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gefordert werde, glaubhaft gemacht. Zwar werde am 29. März 2005 im Verfahren vor dem Amtsgericht über die Klage des Vermieters wegen Räumung von Wohnraum und ausstehendem Mietzins verhandelt. Offen sei allerdings, ob an diesem Tag überhaupt eine Entscheidung verkündet werde, da die zweimonatige "Schonfrist" noch nicht verstrichen sei. Auch für den Fall, dass der Vermieter ein obsiegendes Urteil erhalten würde, könnte der Vermieter daraus erst nach Zustellung des Urteils und (danach) der Beauftragung des Gerichtsvollziehers vollstrecken. Erfahrungsgemäß beanspruche dies den Zeitraum von mindestens einem bis zwei Monaten, so dass Wohnungslosigkeit des Antragstellers derzeit nicht zu befürchten sei. Nach telefonischer Rücksprache mit dem Amtsgericht werde im Regelfall eine Nachfrist von Amts wegen gesetzt, die auch im Falle eines Räumungsvergleichs eingeräumt werde. Der Antragsteller, der nach eigenen Angaben derzeit weder Arbeitslosengeld beziehe noch bislang bei dem Zentrum für Arbeit und Existenzsicherung einen Antrag auf Arbeitslosengeld II gestellt habe, könne in der Zwischenzeit bei dem zuständigen Amt für Wohnungswesen einen Antrag auf Übernahme der rückständigen Mietschulden stellen. Da derzeit eine Räumung nicht zu befürchten sei, sei der Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht und der Antrag daher abzulehnen.

Gegen diesen ihm am 29. März 2005 zugestellten Beschluss richtet sich die am 11. April 2005 eingegangene Beschwerde des Antragstellers, der das SG nicht abgeholfen hat (Verfügung vom 18. April 2005). Er trägt vor, dass er die Mieten für Februar, März und April 2005 noch bezahlt habe. Er habe 2.000,- EUR Kredit von seinem Arbeitgeber erhalten und 500,- EUR Lohnvorschuss. Davon habe er 2.400,- EUR bezahlt. Jetzt sei es so, dass er bis zum 14. April 2005 die zwei mal 800,- EUR plus 400,- EUR = 2.000,- EUR auftreiben müsse, weil er sonst seine Wohnung verliere. Er selbst habe noch 300,- EUR auf der Bank und seine Armbanduhr sei sicherlich noch 200,- EUR wert. Also fehlten ihm noch 1.500,- EUR. Am 14. April 2005 erklärte der Kläger, dass er als Anordnungsgrund auch die "Sicherung des Rechtsfriedens" geltend mache. Die Antragsgegnerin beziehe sich in ihrer Handlung auf den negierten Gesetzestext, was Unrecht sei. Mit Schriftsatz vom 21. Mai 2005 teilte der Antragsteller mit, dass er bis Mai alle Mieten habe auftreiben können. Die Mai-Miete sei aber wegen einer Pfändung in Höhe von weniger als 600,- EUR nicht an die Vermieterin weiter gegeben worden. Damit schulde er diese Miete, wenn er "kein Verrechnungsrecht" habe, wie er es "als negativ Maximalvemutung" befürchte. Er verliere dann evtl. seinen "Mietvertrag" und die Räumungsklage gehe durch.

Der Antragsteller beantragt, den Beschluss des Sozialgerichts A-Stadt vom 24. März 2005 aufzuheben und die Antragstellerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, an ihn unverzüglich den Kürzungsbetrag in Höhe von 1.500,- EUR auszuzahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf die den angefochtenen Beschluss tragenden Gründe.

Im Übrigen wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist begründet. Das SG hat zu Unrecht die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung verneint.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist vorliegend gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG statthaft. Er ist zwar grundsätzlich subsidiär, soweit ein Fall des § 86 b Abs. 1 SGG vorliegt, einstweiliger Rechtsschutz demgemäß vor allem in Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, durch Anordnung der aufschiebenden Wirkung gewährt wird. Um einen derartigen Fall handelt es sich vorliegend indes nicht. Durch den Bescheid vom 8. Dezember 2004 hat die Antragsgegnerin nicht in eine bereits bestehende Rechtsposition, etwa durch Beschränkung oder Entzug einer bereits gewährten Leistung eingegriffen, sondern eine Rechtsposition, wenn auch beschränkten Umfangs, erst geschaffen. In der Hauptsache wäre daher nicht eine bloße Anfechtungsklage zu erheben, sondern die höhere Leistung mittels einer Verpflichtungsklage als Sonderfall der Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG geltend zu machen. In derartigen Fällen kann einstweiliger Rechtsschutz nur durch Erlass von einstweiligen Anordnungen gewährt werden (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, §86 b Rdnr.24).

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der die Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus. Beide sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen.

Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-Ladewig, a.a.O., Rdnrn. 27 und 29 m.w.N.): Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 ? 1 BvR 569/05).

Ausgehend von diesen Grundsätzen war dem Antrag des Antragstellers zu entsprechen, in seinem Fall geht der Senat davon aus, dass die zulässige Klage im Hauptsacheverfahren Erfolg haben wird.

Die Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld sind dem Grunde nach erfüllt, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist. Der Antragsteller war jedenfalls in dem Zeitraum vom 3. August 2004 bis zum 12. Oktober 2004 arbeitslos, er hatte sich arbeitslos gemeldet und auch die Anwartschaftszeit erfüllt (§ 117 Abs. 1 SGB III in der vorliegend noch anwendbaren Fassung des Art. 1 des Arbeitsförderungs- Reformgesetzes vom 24. März 1997 ? BGBl. I S. 594). Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist eine Minderung des Arbeitslosengeldes wegen verspäteter Meldung gemäß § 140 i.V.m. § 37 b SGB III ? beide Vorschriften eingeführt mit Wirkung vom 1. Juli 2003 durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2002 (BGBl. I S. 4607) ? nicht eingetreten. Sie hat deshalb zu Unrecht das dem Antragsteller zustehende Arbeitslosengeld um den Betrag von 1.500,- EUR gemindert.

Die Minderung des Arbeitslosengeldes wäre nur dann rechtens, wenn sich der Antragsteller entgegen § 37 b SGB III nicht unverzüglich arbeitsuchend gemeldet hätte. Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind Personen, deren Versicherungspflichtverhältnis endet, verpflichtet, sich unverzüglich nach Kenntnis des Beendigungszeitpunkts persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden. Im Falle eines befristeten Arbeitsverhältnisses hat die Meldung jedoch "frühestens" drei Monate vor dessen Beendigung zu erfolgen (§ 37 b Satz 2 SGB III). Diese Voraussetzungen sind nicht zu Lasten des Antragstellers erfüllt.

Entgegen dem Gesetzeswortlaut legt die Antragsgegnerin die maßgebliche Vorschrift des § 37 b SGB III dahingehend aus, dass bei befristeten Arbeitsverhältnissen mit einer Dauer von länger als drei Monaten die Meldung "spätestens" drei Monate vor Beendigung zu erfolgen habe. Diese Auslegung erscheint aber auch mit Blick auf die Gesetzesmaterialien nicht zwingend. In der Begründung zum Gesetzesentwurf heißt es nur, dass bei befristeten Arbeitsverhältnissen die Meldung nicht früher als drei Monate vor Ablauf des Arbeitsverhältnisses erfolgen solle (Bundestags-Drucksache 15/25 zu Nr. 6, S. 27). Zwar dürfte davon auszugehen sein, dass dem Gesetzgeber bei der Formulierung des Gesetzeswortlauts ein Fehler unterlaufen ist und er "spätestens" statt "frühestens" hat formulieren wollen (so auch das SG Gießen, Urteil vom 14. Februar 2005 ? S 20/14 AL 674/04), dies hat indes im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden. Die Bundesregierung hat deshalb eingeräumt, dass § 37 b SGB III missverständlich ausgelegt werden könne. Es werde deshalb geprüft, ob den Gesetzgebungsorganen eine Änderung und damit einhergehend eine neue Formulierung der Vorschrift vorgeschlagen werden sollte, die nicht missverstanden werden könne (vgl. Bundestags-Drucksache 15/4459 vom 3. Dezember 2004). Zwischenzeitlich hat auch die Bundesregierung mit der Vorlage des Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Änderung des SGB III und anderer Gesetze (vgl. BR-Drucks. 320/05) eine Änderung der Vorschrift des § 37 b SGB III vorgeschlagen. Danach sind Personen, deren Arbeits- und Ausbildungsverhältnis endet, verpflichtet, sich spätestens drei Monate vor dessen Beendigung arbeitsuchend zu melden; liegen zwischen der Kenntnis des Beendigungszeitpunktes und der Beendigung des Arbeits- und Ausbildungsverhältnises weniger als drei Monate, so hat die Meldung innerhalb von drei Tagen nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes zu erfolgen.

Es kann vorliegend dahingestellt bleiben, ob die geltende Fassung des § 37 b Satz 2 SGB III im Hinblick auf seinen nicht eindeutigen Regelungsgehalt eine geeignete Grundlage für einen verfassungsmäßigen Eingriff in den Anspruch auf Arbeitslosengeld, das durch Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich Schutz genießt, sein kann (verneinend SG Gießen a.a.O.; SG Mannheim, Urteil vom 3. März 2005 ? S 5 AL 3437/04; SG Stuttgart, Urteil vom 26. Januar 2005 ? S 15 AL 6053/04). Jedenfalls fehlt es am Verschuldenserfordernis. Denn Voraussetzung für den Eintritt einer Minderung nach § 140 SGB III ist in jedem Fall ein Verschulden. Der Begriff der Unverzüglichkeit der Meldung in dieser Vorschrift und in § 140 SGB III orientiert sich an § 121 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Danach bedeutet unverzüglich "ohne schuldhaftes Zögern" (vgl. Gagel-Winkler, SGB III, § 37 b Rdnr. 5).

Vorliegend kann dem Antragsteller kein Verschuldensvorwurf im Sinne von Fahrlässigkeit oder Vorsätzlichkeit gemacht werden, wenn er § 37 b Satz 2 SGB III seinem Wortlaut entsprechend verstanden hat. Aufgrund dessen konnte er der Ansicht sein, sich nicht spätestens - wie die Antragsgegnerin meint - drei Monate vor Ende des Arbeitsverhältnisses arbeitsuchend melden zu müssen. Von einem juristisch nicht vorgebildeten Bürger kann nämlich nicht erwartet werden, den Wortlaut des Gesetzes zu negieren und diesem einen entgegengesetzten Sinn zu geben.

Entgegen der Auffassung des SG ist vorliegend auch ein Anordnungsgrund zu bejahen. Vor dem Hintergrund, dass ein für den Antragsteller erfolgreiches Hauptsacheverfahren zu erwarten ist, sind an den Anordnungsgrund ? wie ausgeführt ? keine besonders hohen Anforderungen zu stellen. Die Kündigung seiner Wohnung und die Räumungsklage seines Vermieters begründen eine gegenwärtige Notlage, deren Hinnahme dem Antragsteller nicht angesonnen werden kann. Auch erscheint es unzumutbar, unter den gegebenen Umständen, den Antragsteller auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) zu verweisen. Ein derartiger Verweis kommt im Verhältnis von Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II nicht in Betracht. Er ist bereits vom erkennenden Senat im Verhältnis von der damaligen Arbeitslosenhilfe zur Sozialhilfe verneint worden (Beschluss vom 14. September 2004 ? L 10 AL 98/04 ER ? Info also 2004, 246) und erst recht ausgeschlossen, wenn der Antragsteller im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Zahlung einer Versicherungsleistung geltend macht, die dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG unterfällt.

Schließlich steht der begehrten Anordnung auch nicht entgegen, dass der Antragsteller Leistungen für die Vergangenheit geltend macht. Zwar scheiden nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats Anordnungen grundsätzlich aus, die sich auf einen Zeitraum vor Antragstellung bei Gericht beziehen (Beschluss vom 15. Juni 2005 ? L 7 AS 10/05 ER). Es kann dahin gestellt bleiben, ob dieser Grundsatz, der für die Sozialhilfe und andere bedürftigkeitsabhängige Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entwickelt worden ist, auch für die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld gilt. Eine rückwirkende Gewährung von Leistungen kommt jedenfalls dann in Betracht, wenn der Antragsteller einen besonderen Nachholbedarf glaubhaft macht oder die Nichtgewährung in der Vergangenheit in die Gegenwart fortwirkt und eine gegenwärtige Notlage bewirkt (vgl. Berlit, Info also 2005, 3, 11 mit Nachweisen aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Sozialhilfe). Davon ist vorliegend auszugehen, weil ein (teilweise) unbefriedigt gebliebener Gläubiger, der Vermieter des Antragstellers, die Räumungsklage angestrengt hat und der Antragsteller den Verlust seiner Wohnung befürchten muss.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

RechtsgebietArbeitslosenversicherung SGB IIIVorschriften§ 37b SGB III

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