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12.08.2005 · IWW-Abrufnummer 052328

Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 27.01.2005 – 3 K 40/01

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Im Namen des Volkes
Urteil
Az. 3 K 40/02
Im Finanzrechtsstreit
XXX, Kläger
Prozessbevollmächtigte/r: XXX
gegen
Finanzamt, Beklagter
wegen Haftung für Umsatzsteuer der KG und Zinsen für 1989-1994
hat der 3. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg - aufgrund der mündlichen Verhandlung - in der Sitzung vom 27. Januar 2005 durch


Vorsitzenden Richter am Finanzgericht XXX
Richter am Finanzgericht XXX
Richterin am Finanzgericht XXX
ehrenamtliche Richter XXX

für R e c h t erkannt:

1. Der Haftungsbescheid vom 12. Juli 2001 betreffend die Umsatzsteuerrückstände der KG sowie darauf bezogene Zinsen nach § 233 a AG und Hinterziehungszinsen wird aufgehoben, soweit er nach dem Bescheid vom 18. Januar 2005 noch wirksam ist.
2. Der Bescheid vom 18. Januar 2005 wird aufgehoben, soweit er über die Teil
rücknahme des Haftungsbescheids vom 12. Juli 2001 hinausgeht.
3. Das beklagte Finanzamt trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Das Finanzamt kann
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des mit Kostenfestsetzungsbeschluss errechneten Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids, mit dem der Kläger auf der Grundlage des § 71 der Abgabenordnung (AO) wegen Teilnahme an der Hinterziehung von Umsatzsteuer zum Vorteil seines Arbeitgebers in Anspruch genommen wird.

Der Kläger war in den Streitjahren (1989-1994) Leiter des Einkaufs und Prokurist der KG (im Folgenden: KG), einem Unternehmen, dessen Gegenstand der Fahrzeugbau war und das aufgrund von Steuernachforderungen in Millionenhöhe im Jahr 2001 ihre Tätigkeit eingestellt hat, nachdem ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels einer die Kosten deckenden Masse abgewiesen worden war.

An der KG waren in den Jahren 1989-1994 die KG Verwaltungs-GmbH (als Komplementärin ohne Kapitalanteil) sowie B, X und - zeitweise - Y (als Kommanditisten) beteiligt. Geschäftsführer der. Komplementär-GmbH waren der im April 1994 verstorbene B (einzelvertretungsberechtigt) sowie die Herren P1 und P2 (mit Vertretungsmacht zu zweien).

Nach den -- insoweit vom Kläger nicht bestrittenen -- Feststellungen der SteuerfahndungssteIle des Finanzamts (Steufa) hat die KG in den Jahren 1989-1994 in großem Umfang Reifen an einen Herrn FK verkauft, ohne die entsprechenden Lieferungen in ihrer Buchführung zu erfassen. Die Lieferungen wurden durch die Spedition aus abgewickelt; sie erfolgten jeweils ohne Rechnung und gegen Barzahlung, die einige Tage nach der jeweiligen Lieferung durch FK an 'B stattfand. Die Steufa ermittelte die Höhe der nicht der Umsatzsteuer unterworfenen Umsätze aus dem Reifenverkaufanhand der als Wareneinkauf verbuchten Reifen und der für Reifen durchschnittlich erzielten Preise auf

1.316.598 DM (1989)
1.132.380 DM (1990)
1.502.145 DM 1991)
866.760 DM (1992)
677.460 DM (1993)
7.000 DM (1994)

Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die anhand der Frachtpapiere erfolgte Zusammenstellung der Einzellieferungen (vgl. Fach 2 Blatt 13 ff. des Ermittlungsordners) Bezug genommen.
Die Strafverfolgungsbehörden gehen davon aus, dass B der Hauptverantwortliche für diese Schwarzgeschäfte und die damit in Zusammenhang stehende Steuerhinterziehung war, dass daran aber auch andere Mitarbeiter der KG beteiligt waren. Gegen den Kläger wurde allerdings bis heute ein Strafverfahren nicht eingeleitet.

In Auswertung der Erkenntnisse der Steufa erließ das für die Besteuerung der KG' zuständige Finanzamt (FA) für die Streitjahre u. a. am 07.06.2001 Umsatzsteueränderungsbescheide. Ein dagegen namens der KG eingelegter Einspruch wurde durch -- in der Folgezeit nicht angefochtene -- Einspruchsentscheidung vom 09. November 2001 als unbegründet zurückgewiesen.

Das FA ist zu der Auffassung gelangt, dass auch der Kläger als Täter an dieser fortgesetzten Steuerhinterziehung' beteiligt war, weil er in den Streitjahren die Umsatzsteuervoranmeldungen im Bewusstsein dessen unterzeichnet habe, dass die darin enthaltenen Angaben unrichtig sind. Hierzu hatte es die in der KG sichergestellten -- nur teilweise unterzeichneten -- Zweitschriften der Umsatzsteuervoranmeldungen der Jahre 1987 bis 1995 sowie die bei der Behörde vorliegenden Umsatzsteuervoranmeldungen 1997 und die ebenfalls vorliegenden Lohnsteueranmeldungen der Jahre 1991 bis 1995 ausgewertet (vgl. Sonderakten USt-Voranmeldungen - LSt-Voranmeldungen). Hinsichtlich der subjektiven Tatseite stützt sich das FA auf die Angaben, die der Kläger bei seiner Zeugenvernehmung in der Strafsache gegen B Bund P1 am 15. März 2001 gemacht hat. Damals hat er u. a. bekundet, dass Herr B ab Ende der 80iger Jahre den Reifeneinkauf über den Bedarf der eigenen Produktion hinaus forciert habe. In den Fällen, in denen die Spedition die Reifen zur Weiterlieferung abgeholt hat, seien die Lieferscheine von Herrn L (dem Lagerverwalter) auf Anweisung von Herrn B ohne Adressat ausgefüllt worden, wobei er -- der Kläger -- gewusst habe, dass es sich um Weiterverkäufe an die Firma FK handelte. Er habe die Lieferscheine an Herrn B persönlich weitergegeben, wobei ihm klar gewesen sei, dass die Bezahlung zwischen den Herren FK und B direkt geregelt werde; im Detail habe er jedoch nicht gewusst, was davon in die Buchführung einging. Obwohl ihm klar gewesen sei, dass der Weiterverkauf an die Firma FK teilweise schwarz erfolgte, habe er als Angestellter keinen Einfluss auf dieses "Nebengeschäft" des Herrn B gehabt. Nach dessen Tod sei der Reifenhandel umgehend eingestellt worden, allenfalls seien bereits angelaufene Geschäfte noch in der bis dahin üblichen Weise abgewickelt worden. Für sein Schweigen über diese Geschäfte habe er weder Geld noch sonstige Vorteile erhalten. Wegen aller Einzelheiten der Aussage wird auf die als Anlage zur Klageschrift vorgelegte Niederschrift über diese Vernehmung (vgl. BI. 8 der Prozessakte) Bezug genommen.

Aufgrund dessen hat das FA neben Franz P1 am 12. Juli 2001 auch den Kläger, nicht aber auch die Erben nach B, auf der Grundlage der §§ 191, 71, 370 AO für Umsatzsteuer der KG sowie Zinsen nach § 233 a AO und Hinterziehungszinsen hierzu in Höhe von insgesamt 1.246.850,50 DM in Haftung genommen. Die Inanspruchnahme des Klägers hat es über die Darlegung des Haftungstatbestands hinaus damit begründet, dass eine Erhebung der Beträge bei der Steuerschuldnerin nach den im Insolvenzverfahren der KG gewonnenen Erkenntnissen aussichtslos sei, seine -- des Klägers -- Inanspruchnahme aufgrund des Grads seines Verschuldens und der bei seinem Verhalten aufgewendeten kriminellen Energie angemessen sei und dass außer !hm auch der Geschäftsführer P1 als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werde.

Gegen diesen Haftungsbescheid hat der Kläger am 16. Juli 2001 Einspruch einlegen lassen. Er habe keine Kenntnis der tatsächlichen Höhe der Umsatzsteuerschuld gehabt; eine entsprechende Kenntnis bei seiner Vernehmung durch die Steufa auch nicht eingeräumt. Nachdem das .FA über den Einspruch bis dahin nicht entschieden hatte, hat der Kläger am 07. Februar 2002 unter Hinweis auf § 46 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Klage erhoben (vgl. ABI. 2 ff.).
Es könne ihm für keinen Voranmeldungs-Zeitraum ein objektiver Tatbeitrag zu den streitbefangenen Hinterziehungen nachgewiesen werden. Nur wenige der bei der KG sichergestellten Zweitschriften der Umsatzsteuervoranmeldungen trügen seine Unterschrift; dass gerade diese Voranmeldungen unrichtig seien, sei nicht dargetan. Überhaupt sei nicht nachgewiesen, dass und ggf. welche Voranmeldungen unrichtig gewesen sind. Ausweislich der Vernehmung des FK vom 28.06.2001 (der Kläger beruft sich auf Blatt 2 der hierüber gefertigten Niederschrift; vgl. Fach VIII Blatt 33 des Ermittlungsordners) seien ab 1992 von der KG Rechnungen über die Reifenlieferungen gestellt worden. Selbst wenn jedoch von ihm unterschriebene Voranmeldungen objektiv unrichtig gewesen sein sollten, sei seine Inanspruchnahme rechtswidrig. Denn er habe insoweit nicht vorsätzlich gehandelt. Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass er sich durch seine Unterschriftsleistung unter den Voranmeldungen möglicherweise strafbar oder haftbar gemacht haben' könne, sondern dies als bloße Formalität angesehen, weil zwei Unterschriften erforderlich gewesen seien. Er habe diese Unterschriften auf entsprechende Aufforderung hin geleistet, ohne je zuvor eine Überprüfung der Richtigkeit vorgenommen zu haben, was ihm mangels Zugangs zu den zugrunde gelegten Zahlen auch gar nicht möglich gewesen sei. Wenn er an lässlich seiner Vernehmung geäußert habe, dass ihm "klar war, dass der Weiterverkauf der Reifen an die Firma FK zum Teil schwarz erfolgte ..." , dann habe es sich dabei letztlich um eine Vermutung gehandelt, welche sich aus einer Verdichtung in diese Richtung weisender Begleitumstände ergeben habe; konkretes positives Wissen habe er diesbezüglich nicht gehabt. Dass Schwarzgelder vereinnahmt worden sind, habe er erst im Zusammenhang mit der Erkrankung und dem Ableben des B Ende '1993 oder Anfang 1994 erfahren. Die Weitergabe der Lieferscheine an B habe er nicht als Tatbeitrag im Sinne einer Beihilfe zu einer ungesetzlichen Handlung angesehen; abgesehen davon würde auch eine etwaige Weigerung die Fortsetzung der Schwarzgeschäfte nicht verhindert haben.

Wegen aller Einzelheiten des Vorbringens des Klägers wird auf die Schriftsätze seines Prozessbevollmächtigten 05. Februar 2002 sowie vom 22. Dezember 2004 verwiesen.

In einem geänderten Haftungsbescheid vom 18. Januar 2005 hat das FA die Haftungsinanspruchnahme des Klägers auf die Umsatzsteuer der Jahre 1991 bis 1994 sowie Zinsen hierzu beschränkt, um der für die davor liegenden Zeiträume (1989 und 1990) eingetretenen Verjährung Rechnung zu tragen. Außerdem hat es den Haftungsbetrag auf 80 % der ursprünglich geltend gemachten Beträge begrenzt und mit insgesamt 227.536,33 ? ausgewiesen.

Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid vom 12. Juli 2001 betreffend die Umsatzsteuerrückstände der KG sowie darauf bezogene Zinsen nach § 233 a AG und Hinterziehungszinsen aufzuheben, soweit er nach dem Bescheid vom 18. Januar 2005 noch wirksam ist, und ferner den Bescheid vom 18. Januar 2005 aufzuheben, soweit darin Haftungsschulden festgesetzt sind.

Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Kläger sei zumindest als Gehilfe bei den Steuerhinterziehungen des Haupttäters B aufgetreten. Strafbar~ und zu einer Haftung nach § 71 AG führende Beihilfe zur Steuerhinterziehung eines anderen setze nicht voraus, dass der Gehilfe die Haupttat in allen Einzelheiten kennt; ausreichend sei vielmehr die Kenntnis der wesentlichen Merkmale der Haupttat sowie -- in objektiver Hinsicht -- ein Tatbeitrag, der geeignet ist, die fremde Haupttat zu fördern und zu erleichtern. Angesichts seiner leitenden Funktion in den Bereichen Wareneinkauf und Materialwirtschaft sei es völlig ausgeschlossen, dass der Kläger von den unversteuert gebliebenen Lieferungen an die Fa. FK nichts gewusst habe. Auch wenn er diesbezüglich in die Einzelheiten der von dem damaligen Geschäftsführer B abgewickelten Schwarzlieferungen nicht eingeweiht gewesen und über deren Umfang letztlich im Unklaren geblieben sein sollte, müsse ihm bewusst gewesen sein, dass die für die Schwarzlieferungen ausgestellten, von ihm selbst an Herrn B weitergeleiteten und von diesem persönlich abschließend bearbeiteten Lieferscheine der Ausführung unversteuerter Umsätze gedient hätten. Es müsse ihm deshalb auch klar gewesen sein, das~ die von der Steuerberatungsgesellschaft der KG in den UStVoranmeldungen ausgewiesenen Zahlen diese Umsätze nicht enthalten konnten, weshalb er mindestens für möglich gehalten haben müsse, dass infolge der von ihm mitunterschriebenen USt-Voranmeldungen Umsatzsteuer verkürzt wurde.

In der Streitsache haben am 16. November 2004 ein Erörterungstermin und am 27. Januar 2005 eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Wegen aller Einzelheiten dieser gerichtlichen Termine -- insbesondere auch der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Anhörung des Klägers -- wird auf die hierüber gefertigten Niederschriften verwiesen. Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren außer den den Kläger betreffenden Haftungsakten auch ein Band Sonderakten "USt-Voranmeldungen - LSt-Voranmeldungen", ein Ermittlungsordner A sowie die Steuerakten der KG. Der Prozessbevollmächtigten des Klägers hat am 29. November 2004 Einsicht in diese Akten genommen.

Entscheidunasaründe
Die Klage ist auch ohne Abschluss des durch den Einspruch des Klägers am 16. Juli 2001 eingeleiteten Vorverfahrens nach § 46 Abs. 1 FGO zulässig, nachdem das FA über diesen Einspruch in der Folgezeit nicht entschieden hat.

Sie richtet sich auch weiterhin gegen den Haftungsbescheid vom 12. Juli 2001, der durch den "geänderten Haftungsbescheid" vom 18. Januar 2005 nicht ersetzt wurde. Das Gericht geht ungeachtet des durch Formulierungen im Bescheid vom 18. Januar 2005 erweckten gegenteiligen Anscheins davon aus, dass Regelungsinhalt dieses Bescheids nicht die nochmalige Festsetzung der darin erwähnten Ansprüche, sondern die partielle Rücknahme des Bescheids vom 12. Juli 2001 ist, der eine Haftungsinanspruchnahme für weitere Ansprüche festsetzte. Dieses Verständnis wird durch die Korrekturvorschriften der AO nahe gelegt und findet durch die Erwähnung des § 131 AO als angewendeter Korrekturnorm einen ausreichenden Anhalt.

Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Haftungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist daher aufzuheben.

1. Der Kläger mag zwar an einer von B und anderen begangenen Steuerhinterziehung zum Vorteil der KG mitgewirkt und dadurch auch den in § 71 AO normierten Haftungstatbestand verwirklicht haben. Sofern und soweit er in den Jahren 1991 bis 1994 als einer von zwei Zeichnungsberechtigten die -- fehlerhaften -- UmsatzsteuerVoranmeldungen der KG unterzeichnet hat, spricht alles dafür, dass er die dadurch bewirkten Steuerverkürzungen auch strafrechtlich mitzuverantworten hat. Die Behauptungen,
. er habe seine Unterschrift als bloße Formalität angesehen,
. er habe diese auf Aufforderung hin geleistet, ohne je eine Überprüfung der Richtigkeit vorgenoml1)en zu haben,
. eine Überprüfung der den Voranmeldungen zugrunde liegenden Zahlen sei ihm
mangels Zugangs zu diesen Zahlen auch gar nicht möglich gewesen,
. es sei ihm nicht bewusst gewesen, sich durch seine Unterschrift strafbar zu machen,
sind jedenfalls bei -- und sei es auch nur unvollkommener -- Kenntnis der Schwarzgeschäfte nicht geeignet, seine vorsätzliche Handlungsweise im Sinne eines dolus eventualis in Frage zu stelIen:

2. Der Senat braucht dies jedoch nicht abschließend zu beurteilen. Denn eine rechtmäßige Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner setzte darüber hinaus eine fehlerfreie Ermessensentscheidung (§ 191 Abs. 1 AO) voraus, an der es im Streitfall fehlt. Das FA hat in dem angefochtenen Haftungsbescheid keine Ausführungen zu einer Inanspruchnahme ,der Erben nach B gemacht. Dass es seinerzeit diesbezügliche Erwägungen angestellt hätte, ist nicht erkennbar. Unter den vorliegenden Umständen waren solche Erwägungen und deren Darlegung im Haftungsbescheid jedoch geboten. Ihr Fehlen führt zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids und dessen Aufhebung (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

a) Bei der Inanspruchnahme einer Person als Haftungsschuldner handelt es sich um eine Ermessensentscheidung (§ 191 Abs.1 AO), die nach § 102 FGO daraufhin zu überprüfen ist, ob der Haftungsbescheid deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lässt, muss die Ermessensentscheidung des FA begründet werden (vgl. § 121 Abs. 1 AO), anderenfalls sie im Regelfall fehlerhaft ist. Die bei der Ermessensausübung angestellten Erwägungen müssen sich -- soweit sie dem Adressaten des Bescheids nicht bereits bekannt sind -- aus der Entscheidung ergeben; dies gilt namentlich auch für das sog. Auswahlermessen, die ~rage also, welche Gründe bei mehreren als Haftungsschuldner in Betracht kommenden Personen gerade für oder gegen die Inanspruchnahme des jeweiligen Bescheidadressaten sprechen. Dabei sind die Anforderungen an die Ausführlichkeit der Darlegung der Ermessenserwägungen von den Umständen des Einzelfalles abhängig (ständige Rspr. des BFH, vgl. zuletzt die Entscheidung vom 20. Juli 2004 VII R 20/02, DStR 2005, 106).

In Anwendung dieser Grundsätze hat der BFH die Auffassung vertreten, dass im Falle der vorsätzlichen Steuerverkürzung oder einer Beihilfe dazu die Ermessensentscheidung im Sinne der Inanspruchnahme der hierfür verantwortlichen Personen vorgeprägt sei, und zwar nicht nur dem Grunde nach, sondern auch hinsichtlich der vollen Höhe des hinterzogenen Betrages; auf die nähere Darlegung der Ermessenserwägungen könne in solchen Fällen verzichtet werden (vgl. z. B. die BFH-Urteile vom 12. Januar 1988 VII R 74/84, BFH/NV 1988,692, vom 26. Februar 1991 VII R 3/90, BFH/NV 1991, 504 sowie zuletzt vom 21. Januar 2004 XI R 3/03, BFH/NV 2004, 1006). Allerdings ist er in seiner Entscheidung vom 21. Januar 2004 in eine Überprüfung der Ausübung des Auswahlermessens auch bei einem auf § 71 AO gestützten Haftungsbescheid eingetreten. Er hat deren Ergebnis im konkreten Fall mit der Erwägung gebilligt, dass neben dem Kläger auch der weitere wegen Teilnahme an der Steuerhinterziehung strafrechtlich belangte Geschäftsführer in Anspruch genommen worden sei; dass die Behörde von einer Inanspruchnahme des dritten Geschäftsführers abgesehen habe, sei gerechtfertigt gewesen, weil dieser nicht im operativen oder kaufmännischen Bereich eingesetzt gewesen sei (vgl. unter 11. 2. b. der Gründe; a. a. 0., S. 1008).

Der erkennende Senat vertritt im Anschluss daran die Auffassung, dass bei einer auf § 71 AO beruhenden Haftungsinanspruchnahme jedenfalls dann keine weiteren Ausführungen zum Auswahlermessen geboten sind, wenn außer dem Adressaten des Haftungsbescheids auch alle weiteren Personen, die den Haftungstatbestand in (mindestens) derselben Verschuldensform verwirklicht haben, in Anspruch genommen werden (ebenso das BFH-Urteil vom 24. November 1987 VII R 82/84, BFH/NV 1988, 206). Anders verhält es sich jedoch, wenn das FA einzelne Teilnehmer einer Steuerhinterziehung als Haftungsschuldner in Anspruch nimmt, andere, namentlich einen oder mehrere Hauptverantwortliche jedoch nicht. Für eine solche Vorgehensweise mag es im Einzelfall Gründe geben. Diese verstehen sich jedoch nicht von selbst. In Fällen dieser Art ist die Behörde deshalb verpflichtet, die Erwägungen, von denen sie sich bei dieser Auswahl hat leiten lassen, offen zu legen. Der Adressat muss erkennen können, warum die Behörde gerade ihn und nicht (auch) die anderen Tatbeteiligten in Anspruch genommen hat. Immerhin, beeinträchtigt das FA mit einer solchen Ermessensentscheidung den Gesamtschuldnerausgleich unter den mehreren Teilnehmern an einer Steuerhinterziehung (§ 44 AO i. V. m. § 426 Abs. 1 BGB). Es nimmt dem Zahlung leistenden
Haftungsschuldner die Möglichkeit, den oder die weiteren -- aber nicht durch Haftungsbescheid in Anspruch genommenen -- Teilnehmer der Steuerhinterziehung aus der übergegangenen Forderung in Anspruch zu nehmen (§ 426 Abs. 2 Satz 1 BGB).

b) Im Streitfall kam neben der Haftung des Klägers und derjenigen des ebenfalls in Anspruch genommenen P1 auch eine Haftung des bzw. der Erben nach dem im Jahr 1994 verstorbenen einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer und Gesellschafter der KG, B, in Betracht.

Nach den vom FA übernommenen Erkenntnissen der Steufa war B in erster Linie für die streitgegenständliche Steuerhinterziehung verantwortlich. Mit ihm kam der Kontakt zu dem Empfänger der Schwarzlieferungen, FK, zustande; nach seinem Versterben wurden diese Geschäfte von den Verantwortlichen der KG eingestellt. B hatte die gesamte Abwicklung der Schwarzgeschäfte auf Seiten der KG organisiert, insbesondere dafür gesorgt, dass die Lieferungen nicht aus der Buchführung der KG ersichtlich sind, den Kaufpreis -- von wenigen Ausnahmen abgesehen -- jeweils in bar auf Autobahnparkplätzen entgegengenommen und die (Jahres-)Steuererklärungen unterzeichnet, in denen die entsprechenden Schwarzumsätze nicht enthalten sind. Er hat sich dadurch in Bezug auf die Umsatzsteuer der KG der Steuerhinterziehung schuldig gemacht und somit den Haftungstatbestand des § 71 AO verwirklicht. Davon ging und geht auch das FA aus.

Demgegenüber lag der objektive Tatbeitrag des Klägers -- soweit ersichtlich und vom FA im angefochtenen Bescheid dargelegt -- in erster Linie in der Unterzeichnung der sachlich unrichtigen Umsatzsteuer-Voranmeldungen. Er mag zwar ebenso wie andere Bedienstete der KG auch nicht verbuchte und von ihm auch nicht erklärte Schwarzlöhne von B erhalten haben. Es kann jedoch ausgeschlossen werden, dass er auch nur annähernd in dem Umfang wie B von den Schwarzgeschäften profitiert hat; jedenfalls gibt es für eine solche Annahme für das Gericht keine Anhaltspunkte.

Wenn aber nicht nur der Kläger und der ebenfalls in Haftung genommene P1, sondern auch B den in § 71 AO normierten Haftungstatbestand erfüllt hat, und bei diesem nach Aktenlage der Schuldvorwurf außerdem deutlich schwerer wiegt als beim Kläger, lag es für das FA nahe, auch den oder die Erben nach B als weitere(n) Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen. Dies ist indessen nicht geschehen. Worauf dies beruht, ist dem Kläger nicht mitgeteilt worden. Der angefochtene Bescheid enthält keine Hinweise darauf, dass sich das FA mit dieser Frage überhaupt auseinandergesetzt hat und welche Erwägungen ggf. ausschlaggebend dafür gewesen sein könnten, ungeachtet seiner geringeren Schuld zwar den Kläger -- und daneben auch P1 --, nicht aber die Erben nach B in Haftung zu nehmen. Ausführungen dazu waren unter den im Streitfall gegebenen Umständen aber durchaus erforderlich (vgl. dazu oben unter 2. a letzter Absatz). Die Gründe für die Vernachlässigung der nahe liegenden Inanspruchnahme der Erben nach B durch das FA lagen jedenfalls nicht auf der Hand.

Insbesondere fehlte es hierfür nicht an einer tragfähigen Rechtsgrundlage. Diese ergibt sich aus § 45 AO i. V. m. dem von B zu Lebzeiten verwirklichten Haftungstatbestand des § 71 AO. Nach der vom BFH in ständiger Rechtsprechung zu §§ 1922 Abs. 1 BGB, 45 Abs. 1 Satz 1 AO vertretenen Auffassung, tritt der Gesamtrechtsnachfolger materiell und verfahrensrechtlich uneingeschränkt in die abgabenrechtliche Stellung des Rechtsvorgängers ein, soweit es nicht um höchstpersönliche Rechte oder Pflichten geht (vgl. das BFH-Urteil vom 20. März 2002 11 R 53/99, BStBl1i 2002, 441, m. w. N.). Das FA war demnach nicht gehindert, aufgrund des haftungsbegründenden Verhaltens des B Haftungsbescheide gegenüber dessen Erben zu erlassen.

Auch der Umstand, dass man seinerzeit keine Möglichkeiten zur Realisierung gegenüber den Erben etwa festzusetzender Haftungsschulden gesehen haben mag, brauchte dem Erlass entsprechender Haftungsbescheide nicht entgegenzustehen, zumal die Steufa Mitte des Jahres 2001 die Nachforschungen über den Verbleib im Ausland vermuteter Vermögenswerte des B noch nicht abgeschlossen hatte. Diese Nachforschungen konnten durchaus zur Feststellung bis dahin unbekannter Zugriffsmöglichkeiten, eine entsprechend verbesserte Erkenntnislage jedoch nur im Rahmen der dann noch offenen Verjährung zu einer Haftungsinanspruchnahme der Erben führen.

3. Da der nach den vorstehenden Ausführungen rechtswidrige Haftungsbescheid den Kläger in seinem Recht, nur aufgrund ermessensfehlerfreier Entscheidung als Haftungsschuldner für Steuerschulden eines anderen in Anspruch genommen werden zu dürfen, verletzt, ist er vom Finanzgericht aufzuheben (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Das FA ist allerdings nicht daran gehindert, über die Frage der Inanspruchnahme des Klägers unter Vermeidung des für die Aufhebung des Bescheids ursächlichen Ermessensfehlers in den Grenzen des seitens des Gerichts aufgehobenen -- zuvor bereits durch Teilrücknahme eingeschränkten -- Haftungsbescheids erneut zu entscheiden; der Ablauf der Festsetzungsverjährung ist insoweit nach § 171 Abs. 3a Satz 3 AO gehemmt (vgl. hierzu das BFH-Urteil vom 23. März 1993 VII R 38/92, BStBl1i 1993, 581). Dabei wird die Behörde auf die aktuelle Sach- und Rechtslage abstellen müssen und dabei auch zu berücksichtigen haben, dass es ihr heute aus Gründen der Festsetzungsverjährung nicht mehr möglich sein dürfte, die unterbliebene Haftungsinanspruchnahme der Erben B nachzuholen. Die unterbliebene Einbeziehung des von B hinterlassenen Vermögens in die Haftungsmasse und die darin liegende Beeinträchtigung der Möglichkeiten des als Haftungsschuldner u. a. in Anspruch genommenen Klägers, im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs (§§ 44 Abs. 1 Satz 1 AO, 426 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB) für an das FA geleistete Zahlungen einen Ausgleich (auch) aus dem Nachlass B erhalten zu können, wird hierbei zu dessen Gunsten zu berücksichtigen sein. Ausgeschlossen erscheint deshalb eine erneute -- ggf. betragsmäßig weiter beschränkte -- Inanspruchnahme des Klägers gleichwohl nicht.

4. Der auf den Bescheid vom 18. Januar 2005 bezogene Antrag des Klägers hat ebenfalls Erfolg. Zwar beschränkt sich dessen Regelungsinhalt nach der vom Senat vertretenen Auslegung auf eine Teilrücknahme des vorausgegangen Haftungsbescheids vom 12. Juli 2001 und belastet eine solche Teilrücknahme den Kläger nicht. Aufgrund der Bezeichnung als "geänderter Haftungsbescheid" sowie infolge des darin erfolgten Ausweises der Steuerbeträge, für die die Inanspruchnahme des Klägers weiterhin Bestand haben soll, erweckt der Bescheid jedoch den -- unzutreffenden -- Anschein, er stelle die Haftung des Klägers auf eine neue verfahrensrechtliche Grundlage. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse daran, diesen Schein zu beseitigen. Dies geschieht mittels der den Regelungsinhalt des Bescheids vom 18. Januar 2005 auf die (Teil-)Rücknahme beschränkenden Ausspruch zu Ziffer 2 des Tenors; diesem Teil der Tenorierung kommt allerdings nur klarstellende Bedeutung zu.

Da die Klage in vollem Umfang Erfolg hat, hat das FA die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 135 Abs. 1 FGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf den §§ 708 Nr. 11,711 ZPO i. V. m. § 151 Abs. 3 FGO.

Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der in § 115 Abs. 2 FGO abschließend genannten Zulassungsgründe vorliegt.

RechtsgebieteAbgabenordnung, UmsatzsteuerVorschriften§§ 45, 71, 131, 191 Abs. 1 AO; § 426 BGB

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