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12.08.2005 · IWW-Abrufnummer 052229

Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 20.04.2005 – 2 K 51/03


In dem Finanzrechtsstreit

1.

2.

- Kläger -

prozessbevollmächtigt:

gegen

Finanzamt

- Beklagter -

wegen Einkommensteuer 1998

hat der 2. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg in der Sitzung vom 20. April 2005 durch

Vorsitzenden Richter am Finanzgericht
Richter am Finanzgericht
Richter am Verwaltungsgericht
Ehrenamtliche Richter

für Recht erkannt:

1. Der Einkommensteueränderungsbescheid vom 13. Februar 2003 wird geändert.
Die Einkommensteuer 1998 wird auf 10.460 DM herabgesetzt.
Dies entspricht 5.348,09 ?. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Das Finanzamt trägt 9/10, die Kläger 1/10 der Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist für die Kläger hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Das Finanzamt kann die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe der für sie festgesetzten Kostenerstattung leisten.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Rechtsmittelbelehrung xxx

Tatbestand

Streitig ist die Steuerfreiheit eines vom Arbeitgeber zusätzlich zum Arbeitslohn gezahlten Zuschusses zu den Kosten der Betreuung eines Kindes in einem Kindergarten.

Die Kläger sind vom beklagten Finanzamt (FA) zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Die Klägerin ist in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten teilzeitbeschäftigt. Im Streitjahr 1998 zahlte der Prozessbevollmächtigte für den am 30. August 1991 geborenen Sohn Martin der Kläger einen Zuschuss i. H. v. 880 DM für dessen Betreuung in einem Kindergarten. Der Zuschuss wurde vom Arbeitgeber als nicht steuerpflichtig behandelt und demzufolge im Einkommensteuerbescheid 1998 der Kläger nicht als Arbeitslohn berücksichtigt.

Bei einer im Jahr 2003 beim Prozessbevollmächtigten durchgeführten Lohnsteuer- Außenprüfung wurde der für die Zeit von Januar 1998 bis August 1998 bezahlte Arbeitgeberzuschuss nach § 3 Nr. 33 Einkommensteuergesetz (EStG) i.V.m. Abschnitt 21 a der Lohnsteuer-Richtlinien als steuerpflichtiger Arbeitslohn beurteilt, weil das Kind das 6. Lebensjahr bereits im Jahr 1997 vollendet hatte. In dem im Anschluss an die Außenprüfung am 13. Februar 2003 nach § 172 Abs. 1Nr. 1 Abgabenordnung (AO) ergangenen Einkommensteueränderungsbescheid wurden die Einkünfte der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit demnach um 880 DM erhöht.

Zur Begründung der am 21. Februar 2003 erhobenen Sprungklage gemäß § 45 Finanzgerichtsordnung (FGO) lassen die Kläger folgendes vortragen: Gemäß § 3 Nr. 33 EStG sei als Voraussetzung für die steuerfreie Erstattung des Kindergartenbeitrags zu ermitteln, ob das Kind schulpflichtig sei oder nicht. Eine Auslegung auf das 6. Lebensjahr des Kindes, weil dies in den Richtlinien missverständlich dargestellt zu sein scheine, entspreche nicht dem Steuergesetzestext. Die Richtlinien entsprächen zwar fast dem Wortlaut des Schulgesetzes. Durch Satzumstellung werde der Richtlinienregelung nun aber ein ganz anderer Sinn gegeben. Im ersten Satz des Abschnitts 21 a der Lohnsteuerrichtlinie werde auch die Schulpflicht als Kriterium für die Steuerfreiheit der zusätzlichen Leistung genannt. Im folgenden werde die Schulpflicht nur beschrieben. Da die Rechtlinien jedoch eine gesetzliche Vorschrift nicht ersetzen könnten, sei für die Feststellung der Schulpflicht in jedem Fall § 73 des Schulgesetzes maßgeblich. Eine weitere Auslegung, z. B. auf das 6. Lebensjahr des Kindes, sei durch den Gesetzestext nicht gedeckt. Wäre im Übrigen das 6. Lebensjahr maßgeblich, so wären alle Eltern von Kindern benachteiligt, die im zweiten Halbjahr geboren worden seien, weil dann der Kindergartenbeitrag nicht erstattbar wäre. Die Sprungklage erscheine geboten, da im Anschluss an die Lohnsteuer-Außenprüfung bei einer Erörterung der Prüfungsfeststellungen mit dem Vorsteher des FA Einigkeit darüber bestanden habe, dass eine gerichtliche Klärung der Streitfrage notwendig sei. Um Zustimmung gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 FGO werde deshalb gebeten.

Die Klage beantragen,

den Einkommensteuer- Änderungsbescheid 1998 vom 13 Februar 2003 aufzuheben.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hat der Sprungklage am 19. März 2003 zugestimmt und auf das Klagevorbringen wie folgt erwidert: Abschnitt 21 a Abs. 3 der Lohnsteuer-Richtlinie stelle als allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung im Sinne von Artikel 108 Abs. 7 Grundgesetz eine gleichmäßige Auslegung und Anwendung von § 3 Nr. 33 EStG durch die Finanzämter sicher. Diese der Finanzverwaltung bindend vorgegebene Richtlinie knüpfte für die Frage des (noch) nicht schulpflichtigen Kindes im Sinne von 3 Nr. 33 EStG an die Vollendung des 6. Lebensjahrs an, mit dem auch nach dem Stichtagsprinzip des § 73 Abs. 1 des Schulgesetzes die Schulpflicht beginne. Die Richtlinienregelung sehe nicht vor, eine fehlende Schulpflicht bis zum tatsächlichen Besuch der Grundschule (im Jahre nach Vollendung des 6. Lebensjahrs) anzunehmen. Die Richtlinie regele vielmehr ? über das Stichtagsprinzip hinaus ? noch zugunsten der Steuerpflichtigen, dass für im zweiten Halbjahr das 6. Lebensjahr vollendende und noch nicht eingeschulte Kinder die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 33 EStG bis 31. Dezember dieses Jahres in Anspruch genommen werden könne. Offensichtlich solle nach dem Willen des Gesetzgebers über den 31. Dezember dieses Jahres hinaus keine Steuerfreiheit mehr in Frage kommen. In der von den Klägern vorgelegten Bescheinigung vom 8. Januar 2003 hat die Schule ? Grund ? und Hauptschule mit Werkrealschule ? in N bescheinigt, dass der Sohn der Kläger zum Schuljahr 1998/99 ordnungsgemäß in die erste Klasse eingeschult wurde. Zum Stichtag 30. Juni 1998 sei Martin 6 Jahre alt und somit (für ihm) nach § 73 Schulgesetz die ?Pflicht zum Besuch der Grundschule? zum September wirksam geworden.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist ohne Vorverfahren zulässig, da das FA innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift dem Gericht gegenüber zugestimmt hat (§ 45 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Die Klage ist zu einem überwiegenden Teil begründet.

Der angefochtene Einkommensteueränderungsbescheid ist rechtswidrig und deshalb erneut zu ändern. Denn das FA hat den der Klägerin vom Arbeitgeber für die Zeit von Januar bis Juli 1998 gewährten Zuschuss zu den Kosten der Betreuung ihres Kindes im Kindergarten zu Unrecht nicht nach § 3 Nr. 33 EStG als von der Steuer befreit beurteilt.

§ 3 Nr. 33 EStG bestimmt dass zusammen zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbrachte Leistungen des Arbeitgebers zur Unterbringung und Betreuung von nicht schulpflichtigen Kindern der Arbeitnehmer in Kindergärten oder vergleichbaren Einrichtungen steuerfrei sind. Streitig ist vorliegend allein, ob für den Sohn der Kläger die Schulpflicht bereits am 1. Januar 1998 begann. Ob ein Kind schulpflichtig ist, ist nach dem jeweiligen landesrechtlichen Schulgesetz zu beurteilen (vgl. z. B. von Beckerath in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Kommentar zum EStG, § 3 Nr. 33 Randnummer B 33/20; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zum EStG und Körperschaftsteuergesetz § 3 Nr. 33 EStG Anmerkung 6). Im Streitfall ist das Schulgesetz für Baden-Württemberg in der Fassung vom 1. August 1983 (Gesetzblatt Seite 397) maßgebend, da das Kind der Kläger seinen Wohnsitz in Baden-Württemberg hat (§ 72 Abs. 1 Schulgesetz). Nach dessen § 73 sind mit dem Beginn des Schuljahres alle Kinder, die bis zum 30. Juni des laufenden Kalenderjahres das 6. Lebensjahr vollendet haben, verpflichtet, die Grundschule zu besuchen. Nach § 26 des Schulgesetzes für Baden-Württemberg beginnt das Schuljahr am 1. August und endet am 31. Juli des folgenden Kalenderjahres. Der am 30. August 1991 geborene Sohn der Kläger hat nach dem 30. Juni 1997 sein 6. Lebensjahr vollendet. Er war folglich nach den landesrechtlichen Vorschriften verpflichtet, ab dem Schuljahr 1998/1999 die Grundschule zu besuchen. Dieses Schuljahr begann gemäß § 26 des Schulgesetzes rechtlich am 1. August 1998 tatsächlich mit dem Ende der Sommerferien im September 1998 (vgl. die hierüber erteilte Bescheinigung vom 8. Januar 2003 der Schule sowie § 2 der Verordnung des Kultusministeriums Baden-Württemberg über die Schulferien vom 20. November 1986, Gesetzblatt Seite 450). Das Kind war mithin bis Juli 1998 nicht schulpflichtig im Sinne des § 3 Nr. 33 EStG. Dies hatte die Steuerfreiheit des der Klägerin von ihrem Arbeitgeber gewährten, auf den Zeitraum von Januar bis Juli 1998 entfallenden Kindergartenzuschusses zur Folge.

Der Rechtsauffassung des FA. die Schulpflicht habe bereits am 1. Januar 1998 begonnen, da das Kind das Lebensjahr nach dem 30. Juni 1997 vollendet habe, kann nach den maßgeblichen landesrechtlichen Schulgesetz nicht gefolgt werden. Dabei wird nicht verkannt, dass die Rechtsmeinung des FA der Regelung in Abschnitt 21 a Abs. 3 Satz 2 der Lohnsteuer-Richtlinien entspricht. An diese norminterpretierende Verwaltungsanweisung sind die Steuergerichte jedoch grundsätzlich nicht gebunden (ständige Rechtsprechung z. B. Urteile des Bundesfinanzhofs ? BFH ? vom 19. Mai 2004 III R 29/03, BStBl II 2005, 77; vom 20. Oktober 1999 X R 69/96, BStBl II 2000, 259, mit weiteren Nachweisen). Das Gericht hält die in der Richtlinienregelung zum Ausdruck gekommene abstrakte Beurteilung der Frage, wann Kinder nicht schulpflichtig sind, für nicht geboten. Denn nach diesem Gesetzesverständnis wird der Beginn der Schulpflicht losgelöst von dem jeweiligen landesrechtlichen Schulgesetz einheitlich beurteilt. Die Schulpflicht und damit deren Beginn bestimmt sich jedoch ? wie ausgeführt ? allein nach dem Schulgesetz des jeweiligen Bundeslandes. Im Übrigen vermag das sich vorliegend nach der Richtlinienregelung ergebende Auslegungsergebnis nicht zu überzeugen. Denn das Kind wäre danach schon ab 1. Januar 1998 schulpflichtig, obwohl das Schuljahr und damit der tatsächliche Schulbesuch erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1998 begann.

Dieses Gesetzesverständnis findet auch keine Stütze im Wortlaut des § 3 Nr. 33 EStG. Maßgebend für die Auslegung einer gesetzlichen Vorschrift ist der in ihr zum Ausdruck gekommene, objektive Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut und den Sinnzusammenhang ergibt (ständige Rechtsprechung vgl. z. B. Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts ? BVerfG ? vom 17. Mai 1960 2 BvL 11/59, 11/60, BVerfG ? Entscheidungen (E) 11, 126, 13;, vom 9. November 1988 1 BvR 243/86, BVerfGE 79, 106; Urteil des BFH vom 20. Oktober 1999 X R 69/96, a. a. O). § 3 Nr. 33 EStG spricht nur von nicht schulpflichtigen Kindern, ohne die Schulpflicht nährt zu erläutern. Da nach dem Grundgesetz die Gesetzgebungszuständigkeit für das Schulwesen den Ländern zugewiesen wurde (Art. 70 Grundgesetz), ist davon auszugehen, dass es dem objektiven Willen des Gesetzgebers entsprach, die Frage des Bestehens einer Schulpflicht nach den landesrechtlichen Schulgesetzen zu beurteilen. Soweit die zur Auslegung des § 3 Nr. 33 EStG erlassene Verwaltungsanweisung ? wie hier dem Landesrecht entgegensteht, ist ihr sonach nicht zu folgen. Das Auslegungsergebnis des FA widerspricht auch dem Sinn und Zweck des EStG. Denn die Freistellung von Kindergartenzuschüssen des Arbeitgebers von der Einkommensteuer ist geboten, solange das Kind des Arbeitnehmers die Schule noch nicht besucht.

Die Klage hat sonach überwiegend Erfolg. Denn das Finanzamt hat den Kindergartenzuschuss für die Zeit von Januar 1998 bis Juli 1998 i. H. v. 770 DM zu Unrecht als steuerpflichtigen Arbeitslohn berücksichtigt. Das zu versteuernde Einkommen der Kläger ist deshalb um diesen Betrag zu vermindern.

Es ergibt sich folgende Steuerberechnung:

zu versteuerndes Einkommen 1998
laut angefochtenen Bescheid
vom 13. Februar 2003 66.695 DM

abzüglich gemäß § 3 Nr. 33 EStG
steuerfreier Kindergartenzuschuss 770 DM

zu versteuerndes Einkommen
1998 lt. Urteil 65.925 DM

Steuer nach Splittingtabelle 11.460 DM

abzüglich Ermäßigung nach § 34 f EStG 1.000 DM

festzusetzende ESt 1998 10.460 DM

Steuer laut angefochtenem Bescheid 11.684 DM

Klageerfolg 224 DM

beantragte Steuerminderung 11.428 DM

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 143 Abs. 1, 136 Abs. 1 FGO. Da der Klageantrag teilweise Erfolg hat, sind die Kosten des Verfahrens verhältnismäßig zu teilen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. v. m. §§ 708 Nr. 11, 709, 711 Zivilprozessordnung

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO vorliegen. Die hier allein streitige Rechtsfrage ist nach nicht reversiblem Landesrecht zu beurteilen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung nach § 94 a FGO, da der Streitwert 130,89 ? beträgt mithin 500 ? nicht übersteigt.

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