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17.05.2005 · IWW-Abrufnummer 051363

Amtsgericht München: Urteil vom 29.06.2004 – 345 C 12796/04

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


In dem Rechtsstreit XXX wegen Forderung

erschien bei Aufruf der Sache niemand.

Der Richter verkündete anliegenden Beschluss.

I. Der Rechtsstreit wird ausgesetzt.
II. Dem Bundesverfassungsgericht wird die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.07.2002 (BGBl. I S. 2674) in den Fällen, in denen der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug ohne Ausweis von Mehrwertsteuer erwirbt, mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Gründe:

Am XXX kam es auf der XXX in XXX zu einem Verkehrsunfall zwischen dem Pkw des Klägers einerseits und dem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Kraftfahrzeug mit dem amtl. Kennzeichen: XXX andererseits, durch den am Klägerfahrzeug ein wirtschaftlicher Totalschaden verursacht wurde. Zwischen den Parteien ist die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach gemäß §§ 823 Abs. 1 und 2 BGB, 7 Abs. 1 StVG, 3 Nr. 1 PflVG unstreitig.

Der Kläger hat vorprozessual zum Nachweis der Höhe seines Fahrzeugschadens ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben, aus dem sich ergibt, dass der Wiederbeschaffungswert seines Fahrzeugs vor dem Unfall EUR 23.000,-- und der Restwert nach dem Unfall EUR 10.000,--, jeweils inkl. 16 % Mehrwertsteuer, betragen hat. Auch diese beiden Werte sind der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitig. Streit besteht ausschließlich hinsichtlich der Frage, ob und inwieweit die im Brutto-Wiederbeschaffungswert enthaltene Mehrwertsteuer von der Beklagten zu erstatten ist.

Der Kläger verkaufte sein beschädigtes Altfahrzeug und erwarb am 18.02.2004 ein Ersatzfahrzeug zum Preis von EUR 17.000,--. In der Kaufurkunde wurde die Mehrwertsteuer nicht gesondert ausgewiesen. Die Rechnung trägt lediglich den Vermerk:

?Kein Umsatzsteuerausweis möglich gemäß § 25 a UStG?

Nach § 249 Satz 2 BGB in der bis zum 31.07.2002 geltenden Fassung hätte der Kläger als nicht vorsteuerabzugsberechtigter Privatmann Anspruch auf Erstattung des Fahrzeugschadens in Höhe von insgesamt EUR 13.000,-- gehabt, was der Differenz zwischen dem Brutto-Wiederbeschaffungswert vor dem Unfall und dem Brutto-Restwert nach dem Unfall entspricht.

Durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.07.2002 (BGBl I S. 2674) wurde der bisherige Satz 1 des § 249 zu Abs. 1; Satz 2 wurde zu Abs. 2, dem außerdem folgender weitere Satz angefügt wurde:

?Bei der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.?

Diese Fassung des Gesetzes ist auf alle Schadensersatzfälle anzuwenden, die sich ? wie der vorliegende ? nach dem 31.07.2002 ereignet haben. Unter Berufung auf diese Vorschrift verweigert die Beklagte die Zahlung der im Brutto-Wiederbeschaffungswert enthaltenen 16 %-igen Mehrwertsteuer in Höhe von EUR 3.172,41, da in der vom Beklagen vorgelegten Kaufrechnung keine Mehrwertsteuer ausgewiesen sei. Der Kläger vertritt dagegen unter Hinweis auf verschieden Stimmen in Literatur und Rechtsprechung (vgl. OLG Köln, DAR 2004, 148; Huber, NZV 2004, 105 ff.) die Auffassung, sein Fahrzeug sei zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ca. 4 ½ Jahre alt gewesen und derartigen Autos würden nur noch von Privatpersonen oder aber von Händlern bei Pauschalebesteuerung gemäß § 25 a UStG angeboten. Aus diesem Grund sei ein Ausweis der Mehrwertsteuer in der Rechnung gar nicht mehr möglich. Es lasse sich jedoch die Mehrwertsteuer auf die Händlerspanne in geschätzter Höhe von 2 % des Brutto-Wiederbeschaffungswerts in Abzug bringen, da Mehrwertsteuer gemäß § 25 a UStG allenfalls in dieser Höhe angefallen sein könne. Er verlangt infolgedessen mit der Klage Zahlung eines Betrages von EUR 2.712,41.

Die Frage, ob ein wirtschaftlicher Totalschaden ? und um einen solchen handelt es sich vorliegend, weil die prognostizierten Reparaturkosten höher sind, als der Unterschied zwischen Wiederbeschaffungs- und Restwert ? dem § 249 oder aber dem § 251 BGB unterfällt, wurde in Schrifttum und Rechtsprechung lange Zeit unterschiedlich behandelt. Während das Schrifttum überwiegend die Auffassung vertrat, ein wirtschaftlicher Totalschaden sei ein Fall der Kompensation gemäß § 251 (vgl. Geigel, der Haftpflichtprozeß, Kapitel 4 Randnr. 28; Palandt-Heinricht, BGB, § 251 Randnr. 12) hat der BGH diesen Fall in ständiger Rechtsprechung als Fall der Restitution gemäß § 249 behandelt. Zwar war dieser Streit in der Vergangenheit mehr oder weniger akademischer Natur, weil das Ergebnis in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle das gleiche war. Mit dem Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadenseratzrechtlicher Vorschriften gewann diese Auseinandersetzung jedoch an Bedeutung, weil § 251 keine Regelung enthält, die dem § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB in der seit 01.08.2002 geltenden Fassung entspricht. Würde man also den vorliegenden Fall als Kompensation gemäß § 251 sehen, dann würde der Kläger die Mehrwertsteuer in dem von ihm begehrten Umfang erhalten. Die herrschende Meinung lehnt jedoch inzwischen fast einhellig die Anwendung des § 251 BGB auf die Fälle des wirtschaftlichen Totalschadens ab. Soweit ersichtlich, hat der BGH diese Frage bisher, was den seit 01.08.2002 geltenden Rechtszustand betrifft, noch nicht entschieden. Da jedoch § 251 BGB nach seinem Wortlaut nur für den Fall der Unmöglichkeit der Wiederherstellung gilt und nach dem vom Kläger vorprozessual erholten und insoweit unbestrittenen Privatgutachten eine Reparatur des Fahrzeugs zu Kosten, die sich unterhalt des Wiederbeschaffungswerts bewegen, sogar möglich wäre, ist § 251 BGB unanwendbar, vielmehr handelt es sich um einen Fall der Restitution gemäß § 249 BGB. Dies bedeutet, dass der Kläger nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen kann. Allerdings schließt nach Abs. 2 Satz 2 der gleichen Vorschrift der erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit diese angefallen ist.

Unter Berufung auf diese Vorschrift verweigert die Beklagte dem Kläger die Erstattung der im Brutto-Wiederbeschaffungswert enthaltenen Mehrwertsteuer.

Dem Kläger, der nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist, ist indessen ein Schaden über den vollen Betrag entstanden. Der beschädigte Vermögensgegenstand hatte vor dem Unfall einen Wert von EUR 23.000,-- und nach dem Unfall noch einen solchen von EUR 10.000,--. Die in beiden fiktiven Werten enthaltene Mehrwertsteuer ist aus Sicht des Klägers nichts weiter als ein wertbildender Faktor neben vielen anderen Faktoren auch. Sein Schaden beträgt infolgedessen EUR 13.000,--, den er (nach einer von ihm selbst zugestandenen Kürzung in Höhe von EUR 460,--) mit einem Teilbetrag von insgesamt EUR 12.540,-- von der Beklagten ersetzt verlangen kann. Die Beklagte hat hierauf nur EUR 9.827,60 bezahlt, do dass noch ein Betrag in Höhe von EUR 2.712,40 offen ist. Das Gericht möchte dem Kläger gemäß §§ 823 Abs 1 und 2 BGB, 7 Abs. 1 StVG, 3 Nr. 1 PflVG diesen Betrag zusprechen, sieht sich hieran jedoch durch § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften vom 19.07.2002 (BGBl I S. 2674) gehindert.

Der Kläger hat ein gebrauchtes Ersatzfahrzeug zum Preis von EUR 17.000,-- ohne Mehrwertsteuerausweis erworben. Sowohl in der Literatur wie auch in der Rechtsprechung ist es einhellige Meinung, dass der Geschädigte in der Verwendung des Schadensbetrages völlig frei ist. Der Kläger hat sich daher beim Kauf des Ersatzfahrzeugs innerhalb des ihm gesteckten Rahmens bewegt. Es stand ihm frei, sein beschädigtes Fahrzeug in Eigenregie zu reparieren oder in einer Fachwerkstatt reparieren zu lassen, ein gebrauchtes Fahrzeug vom Hersteller zu erwerben oder aber den Schadensersatzbetrag einer gänzlich anderen Verwendung zuzuführen. Wenn der Kläger den Weg gewählt hat, ein Ersatzfahrzeug ohne Mehrwertsteuerausweis zu erwerben, dann steht damit fest, dass er endgültig nicht mehr in der Lage ist, den Anfall der Mehrwertsteuer nachzuweisen. Das Gericht hält infolgedessen die Anwendung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB auf den vorliegenden Fall für verfassungswidrig. Er nimmt dem Kläger entschädigungslos einen Teil seiner Schadensersatzforderung und begünstigt die Beklagte, der ein Vorteil in gleicher Höhe zufällt. Es liegt somit eine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 2 Satz 1 GG vor, die verfassungswidrig ist, weil sie zum einen nicht dem Wohl der Allgemeinheit dient und zum anderen eine Entschädigung nicht vorgesehen ist.

§ 249 Abs. 2 Satz 2 BGB ist auch nicht etwa Ausprägung der dem Eigentumsrecht immer schon innewohnenden Schranken im Sinne des Art 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Zwar war es nach der Einführung der Mehrwertsteuer am 01.01.1968 zunächst streitig, ob der Geschädigte Anspruch auf Zahlung der Mehrwertsteuer hat oder nicht. Seit der Entscheidung des BGH in NJW 1972, 1460 ist es jedoch herrschende Rechtsprechung, dass der Geschädigte, der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, auch Ersatz der im Schadensersatzbetrag enthaltenen Mehrwertsteuer verlangen kann. Insoweit handelt es sich nämlich nicht um eine Steuer, die nur dem Steuergläubiger zusteht, sondern aus Sicht des Geschädigten lediglich um einen Rechnungsposten. Der Gesetzgeber hat somit bei Erlass des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften eine Rechtslage vorgefunden, in der bei nicht vorsteuerabzugsberechtigten Personen die Mehrwertsteuer Teil der Schadensersatzforderung ist. Dies bedeutet, dass es sich bei § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht etwa um eine echte Enteignung handelt, wenn die Erstattbarkeit der im Schadensersatzbetrag enthaltenen Mehrwertsteuer nunmehr von Bedingungen abhängig gemacht wird, von denen feststeht, dass sie sich endgültig nicht erfüllen lassen.

Dass der Begriff der Enteignung sich nicht nur auf Sachen des bürgerlichen Rechts, sondern auch auf Forderungen bezieht, ist in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung seit langem anerkannt.

Auch eine verfassungskonforme Auslegung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB ist nicht möglich.

Zwar hat die Rechtsprechung verschiedener Instanzgerichte in jüngster Zeit diese Vorschrift dann für nicht oder nur teilweise anwendbar erklärt, wenn der Geschädigte das Ersatzfahrzeug aus privater Hand ohne Mehrwertsteuerausweis erwirbt und es sich um ein solches handelt, das im gewerblichen Handel auf Grund seines Alters nicht mehr erhältlich ist (vgl. OLG Köln, DAR 2004, 148; LG Aachen, DAR 2004, 228; LG Bochum, NZV 2004, 298; LG Essen, NZV 2004, 300; zum Meinungsstand: Huber, NZV 2004, 105 ff und Meyer auf der Heyde, DAR 2004, 18). Die im Brutto-Wiederbeschaffungswert enthaltene Mehrwertsteuer wird in diesen Fällen entweder in voller Höhe von 16 % zugesprochen oder aber in einer gemäß § 287 ZPO geschätzten Höhe von 1 ? 3 % dieses Wertes in den Fällen, in denen der Kauf von einem der Differenzbesteuerung des § 25 a UStG unterliegenden Händler erfolgt, der die Mehrwertsteuer in der Verkaufsrechnung nicht gesondert ausweist.

Das Gericht hält diese Auslegung des Gesetzes für unzulässig, weil sie seinem Wortlaut widerspricht, nachdem der zu zahlende Schadensersatzbetrag die Umsatzsteuer nur einschließt, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Dieser klare Wortlaut ist einer Auslegung nicht zugänglich. Ihm ist überdies zu entnehmen, dass der Nachweis, ob und in welcher Höhe Mehrwertsteuer angefallen ist, des Strengbeweises bedarf.

Diese Auslegung führt außerdem zu einer Rechtsunsicherheit, weil die Altersgrenzen, bis zu denen gebrauchte Fahrzeuge im gewerblichen Handel in der Regel erwerben werden können, überall anders gezogen werden. Da es nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann, dass auch ein 10 oder 12 Jahre altes Fahrzeug irgendwo im Inland bei einem Händler noch unter vollem Ausweis der Mehrwertsteuer erworben werden kann, verstößt eine solche Auslegung auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, weil sie es letztendlich dem Zufall überlässt, ob der Geschädigte die im Brutto-Wiederbeschaffungswert enthaltene Mehrwertsteuer voll, nur zum Teil oder gar nicht erhält.

Der vorliegende Rechtstreit ist entscheidungsreif. Seine Entscheidung steht und fällt mit der Gültigkeit der Vorschrift des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB in den Fällen, in denen der Geschädigte bei wirtschaftlichem Totalschaden ein Ersatzfahrzeug ohne Mehrwertsteuerausweis in der Rechnung erwirbt, sei es aus privater hand oder sei es von einem gewerblichen Händler. Nachdem es sich bei der Mehrwertsteuer lediglich um einen Rechnungsposten im Verhältnis zwischen dem Schädiger und Geschädigten, nicht jedoch um eine Steuerforderung handelt, hat der Kläger auch Anspruch auf Ersatz der Mehrwertsteuer insoweit, als der Brutto-Wiederbeschaffungswert vor dem Unfall den Kaufpreis des Ersatzfahrzeugs übersteigt. Anders als bei einer fiktiven Schadensabrechnung auf Reparaturkostenbasis, in der der Geschädigte es immer noch in der Hand hat, ob er einen Restitutionsweg wählt, bei dem Mehrwertsteuer anfällt oder nicht, hat der Kläger des vorliegenden Verfahrens einen Restitutionsweg gewählt, bei dem endgültig feststeht, dass ein Anfall nicht mehr erfolgen wird. Während also bei einer fiktiven Schadensabrechnung auf Reparaturkostenbasis die Gültigkeit der Vorschrift des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB dahingestellt bleiben kann, hält das Gericht sie im vorliegenden Fall, bei dem endgültig feststeht, dass ein Nachweis nicht mehr möglich ist, für verfassungswidrig.

Entspricht die Vorschrift des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB in diesen Fällen dem Grundgesetz, dann ist die Klage abzuweisen. Ist sie dagegen verfassungswidrig, ist sie zuzusprechen.

Der Rechtsstreit ist deshalb gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i. V. m. § 80 Abs. 1 BverfGG auszusetzen und die im Beschlusstenor gestellte Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.

RechtsgebieteVerkehrsrecht, Wiederbeschaffungswert, MehrwertsteuererstattungVorschriften§§ 7, 18 StVG; § 249 Abs. 2 BGB

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