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29.04.2005 · IWW-Abrufnummer 051233

Sozialgericht Dortmund: Urteil vom 15.02.2005 – S 34 RJ 79/04

Liegt keine echte Entsendung vor, sind ausländische Bauarbeiter in Deutschland in der Sozialversicherung zu versichern.

SG Dortmund, Urteil vom 25.02.2005 - S 34 RJ 79/04


Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Forderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 232.495,95 EUR.

Die Beklagte führte am 13.07.2001 bei der Klägerin eine Betriebsprüfung für den Zeitraum vom 01.01.1997 bis 31.12.2000 durch. Mit Bescheid vom 30.09.2001 ergab sich eine Nachforderung von zunächst 23,52 DM. Hinsichtlich der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung der von der Klägerin eingesetzten Fremdfirmen wurde ein gesonderter Bescheid angekündigt. Das Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen teilte am 20.07.2001 der Beklagten mit, dass in den der Behörde zugänglichen Datenbanken keine Informationen zu der von der Klägerin als Subunternehmer angegebenen Firma H, Isle of Man, vorlägen. Auf Anfrage der Beklagten teilte das Bundesamt für Finanzen unter dem 17.12.2001 mit, dass die Firma H bei der Informationszentrale Ausland des Bundesamtes für Finanzen bereits angefragt worden sei. Es handele sich bei dieser Firma um eine wirtschaftlich inaktive Briefkastengesellschaft (Sitz- oder Domizilgesellschaft ohne eigenen eingerichteten Geschäftsbetrieb). Anhaltspunkte für diese Qualifikation seien das Fehlen einer eigenen Geschäftsadresse auf der Isle of Man bzw. in Großbritannien. An ihrem statuarischen Sitz in Douglas verfüge sie lediglich über ein für Briefkastengesellschaften typisches Büroservicedomizil. Es handele sich um eine reine Kontaktadresse an der Büroanschrift einer Registrierungsagentur, die sich professionell mit der Errichtung und Betreuung von Briefkastengesellschaften befasse. Diese Anschrift sei der Informationszentrale Ausland bereits im Zusammenhang mit anderen Briefkastengesellschaften auffällig geworden. Es handele sich um eine Massendomizilanschrift. Die H sei nicht im Telefonbuch der Isle of Man eingetragen. Die Gesellschaft habe keine Mitarbeiter und keine tatsächliche Geschäftsleitung. Als Geschäftsführer träten Treuhänder auf, die diese Mandate nur formell übernähmen. Es handele sich um Massenfunktionsträger. Das eingezahlte Haftungskapital betrage lediglich zwei Englische Pfund. Es gebe keine Anzeichen für wirtschaftliche Aktivitäten auf der Isle of Man. Nach Eigenangaben der formellen Geschäftsleitung (Treuhänder), die von der beauftragten Wirtschaftsauskunfttei kontaktiert worden sei, solle die Gesellschaft in Nahost tätig sein. In der Steueroase Isle of Man würden Briefkastengesellschaften üblicherweise durch örtlich ansässige Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer oder spezielle Gesellschaftsgründungsfirmen gegründet, in deutschen Tageszeitungen zum Verkauf angeboten und auf Wunsch vor Ort verwaltet. Die angebotene Verwaltung beinhalte die Gestellung einer Postanschrift, von Bürokommunikationsmitteln und bei Bedarf eines Sekretariatsdienstes, um den inaktiven Rechtsträgern nach außen hin den Anschein eines wirtschaftlich aktiven Unternehmens zu geben.

Mit Schreiben vom 09.12.2002 hörte die Beklagte die Klägerin dazu an, dass im Zeitraum von 1997 bis 1999 mit einem angeblich selbstständigen Nachunternehmen (H) Umsätze in Höhe von 1.563.584 DM getätigt worden seien. Nach Auskunft des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik NRW und des Bundesamtes für Finanzen sei dieses Unternehmen im Vereinigten Königreich nicht existent. Die für die Anerkennung eines Subunternehmens erforderlichen Grundvoraussetzungen Existenz des Unternehmens und Vereinbarungen über die Erstellung eines Werkes seien nicht nachgewiesen worden. Die ausgestellten Rechnungen beinhalteten ausschließlich den Gegenwert der Lohnkosten. Die Klägerin habe den eingesetzten Personen lediglich Arbeitsentgelt gezahlt und nicht auch, wie bei Werkverträgen üblich, Kosten für die zur Auftragserfüllung erforderlichen Werkzeuge und Materialgestellung erstattet. Ein Werkvertragsunternehmer stelle typischerweise ein Gewerk mit eigenen Hilfsmitteln und selbstbeschafftem Material her. Vereinbart und in Rechnung gestellt worden seien nur Lohnkosten und keine Preise für Material und Baugeräte. Die Klägerin sei somit Arbeitgeberin der von ihr beschäftigten Bauhandwerker der Firma H gewesen und habe dementsprechend den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zu zahlen. Die Höhe der Beitragsforderung orientiere sich an den getätigten Nettoumsätzen. Die Lohnsumme werde auf 66,66 % der Umsätze geschätzt. Auf dieser Basis würden Beiträge zur Sozialversicherung nacherhoben.

Mit Bescheid vom 08.04.2003 stellte die Beklagte die Nachforderung in Höhe von 232.495,95 EUR fest. Da die Klägerin die Aufzeichnungspflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt habe und deshalb die Versicherungs- und Beitragspflicht und die Beitragshöhe nicht exakt festzustellen gewesen seien, könne der prüfende Träger der Rentenversicherung die Sozialversicherungsbeiträge von der Summe der vom Arbeitgeber gezahlten Arbeitsentgelte geltend machen. Da nicht feststellbar sei, welche Beträge welchen Arbeitnehmern zugeflossen seien und bisher keine vom ausländischen Versicherungsträger auszustellenden Bescheinigungen E 101 vorgelegt worden seien, könne der Nachweis der Versicherungsfreiheit nicht erbracht werden. Zuständige Einzugsstelle für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag aus dem Beitragssummenbescheid sei die beigeladene DAK.

Die Klägerin führte zur Begründung ihres hiergegen eingelegten Widerspruchs an, die Firma H habe zumindest in dem fraglichen Zeitraum aktiv am Wirtschaftsleben teilgenommen und mit ihr Werkverträge geschlossen. Die Arbeitnehmer der Firma H seien nicht Arbeitnehmer der Klägerin, so dass diese eine Sozialversicherungspflicht nicht treffe. Die Beklagte bestätige, dass der Geldfluss aus den vorgelegten Rechnungen tatsächlich stattgefunden habe. Die Firma H habe auch unstreitig Arbeitnehmer beschäftigt, die die durch die Klägerin an die Firma H in Auftrag gegebenen Werkleistungen durchgeführt hätten. Die aufgestellten Strommasten seien sowohl im Inland wie in den Niederlanden gegenständlich vorhanden. Die Auskunft des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik NRW sei unzutreffend. Die fehlende wirtschaftliche Betätigung einer Gesellschaft im Sitzstaat England, die im Inland Leistungen erbracht habe, rechtfertige es nicht, dieses Unternehmen als inaktive Domizilgesellschaft zu beurteilen. Die Werkverträge mit der Firma H seien mündlich bzw. fernmündlich durch die Geschäftsführerin der Klägerin an den Vertreter der Firma H, Herr D, erteilt worden. Der Inhalt der Werkverträge ergebe sich mit nachvollziehbarer Deutlichkeit aus den erstellten Rechnungen. Es seien Festpreise für einzelne Leistungen vereinbart worden. Die Beschäftigten der Firma H seien niemals in die Organisation der Klägerin eingegliedert worden. Sie hätten zu keinem Zeitpunkt auf Weisung der Geschäftsführerin der Klägerin oder dieser nachgeordneter Personen gearbeitet. Es habe sich jeweils um bestimmte abgegrenzte Bauleistungen gehandelt.

In einer weiteren Auskunft des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik NRW vom 23.07.2003 wurde mitgeteilt, dass eine erneute Wirtschaftsrecherche keine Informationen zur Firma H ergeben habe. Die Beklagte forderte die Klägerin auf, eine tabellarische Übersicht über die mit der Firma H geschlossenen Werkverträge vorzulegen und dabei Angaben über die Art des Gewerkes, des Zeitraums, der Rechnungshöhe, der Art und des Umfangs der zu leistenden Arbeiten und der Anzahl der Arbeitnehmer zu machen. Hierauf teilte die Klägerin am 26.08.2003 mit, dass sie lediglich 11 Rechnungen der Firma H vorlegen könne. Über die Zahl der eingesetzten Arbeitnehmer könne die Klägerin keine Angaben machen. Den Rechnungslegungen lägen mündlich erteilte Aufträge zugrunde. Soweit dort Festpreise enthalten seien, seien diese zuvor telefonisch ausgehandelt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2004 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die Klägerin habe weiterhin weder Werkverträge noch Vereinbarungen über die Gewährleistung vorlegen können. Diese seien aus Gründen der Beweissicherung jedoch üblich, denn für Baugewerke bestehe eine fünfjährige Gewährleistungspflicht, die ohne entsprechende schriftliche Verträge, insbesondere bei ausländischem Gerichtsstand, nicht realisierbar sei. Ferner gehöre es zum Wesen eines Werkvertrages, das im Auftrag gegebene Werk genau zu beschreiben. Dass die britischen Bauhandwerker Arbeitnehmer der Klägerin gewesen seien, bestätige sich dadurch, dass die der Klägerin ausgestellten Rechnungen und Quittungen ausschließlich den Gegenwert der Lohnkosten beinhalteten. Somit sei lediglich eine andere Form der Entlohnung für die geleistete Arbeit und damit verbundene Reisekosten erfolgt. Sowohl das Bundesamt für Finanzen als auch das Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik NRW hätten im Rahmen ihrer Recherchen die wirtschaftliche Inaktivität der vermeintlichen Unternehmungen geprüft. Auch habe die Firma H der Anmeldepflicht nach § 14 der Gewerbeordnung nicht genüge getan. Die Klägerin habe schließlich keine für die Annahme einer Entsendung maßgebliche Vordrucke E 101 beibringen können.

Zur Begründung der am 13.04.2004 erhobenen Klage wiederholt die Klägerin im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Die Nichtvorlage der Bescheinigung E 101 durch die britischen Bauhandwerker sei vorliegend unerheblich, weil diese nicht als Selbstständige, sondern als Arbeitnehmer der Firma H tätig geworden seien. Haftungsrechtlich sei die Klägerin gegenüber ihren Auftraggebern für die ordnungsgemäße Durchführung der Aufträge verantwortlich. Vorliegend sei die Entscheidung des Finanzgerichts München vom 19.03.2002 zu berücksichtigen, wonach die fehlende wirtschaftliche Betätigung einer Gesellschaft im Sitzstaat, die im Inland Leistungen erbracht habe, es nicht rechtfertige, dieses Unternehmen als Domizilgesellschaft zu beurteilen. Der Bundesfinanzhof gehe mit Urteil vom 17.10.2001 davon aus, dass bei einem in Großbritannien ansässigen Bauunternehmen, das Leistungen im Inland erbringe, im Allgemeinen kein Anlass für die Annahme bestehe, dass es sich um eine Domizilgesellschaft handele. Eine solche Annahme widerspreche gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 08.04.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2004 aufzuheben.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bekräftigt ihre Auffassung, dass die von der Klägerin beschäftigten Bauhandwerker nicht im Rahmen einer Entsendung in Deutschland tätig gewesen seien. Die von der Klägerin beauftragte H sei nach den Ermittlungsergebnissen lediglich eine Scheinfirma. Auf die angeführte finanzgerichtliche Rechtsprechung komme es für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung des Sachverhaltes nicht an. Auch die Tatsache, dass die Klägerin Zahlungen geleistet habe, rechtfertige nicht die Annahme einer wirtschaftlichen Aktivität der H. Die Klägerin sei nicht in der Lage gewesen, für die in Rechnung gestellten Leistungen die entsprechenden Werkverträge vorzulegen. Es erscheine als realitätsfern, dass Installations- und Wartungsarbeiten an Stromleitungen mündlich vereinbart worden seien. In Ermangelung eines Arbeitgebers im britischen Heimatland seien die eingesetzten Bauhandwerker nach den deutschen Rechtsvorschriften als Arbeitnehmer sozialversicherungsrechtlich zu beurteilen. Die Beklagte habe im Widerspruchsverfahren auch zutreffend darauf abgestellt, dass die Klägerin nicht in der Lage gewesen sei, die für die Sozialversicherung auf der Grundlage der EWG-Verordnung 1408/71 zwingend erforderlichen E 101-Bescheinigungen der eingesetzten britischen Bauhandwerker vorzulegen. Damit greife das Territorialitätsprinzip des § 3 SGB IV, so dass die britischen Bauhandwerker als Arbeitnehmer der Klägerin zu behandeln und die deutschen Versicherungsvorschriften anzuwenden seien. Hierbei sei es auch unbeachtlich, ob die Klägerin diese Personen dann im europäischen Ausland weiter eingesetzt habe. Die Klägerin übersehe, dass die deutsche Finanzverwaltung die H ebenfalls als Domizilgesellschaft behandele und den Betriebsausgabenabzug nach § 160 der Abgabenordnung im Rahmen einer tatsächlichen Verständigung im Einvernehmen mit der Klägerin beanstandet habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die angefochtenen Bescheide erweisen sich als rechtmäßig.

Die Beklagte fordert von der Klägerin zu Recht im Rahmen eines Beitragssummenbescheides gemäß § 28f Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) die Nachzahlung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen für die Beschäftigung von britischen Bauarbeitern in den Jahren 1997 bis 1999. Die Beitragserhebung von der Summe der gezahlten Arbeitsentgelte ist hier zulässig, weil die personenbezogene Beitragsfestsetzung infolge einer Verletzung der Aufzeichnungspflicht der Klägerin nicht mehr erfolgen kann. Die Klägerin ist verpflichtet, Gesamtsozialversicherungsbeiträge i.H.v. 232.495,95 Euro an die Beigeladene als Einzugsstelle nach zu entrichten.

Nach § 28p Abs. 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und sonstigen Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen mindestens alle vier Jahre. Die Prüfung umfasst auch die Lohnunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt wurden. Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern.

Die Klägerin hat mit den britischen Arbeitern Personen gegen Arbeitsentgelt beschäftigt, die gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV i.V.m. § 7 Abs. 1 SGB IV nach Maßgabe der besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB XI, § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI, § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB III) sozialversichert sind.

Die bundesdeutschen Vorschriften über die Versicherungspflicht finden nach § 3 SGB IV Anwendung, da die britischen Arbeiter im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs beschäftigt waren. Auf die Staatsangehörigkeit der Arbeiter kommt es dabei nicht an (Territorialitätsprinzip). Der Ausnahmetatbestand einer Einstrahlung i.S. des § 5 SGB IV greift nicht, weil die Arbeiter nicht im Rahmen eines im Ausland bestehenden Beschäftigungsverhältnisses nach Deutschland entsandt worden sind.

Die Kammer geht mit den Ermittlungsergebnissen des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik NRW und des Bundesamtes für Finanzen davon aus, dass es sich bei der H um eine wirtschaftlich inaktive Briefkastengesellschaft ohne eigene Mitarbeiter handelt. Die vom Bundesamt für Finanzen geschilderten Umstände dieser Gesellschaft wie die Büroanschrift unter einer bekannten Massendomizilanschrift auf der Isle of Man, fehlender Telefonbucheintrag, keine ortsansässigen Mitarbeiter und formelle Geschäftsführung durch Massenfunktionsträger, minimales Haftungskapital und fehlende inländische Geschäftsaktivitäten lassen nur den Schluss auf eine Briefkastenfirma zu.

Diese Scheinfirma kommt als Arbeitgeberin und Entsenderin der von der Klägerin eingesetzten Arbeiter nicht in Betracht. Bei den angeblich telefonisch mit der Fa. H geschlossenen Werkverträgen handelt es sich vielmehr um Scheingeschäfte zur Umgehung der Sozialversicherungspflicht in Deutschland. Die Kammer wertet die entgegenstehenden unsubstantiierten Einlassungen der Klägerin als Schutzbehauptungen. Die Klägerin vermag keine schriftlichen Werkverträge oder andere geeigneten Unterlagen zum Nachweis einer Arbeitnehmerentsendung durch die H vorzulegen. Die aktenkundigen Rechnungen lassen ebenfalls keinen Schluss auf wirksame Werkverträge zu, da ohne Bezug zu einem entsprechenden Auftrag und ohne nähere Spezifizierung der Aufwendungen Pauschalbeträge in Rechnung gestellt werden. Faktisch hat die Klägerin die Lohnansprüche der britischen Arbeiter befriedigt und Reisekosten erstattet. Mangels einer entsprechenden Betriebsorganisation der H ist davon auszugehen, dass die britischen Arbeiter auf den Baustellen der Klägerin deren Weisungsrecht bezüglich Einsatzort, Arbeitszeit, Arbeitsdauer und Arbeitsausführung unterlegen haben und somit eine Beschäftigung i.S. des § 7 Abs. 1 SGB IV vorgelegen hat.

Die bei Entsendung von Arbeitnehmern innerhalb der Europäischen Union geltenden Formvorschriften sind nicht eingehalten worden. Zum Nachweis einer rechtswirksamen Arbeitnehmerentsendung i.S. des Art. 14 Abs. 1a der EWG-VO 1408/71 hätten die in Großbritannien zuständigen Behörden nach Art. 11 Abs. 1 EWG-VO 574/72 die Entsendebescheinigungen E 101 ausstellen müssen. Auf die Ausnahmeregelung des Art. 14 Abs. 1a EWG-VO 1408/71 (vorübergehende Entsendung eines abhängig Beschäftigten in das Gebiet eines Mitgliedsstaats) kann sich die Klägerin im Übrigen bereits deshalb nicht berufen, weil diese Vorschrift nur dann Anwendung findet, wenn das entsendende Unternehmen seine Geschäftstätigkeit gewöhnlich im ersten Mitgliedsstaat ausübt. Dies ist nur anzunehmen, wenn das Unternehmen - anders als die H - üblicherweise nennenswerte Tätigkeiten in diesem Staat verrichtet (EuGH, Urteil vom 09.11.2000, Az.: C-404/98, Plum./. AOK Rheinland). Von daher findet die Grundregel des Art. 13 Abs. 2a EWG-VO 1408/71 Anwendung. Demnach unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedsstaats abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaats wohnt.

Aus den von der Klägerin angeführten finanzgerichtlichen Entscheidungen zur steuerrechtlichen Handhabung von Domizilgesellschaften ergeben im vorliegenden sozialversicherungsrechtlichen Zusammenhang keine entscheidungserheblichen Gesichtspunkte. Im Übrigen hat die Klägerin auch das Finanzamt Witten nicht von ihrer Sachverhaltsdarstellung der Geschäftsbeziehungen zu der H überzeugen können, so dass im Rahmen einer sog. tatsächlichen Verständigung vom 05.08.2002 die abziehbaren Betriebsausgaben in den Jahren 1997 bis 1999 vermindert worden sind.

Im Ergebnis ist der Klägerin somit entgegen zu halten, dass vorgebliche Geschäftsbeziehungen zu einer Scheinfirma im Ausland nicht dazu dienen können, Arbeitnehmer für eine begrenzte Zeit nach Deutschland zu holen und sie hier beitragsfrei zu beschäftigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Der Streitwert entspricht der streitigen Beitragsforderung.

RechtsgebietSGBVorschriftenSGB IV § 2 Abs. 2 Nr. 1, §§ 3, 7 Abs. 1, § 28f Abs. 2, § 28p Abs. 1

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