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11.03.2005 · IWW-Abrufnummer 050646

Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 02.02.2005 – 1 V 51/04

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


FINANZGERICHT BADEN-WÜRTTEMBERG

Beschluss

Az.: 1 V 51/04

In dem Finanzrechtsstreit XXX

wegen Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Zinsen zur Einkommensteuer 1993 bis 1998

hat der 1. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg am 20.12.2004 beschlossen.

1. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 1993 ist unzulässig.
2. Die Vollziehung der Einkommensteuer- und der Zinsbescheide 1994 bis 1997, jeweils vom 26.05.2004 wird ausgesetzt. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.

3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner zu 65 %, im übrigen die Antragsteller.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an den Bundesfinanzhof nur zulässig, wenn das Finanzgericht sie zugelassen hat. Die Beschwerde ist beim Finanzgericht schriftlich oder zur Niederschrift der/des Urkundsbeamtin/en der Geschäftstelle innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen.

Bei der Einlegung der Beschwerde sowie in dem weiteren Verfahren vor dem Bundesfinanzhof muss sich jeder Beteiligte durch einen Steuerberater, einen Steuerbevollmächtigten, einen Rechtsanwalt, einen niedergelassenen europäischen Rechtsanwalt, einen Wirtschaftsprüfer oder einen vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen. Zur Vertretung berechtigt sind auch Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften, die durch einen der zuvor aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie durch Diplomjuristen im höheren Dienst vertreten lassen.

Die Nichtzulassung der Beschwerde kann nicht selbständig angefochten werden.

Schriftsätzen im Verfahren über die Beschwerde sollen so viele Abschriften beigefügt werden, wie Beteiligte vorhanden sind.

Gründe

I.
Streitig ist, ob der Antragsgegner berechtigt war, die Einkommensteuerbescheide der Jahre 1993 bis 1998 wegen neuer Tatsachen zu ändern, weil den Antragstellern eine vorsätzliche Steuerhinterziehung vorgeworfen werden kann.

Die Antragsteller sind verheiratet und werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Sie sind türkische Staatsangehörige und nach ihren Angaben der deutschen Sprache nur zum Teil mächtig. Für die Streitjahre 1993 und 1994 gaben die Antragsteller keine Steuererklärungen ab. In Ihren Steuererklärungen der Jahre 1995 bis 1998 erklärten sie ? teilweise unter Zuhilfenahme der Beratung durch Lohnsteuerhilfevereine -, geringfügige Einnahmen aus Kapitalvermögen (1995) bzw. die erzielten Einnahmen aus Kapitalvermögen lägen unter den jeweiligen Freibeträgen (1996 bis 1998).
Ihre Steuererklärungen gaben sie wie folgt ab:

Jahr Abgabe der Erklärung

1993 keine
1994 keine
1995 14.08.1996
1996 29.09.1997
1997 25.06.1998
1998 30.03.1999

Aufgrund fahndungsrechtlicher Erkenntnisse wurde bekannt, das die Antragsteller im Jahr 1996 Einnahmen aus Kapitalvermögen von der türkischen Nationalbank in Höhe von 41.600 DM erzielt hatten. Der Antragsgegner forderte die Antragsteller auf ihre Zinseinnahmen aus dem In- und Ausland beginnend ab dem Jahr 1991 nach zu erklären.
Die Antragsteller legten daraufhin Unterlagen über ihr in der Türkei in deutscher Währung angelegtes Kapital und die hieraus erzielten Zinseinnahmen vor. Aufgrund dieser Erkenntnisse erließ der Antragsgegner für die Jahre 1993 und 1994 erstmalige Einkommensteuerbescheide, die Einkommensteuerbescheide 1995 bis 1998 wurden dem entsprechend geändert. Alle Bescheide datieren vom 26.05.2004.
Die gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide 1993 bis 1998 erhobene Klage ist beim Senat unter dem Aktenzeichen 1 K 330/04 anhängig. Zugleich beantragten die Antragsteller, nachdem ein entsprechender Aussetzungsantrag beim Finanzamt erfolglos geblieben war, die Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuer- und Zinsbescheide 1993 bis 1998.
Sie tragen vor, dass für die Jahre bis 1998 Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Als türkische Staatsangehörige hätten sie von dem Angebot der türkischen Staatsbank, DM Geldanlagen in der Türkei zu zeichnen und verzinst zu erhalten, Gebrauch gemacht. Für ihre Geldanlage in der Türkei von der Bank 2 % Steuern unmittelbar einbehalten worden. Aufgrund der Informationen der türkischen Nationalbank seien sie davon ausgegangen, dass mit diesem Steuereinbehalt steuerlich alles erledigt sei. Sie seien auch bei Anlage der Gelder von keiner Seite darauf hingewiesen worden, dass die in der Türkei erzielten Zinseinnahmen auch in Deutschland zu versteuern seien. Sie seien daher davon ausgegangen, dass die Zinsen nur in der Türkei, nicht dagegen in Deutschland der Besteuerung zu unterwerfen seien. Zwar seien sie bereits seit über 34 Jahren in Deutschland, hätten aber nur beschränkte Sprachkenntnisse. Sie hätten in Anatolien nur 6 Jahre lang die Schule besucht, der Antragsteller habe danach Schlosser gelernt. Als solcher brauche er bei seinem Arbeitgeber keine Deutschkenntnisse, da die türkischen Arbeitnehmer überwiegend unter sich bleiben. Komplizierte Sachverhalte könnten Sie nur mit Hilfe eines Dolmetschers nachvollziehen. Über steuerliche Fragen hätten sie sich keine Gedanken gemacht; die Steuererklärungen habe teilweise der Mitarbeiter von Lohnsteuerhilfevereinen für sie ausgefüllt, Fragen nach Zinseinnahmen im Ausland seien dabei nicht gestellt worden. Eine vorsätzliche Steuerhinterziehung könne ihnen nicht vorgeworfen werden.
Soweit das Finanzamt die Änderung des Einkommensteuerbescheids 1998 darauf gestützt habe, dass aufgrund eines Einspruchs wegen eines anderen Punktes die regelmäßige Verjährung noch nicht abgelaufen gewesen sei, sei dies fehlerhaft, da der Einspruch auf die Frage der Kosten vor Bezug beschränkt gewesen sei und im übrigen daher Festsetzungsverjährung eingetreten sei.
Die Antragsteller beantragen
die Einkommensteuer- und Zinsbescheide 1993 bis 1998 vom 26.05.2004 von der Vollziehung auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt, den Aussetzungsantrag abzuweisen.

Zwar könnten die Steuerbescheide der Jahre 1993 bis 1997 nur geändert werden, wenn die Antragsteller eine vorsätzliche Steuerhinterziehung begangen hätten. Diese liege aber angesichts der Höhe des angelegten Kapitals in der Türkei und der daraus erzielten Zinseinnahmen vor. Die Antragsteller hatten mit Sicherheit die Diskussion in Deutschland über die Steuerpflicht der Zinseinnahmen wahrgenommen. Aufgrund der Tatsache, dass sie in ihren Steuererklärungen jeweils angegeben hätten, dass die Einnahmen unter den Freibeträgen lägen, sei von einer vorsätzlichen Hinterziehung auszugehen. Für das Jahr 1998 sei keine Festsetzungsverjährung eingetreten, weil die Antragsteller gegen den erstmaligen Einkommensteuerbescheid Einspruch eingelegt hätten und der Änderungsbescheid im Laufe des Einspruchsverfahrens ergangen sei.

II.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des erstmaligen Einkommensteuer- und des Zinsbescheids 1993 ist unzulässig.
Bei Steuerbescheiden ist die Aussetzung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen, beschränkt, § 69 Abs. 3, Abs. 2 Satz 8 FGO. Ein Aussetzungsantrag setzt daher zwingend eine zu entrichtende Steuer voraus, nur dann besteht ein Rechtsschutzinteresse für ein gerichtliches Verfahren. Ausweislich des Einkommensteuerbescheids 1993 aber ist die festgesetzte Einkommensteuer durch die Anrechnung der Lohnsteuer entrichtet, eine zu entrichtende Steuer ergibt sich nicht.
Folgerichtig hat der Antragsgegner auch keinen Zinsbescheid erlassen. Der Antrag, einen nicht existenten Zinsbescheid von der Vollziehung auszusetzen ist unzulässig.

Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll gewährt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des Bescheids anhand des heranziehbaren aktenkundigen Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakt sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (BFH-Beschluss vom 12. November 1992 Xl B 69/92, Amtliche Sammlung der Entscheidung des BFH -BFH- 170, 106, BStBl II 1993, 263 m. w. N.). Bei der summarischen Prüfung wird nur aufgrund des vorliegenden glaubhaft gemachten Prozessstoffes entschieden. Das Gericht ist zu weiteren Sachverhaltsermittlungen nicht verpflichtet (BFH-Beschluss vom 06. Oktober 1993 VIII B 121/92, BFH/NV 1994, 311). Nicht präsente Beweismittel sind nach § 155 FGO i. V. m. § 294 Zivilprozessordnung (ZPO) ausgeschlossen (BFH-Beschluss vom 23. Juli 1968 II B 17/68, BStBl II 1968, 589).

Bei Anwendung dieser Grundsätze bestehen an der Rechtmäßigkeit der ergangenen Bescheide der Jahre 1994 bis 1997 ernstliche Zweifel.
Die Einnahme der Antragsteller aus Kapitalvermögen sind neue Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO, jedoch konnte der Antragsgegner die Steuerbescheide bis einschließlich 1997 nur ändern, wenn den Antragstellern eine vorsätzliche Steuerhinterziehung nachgewiesen werden kann.

Der Tatbestand der Steuerhinterziehung setzt neben anderen Merkmalen voraus, dass der Täter mit Hinterziehungsvorsatz gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz ausreicht, § 15 StGB. Vorsätzlich handelt danach, wer mit dem Wissen handelt, dass er alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht oder aber es nur für möglich hält, dass er die Tatbestandsmerkmale verwirklicht, dies aber billigend in Kauf nimmt (BFH Beschluss vom 18. Dezember 1986, I B 49/86, BStBl II 1988, 213).

Für das Vorliegen eines Hinterziehungsvorsatzes ist der Antragsgegner beweispflichtig. Diesen Nachweis hat der Antragsgegner nicht erbracht; vielmehr liegen derzeit keine hinreichenden Anhaltspunkte vor, die nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand die Überzeugung vermitteln, die Antragsteller hätten vorsätzlich gehandelt. Der Antragsgegner begründet die Kenntnis der Antragsteller zur Steuerpflicht der in der Türkei erzielten Zinsen nur damit, dass die steuerlich vertretenen Antragsteller jeweils erklärt hätten, keine über den Freibeträgen liegende Zinseinnahmen erzielt zu haben. Angesichts der von den Antragstellern unwidersprochen vorgetragenen Sprachschwierigkeiten und des Ausbildungsniveaus steht für den Senat nicht fest, dass die Antragsteller Fragen und Erläuterungen in den Erklärungsvordrucken gelesen und verstanden haben. Außerdem steht weder fest und wurde vom Antragsgegner auch nicht vorgetragen, dass die Antragsteller die Mitarbeiter der Lohnsteuerhilfe Vereine zur Steuerpflicht der ausländischen Zinseinkünfte befragt haben, noch, dass die türkische Bank auf die Steuerpflicht in Deutschland hingewiesen hat.
Auch hat der Antragsgegner nicht mitgeteilt, ob gegen die Antragsteller ein Strafverfahren wegen nicht erklärter Zinseinkünfte (der Folgejahre) eingeleitet worden ist bzw. ob und warum von der Einleitung eines Strafverfahrens abgesehen worden ist. Der Senat verneint daher bei summarischer Prüfung das Vorliegen des Hinterziehungsvorsatzes der Antragsteller.
Aufgrund der Aussetzung der Vollziehung der Einkommensteuerbescheide sind auch die Zinsbescheide wegen ernstlicher Zweifel an deren Rechtmäßigkeit auszusetzen.

Im übrigen bestehen an der Rechtmäßigkeit des geänderten Einkommensteuer- und des Zinsbescheids 1998 keine Zweifel.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Änderung des Bescheids 1998 noch erfolgen konnte, weil gegen den erstmaligen Steuerbescheid Einspruch eingelegt worden war und der Änderungsbescheid im Lauf des Einspruchverfahrens ergangen ist. Unabhängig von dieser Fragestellung konnte der Antragsgegner die Änderung der Veranlagung vornehmen, weil den Antragstellern zumindest eine leichtfertige Steuerverkürzung vorgeworfen werden kann. In diesem Fall verlängert sich die Festsetzungsfrist auf 5 Jahre, § 169 Abs. 2 Satz 2, 2. Alt. AO und endet am 31.12.2004.

Leichtfertigkeit bedeutet einen erheblichen Grad an Fahrlässigkeit der etwa der groben Fahrlässigkeit des bürgerlichen Rechts entspricht aber im Gegensatz dazu auf die persönlichen Fähigkeiten des Täters abstellt, § 378 Abs. 1 AO. Ein derartiges Verschulden liegt danach vor, der Täter nach den Gegebenheiten des konkreten Falls und seinen individuellen Fähigkeiten in der Lage gewesen wäre, den sich aus den einschlägigen gesetzlichen Regelungen ergebenden Sorgfaltspflicht zu genügen.

Diese Sorgfaltspflicht haben die Antragsteller zumindest dadurch verletzt, dass sie 1998 lediglich erklärt haben, Zinseinkünfte unter 12.200 DM erzielt zu haben. Die Antragsteller hätten sich aber nicht darauf verlassen dürfen, Zinszahlungen der türkischen Banken seien im Inland steuerfrei. Die Antragsteller haben die Steuererklärung von einem Mitarbeiter des Lohnsteuerhilfevereins anfertigen lassen und ausdrücklich versichert, dass die Angaben wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen gemacht worden seien.

Die Antragsteller haben jedoch vorgetragen, dass sie sich beim Mitarbeiter des Lohnsteuerhilfevereins oder beim Sachbearbeiter des Antragsgegners über die Problematik in der Türkei erzielten Zinsen informiert hätten. Dies ist als leichtfertiges Verhalten der Antragsteller zu werten, mit der Konsequenz, dass die Festsetzungsfrist sich auf 5 Jahre verlängert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 FGO.

Da die Aussetzung der Vollziehung der Jahre 1994 bis 1997 etwa 65 % des Streitwerts des Aussetzungsverfahren beträgt, hat der Antragsgegner insoweit die Kosten des Verfahrens zu tragen, im übrigen tragen die Antragsteller die Kosten des Verfahrens.

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