10.12.2004 · IWW-Abrufnummer 043145
Landgericht Berlin: Urteil vom 09.09.2004 – 2 Wi Js 147/03
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LANDGERICHT BERLIN
Im Namen des Volkes
Geschäftsnummer: (505) 2WiJs 147/03 KLS (06/04)
Strafsache XXX wegen Steuerhinterziehung u.a
Die 5. große Strafkammer des Landgerichts Berlin (Wirtschaftsstrafkammer) hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 24. Mai 2004 bis 09. September 2004, an der teilgenommen haben:
XXX in der Sitzung vom 09. September 2004 für Recht erkannt:
Der Angeklagte A wird wegen Steuerhinterziehung und wegen Bestechung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Der Angeklagte P wird wegen Steuerhinterziehung in Tateinheit mit Strafvereitelung im Amt und wegen Bestechlichkeit zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Die Angeklagten haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
1. Der 52jährige Angeklagte XXX ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Seit langen Jahren betätigt er sich unternehmerisch. 1982 kaufte er zusammen mit seiner Ehefrau die Firma XXX Kühlmöbelfabrik, deren Geschäftszweck namentlich die Herstellung von Gastronomieeinrichtung war. 1984 erwarben die Eheleute aus dem Konkurs des Wienerwaldes XXX-mbH, die sich ebenfalls mit der Produktion von Großküchengeräten beschäftigte, 1987verkaufte er die Produktion, behielt aber den Firmenmantel. 1989 schließlich änderte er die Firma XXX-GmbH in XXX-GmbH. Er war neben seiner Ehefrau alleiniger Geschäftsführer dieser im bayerischen Kühlenthal ansässigen Gesellschaft.
Die Firma, über deren Vermögen im Dezember 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, betrieb einen umfänglichen Handel mit hochwertigen Kraftfahrzeugen (überwiegend der Marke Daimler Benz). Der Angeklagte hatte sich 1988 in Neu-Ulm, wo er zuvor für die dortige Mercedes-Niederlassung eine Kantinenausgabetheke errichtet hatte, einen Mercedes gekauft und (für damalige Zeiten ungewöhnlich) einen Rabatt von 3% erhalten. Im selben Jahr erwarb er dort ein weiteres Fahrzeug, wobei ihm abermals ein Rabatt von 3% ein- geräumt wurde. Der Angeklagte, der ein neues unternehmerisches Betätigungsfeld für sich ahnte, fragte den Niederlassungsleiter, ob er noch größeren Preisnachlaß erhalten könne, wenn er eine größere Anzahl von Wagen abnähme. Darauf wurde ihm bei Erwerb von mindestens 100 Fahrzeugen pro Jahr ein Mengenrabatt von 10% zugesagt.
So kam der Angeklagte mit der XXX-GmbH zum Autohandel, der alsbald einen großen Umfang annahm und ihn in Kontakt mit zahlreichen Mercedes-Niederlassungen im gesamten Bundesgebiet brachte. Seine Verkaufszahlen schwankten zwischen 1000 und 2000 Fahrzeugen pro Jahr. Er kümmerte sich in erster Linie um den Einkauf der Fahrzeuge; .für die Abwicklung des Verkaufs waren auch seine Ehefrau und sein Bruder Helmut A zuständig. Bei der Beschaffung der Wagen beschränkte sich der Angeklagte nicht auf Mercedes-Niederlassungen, sondern kaufte Fahrzeuge auch bei freien (inländischen) Händlern ein.
Der Angeklagte A ist vorbelastet; sein Strafregister enthält folgende Eintragungen: Am 03. November~re83 verurteilte ihn das Amtsgericht Ettlingen wegen Gefährdung des ~ Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen. Am 04. August 1987 verurteilte \ ihn das Amtsgericht Augsburg wegen Verstoßes gegen das Fernmeldeanlagengesetz zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen. Am 26. September 1991 verurteilte ihn das Amtsgericht Augsburg wegen Beitragsvorenthaltung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen. Am f 22. Juni 1995 verurteilte ihn das Amtsgericht Stollberg wegen Subventionsbetruges in zwei / \ Fällen zu einer Geldstrafe von 140 Tagessätzen.
2. Der bislang unbescholtene 49jährige Angeklagte P wuchs bei seinen Eltern als Einzelkind auf. Nach Grundschule und Gymnasium erlangte er 1975 das Abitur. Eine an- schließende Fachhochschulausbildung beendete er nach drei Jahren als Diplom-Finanzwirt. Nach diesem Abschluß heiratete er seine Ehefrau Sabine. Er ist seit 1978 mit ihr verheiratet und hat drei in seinem Haushalt lebende Kinder im Alter von sechzehn, neunzehn und zweiundzwanzig Jahren; eine leibliche Tochter, einen Adoptivsohn und eine Adoptivtochter. Der Angeklagte arbeitete zunächst sechs Jahre beim Finanzamt Neukölln-Süd, bis er 1984 zur Steuerfahndung versetzt wurde. Seit 1993 ist er zugleich Dozent für Steuerrecht; seit 1999 leitet er im Auftrag der Berliner Oberfinanzdirektion Fortbildungsveranstaltungen in seiner Behörde. Trotz erheblicher Probleme mit Vorgesetzten wurde er zuletzt zum Steueroberamtsrat beim Berliner Finanzamt für Fahndung und Strafsachen befördert.
1. Der Angeklagte A reichte als Geschäftsführer der A i· GmbH beim Finanzamt Neu-Ulm T-~ 7. Januar 2002 (gemeinsamer Eingang der Erklärungen) für die Veranlagungsjahre 1999 und 2000 jeweils (mit einem Erstattungsanspruch endende) Steuererklärungen ein, die über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige Angaben enthielten. In den Erklärungen machte er Vorsteuern und Steuerfreiheit für innergemeinschaftliche Lieferungen geltend, obwohl er damit rechnete, daß es sich bei den insoweit getätigten Umsätzen um Geschäfte mit einem Umsatzsteuerkarussell und dessen zum Zwecke der Steuerhinterziehung in die Kreisläufe eingeschalteten Scheinfirmen handelte. Die zugrundeliegenden illegalen Transaktionen nahm er im Interesse der Umsatzförderung für seine Firma ebenso wie die daran anknüpfende inhaltliche Unrichtigkeit seiner Steuererklärungen billigend in Kauf. Hierdurch verkürzte er Steuern in Höhe von insgesamt mindestens ' 637.760 DM.
In der Umsatzsteuererklärung für das Veranlagungsjahr 2000 machte er nicht abzugsfähige Vorsteuern in Höhe von 423.665 DM geltend. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus den Vorsteuern aus Rechnungen im Zusammenhang mit Fahrzeugankäufen der Firma XXX GmbH von den (Schein-)Firmen XXX (163.521 DM), J. W. (128.069 DM) F. (105.538 DM) und J (26.537 DM).
In der Umsatzsteuererklärung für das Veranlagungsjahr 1999 nahm er (bei zugrundegelegten Umsätzen XXX DM und XXX DM/T unberechtigt Steuerfreiheit in Höhe von 169.177 DM für angebliche innergemeinschaftlichen Lieferungen in Anspruch. Diese Beträge stammen aus Fahrzeugverkäufen der Firma 4~11 L GmbH an die vermeintlich im EU-Ausland ansässigen Firmen XXX = Steuerverkürzungsanteil in Höhe von 49.361 DM sowie Versuchsanteil in Höhe von 22.187 DM) und T/Belgien (X DM). Insoweit trat eine Steuerverkürzung von insgesamt 146.990 ein
In der Umsatzsteuererklärung für das Veranlagungsjahr 2000 nahm er (bei zugrundegelegten Urnsätzen von XXXDM/D und XXX DM/T unberechtigt Steuerfreiheit in Höhe von 116.841 DM für angebliche innergemeinschaftliche Lieferungen in Anspruch. Diese Beträge stammen aus Fahrzeugverkäufen der Firma XXX GmbH an die vermeintlich im EU-Ausland ansässigen Firmen XXX/Österreich DM = Steuerverkürzungsanteil in Höhe von 42.849 DM sowie Versuchsanteil in Höhe von 49.736 DM) und T/Belgien (X/DM). Insoweit trat eine Steuerverkürzung von insgesamt 67.105 DM ein.
a) Mit den genannten Firmen hat es folgendes auf sich : Im Frühjahr 1997 taten sich im Trierer Raum die gesondert verfolgten Raphael K und Franz M zusammen, um in größerem Umfang Steuerhinterziehungen im Zusammenhang mit Kfz-Verkäufen zu betreiben. Das Geschäftsmodell ging dahin, hochwertige Pkw umsatzsteuerfrei einzukaufen und die so erworbenen Wagen mit Mehrwertsteuer zu veräußern; die so erlangte Umsatzsteuer, die selbstverständlich nicht an das Finanzamt abgeführt werden sollte, bildete den Gewinn. Zum Zwecke des ?umsatzsteuerfreien" Einkaufs gründete Raphael K zusammen mit seinem Vater Heinrich-Peter K mit angeblichem in Luxemburg. Diese Gesellschaft, deren Geschäftsführer Raphael K war und die ihre Tätigkeit im April 1997 aufnahm, diente ausschließlich dazu, beim Kfz-Ankauf einen Leistungsempfänger im EU-Ausland vorzutäuschen, um auf diese Weise die Umsatzsteuerfreiheit für innergemeinschaftliche Lieferungen geltend machen zu können. Die von der W netto erlangten Pkw, weiche das Inland in Wahrheit nicht verlassen sollten, wurden (ebenfalls netto) an fiktive Kunden (Scheinfirmen) ?weggeschrieben". Auf einem zweiten, vom ?W-Einkauf unabhängigen Weg wurden die Fahrzeuge dann von einer gleichfalls von XXX beherrschten deutschen (Schein-)Firma inklusive Mehrwertsteuer an einen Endkunden abgerechnet.
Neben etlichen anderen Lieferanten bezogen XXX über die W seit Sommer 1997 Mercedes-Pkw auch. von der A-GmbH. Mit keinem Lieferanten wurde offen über den kriminellen Hintergrund der Geschäfte gesprochen. Vielfach hatte K indes das Gefühl, alle wüßten Bescheid; manchmal wurde er von Autohändlern mehrdeutig angesprochen; vereinzelt auch in freundlichem Ton gewarnt. Da es sich bei Umsatzsteuerkarussellen im Zusammenhang mit dem Handel hochwertiger Pkw um ein zwar unerlaubtes, aber gleichwohl gängiges Phänomen handelt, wußte K um die Gefahr der Entdeckung durch die Finanzämter. Im Jahre 1998 häuften sich Ruckfragen der Ämter in einem Maße, daß KI nach eigenen Worten ?kalte Füße" bekam und ?mit der W Schluß machte". Ende 1998 bis Herbst 1999 arbeitete er als Angestellter einer Luxemburger Firma.
Auch nach dem vorläufigen Ende der geschäftlichen Zusammenarbeit brach der private Kontakt zwischen Raphael K und Franz M nie ganz ab. K war mit seinem Angestellten-Dasein nicht zureden; das Betriebsklima der. Firma war schlecht, der Lohn nicht allzu hoch. So war K den wiederholten Bitten des Franz M- , doch wieder ?ins Geschäft einzusteigen m Laufe des Jahres 1999 mehr und mehr zugänglich. Im Herbst 1999 war es schließlich soweit: K/M gründeten ihr Umsatzsteuerkarussell II. Auch diese kriminelle Gründung folgte dem beschriebenen Geschäftsmodell; lediglich die angeblich im Geschäftsverkehr auftretenden Firmen wurden ausgetauscht. An Stelle der lW/Lluxemburg wurde von K vorgeblicher umsatzsteuerfreier Einkäufer die Firma K/GmbH mit Sitz in Feldkirch/Österreich gegründet. K war alleiniger (Gesellschafter; Geschäftsführer wurde ein F.M. dem ?administrative Aufgaben oblagen und der mit dem Kfz-Handel nichts zu tun hatte. Darüber hinaus nutzten K/M als Netto-Ankaufsfirma die Gesellschaft T mit Sitz in Anon/Belgien (Inhaber Roger B)
Über die D und die T bezogen K/M als angebliche innergemeinschaftliche Lieferungen in den Jahren 1999/2000 hochwertige Mercedes-Pkw von der A/L GbHH in dem oben bezeichneten Umfang.
Die inländischen von K/Ml beherrschten und lediglich Rechnungen schreiben- den (Schein-)Firmen, durch welche steuerfrei angekauften Pkw an Endabnehmer gelangen sollten, waren die A/F-GmbH, Auto W und Jürgen T. Diese Firmen haben zwar Umsatzsteuer in Rechnung gestellt, diese aber tatplangemäß weder angemeldet noch abgeführt. Diese genannten Scheinunternehmen verkauften an die X-GmbH im Jahre 2000 Mercedes-Pkw in dem oben bezeichneten Umfang und stellten A Firma insoweit Vorsteuer ausweisende Rechnungen aus.
b) Bei Beginn seiner Geschäfte mit XXX im Jahre 1997 handelte der Angeklagte A möglicherweise noch nicht vorsätzlich hinsichtlich seiner objektiven Teilnahme an einem Umsatzsteuerkarussell. Zwar liegt es nahe, daß der im Autohandel äußerst versierte Angeklagte mit seiner langjährigen Erfahrung durchaus argwöhnte, sein gerade 26jähriger, in der Branche zuvor nicht etablierter Geschäftspartner mit der ausländischen Firma und dem Umschlag voller Bargeld könne mit dem steuerfreien Einkauf letztlich auch illegale Absichten verfolgen. Dies gilt namentlich vor dem Hintergrund, daß (wie die Steuerfahnder K/Berlin und K/Trier erläutert haben) Steuerhinterziehungen mit hochwertigen Pkw (ebenso, wie mit Handys) ein seit geraumer Zeit sehr verbreitetes Phänomen sind; was dem Angeklagten als Branchenkenner mit vielfältigen Kontakten schlechthin nicht verborgen geblieben sein kann. Der Frage muß jedoch nicht mehr nach- gegangen werden, weil von der Verfolgung der angeklagten Taten aus dem ersten Umsatzsteuerkarussell in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO abgesehen worden ist.
Im zweiten von K/M ab Oktober 1999 betriebenen Umsatzsteuerkarussell (D/Trivest) rechnete der Angeklagte jedoch zweifelsfrei mit der Möglichkeit, daß es sich bei den insoweit getätigten Umsätzen um Geschäfte mit Kriminellen und deren zum Zwecke der Steuerhinterziehung vorgeschobenen Scheinfirmen handelte. In der (wie das hiesige Strafverfahren zeigt - irrigen) Annahme, solches werde man ihm niemals nachweisen können, wenn er sich nur nichts anmerken ließe, nahm er die Illegalität der Geschäfte im Interesse seines Firmenumsatzes billigend in Kauf.
So erfolgte die Abwicklung der Geschäfte äußerlich unauffällig. Der Angeklagte (bzw. die auf seine Anweisung handelnden Firmenmitarbeiter) legte Automappen über die an die D oder T verkauften Wagen an, fragte die jeweiligen Umsatzsteuer- Identifikationsnummern der Firmen in Saarlouis an und heftete die Antwort ordentlich ab. Die Vorgänge wurden korrekt abgerechnet (etwa keine Unterfakturierung wie bei anderen K/M-Partnern). Zu keinem Zeitpunkt