27.01.2012
Hessisches Landesarbeitsgericht: Urteil vom 18.05.2011 – 8 Sa 1979/10
Tenor:
Das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 01. Dezember 2010 - 5 Ca 431/10 - wird abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der Altersgrenzenregelung der Betriebsvereinbarung "Umsetzungen des Demographietarifvertrages" vom 12. Dezember 2009 oder der Gesamtbetriebsvereinbarung "Umsetzungen des Demographietarifvertrages" vom 24. November 2009 mit Ablauf des Monats endet, in dem die Klägerin das Alter erreicht, in dem sie erstmals einen Anspruch auf gesetzliche Altersrente erwirbt - also nicht mit Ablauf des 31. Juli 2011.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der Beklagte aufgrund von Betriebsvereinbarungen mit Erreichen des gesetzlichen Rentenalters endet.
Die am 07. Juli 1946 geborene, verheiratete Klägerin trat zum 01. April 1971 aufgrund Einstellungsschreibens vom 11. Februar 1971 in die Dienste einer Rechtsvorgängerin der Beklagten. In dem Einstellungsschreiben (Anlage K1 zur Berufungsbegründung vom 07.01.2011 - Bl. 188 d.A.) heißt es:
"Während der Dauer von drei Monaten kann das Dienstverhältnis von beiden Seiten mit einer einmonatigen Frist zum jeweiligen Monatsende gekündigt werden. Nach Ablauf der Probezeit treten die üblichen gesetzlichen und sozialen Bestimmungen in Kraft (Urlaub, Kündigungen, usw.)."
Die Klägerin war lange Jahre Betriebsratsvorsitzende in ihrem Beschäftigungsbetrieb und nunmehr Vorsitzende des im gemeinsamen Betrieb der Beklagten und der A in Weiterstadt gebildeten Betriebsrats, in den der ursprüngliche Beschäftigungsbetrieb in Dreieich übergegangen war.
Auf das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien finden die Tarifverträge der Chemischen Industrie Anwendung und dabei insbesondere der Tarifvertrag "Lebenszeit und Demographie" vom 16. April 2008/27. September 2008 (Bl. 6 - 20 d.A.). Unter dem 12. Dezember 2008 hatten der Betriebsrat des Gemeinschaftsbetriebes, dessen Vorsitzende die Klägerin später wurde, und die damaligen Träger des Gemeinschaftsbetriebes eine Betriebsvereinbarung über die "Betriebsordnung" (Bl. 21 - 50 d.A.) abgeschlossen. Dort ist unter Ziff. 11.1 bestimmt:
"Das Arbeitsverhältnis endet ohne Kündigung mit Ablauf des Kalendermonats, in dem das jeweils gültige gesetzliche Rentenalter vollendet wird."
Unter dem 23.12.2009 schlossen die gleichen Betriebsparteien eine freiwillige Betriebsvereinbarung "Umsetzung des Demographietarifvertrages" nach dessen § 4 das Arbeitsverhältnis ohne Kündigung mit Ablauf des Monats endet, in dem der Mitarbeiter das Alter erreicht, ab dem er erstmals einen Anspruch auf gesetzliche ungekürzte Regelsaltersrente erwirbt (vgl. Anlage A4 Bl. 52 f. d.A.).
Eine wortgleiche Altersgrenzenregelung ist in § 5 einer Gesamtbetriebsvereinbarung "Umsetzung des Demographietarifvertrages" vom 24. November 2009 enthalten.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Regelungen der Betriebsvereinbarungen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses seien unwirksam. Sie überschritten die Regelungskompetenz der Betriebsparteien, verstießen gegen § 77 Abs. 3 BetrVG sowie das europarechtliche Verbot der Altersdiskriminierung.
Die Klägerin hat beantragt,
es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ohne Zustimmung der Klägerin nicht durch die in § 4 der Betriebsvereinbarung "Umsetzung des Demographievertrages" in Ziff. 11.1 der Betriebsordnung vom 12. Dezember 2009 und in § 5 der freiwilligen Gesamtbetriebsvereinbarung "Umsetzung des Demographievertrages" vom 24. November 2009 enthaltene Regelung ohne Kündigung mit Ablauf des Monats endet, in dem die Klägerin das Alter erreicht, ab dem sie erstmals einen Anspruch auf gesetzliche ungekürzte Regelaltersrente - also mit Ablauf des 31. Juli 2011 - erwirbt.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Betriebsvereinbarungen seien wirksam und das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien werde dementsprechend enden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen mit Urteil vom 01. Dezember 2010 auf das verwiesen wird.
Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Der Betriebsrat habe keine Regelungskompetenz gehabt, den nicht befristeten Arbeitsvertrag der Klägerin nachträglich zu befristen. Die "Betriebsordnung" vom 12. Dezember 2009, die freiwillige Betriebsvereinbarung vom 23. Dezember 2009 und die Gesamtbetriebsver-einbarung verstießen gegen den Tarifvertrag "Lebensarbeitszeit und Demographie". Die Befristung verstoße auch gegen § 14 Teilzeit- und Befristungsgesetz.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 01. Dezember 2010 - 5 Ca 431/10 - abzuändern;
2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ohne Zustimmung der Klägerin nicht durch die in § 4 der Betriebsvereinbarung "Umsetzung des Demographietarifvertrages", in Ziff. 11.1 der Betriebsordnung vom 12. Dezember 2009 und in § 5 der freiwilligen Gesamtbetriebsvereinbarung "Umsetzung des Demographie-tarifvertrages" vom 24. November 2009 enthaltene Regelung ohne Kündigung mit Ablauf des Monats endet, in dem die Klägerin das Alter erreicht, ab dem sie erstmals einen Anspruch auf gesetzliche ungekürzte Altersrente - also mit Ablauf des 31. Juli 2011 - erwirbt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Berufung für unzulässig, da sie nicht erkennen ließe, in welchen Punkten und mit welchen Gründen das angefochtene Urteil unrichtig sein solle. Sie verteidigt im Übrigen das erstinstanzliche Urteil und ist der Auffassung, die Altersgrenzenregelungen in § 4 Betriebsvereinbarung Demographie, § 5 Gesamtbetriebsvereinbarung Demographie und in Ziff. 11.1 der Betriebsordnung seien wirksam und stünden mit europarechtlichen Vorschriften im Einklang. Sie seien auch auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin anwendbar. Der Arbeitsvertrag der Klägerin sei betriebsvereinbarungsoffen und lasse die Anwendung von Regelungen im Betriebsvereinbarungen auch hinsichtlich Altersgrenzenregelungen zu. Die Altersgrenzenregelung sei sachlich begründet.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien endet nicht aufgrund der in der Gesamtbetriebsvereinbarung und den Betriebsvereinbarungen "Betriebsordnung" und "Umsetzung des Demographietarifvertrages" enthaltenen Altersgrenzen.
I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt. Sie genügt auch den Anforderungen des § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO. Die Berufungsbegründung setzt sich im Einzelnen mit den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts auseinander, führt aus, dass und inwiefern diese unzutreffend seien und woraus sich die Begründetheit der Klage und damit eine Rechtsverletzung durch deren Abweisung ergibt.
II. Die zulässige Feststellungsklage ist begründet. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis mit der Beklagten nicht aufgrund der Altersgrenzen in den Betriebsvereinbarungen und der Gesamtbetriebsvereinbarung endet. Im Urteilsausspruch war klarzustellen, dass es - entsprechend dem Begehren der Klägerin - nur um diese Beendigungsgründe geht.
Die Altersgrenzenregelungen in den Betriebsvereinbarungen und der Gesamtbetriebsvereinbarung gelten nicht für die Klägerin. Aufgrund des Einstellungsschreibens der Rechtsvorgängerin der Beklagten ist zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Vertraglich ist zwischen den Parteien weder eine Befristung noch eine Altersgrenze vereinbart.
Es kann dahin stehen, ob die in den Betriebsvereinbarungen und der Gesamtbetriebsvereinbarung enthaltenen Altersgrenzen unwirksam sind, wie die Klägerin meint. Jedenfalls stellen die Altersgrenzen eine für die Klägerin ungünstigere Regelung dar. Aufgrund der Altersgrenzenregelung würde das Arbeitsverhältnis der Klägerin auch gegen deren Willen und ohne dass es einer Kündigung bedürfte, mit Erreichen der Altersgrenze enden. Im Verhältnis zwischen einer vertraglichen Regelung und einer Betriebsvereinbarung gilt das Günstigkeitsprinzip (BAG GS v. 07.11.1989 - GS 3/85 - BAGE 63, 2011 zu II. der Gründe).
Der Arbeitsvertrag zwischen den Parteien ist auch nicht "betriebsvereinbarungsoffen". Er enthält weder einen Vorbehalt der Regelung von Arbeitsbedingungen durch Betriebsvereinbarung noch verweist er auf Betriebsvereinbarungen. Ein solcher Verweis ist insbesondere nicht enthalten in dem Satz des Einstellungsschreibens vom 11. Februar 1971: "Nach Ablauf der Probezeit treten die üblichen gesetzlichen und sozialen Bestimmungen in Kraft (Urlaub, Kündigung, usw.)."
Unter "gesetzlichen und sozialen Bestimmungen" sind jedenfalls keine Betriebsvereinbarungen zu verstehen. Wenn - wie die Beklagte ohne nähere Substantiierung behauptet - zur Zeit des Einstellungsschreibens bei der vertragsschließenden Rechtsvorgängerin der Beklagten bereits Betriebsvereinbarungen existierten, hätte es nahegelegen auf "Betriebsvereinbarungen" zu verweisen, wenn diese gemeint waren. Gab es bei der Beklagten noch keine Betriebsvereinbarungen - wovon angesichts des unsubstantiierten Vortrags der Beklagten auszugehen ist - und auch noch keinen Betriebsrat, wie die Klägerin behauptet, war unter "sozialen Bestimmungen" von einem verständigen Erklärungsempfänger jedenfalls keine Betriebsvereinbarungen zu verstehen. Es kann letztlich offen bleiben, was ansonsten mit "soziale Bestimmungen" gemeint war und darunter fallen sollte. Der Gesamtzusammenhang und der Klammerzusatz sprechen dafür, dass das Wort "soziale" nicht isoliert zu sehen ist, sondern der fragliche Passus dahin zu verstehen ist, dass auf die gesetzlichen und speziell auf die "sozialen" gesetzlichen Bestimmungen verwiesen werden sollte.
Jedenfalls ist auf Betriebsvereinbarungen nicht mit der erforderlichen Klarheit verwiesen. Wer aber eine Regelung geschaffen hat, muss bei Unklarheiten die ihm ungünstige Auslegungsmöglichkeit gegen sich gelten lassen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vgl. u.a. BAG v. 23.09.2003 - 3 AZR 551/02 - AP BetrVG 1972 § 77 Nr. 93 zu II. 1. der Gründe; BAG v. 18.05.2010 - 3 AZR 373/08 - NZA 2010, 935 zu II. 3. c) der Gründe). Wie in § 305 c) Abs. 2 BGB nunmehr normierte Unklarheitenregel galt auch bereits vor Inkrafttreten dieser Vorschrift aufgrund des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (vgl. BAG aaO.).
III. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen, da sie erfolglos blieb.
Für die Zulassung der Revision besteht kein Grund.