21.10.2003 · IWW-Abrufnummer 032300
Oberlandesgericht Bremen: Urteil vom 09.07.2003 – 1 U 72/02
1. Eine Abschlagsrechnung nach § 16 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B ist prüffähig, wenn sie zumindest zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Zivilgerichts und unter Berücksichtigung des Prozessvortrages des Auftragnehmers prüfbar ist.
2. Für die Prüfbarkeit der Abrechnung kommt es auf das Verständnis eines Fachkundigen, z.B. des Architekten des Auftraggebers, an.
3. Eine von dem Architekten des Auftraggebers geprüfte Rechnung ist i.d.R. als prüffähig anzusehen.
OLG Bremen, Urteil vom 09.07.2003 - 1 U 72/02 (rechtskräftig)
Aus den Gründen:
... Dem klagabweisenden Urteil des LG liegt die Auffassung zugrunde, dass die Abschlagsrechnung des Klägers vom 26.11.2001, auf die die Klagforderung gestützt ist, nicht prüffähig sei (§ 16 Nr. 1 Abs. 1 S. 1 u. 2 VOB/B). Diese Auffassung ist unzutreffend. Das LG hat die rechtlichen Voraussetzungen, die an die Prüffähigkeit einer Abschlagsrechnung zu stellen sind, teilweise verkannt und den Streitstoff insoweit partiell unzutreffend gewürdigt.
Im Ausgangspunkt zutreffend geht das LG davon aus, dass nach § 16 Nr. 1 Abs. 1 VOB/B Abschlagszahlungen auf Antrag des Auftragnehmers in Höhe des Wertes der jeweils nachgewiesenen vertragsgemäßen Leistungen zu gewähren sind, wobei die Leistungen durch eine prüfbare Aufstellung nachzuweisen sind, die eine rasche und sichere Beurteilung der Leistungen ermöglichen muss. Dies bedeutet, dass der Auftragnehmer die jeweils in dem betreffenden zeitlichen Abstand erbrachten Leistungselemente schriftlich aufzuführen und Angaben zu machen hat, die die Aufstellung prüfbar machen (Ingenstau/Korbion/Locher, Kommentar zur VOB, 14. Aufl. 2001, B § 16 Nr. 1 Rz. 44). Wie in der Regelung der VOB/B zur Abrechnung in § 14 Nr. 1 u. 2 hat auch die Regelung des § 16 den Zweck, ein ordnungsgemäß nachprüfbares Leistungsbild darzulegen (Ingenstau/Korbion/Locher, Kommentar zur VOB, 14. Aufl. 2001, B § 16 Nr. 1 Rz. 44 m.N.). Da es sich bei der Abschlagsrechnung nur um eine vorläufige Aufstellung handelt, sind die Anforderungen an die Prüffähigkeit erheblich geringer als bei einer Schlussrechnung (BGH vom 09.01.1997 - VII ZR 69/96, IBR 1997, 182). Aus der prüfbaren Aufstellung muss sich jedoch - wie bei einer Schlussrechnung - auch bei der Abschlagsrechnung ergeben, welche Einzelleistungen nach der Auffassung des Auftragnehmers erbracht sind und welchen Rechnungswert sie bei einwandfreier Ausführung im Einzelnen haben (BGHZ 73, 140; Ingenstau/Korbion/Locher Kommentar zur VOB, 14. Aufl. 2001, B § 16 Nr. 1 Rz. 44).
Allgemein ist zur Prüffähigkeit der Abrechnung des Auftragnehmers bei einem VOB/B Vertrag auszuführen, dass sich die vom Gericht anzustellende Schlüssigkeitsprüfung auf die Prüfung der Angaben bezieht, die in einer prüffähigen Rechnung mitzuteilen sind (Vertrag, erbrachte Leistung; vgl. OLG Hamm vom 25.03.1996 - 17 U 117/94, IBR 1996, 230). Die Darlegungen im Prozessvortrag können dabei eine prüffähige Rechnung ersetzen (OLG Hamm IBR 1998, 260). Es genügt, wenn die Rechnung zu dem Zeitpunkt, an dem die mündliche Verhandlung geschlossen worden ist, unter Berücksichtigung des Prozessvortrages des Auftragnehmers prüffähig ist (vgl. Riedl/Rusan/Heiermann, Kommentar zur VOB/B, 9. Aufl. 2000, B § 14 Rz. 25d).
Dabei ist die Prüffähigkeit der Rechnung nicht gleichzusetzen mit ihrer sachlichen Richtigkeit oder der Berechtigung der Forderung selbst (BGH BauR 1999, 637). Ergibt etwa die Nachrechnung einer Position des Leistungsverzeichnisses nicht das vom Auftragnehmer niedergelegte Ergebnis, so ist die Berechtigung nicht nachgewiesen; die Werklohnklage muss insoweit als unbegründet abgewiesen werden; auch bei größeren Fehlern bleibt eine Rechnung prüffähig (Riedl/Rusan/Heiermann, Kommentar zur VOB/B, 9. Aufl. 2000, B § 14 Rz. 25c). Bei der Prüfung der Frage, ob eine Abschlagsrechnung den rechtlichen Anforderungen genügt, hat das Gericht zunächst zu prüfen, ob die in der Rechnung angegebenen Rechtsgrundlagen für die einzelnen Posten den Posten des zum Vertragsinhalt gewordenen Leistungsverzeichnisses und damit dem Vertrag entsprechen (Riedl/Rusan/Heiermann, Kommentar zur VOB/B, 9. Aufl. 2000, B § 14 Rz. 25a). Wenn z.B. unter Posten der Rechnung, die im Leistungsverzeichnis nicht enthalten waren, Lohn verlangt wird, hat das Gericht zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Honorierung zusätzlicher Leistungen, insb. gem. § 2 Nr. 5 bis 8 VOB/B, vorliegen (Riedl/Rusan/Heiermann, Kommentar zur VOB/B, 9. Aufl. 2000, B § 14 Rz. 25a).
Bei der weiteren Prüfung der Frage, welche Leistungen in Rechnung gestellt werden, kommt es darauf an, ob der Adressat der Rechnung, der Auftraggeber, weiß, welche Leistungen berechnet werden (Riedl/Rusan/Heiermann, Kommentar zur VOB/B, 9. Aufl. 2000, B § 14 Rz. 25a). Insoweit hat der BGH ausgeführt (BGH BauR 1999, 1185 [1186]), dass die Prüfbarkeit einer Schlussrechnung kein Selbstzweck ist: "Die Anforderungen an die Prüfbarkeit ergeben sich vielmehr aus den Informations- und Kontrollinteressen des Auftraggebers. Diese bestimmen und begrenzen den Umfang der Differenzierung der für die Prüfbarkeit erforderlichen Angaben der Schlussrechnung. In welchem Umfang die Schlussrechnung aufgeschlüsselt werden muss, damit sie den Auftraggeber in die Lage versetzt, sie in der gebotenen Weise zu überprüfen, ist eine Frage des Einzelfalls, die abgesehen von den Besonderheiten der Vertragsgestaltung und der Vertragsdurchführung auch von den Kenntnissen und Fähigkeiten des Auftraggebers und seiner Hilfspersonen abhängt".
Damit ergibt sich, dass es für die Prüfbarkeit der Abrechnung auf das Verständnis des Fachkundigen, z.B. des Architekten des Auftraggebers, ankommt (BGH IBR 2002, 68). Dabei ist eine von dem Architekten des Auftraggebers geprüfte Rechnung i.d.R. als prüffähig anzusehen (OLG Oldenburg BauR 1997, 523; Riedl/Rusan/Heiermann, Kommentar zur VOB/B, 9. Aufl. 2000, B § 14 Rz. 25a).
Hat das Gericht Bedenken gegen die Prüffähigkeit der Abschlags- oder Schlussrechnung, muss es diese Bedenken dem Auftragnehmer unter Fristsetzung mitteilen, bevor es die Werklohnklage mangels Fälligkeit ohne Prüfung der weiteren Streitpunkte abweisen darf; das Gericht hat insoweit eine ins Einzelne gehende Hinweispflicht; dies gilt auch in Anwaltsprozessen (BGH BauR 1999, 638; OLG München BauR 1993, 347; Riedl/Rusan/Heiermann, Kommentar zur VOB/B, 9. Aufl. 2000, B § 14 Rz. 25b m.w.N.).
Prüft man den Streitstoff des vorliegenden Rechtsstreits anhand der eben dargelegten rechtlichen Vorgaben, ergibt sich, dass die Abschlagsrechnung des Klägers vom 26.11.2001 prüffähig ist.
Die Abschlagsrechnung ist übersichtlich nach einzelnen Positionen aufgemacht, gibt die jeweiligen Einheiten und Massen sowie den Einheitspreis und Gesamtpreis an. Dabei orientiert sich die Abschlagsrechnung hinsichtlich der Positionen, die mit Ziff. 5 beginnen, an dem Leistungsverzeichnis des Beklagten vom 11.04.2000. Die Positionen in der Abschlagsrechnung, die mit den Ziff. 6 bis 9 beginnen, sind Positionen, die in dem Leistungsverzeichnis nicht enthalten waren, wobei der Kläger die Gründe für die Leistungsänderungen und -erweiterungen sehr erheblichen Umfangs in der Klagschrift und in seinem Schriftsatz vom 17.06.2002 im Einzelnen dargelegt und in der Berufungsbegründung zusammengefasst hat.
Der Abschlagsrechnung des Klägers waren unstreitig das Aufmaß Bl. 1-04 sowie das Aufmaß Bl. 1-25 beigefügt, das Lüftungsaufmaß 26 u. 27 mit Berechnungsblatt, eine Aufmaßzusammenstellung 1 u. 2 sowie eine Nachtragskalkulation Bl. 1-21. Aus der Nachtragskalkulation lässt sich erkennen, wie der Kläger die Material- und Lohnkosten für die im Leistungsverzeichnis des Beklagten nicht enthaltenen Positionen berechnet hat.
Außerdem hat der Kläger im Laufe des Rechtsstreits erstinstanzlich zusätzlich ein Nachtragsangebot vom 15.01.2002 vorgelegt, in dem die in der Abschlagsrechnung mit Positionen 6 bis 9 genannten Rechnungsposten enthalten sind.
Die Beklagte hat nicht substanziiert dargetan, dass die detaillierte und von dem Kläger im Einzelnen erläuterte Abschlagsrechnung nicht prüffähig sei.
Wie ausgeführt, kommt es bei der Beurteilung der Frage, ob eine Abrechnung prüffähig ist, auf die Sichtweise des von dem Auftraggeber zur Prüfung eingeschalteten sachkundigen Fachmannes an. Insoweit fällt auf, dass das von dem Beklagten insoweit beauftragte Architektenbüro AIS, W.S. GmbH, mit Schreiben vom 18.12.2001, die Abschlagsrechnung des Klägers lediglich pauschal als nicht prüfbar einordnet, gleichzeitig jedoch ausdrücklich ausführt, eine "Prüfung der eingereichten Aufmaß- und Rechnungsunterlagen" habe ergeben, dass an bestimmten Berechnungen Beanstandungen vorzunehmen seien; außerdem führt das Architektenbüro in dem genannten Schreiben aus, es habe "zur Klärung des Leistungsvolumens das eingereichte Aufmaß bearbeitet und den tatsächlichen Leistungsumfang" ermittelt.
Der Vortrag der Beklagten setzt sich mit den schriftlichen Ausführungen des von ihr eingeschalteten Architektenbüros, die vorstehend zitiert worden sind, nicht substanziiert auseinander. Schon aus dem Schreiben des Architekturbüros vom 18.12.2001 ergibt sich, dass die Beklagte den Leistungsumfang anhand des eingereichten Aufmaßes tatsächlich ermittelt hat und also ermitteln konnte. Dies wird nachdrücklich bestätigt durch die am 22.01./23.01.2002 von dem Architektenbüro vorgenommenen handschriftlichen Änderungen zu jeder einzelnen Position des von dem Kläger eingereichten Nachtragsangebots vom 15.01.2002 sowie der Nachtragskalkulation des Klägers. Damit ergibt sich, dass die von der Beklagten eingeschalteten Fachleute die Abschlagsrechnung des Klägers zu jeder Position geprüft haben, weshalb die Beklagte sich auf eine mangelnde Prüffähigkeit der Abschlagsrechnung nicht mit Erfolg berufen kann. Wenn die Beklagte zu diesem Punkt lediglich einwendet, das Ingenieurbüro habe versucht, "dem Kläger eine Hilfestellung zur Herbeiführung einer ordnungsgemäßen Abrechnung zu geben", überzeugt dies nicht und räumt jedenfalls nicht die Tatsache aus, dass die Beklagte in der Lage gewesen ist, aufgrund der Abschlagsrechnung des Klägers zu erkennen, welche Leistungen zu welchem Preis der Kläger abrechnen wollte.
Die Abschlagsrechnung wird mithin den Informations- und Kontrollinteressen des Auftraggebers gerecht, auf die es hinsichtlich der Anforderungen an die Prüfbarkeit - wie ausgeführt - entscheidend ankommt.