24.05.2002 · IWW-Abrufnummer 020553
Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 30.03.1998 – II 240/97
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Nürnberg
Az.: II 240/97
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
- Klägerin -
Prozessbevollmächtigter: ...
gegen
Finanzamt - Beklagter -
wegen Umsatzsteuer 1991
hat der II. Senat durch
den Richter am Finanzgericht
aufgrund mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 30. März 1998
gemäß § 79 a Abs. 3 und 4 FGO für Recht erkannt:
1. Die Einspruchsentscheidung vom 24.07.1997 wird aufgehoben. Unter
Änderung des Umsatzsteuerbescheides vom 07.02.1997 wird die
Umsatzsteuer auf 1.298.674,00 DM herabgesetzt.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Beschluß
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Umsätze aus dem Verkauf einer ?Car-Garantie? steuerpflichtig sind.
Die Klägerin ? eine GmbH ? betreibt den Einzelhandel mit Kraftfahrzeugen. Die von der Klägerin für 1991 eingereichte Umsatzsteuerjahreserklärung wirkte nach erteilter Zustimmung durch das Finanzamt als Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, §§ 164, 168 AO. Im Anschluß an eine bei der Klägerin für die Jahre 1988 bis 1991 durchgeführte Betriebsprüfung (vgl. Bericht vom 15.07.1996) setzte das Finanzamt mit Bescheid vom 07.02.1997 die Umsatzsteuer 1991 auf 1.303.346,56 DM fest. In Höhe von 4.672,19 DM beruht die Steuererhöhung darauf, daß das Finanzamt bisher als durchlaufende Posten behandelte Entgelte aus dem Verkauf einer ?Car-Garantie? der Umsatzbesteuerung unterwarf. Das Finanzamt vertrat dabei die Auffassung, die Garantieübernahme, die im Zusammenhang mit Gebrauchtwagenverkäufen erfolgte, stelle eine Mehrleistung dar, die das Schicksal der Hauptsache teile und damit umsatzsteuerpflichtig sei. Der dagegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.
Mit ihrer gegen die Einspruchsentscheidung vom 24.07.1997 erhobenen Klage beantragt die Klägerin die Umsatzsteuer 1991 um 4.672,19 DM niedriger festzusetzen. Zur Begründung trägt sie folgendes vor:
Im Rahmen der Veräußerung von Gebrauchtwagen habe die Klägerin den Käufern eine sogenannte ?Car-Garantie? angeboten. Nach § 1 der Garantiebedingungen habe die Klägerin dem Käufer eine Garantie für die Funktionsfähigkeit einzeln aufgeführter Autoteile für eine bestimmte Zeit geboten. Sowohl in den Garantiebedingungen als auch in der Garantievereinbarung sei ausdrücklich vermerkt gewesen: ?Diese Garantie ist durch die ... Versicherungs ... (nachstehend ...G) versichert.? Es handle sich hierbei ausschließlich um die Verschaffung von Versicherungsschutz für die Käufer der Gebrauchtwagen. Diese Leistung sei nach § 4 Nr. 10 b UStG steuerfrei. Der Fahrzeugkäufer habe im Schadensfall lediglich Entschädigungsansprüche gegen die ...G, die insoweit wirtschaftlich als Reparaturkostenversicherer aufgetreten sei. Die Verschaffung von Versicherungsschutz stelle auch eine selbständige Hauptleistung neben der Lieferung des Fahrzeugs dar. Das Entgelt für die sogenannte Garantie sei deshalb nicht in die Bemessungsgrundlage für die Lieferung des Fahrzeugs mit einzubeziehen.
Das Finanzamt beantragt die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt es im wesentlichen vor, es handle sich bei der Car-Garantie nicht um Verschaffung von Versicherungsschutz. Die Garantieleistungen seien Nebenleistungen zur Lieferung des Fahrzeugs und somit umsatzsteuerpflichtig. Im übrigen nimmt es auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom 24.07.1997 Bezug.
Dem Gericht lagen die Garantievereinbarungen zwischen der Klägerin und den Käufern, die Annahmerichtlinien für Gebrauchtwagen, die Garantiebedingungen sowie der Sammelvertrag für Kfz.-Garantieversicherungen (...) vor.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der zum Berichterstatter bestellte Richter anstelle des Senats entscheidet, § 79 a Abs. 3, 4 FGO.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
1. Nach § 4 Nr. 10 b UStG sind steuerfrei die Leistungen, die darin bestehen, daß anderen Personen Versicherungsschutz verschafft wird. Die Verschaffung von Versicherungsschutz liegt vor, wenn der Unternehmer mit einem Versicherungsunternehmen einen Versicherungsvertrag zugunsten eines Dritten abschließt. Der Unternehmer muß also selbst zum Sicherungsnehmer werden. Für den Begriff des Versicherungsverhältnisses ist von Grundsätzen des Versicherungssteuerrechts auszugehen. Er ist nicht auf bestimmt Versicherungsarten beschränkt. Durch den Versicherungsvertrag muß der begünstigte Dritte das Recht erhalten, im Versicherungsfall die Versicherungsleistung zu fordern. Unerheblich ist es, ob dieses Recht unmittelbar gegen das Versicherungsunternehmen oder mittelbar über den Unternehmer geltend gemacht werden kann. Im Autohandel werden Garantieversicherungen vom Autohändler zugunsten des Fahrzeugkäufers abgeschlossen, in denen im Garantiefall der Käufer einen Anspruch gegen den Versicherer geltend machen kann. Durch die Verschaffung von Versicherungsschutz tritt beim Kfz.-Händler hinsichtlich der vereinnahmten Garantieprämie Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 10 b UStG ein. Die Verschaffung von Versicherungsschutz stellt hier eine selbständige Hauptleistung neben der Lieferung des Kraftfahrzeugs dar. Das Entgelt für die sogenannte Car-Garantie ist deshalb nicht in die Bemessungsgrundlage für die Lieferung des Fahrzeugs einzubeziehen (vgl. Köhler in Plückebaum-Malitzky UStG § 4 Nr. 10 Rz. 53 und 55).
2. Unter Berücksichtigung vorgenannter Grundsätze, stellt die von der Klägerin den Käufern eingeräumte Car-Garantie die Verschaffung von Versicherungsschutz im Sinne des § 4 Nr. 10 b UStG dar.
So gibt die Car-Garantie dem Käufer keinen unmittelbaren Reparaturanspruch gegen die Klägerin. Nach § 1 Nr. 2 der Bedingungen hat der Käufer lediglich einen Anspruch auf Entschädigung, wenn durch den Eintritt eines garantiepflichtigen Schadens eine Reparatur erforderlich wird. Nach § 6 Nr. 1 der Bedingungen übernimmt die ...G für den Verkäufer im Garantiefall die Schadensregulierung. Ansprüche aus der geleisteten Garantie können nach § 6 Nr. 2 der Bedingungen vom Käufer ausschließlich und unmittelbar gegenüber der ...G geltend gemacht werden. In der Wahl der reparierenden Werkstatt ist der Käufer nach § 4 Nr. 2 e frei. Bei Eintritt eines Schadens hat er nach § 4 Nr. 2 der Bedingungen den Schadenseintritt unverzüglich der ...G anzuzeigen, der ...G die Erfüllung der Pflichten nach § 4 Nr. 1 der Bedingungen nachzuweisen und im übrigen die Weisungen der ...G bezüglich der Schadensminderung zu befolgen. Der Fahrzeugkäufer hat damit im Schadensfall lediglich Entschädigungsansprüche gegen die ...G, die insoweit wirtschaftlich als Reparaturkostenversicherer aufgetreten ist. Der Begriff Garantie im Zusammenhang mit dem Verkauf von Gebrauchtwagen ist in diesem Zusammenhang irreführend, da sich in der Garantie keine eigene Leistung des Händlers mehr niederschlägt. Der Händler hat überhaupt keine Einstandspflicht gegenüber dem Kunden, weil er sich für den scheinbar übernommenen Garantiefall in einer Weise abgesichert hat, die sicherstellt, daß der Händler aus dem Garantieversprechen nicht in Anspruch genommen werden kann. Dieser Umstand führte im vorliegenden Fall auch dazu, daß die ... G ab 1996 ihr Garantiemodell umstellen musste (vgl. dazu Urteil des OLG Frankfurt vom 21.12.1995 VI U 148/95, NJW-RR 1996, 1386). Soweit das Finanzamt auf Ministerialerlasse verweist, betreffen diese ausschließlich das ab 1996 praktizierte Garantiemodell und sind auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die von der Klägerin den Käufern der Gebrauchtwagen angebotene Car-Garantie besteht letztlich in der Verschaffung von Versicherungsschutz für die Käufer. Die darauf entfallenden Umsätze sind nach § 4 Nr. 10 b UStG steuerfrei.
3. Die Verschaffung von Versicherungsschutz stellt hierbei eine selbständige Hauptleistung neben der Lieferung des Fahrzeugs dar. Das Entgelt für die sogenannte Garantie ist deshalb nicht in die Bemessungsgrundlage für die Lieferung des Fahrzeugs mit einzubeziehen.
Soweit sich das Finanzamt auf den koordinierten Bund- Länder- Erlaß (hier gleichlautender Erlaß des Finanzministeriums Rheinland-Pfalz vom 29.08.1996) beruft, übersieht es, daß dieser Verfügung die ab 1996 eingeführten neuen Garantiebedingungen der ...G zugrunde liegen, welche ? im Gegensatz zu den streitbefangenen Bedingungen ? neben einem verschafften Versicherungsschutz einen rechtlich durchsetzbaren Reparaturanspruch gegen den garantiegebenden Händler enthalten und somit für den vorliegenden Fall nicht einschlägig sind.
Zu Unrecht vertritt das Finanzamt auch die Auffassung, eine Verschaffung von Versicherungsschutz nach § 4 Nr. 10 b UStG liege nur dann vor, wenn der Fahrzeugkäufer als Versicherungsnehmer einen unmittelbaren Versicherungsschutz habe. Die Vorschrift des § 4 Nr. 10 b UStG setzt gerade nicht voraus, daß der Begünstigte (Gebrauchtwagenkäufer) selbst Versicherungsnehmer ist. Wäre hier der Käufer Versicherungsnehmer, läge der Fall der Vermittlung einer Reparaturkostenversicherung vor, die nach § 4 Nr. 11 UStG zu beurteilen wäre. Der Fall des § 4 Nr. 10 b UStG setzt demgegenüber gerade voraus, daß derjenige, der den Versicherungsschutz verschafft, Versicherungsnehmer ist, während der Begünstigte gerade nicht Versicherungsnehmer wird, sondern lediglich Versicherungsschutz erhält.
Die Verschaffung von Versicherungsschutz stellt hierbei eine selbständige Hauptleistung neben der Lieferung des Fahrzeugs dar. Das Entgelt für die sogenannte Garantie ist deshalb nicht in die Bemessungsgrundlage für die Lieferung des Fahrzeugs einzubeziehen.
Der verschaffte Versicherungsschutz hat gegenüber der Lieferung des Gebrauchtwagens eigenständigen Charakter und eigenständiges Gewicht. Die Eigenständigkeit dieser Leistung ergibt sich bereits aus der fehlenden Identität der jeweiligen Leistungsschuldner. Schuldner der Gebrauchtwagenlieferung ist der Verkäufer (Klägerin); Schuldner der Leistungen aus den verschafften Versicherungsschutz ist dagegen die ...G.
Das eigenständige wirtschaftliche Gewicht der Leistung des Versicherungsschutz zeigt sich schon dahin, daß der Käufer durch den verschafften Versicherungsschutz die Möglichkeit erhält, entschädigungspflichtige Reparaturen durch Dritte vornehmen zu lassen. Dies ist für den Käufer von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung.
Die Verschaffung von Versicherungsschutz hängt auch nicht eng mit der Gebrauchtwarenlieferung im Sinne einer wirtschaftlich gerechtfertigten Abrundung und Ergänzung zusammen.
Die Verschaffung von Versicherungsschutz ist bei Lieferung eines Gebrauchtwagens weder notwendig noch aus sonstigen Gründen geboten. Dem Käufer steht es frei zu entscheiden, ob er dieses zusätzliche Angebot des Verkäufers annimmt und einen selbständigen zusätzlichen diesbezüglichen Vertrag neben dem Kaufvertrag abschließt. Auch ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen der Verschaffung von Versicherungsschutz und der Gebrauchtwagenlieferung liegt nicht vor. Zwar mag der Abschluß einer solchen Car-Garantie anläßlich eines Gebrauchtwagenkaufes sicherlich sinnvoll sein, doch hängt er nicht eng mit der Gebrauchtwagenlieferung im Sinne einer wirtschaftlich gerechtfertigten Abrundung und Ergänzung zusammen. Es wird dem Käufer lediglich ein direkter Anspruch gegen den Versicherer verschafft.
Die Verschaffung von Versicherungsschutz ist kein üblicherweise im Gefolge von Gebrauchtwagenlieferungen vorkommende Zusatzleistung. Bei Verkäufen ohne Beteiligung eines Gebrauchtwagenfachhändlers ist die Verschaffung eines derartigen Versicherungsschutzes praktisch unbekannt. Im vorliegenden Fall ist die Verschaffung von Versicherungsschutz auch nicht mit der Lieferung des Gebrauchtwagens rechtsgeschäftlich verknüpft, da dem Käufer lediglich die Möglichkeit eingeräumt wird, eine diesbezügliches zusätzliches Angebot anzunehmen.
Im Hinblick darauf war der Klage stattzugeben und die Umsatzsteuer 1991 um 4.672,10 DM niedriger festzusetzen.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war aufgrund der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage für notwendig zu erklären (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).