30.04.2002 · IWW-Abrufnummer 020465
Finanzgericht Düsseldorf: Beschluss vom 04.03.2002 – 3 V 5245/01 A/E
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
B E S C H L U S S
In dem Verfahren
- Antragsteller -
Prozessvertreter:
gegen
- Antragsgegner -
wegen Aussetzung der Vollziehung (Einkommensteuer 1998 und 1999 und Einkommensteuer-Vorauszahlungen 2000 und 2001) hat der 3. Senat in der Besetzung:
Vorsitzende Richterin am Finanzgericht
Richter am Finanzgericht
Richter am Finanzgericht
am 04.03.2002 beschlossen:
Die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide für 1998 und 1999 vom 30.11.2001 und 07.12.2001 sowie des Einkommensteuervorauszahlungsbescheids für die Jahre ab 2000 vom 20.08.2001 wird bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Entscheidung über die eingelegten Einsprüche in vollem Umfang ausgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Die Beschwerde wird zugelassen.
G r ü n d e :
Die Antragsteller hatten in den Jahren 1998 und 1999 - neben Einkünften des Antragstellers aus selbständiger Arbeit und Einkünften der Antragstellerin aus nichtselbständiger Arbeit - Einkünfte aus Gewerbebetrieb (der Antragsteller in beiden Jahren negative, die Antragstellerin im Jahre 1999 positive Einkünfte) und Werbungskostenüberschüsse aus Vermietung und Verpachtung. Die Verluste bzw. Werbungskostenüberschüsse des Antragstellers aus Gewerbebetrieb und Vermietung und Verpachtung waren überwiegend aus Beteiligungen des Antragstellers entstanden. Die Werbungskostenüberschüsse der Antragstellerin aus Vermietung und Verpachtung waren überwiegend bei der Vermietung von drei Wohnhäusern in ?A? bei ?B-Stadt? entstanden.
Im zuletzt ergangenen Einkommensteuerbescheid für 1998 vom 30.11.2001 wurden ebenso wie im zuvor für 1998 ergangenen Einkommensteuerbescheid vom 12.07.2001 alle negativen und positiven Einkünfte miteinander verrechnet und ein gemäß § 10 d Absatz 1 Einkommensteuergesetz in der ab 1999 geltenden Fassung (EStG) errechneter Verlustrücktrag aus dem Jahre 1999 in Höhe von 319 DM berücksichtigt; mit dem Bescheid vom 30.11.2001 forderte der Antragsgegner Einkommensteuer für 1998 von 2.657 DM nach.
In dem zuletzt für 1999 ergangenen Einkommensteuerbescheid vom 07.12.2001 ging der Antragsgegner bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens u. a. von folgenden Besteuerungsgrundlagen aus:
Antragsteller Antragstellerin
Einkünfte aus Gewerbebetrieb ./. 83.500 DM 50.000 DM
Einkünfte aus selbständiger Arbeit 364.000 DM
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit 44.654 DM
Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
- aus bebauten Grundstücken ./. 24.781 DM ./. 414.607 DM
- aus Beteiligungen ./. 724.885 DM
Einkünfte ./. 749.666 DM ./. 414.607 DM
In den Werbungskostenüberschüssen der Antragstellerin aus Vermietung und Verpachtung sind Werbungskostenüberschüsse in Höhe von 389.827 DM aus der Vermietung der Wohnhäuser in ?A? enthalten, die u. a. durch Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz (FördG) in Höhe von 251.925 DM entstanden sind.
Der Antragsgegner ging in dem Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 07.12.2001 gemäß der ab 1999 geltenden Vorschrift des § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. Einkommensteuergesetz (EStG) bei negativen Einkünften von insgesamt 1.247.773 DM von einem ausgleichsfähigen Betrag von 329.327 DM aus, errechnete aus der Differenz der positiven Einkünfte von insgesamt 458.654 DM und dem ausgleichsfähigen Betrag der negativen Einkünfte einen Gesamtbetrag der Einkünfte von 129.327 DM sowie - nach Abzug der Sonderausgaben - ein zu versteuerndes Einkommen von 114.254 DM und setzte die Einkommensteuer für 1999 auf 26.670 DM und - nach Berücksichtigung von Abzugssteuern - einen nachzuzahlenden Einkommensteuerbetrag von 18.602 DM fest.
Mit Bescheid vom 07.12.2001 stellte der Antragsgegner gemäß § 10 d Abs. 4 EStG den verbleibenden Verlustvortrag zur Einkommensteuer zum 31.12.1999 für den Antragsteller - nach Abzug von Verlustrückträgen nach 1998 von 32 DM Einkünfte aus Gewerbebetrieb und 287 DM Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung - auf 598.174 DM (Einkünfte aus Gewerbebetrieb 59.949 DM; Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung 538.225 DM) und für die Antragstellerin auf 319.953 DM (Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung) fest.
Nachdem der Antragsgegner die Einkommensteuervorauszahlungen für die Jahre ab 2000 zunächst durch Bescheid vom 09.10.2000 auf der Grundlage eines zu versteuernden Einkommens von 221.824 DM auf einen Jahresvorauszahlungsbetrag von 69.437 DM festgesetzt hatte, setzte er mit Bescheid vom 20.08.2001 die Einkommensteuervorauszahlungen unter Berücksichtigung der Werte des Einkommensteuerbescheids für 1999 vom 01.08.2001 auf der Grundlage eines zu versteuernden Einkommens von 105.394 DM auf einen Jahresvorauszahlungsbetrag von 20.350 DM fest. Ebenso wie in dem Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 07.12.2001 wurde auch in dem Bescheid vom 01.08.2001 der ausgleichsfähige Betrag gemäß § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG errechnet.
Die Antragsteller haben gegen die Einkommensteuerbescheide für 1998 und 1999 sowie gegen den Einkommensteuervorauszahlungsbescheid für die Jahre ab 2000 Einsprüche eingelegt mit dem Antrag, entgegen der Vorschrift des § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG die positiven und negativen Einkünfte des Jahres 1999 in vollem Umfang auszugleichen und verbleibende Verluste auf das Jahr 1998 zurückzutragen sowie auf die Jahre ab 2000 vorzutragen. Über die Einsprüche hat der Antragsgegner noch nicht entschieden.
Nachdem der Antragsgegner die zunächst ausgesprochene Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids für 1998 und des Einkommensteuervorauszahlungsbescheids ab 2000 durch Bescheid vom 20.08.2001 aufgehoben und mit Schreiben
vom 29.08.2001 den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteu-erbescheids für 1999 abgelehnt hatte, haben die Antragsteller mit im Wesentlichen folgender Begründung bei Gericht die Aussetzung der Vollziehung dieser Bescheide beantragt:
Entgegen der Vorschrift des § 2 Abs. 3 EStG müsse für das Jahr 1999 ein Verlustausgleich der positiven und negativen Einkünfte durchgeführt werden, da gegen die Vorschrift des § 2 Abs. 3 EStG erhebliche Bedenken bestünden (Hinweis auf dem Beschluss des Finanzgerichts Münster vom 07.09.2000 4 V 1612, 1617/00 E, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2000, 1253). Eine Verlustrechnung bei der Einkommensteuer für die Jahre 1998 und 1999 sowie bei den Einkommensteuervorauszahlungen für die Jahre 2000 und 2001 führte zu einer Steuerschuld von 0 DM. Da Steuernachzahlungen von 130.600 DM festgesetzt worden seien, liege auch eine erhebliche Härte vor.
Die streitgegenständlichen negativen Einkünfte im vorliegenden Verfahren unterschieden sich grundlegend von den negativen Einkünften in dem Sachverhalt, über den der Bundesfinanzhof durch Beschluss vom 09.05.2001 XI B 151/00, Bundessteuerblatt II 2001, 552 entschieden habe, da es im vorliegenden Verfahren überwiegend um ?echte? Verluste gehe.
Auf die weiteren Ausführungen der Antragsteller in deren Schreiben vom 18.02.2002 wird Bezug genommen.
Die Antragsteller beantragen,
die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide für 1998 und 1999 sowie des Einkommensteuervorauszahlungsbescheids für 2000 und 2001 bis zur Entscheidung des Antragsgegners über die Einsprüche auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit des § 2 Abs. 3 EStG mit dem Grundgesetz bestünden nicht, nachdem der Bundesfinanzhof durch Beschluss XI B 151/00 entschieden habe, dass bei summarischer Prüfung keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Verlustausgleichsbeschränkung des § 2 Abs. 3 EStG bestünden.
Der Antrag ist begründet, da bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nach dem gegenwärtigen Sachstand ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einkommensteuerbescheide für 1998 und 1999 sowie des Einkommensteuervorauszahlungsbescheids ab 2000 bestehen (§ 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO-).
Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn eine überschlägige Prüfung ergibt, dass neben für die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 14.09.1994 IX B 142/93, Bundessteuerblatt II 1995, 778). Ernstliche Zweifel i. S. des § 69 Abs. 2 und 3 FGO können auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein (Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 05.03.2001 IX B 90/00 Bundessteuerblatt II 2001, 405 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Wegen der Eilbedürftigkeit des Aussetzungsverfahrens findet eine Beschränkung auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen, insbesondere auf die Akten der Finanzbehörde und auf präsente Beweismittel statt; weitergehende Sachverhaltsermittlungen durch das Gericht sind nicht geboten (Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 21.07.1994 IV B 78/94, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV- 1995, 116). Im Streitfall bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift des § 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. EStG sowie an der mit dieser Vorschrift korrespondierenden Vorschrift des § 10 d Abs. 1 Sätze 2 bis 4 EStG und damit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der von den Antragstellern angefochtenen Bescheide; die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheids für 1999 haben ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuervorauszahlungsbescheids ab 2000 ausgelöst, da die Festsetzung dieser Vorauszahlungen gemäß § 37 Abs. 3 Satz 2 EStG anhand des Einkommensteuerbescheids für 1999 erfolgt ist. Wegen der Begründung der ernstlichen verfassungsrechtlichen Zweifel nimmt das Gericht auf die überzeugende Begründung in den Beschlüssen des Finanzgerichts Münster 07.09.2000 4 V 1612, 1617/00 E, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2000, 1253 und vom 15.11.2000 4 V 1612, 1617/00 E, EFG 2001, 77 einschließlich der in diesen Beschlüssen zitierten Beiträge in der Literatur Bezug; die Beschlüsse des Finanzgerichts Münster sind als Anlage in Fotokopie beigefügt.
Der Antragsgegner kann sich nicht auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs XI B 151/00 berufen, da der Bundesfinanzhof die Frage, ob zwischen ?echten? Verlusten und z. B. durch Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz entstandenen ?unechten? Verlusten zu unterscheiden ist, ausdrücklich offen gelassen hat (Abschnitt II 3 c der Gründe). Denn selbst wenn man nur die im Einkommensteuerbescheid für 1999 vom 07.12.2001 nicht verrechneten negativen Einkünfte des Antragstellers von mehr als 598.000 DM, die - soweit aus den beigezogenen Steuerakten ersichtlich - nicht durch Sonderabschreibungen entstanden sind, entgegen den Regelungen in den §§ 2 Abs. 3 Sätze 2 ff. und 10 d Abs. 1 EStG berücksichtigte, führten allein diese ?echten Verluste? dazu, dass sowohl die Einkommensteuer für 1999 (zu versteuerndes Einkommen laut Bescheid vom 07.12.2001: 114.254 DM) als auch - nach Rücktrag der verbleibende Verluste nach 1998 - die Einkommensteuer für 1998 (zu versteuerndes Einkommen laut Bescheid vom 30.11.2001: 65.034 DM) mit 0 DM festzusetzen wäre; gemäß § 37 Abs. 3 Satz 2 EStG ergäbe sich bei den Einkommensteuervorauszahlungen ab 2000 ein Jahresvorauszahlungsbetrag von 0 DM. Die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide für 1998 und 1999 sowie des Einkommensteuervorauszahlungsbescheids für die Jahre ab 2000 war deshalb in vollem Umfang auszusetzen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
Gemäß § 128 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO war die Beschwerde zuzulassen.