12.03.2002 · IWW-Abrufnummer 020309
Finanzgericht Berlin: Beschluss vom 21.12.2001 – 8 B 8408/01
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin
Az.: 8 B 8408/01
Beschluß
In dem Rechtsstreit
XXX
gegen
XXX
wegen Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffend Erteilung einer Freistellungsbescheinigung
hat das Finanzgericht Berlin, 8. Senat, am 21. Dezember 2001, gemäß § 114 Abs. 2 Satz 3 Finanzgerichtsordnung -FGO- durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht Beck beschlossen:
Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin unverzüglich eine Freistellungsbescheinigung gemäß § 48 b Einkommensteuergesetz -EStG- zu erteilen, die auf den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. September 2002 beschränkt ist.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
Der Streitwert beträgt 25 000,00 DM.
Gründe
I.
Die Antragstellerin vermietet mobile Krane.
Da einige Kunden der Antragstellerin die Auffassung vertreten, dass die von der Antragstellerin erbrachten Leistungen als Bauleistungen im Sinne des § 48 EStG einzuordnen seien, und deshalb von der Antragstellerin die Vorlage einer Freistellungsbescheinigung nach § 48 b EStG verlangen, hat die Antragstellerin bei dem Antragsgegner die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung gemäß § 48 b Abs. 1 EStG beantragt.
Diesen Antrag hat der Antragsgegner mit Bescheid vom 6. Dezember 2001 abgelehnt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Voraussetzungen des § 48 b Abs. 1 EStG lägen nicht vor, weil die Antragstellerin angemeldete bzw. festgesetzte und fällige Steuern überwiegend nur als Reaktion auf Vollstreckungsmaßnahmen zahle und immer wieder Vollstreckungsverfahren hervorrufe. Außerdem sei die Antragstellerin ihrer Verpflichtung zur pünktlichen Abgabe der Steuererklärungen nicht nachgekommen.
Über den hiergegen mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2001 eingelegten Einspruch hat der Antragsgegner bisher noch nicht entschieden.
Mit ihrem am 13. Dezember 2001 beim Finanzgericht Berlin eingegangenen Schriftsatz beantragt die Antragstellerin,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, der Antragstellerin gemäß § 48 b Abs. 1 EStG eine Freistellungsbescheinigung zu erteilen,
hilfsweise,
dem Antragsgegner aufzugeben, die Freistellungsbescheinigung vorläufig für die Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens gegen den Ablehnungsbescheid vom 6. Dezember 2001 zu erteilen.
Zur Begründung trägt die Antragstellerin im Wesentlichen Folgendes vor:
Unabhängig davon , ob es sich bei den von ihr erbrachten Leistungen tatsächlich um Bauleistungen im Sinne des § 48 Abs. 1 EStG handele, benötige sie die streitige Freistellungsbescheinigung unbedingt für die Fortsetzung ihres Gewerbebetriebes. Denn die Auftraggeber würden die Erteilung von Aufträgen davon abhängig machen, dass sie diesen eine entsprechende Freistellungsbescheinigung vorlege. Zum Nachweis dieses Vortrags reicht die Antragstellerin Ablichtungen verschiedener entsprechender Schreiben ihrer Auftraggeber vor.
Dementsprechend sei die Entscheidung über die Erteilung der Freistellungsbescheinigung eilbedürftig, weil sie ohne die betreffende Freistellungsbescheinigung keine Aufträge mehr erhalten würde.
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners würden auch die Voraussetzungen des § 48 b Abs. 1 EStG vorliegen, da die durch das Gesetz zu sichernden Ansprüche nicht gefährdet seien. Insbesondere erfülle sie die in § 48 b Abs. 1 EStG ausdrücklich aufgeführten Voraussetzungen. Sie sei nämlich ihrer Anzeigepflicht nach § 138 Abgabenordnung -AO- nachgekommen und habe auch ihre Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nach § 90 AO erfüllt. Richtig sei zwar, dass die Finanzbehörde die Freistellungsbescheinigung auch dann versagen könne, wenn die betreffenden Steueransprüche aus anderen Gründen gefährdet erscheinen würden. Dies sei hier jedoch nicht der Fall.
Der Tatsachenvortrag des Antragsgegners in dem Ablehnungsbescheid sei zwar richtig. Diese Umstände rechtfertigen jedoch nicht die Versagung der beantragten Freistellungsbescheinigung. Hinsichtlich der verspätet gezahlten Lohn- und Umsatzsteuerbeträge sei zu berücksichtigen, dass diese Beträge zwar verspätet gezahlt, aber rechtzeitig und zutreffend angemeldet worden seinen. Die nicht fristgerechte Abführung dieser Beträge beruhe ausschließlich auf wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in denen sich die Antragstellerin aufgrund der allgemeinen strukturellen wirtschaftlichen Lage befinde.
Insgesamt seien in den letzten Monaten mehrfach Umsatzsteuerguthaben über längere Zeiträume nicht ausbezahlt worden, andererseits aber angemeldete Steuerbeträge aus Lohn- und Umsatzsteuer fristgerecht angefordert worden. Aus diesem Verhalten des Antragsgegners würden sich für die Antragstellerin erhebliche Liquiditätsprobleme ergeben, die sie in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation nicht durch andere Mittel ausgleichen könne. Eine spezifische Unzuverlässigkeit, wie sie dem Gesetzgeber bei der Regelung des § 48 EStG vorgeschwebt habe, ergebe sich hieraus jedoch erkennbar nicht.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er vertritt die Ansicht, die von der Antragstellerin durchgeführte Vermietung von Baukränen stelle keine Bauleistung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 EStG dar (vgl. BMF Schreiben vom 01. November 2001). Schon aus diesem Grund habe die Antragstellerin keinen Anspruch auf Erteilung einer Freistellungsbescheinigung.
II.
Außerdem komme es nach § 48 b Abs. 1 EStG auf eine Prognose an, ob der Steueranspruch gefährdet erscheine. Diese Prognose sei vom Finanzamt abzugeben. Sofern die Prognose des Finanzamts auf zutreffenden Tatsachen beruhe, müsse sie von den Beteiligten akzeptiert werden.
Der Antrag ist zulässig und in dem sich aus der Entscheidungsformel ergebenden Umfang auch begründet.
Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass die Entscheidung eilbedürftig ist. Denn aus den von ihr vorgelegten Schreiben verschiedener Auftraggeber ergibt sich, dass diese zukünftig Aufträge nur noch an solche Unternehmen vergeben werden, die eine Freistellungsbescheinigung vorgelegt haben. Dementsprechend würde die Antragstellerin keine Aufträge mehr erhalten, wenn sie eine solche Freistellungsbescheinigung nicht rechtzeitig vorlegen kann.
Aufgrund der Regelung des § 48 b EStG hat die Antragstellerin auch einen Anspruch auf Erteilung der Freistellungsbescheinigung. Nach § 48 b Abs. 1 Einkommensteuergesetz -EStG- hat das Finanzamt eine solche Freistellungsbescheinigung zu erteilen, wenn der zu sichernde Steueranspruch nicht gefährdet erscheint. Daß der Leistende tatsächlich Bauleistungen im Sinne des § 48 EStG erbringt ist entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht erforderlich. Es genügt, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Freistellungsbescheinigung geltend macht, etwa indem er glaubhaft vorträgt, daß verschiedene Geschäftspartner die Erteilung eines Auftrags von der Vorlage der Freistellungsbescheinigung abhängig machen. Dies hat die Antragstellerin vorliegend getan.
Eine Gefährdung des Steueranspruchs kommt nach Satz 2 dieser Vorschrift insbesondere dann in Betracht, wenn der Leistende
1. Anzeigepflichten nach § 138 der AO nicht erfüllt,
2. seine Auskunfts- und Mitwirkungspflicht nach § 90 der AO nicht nachkommt oder
3. den Nachweis der steuerlichen Ansässigkeit durch Bescheinigung der zuständigen ausländischen Steuerbehörde nicht erbringt.
Diese drei Punkte spielen im vorliegenden Fall, wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist, keine Rolle. Aufgrund der Verwendung des Wortes insbesondere durch den Gesetzgeber ergibt sich jedoch, dass die zu sichernden Steueransprüche auch aus anderen Gründen gefährdet erscheinen können. Hier kommt insbesondere in Betracht, dass der Steuerpflichtige seiner Verpflichtung zur fristgemäßen Abgabe der Steuererklärungen nicht nachkommt und seine Steuerschulden nicht fristgerecht bezahlt. Wie von der Antragstellerin eingeräumt, ist der insofern von dem Antragsgegner in seinem Ablehnungsbescheid vom 6. Dezember 2001 vorgetragene Sachverhalt richtig. Danach hat die Antragstellerin mehrere Steuererklärungen nicht rechtzeitig abgegeben. Außerdem sind verschiedene Steuerschulden nicht rechtzeitig und teilweise erst aufgrund von Vollstreckungsmaßnahmen des Antragsgegner bezahlt worden.
Entgegen der Ansicht des Antragsgegners rechtfertigen diese Umstände die von ihm vorgenommene Versagung der Freistellungsbescheinigung jedoch nicht, da dies gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstoßen würde. Nach dem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip dürfen die von einer Behörde ergriffenen Maßnahmen im Verhältnis zu dem zugrunde liegenden Anlass und zu dem zu errechenden Ziel nicht unangemessen sein. Insofern sind im vorliegenden Zusammenhang der Sinn und Zweck der Regelungen über die Bauabzugssteuer sowie die Tragweite einer Versagung der Freistellungsbescheinigung zu berücksichtigen. Wie sich aus den verschiedenen Gesetzesmaterialien (vgl. Bundestagsdrucksache 14/4658 vom 16. November 2000, Bundestagsdrucksache 14/6071 vom 16. Mai 2001 und dem BMF Schreiben vom 01. November 2001, BStBl. I 2001, S. 804, ergibt, sollte mit dem Gesetz vom 30. August 2001 (BGBl. I Seiten 2267), durch das die hier anzuwendenden Vorschriften geschaffen wurden, insbesondere der Zweck verfolgt werden, illegale Bautätigkeiten in Deutschland einzudämmen. Bereits insofern erscheint es grundsätzliche unzulässig, die vom Gesetzgeber durch dieses Gesetz der Finanzbehörde eingeräumte Möglichkeit, eine Freistellungsbescheinigung zu versagen, dazu zu benutzen, Steuerschulden einzutreiben. Insbesondere ist im vorliegenden Zusammenhang aber die Tragweite einer Versagung der Freistellungsbescheinigung zu berücksichtigen. Wie sich aus dem glaubhaften Vortrag der Antragstellerin ergibt, würde die Versagung einer Freistellungsbescheinigung im vorliegenden Fall dem Entzug einer Gewerbeerlaubnis gleichkommen: Die Antragstellerin hätte keine Möglichkeit mehr, - legale - Bauaufträge zu erhalten. Sie müsste ihren Betrieb letztendlich einstellen. Damit komme die Versagung einer Freistellungsbescheinigung im wirtschaftlichen Ergebnis einem Entzug der Gewerbeerlaubnis gleich (Artikel 14 Grundgesetz). Wegen dieser schwerwiegenden Auswirkung ist die Versagung der Freistellungsbescheinigung nur dann verhältnismäßig, wenn das Verhalten des Steuerpflichtigen den Schluß zuläßt, dass er nicht gewillt ist, seinen steuerlichen Verpflichtungen nachzukommen und den Steuergesetzen Folge zu leisten. Nur wenn das Verhalten des Steuerpflichtigen die Feststellung rechtfertigt, dass er nicht gewillt ist, die Steuergesetze einzuhalten, darf ihm deswegen die Freistellungsbescheinigung versagt werden. Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor.
Die von dem Antragsgegner offenbar vertretene Auffassung, seine Einschätzung, daß der Steueranspruch gefährdet erscheine, unterliege nicht der gerichtlichen Überprüfung, entspricht nicht dem Gesetz, da insofern der Behörde allenfalls ein Beurteilungsspielraum einzuräumen ist.
Das Gericht hat davon abgesehen, den Antragsgegner lediglich dazu zu verpflichten, der Antragstellerin eine vorläufige Freistellungsbescheinigung zu erteilen, die nur bis zum Ergehen der Einspruchsentscheidung gilt. Denn eine solche Freistellungsbescheinigung würde wirtschaftlich keinen Sinn ergeben, weil nach der Überzeugung des Gerichts keiner der Geschäftspartner der Antragstellerin dieser aufgrund einer solchen Freistellungsbescheinigung einen Auftrag erteilen würde. Jeder Auftraggeber müsste in solchem Fall nämlich damit rechnen, dass die betreffende Freistellungsbescheinigung bei einer späteren Zurückweisung des Einspruchs aufgehoben wird und er ? ggf. nachträglich ? die Bauabzugssteuer einbehalten und abführen muss. Das Gericht hat deshalb dem Antragsgegner aufgegeben, der Antragstellerin eine endgültige Freistellungsbescheinigung zu erteilen, die lediglich unter den Voraussetzungen der §§ 130 und 131 AO widerrufen und zurückgenommen werden kann.
Um dem vorläufigen Charakter einer einstweiligen Anordnung soweit wie möglich gerecht zu werden, hat das Gericht jedoch die zu erteilende Freistellungsbescheinigung auf den Zeitraum von neun Monaten beschränkt.
Um weiteren Schaden von der Antragstellerin abzuwenden, muß der Antragsgegner die Freistellungsbescheinigung ohne schuldhafte Verzögerung erteilen. Insofern ist zu berücksichtigen, daß das Gericht den Zeitpunkt, zu dem der Beschluß ergeht, bereits schriftlich angekündigt.
Wegen der Eilbedürftigkeit der Entscheidung hat der Vorsitzende entschieden.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
Den Streitwert hat das Gericht nach § 25 Gerichtskostengesetz -GKG- in Höhe der von dem Gericht geschätzten wirtschaftlichen Bedeutung der betreffenden Freistellungsbescheinigung für den Zeitraum von neun Monaten geschätzt.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diese Entscheidung steht den Beteiligten die Beschwerde nicht zu, weil das Gericht sie nicht zugelassen hat (§ 128 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung -FGO-).