15.11.2000 · IWW-Abrufnummer 001340
Landgericht Freiburg: Beschluss vom 04.09.2000 – VIII Qs 9/00
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Geschäftsnummer:
VIII Qs 9/00
Landgericht Freiburg
VIII. Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer -
BESCHLUSS vom 04. September 2000
Strafsache gegen
wegen Steuerhinterziehung
1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird festgestellt, dass die Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts Waldkirch vom 29.03.2000 (AZ: 2 Gs 29/00) betreffend:
a) der Wohnung, der Behältnisse und Kraftfahrzeuge sowie der Person des Beschuldigten
b) die Geschäftsräume, Behältnisse und Kraftfahrzeuge der Firma (Steuerberatung)
c) die Wohnräume, der Behältnisse und Kraftfahrzeuge der,
d) die Geschäftsräume der Volksbank und
e) die Geschäftsräume der Sparkasse.
rechtswidrig sind.
Die weitergehende Beschwerde wird als unbegründet zurückgewiesen.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie den notwendigen Auslagen des Beschuldigten trägt die Staatskasse die Hälfte.
Gründe:
I.
Die Straf- und Bußgeldsachenstelle des Finanzamtes Freiburg-Land leitete am 31.03.1999 ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts der vorsätzlichen Einkommen-, Gewerbe-, Umsatz- und der Vermögenssteuer für den Zeitraum von 1992 - 1997 ein, das in der Folgezeit wiederholt auf weitere Tatzeiten und Steuerarten erweitert wurde.
Nachdem im Zuge der von der Steuerfahndungsstelle durchgeführten Ermittlungen der Beschuldigte in Verdacht geraten war, in den Jahren 1995 - 1997 in mindestens 136 Fällen durch nachträgliches Anbringen eines Stempels auf fremde Rechnungen sich zu der ihm zur Last gelegten Umsatzsteuerhinterziehung einer tateinheitlich begangenen Urkundenfälschung schuldig gemacht zu haben, stellte die Straf- und Bußgeldsachenstelle des Finanzamtes Freiburg-Land unter dem 29.03.2000 beim zuständigen Amtsgericht Waldkirch den Antrag auf Erlass von Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüssen bei dem Beschuldigten, bei seinem Steuerberater, seiner Schwiegermutter sowie bei zwei Banken.
Das Amtsgericht Waldkirch hat am selben Tag antragsgemäß entschieden.
Auf die Begründung der Beschlüsse wird Bezug genommen.
Mit der Beschwerde vom 28.04.2000 wendet sich der Beschuldigte gegen die erlassenen Beschlüsse und trägt vor, diese seien deswegen rechtswidrig, weil sie in fehlerhafter Weise auf den Antrag der Straf- und Bußgeldsachenstelle des Finanzamtes Freiburg-Land ergangen seien, die zur Antragstellung nicht befugt gewesen sei. Deren gem. § 386 Abs. 2 AO bestehende selbständige Ermittlungskompetenz sei wegen des nunmehr aufgekommenen Verdachts der Urkundenfälschung entfallen, weshalb die Steuerbehörde die Akten der Staatsanwaltschaft zur weiteren Entschließung hätte vorlegen müssen. Das Amtsgericht hätte somit die Anträge auf Erlass der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse als unzulässig zurückweisen müssen, weshalb nunmehr auf die Beschwerde hin die Beschlüsse aufzuheben und die beschlagnahmten Unterlagen an die Berechtigten herauszugeben seien.
Die Straf- und Bußgeldsachenstelle des Finanzamtes Freiburg - Land hat in ihrer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass die Urkundenfälschung zum Zweck der Vorsteuererschleichung begangen worden sei, weshalb von "strafprozessualer, tateinheitlicher Urkundenfälschung mit versuchter/beendeter Steuerhinterziehung im Sinne von § 264 StPO" ausgegangen werden müsse. Die Finanzbehörde dürfe nach der Entscheidung des BGH im 36. Band, S. 285 die nicht-steuerliche Straftat insoweit ermitteln, als sie der Ermittlung der Steuerstraftat diene. Eine vorherige Abgabe an die Staatsanwaltschaft sei nicht vorausgesetzt.
Die von der Wirtschaftsstrafkammer zur Stellungnahme aufgeforderte Staatsanwaltschaft hat mit Verfügung vom 12.07.2000 im Ergebnis die Rechtsauffassung der Straf- und Bußgeldsachenstelle des Finanzamtes Freiburg-Land geteilt und ergänzend ausgeführt, dass diese als Herrin des Steuerstrafverfahrens den Antrag vornehmlich auf § 370 AO gestützt und die Anträge nur zusätzlich mit dem Verdacht der aufgekommenen Urkundenfälschung begründet habe. Eine Kompetenzüberschreitung des Finanzamtes bei Antragstellung liege nicht vor, weil bei tateinheitlich mit Steuerdelikten begangenen allgemeinen Straftaten die selbständige Ermittlungskompetenz und damit auch die Antragskompetenz gem. § 386 AO erhalten bliebe.
Außerdem entspräche die Praxis des Verbleibs der Ermittlungs- und folgerichtig auch der Antragskompetenz bei der Finanzbeh örde bei tateinheitlichem Steuerdelikt und Urkundenfälschung einer mit dieser und der Staatsanwaltschaft getroffenen, im badischen Landesteil einheitlich getroffenen Absprache.
Sollte im übrigen der Antrag die Kompetenz der Steuerbehörde überschritten haben, so berühre dies nicht die Rechtsmäßigkeit der Beschlüsse des Amtsrichters.
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Auch nach erfolgter Durchsicht der sichergestellten Urkunden gem. § 110 StPO und somit nach Beendigung der Durchsuchung ist die Beschwerde mit dem Ziel der nachträglichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Beschlüsse zulässig (BVerfG, NJW 1997, 2163).
Insbesondere ist neben der Staatsanwaltschaft (siehe Müller in KMR, Rdnr. 8 zu § 165) auch der Beschuldigte beschwert. Aus dem Anspruch auf Durchführung eines justizförmigen Verfahrens erwächst auch sein Anspruch, dass an den zu seinem Nachteil ergangenen Entscheidungen nur die Behörden beteiligt sind, deren Beteiligung die Strafprozessordnung vorsieht, hier: dass der Ermittlungsrichter nur aufgrund von Anträgen der Behörde tätig wird, die aufgrund fachlicher Kompetenz abschätzen kann, ob und in welchem Umfang richterliche Untersuchungshandlungen erforderlich sind und die zur Antragstellung befugt ist (a. A. Müller in KMR Rdnr. 10 zu § 165, der im Falle des Verstoßes gegen § 165 StPO nur eine Beschwer bei der Staatsanwaltschaft sieht, weil in deren Zuständigkeitsbereich eingegriffen worden sei, zweifelnd Rieß in Löwe Rosenberg StPO, Anmerkung 18 zu § 165 StPO).
2. Die zulässige Beschwerde führt dazu, dass die Kammer feststellt, dass die angefochtenen Beschlüsse rechtswidrig sind. Die darüber hinausgehende, auf Herausgabe der sichergestellten Unterlagen abzielende Beschwerde erweist sich als unbegründet.
a) Gemäß § 386 Nr. 1 Abgabenordnung obliegt die Durchführung von Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Steuerstraftat entgegen §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO grunds ätzlich nicht der Staatsanwaltschaft, sondern den Finanzbehörden. Führt diese die Ermittlungen nach § 386 Abs. 2 AO selbständig durch, nimmt sie nach § 399 Abs. 1 AO die Stellung der Staatsanwaltschaft ein, ist daher u. a. berechtigt, nach § 162 StPO Anträge auf richterliche Untersuchungshandlungen, also auch den Erlass von Durchsuchungsanordnungen zu stellen.
Die selbständige Ermittlungskompetenz mit der Folge der der Staatsanwaltschaft vergleichbaren Stellung der Finanzbehörden beschränkt sich aber auf die im § 386 Abs. 2 Ziffer 1 u. 2 AO aufgezeigten Fälle, insbesondere auf die ausschließliche Verfolgung von Steuerstraftaten. Im Fall des Verdachts tatmehrheitlich, aber auch tateinheitlich mit Steuerstraftaten begangener allgemeiner Straftaten entfällt diese Kompetenz kraft Gesetzes (Joecks in Franzen, Gast, und Samson Steuerstrafrecht, 4. Aufl., Rdnr. 6 zu § 386), wobei bis zur Entscheidung des BGH vom 24.10.1989 (BGHSt 36, 283, 284, 285 = Wistra 90, 59) in Rechtsprechung und Literatur einhellig die Meinung vertreten wurde, auch die unselbständige, also auch die sich nach Weisung der Staatsanwaltschaft richtende Ermittlungskompetenz sei entfallen (OLG Karlsruhe in Wistra 1987, 32; Kuhn, Kutter, Hofmann Abgabenordnung 17. Aufl. 1995, § 386 Rdnr. 4, S. 841; Franzen, Gast, Samson, Steuerstrafrecht, 3. Aufl. Rdnr. 12 zu § 386; Wannemacher, Steuerstrafrecht, 4. Aufl. Rdnr. 2015 Seite 506 u. 507).
Erst seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 24.10.1989 ist klargestellt, dass den Finanzbehörden im Fall der Verfolgung von Steuerstraftaten mit tateinheitlich begangenen allgemeinen Straftaten die allerdings unselbständige Ermittlungskompetenz verbleibt (siehe Reiche in Wistra 90, 90, Kohlmann, Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitenrecht, 6. Aufl. Band II, § 386 Rdnr. 40; Gast-De-Haan in Klein, Abgabenordnung 6. Aufl. 1998 Rdnr. 4 zu § 386; Senge in Erbs-Kohlhaas Rdnr. 6 zu § 386 Abgabenordnung; Franzen Gast Joecks, Steuerstrafrecht 4. Aufl. a. a. O. Rdnr. 17 u. 18). Sie sind somit gem. § 402 Abs. 1 AO den Behörden und Beamten des Polizeidienstes gleichgestellt, sind Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft und unterliegen der Pflicht nach § 162 StPO, Straftaten, namentlich Steuerstraftaten, zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen um die Verdunkelung der Sache zu vermeiden (vgl. Senge, Klein und Joecks jew. a. a. O.).
So wenig allerdings die Beamten des allgemeinen Polizeidienstes befugt sind, unmittelbar gem. § 162 StPO Anträge beim Ermittlungsrichter zu stellen, so wenig gilt dies für die Finanzbehörden, wenn sie - wie hier - nicht aufgrund selbständiger Ermittlungskompetenz, sondern als Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft tätig werden.
Die Straf- und Bußgeldstelle des Finanzamtes Freiburg-Land hätte daher die Akten der Staatsanwaltschaft vorlegen müssen zur Entschließung, ob die erforderlichen Durchsuchungsanträge beim Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Waldkirch gestellt werden sollen. Nur die Staatsanwaltschaft wäre gem. § 162 Abs. 1 StPO befugt gewesen, die Anträge auf Erlass der Durchsuchungsbeschlüsse zu stellen.
b) Der fehlende Antrag durch die nach der genannten Vorschrift zuständigen Behörde, bzw. der unzulässige Antrag durch die Steuerbehörde macht die Beschlüsse des Amtsgerichts Waldkirch rechtswidrig. Zu den formellen Voraussetzungen für den Erlass von Ermittlungshandlungen gehört entweder der Antrag der zuständigen Behörde bzw. in Eiltfällen deren Unerreichbarkeit als Zulässigkeitsvoraussetzung für Entscheidungen des Ermittlungsrichters. Ordnet dieser ohne Antrag bzw. auf Antrag einer unzuständigen Behörde ohne Vorliegen der Notkompetenz nach § 165 StPO die Ermittlungsmaßnahmen an, dann sind diese rechtswidrig, ohne dass es, darauf ankommt, ob die materiellen Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung vorliegen oder nicht (LG Frankfurt, NJW 1968 118).
c) Die Rechtswidrigkeit führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der ohne Vorliegen der Notkompetenz nach § 165 StPO gefassten Beschlüsse (a. A. LG Frankfurt a. a. O.) und auch nicht zur Unverwertbarkeit der aufgrund der Durchsuchung erlangten Beweismittel (Wache in Karlsruher Kommentar Rdnr. 6 zu § 165, Rieß in Löwe-Rosenberg, 24. Aufl. Rdnr. 18 zu § 165 StPO).
Dies gilt vorliegend insbesondere deshalb, weil es grundsätzlich zulässig war, die Beweismittel zu erheben und sich aus der Unzuständigkeit der die Durchsuchung beantragenden Steuerbehörde allein nicht die Unverwertbarkeit der Beweismittel herleiten lässt. Im übrigen hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 12.07.2000 zu erkennen gegeben, dass sie die Durchsuchungsanträge der Steuerbehörde sich zu eigen macht und sie im Falle vorheriger Übersendung zur Entschließung gem. § 162 Abs. 1 StPO gleichfalls gestellt hätte.
Insofern wiegt der Verstoß bei Erlass der Durchsuchungsanordnungen nicht so schwer, dass dem Herausgabeverlangen des Beschuldigten nachzukommen und die sichergestellten Beweismittel an diesen herauszugeben wären (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, Rdnr. 21 zu § 94 StPO).
Soweit der Beschuldigte deshalb die Herausgabe der sichergestellten Beweismittel begehrt, war seine Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
Angesichts des beschränkten Erfolges der Beschwerde hat die Kammer die Kostenentscheidung gem. § 473 Abs. 4 StPO vorgenommen.