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16.01.2013 · IWW-Abrufnummer 130092

Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 19.05.2011 – 13 K 13246/10

1. Der Prüfungsauftrag nach § 195 S. 2 AO umfasst auch die Zuständigkeit des beauftragten FA für die Festsetzung von Verzögerungsgeldern nach § 146 Abs. 2b AO, sofern es um die Verletzung von Mitwirkungspflichten i. R. d. Außenprüfung geht.

2. Ein Verzögerungsgeld kann auch gegen einen Steuerpflichtigen festgesetzt werden, der seine Buchführung nicht in das Ausland verlagert hat, wenn dieser einer Aufforderung der zuständigen Finanzbehörde zur Vorlage von Unterlagen i. S. d. § 200 Abs. 1 AO im Rahmen einer Außenprüfung nicht innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist nachkommt.

3. Das Verzögerungsgeld ist nicht nur auf ein Handeln oder Unterlassen des Steuerpflichtigen gerichtet (Beugecharakter), sondern soll auch als Sanktion wirken und der Abschöpfung von Vorteilen dienen.

4. Bei der Ausübung des Auswahlermessens hinsichtlich der Höhe des im Einzelfall festzusetzenden Verzögerungsgelds dürfen in die Dauer der Fristüberschreitung keine Zeiten eingerechnet werden, in denen ein (behördlicher oder gerichtlicher) Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) läuft bzw. AdV gewährt worden ist (z. B. hinsichtlich der Prüfungsanordnung, der Bestimmung des Prüfungsbeginns oder der Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen).


FG Berlin-Brandenburg v. 19.05.2011

13 K 13246 / 10

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes.

Mit Bescheid vom 8. Oktober 2008 ordnete der Beklagte bei der A GbR eine Außenprüfung hinsichtlich der Umsatzsteuer, der Feststellung der Einkünfte und der Gewerbesteuer für die Jahre 2002 bis 2004 an. Die Prüfung sollte am 2. Dezember 2008 beginnen.

Die Klägerin legte gegen die Prüfungsanordnung Einspruch ein und beantragte deren Aussetzung der Vollziehung – AdV –. Der Beklagte lehnte den AdV-Antrag durch Bescheid vom 12. Dezember 2008 ab, verschob aber den Prüfungsbeginn wie von der Klägerin gewünscht auf Mai 2009.

Mit der Einspruchsentscheidung vom 16. März 2009 wies der Beklagte den Einspruch gegen die Prüfungsanordnung als unbegründet zurück. Hiergegen reichte die Klägerin beim Finanzgericht Berlin-Brandenburg Klage ein (Az. 13 K 13107/09) und stellte einen gerichtlichen AdV-Antrag nach § 69 Abs. 3 Finanzgerichtsordnung – FGO – (Az. 13 V 13108/09). Beide Verfahren wurden durch Kostenbeschlüsse des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. August 2009 beendet, nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Einspruchsentscheidung aufgrund einer zwischenzeitlichen Umwandlung der A GbR in die A OHG sowie anschließend in die Klägerin (durch Einbringung der Anteile an der A OHG) nicht wirksam bekannt gegeben worden war und die Beteiligten deshalb übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklärt hatten. Die Umwandlung wurde nach einer von der Klägerin am 26. Mai 2009 eingereichten Gesellschafterliste am 2. Dezember 2008 wirksam.

Nachdem der Beklagte in einem Telefonat mit der damaligen steuerlichen Vertreterin der Klägerin am 25. August 2009 über die Fortsetzung des Prüfungsverfahrens gesprochen hatte, teilte die Klägerin mit Schreiben vom 22. September 2009 mit, dass der Ort der Geschäftsleitung am 20. Juni 2009 in die …straße 45 in … verlegt worden sei. Das Finanzamt Y erteilte deshalb mit Schreiben vom 23. Dezember 2009 an den Beklagten einen Auftrag zur Durchführung der Außenprüfung nach § 195 Satz 2 Abgabenordnung – AO –.

Unter Verweis auf den Prüfungsauftrag des Finanzamts Y teilte der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 9. Dezember 2009 mit, dass mit der Außenprüfung am 11. Januar 2010 begonnen werde, und forderte dazu die in einer Anlage bezeichneten Unterlagen an (z. B. Buchführungs- und Abschlussunterlagen sowie Belege und Verträge). Falls diese Unterlagen nicht bis zu 11. Januar 2010 vorlägen, werde ein Verzögerungsgeld festgesetzt. Eine mit Schreiben vom 22. Dezember 2009 beantragte Verschiebung des Prüfungsbeginns wegen Erziehungsurlaubs der zuständigen Bearbeiterin und unvorhergesehenen Ausfalls weiterer Mitarbeiter lehnte der Beklagte am 4. Januar 2010 ab.

Daraufhin legte die Klägerin mit Schreiben vom 8. Januar 2010 „gegen die geänderte Prüfungsanordnung vom 09.12.2009” Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung, da das Finanzamt Y für die noch nicht begonnene Prüfung zuständig sei. Der Beklagte lehnte den AdV-Antrag mit Bescheid vom 28. Januar 2010 ab, da keine geänderte Prüfungsanordnung und damit auch kein wirksamer Einspruch vorlägen. Vielmehr sei die Festlegung des Prüfungsbeginns als eigenständiger Verwaltungsakt anzusehen. Die Klägerin stellte insoweit keinen gerichtlichen AdV-Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO.

Die Klägerin legte dem Beklagten die angeforderten Unterlagen nicht vor. Allerdings überreichte die Klägerin dem Finanzamt Y am 11. Januar 2010 eine CD mit Buchführungsunterlagen (GDPdU-Datei) mit der ausdrücklichen Bitte, diese Unterlagen nicht an den Beklagten weiterzureichen.

Das Finanzamt Y erteilte am 19. Januar 2010 seine Zustimmung nach § 26 Satz 2 AO zur Fortführung des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die Prüfungsanordnung vom 8. Oktober 2008. Hierüber informierte der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 25. Januar 2010. Mit Schreiben vom 1. Februar 2010 leitete das Finanzamt Y die von der Klägerin erhaltenen Unterlagen an den Beklagten weiter.

Auf Grundlage der Ergebnisse einer Umsatzsteuer-Nachschau am 15. Februar 2010 in den Geschäftsräumen der Klägerin in … lehnte das Finanzamt Y mit Schreiben vom 19. Februar 2010 eine Übernahme der die Klägerin betreffenden Steuerakten ab. Es sei unwahrscheinlich, dass sich der Ort der Geschäftsleitung der Klägerin in … befinde. Eine entsprechende Erklärung gab auch das Finanzamt Z mit Schreiben vom 24. Februar 2010 ab. Dieses Finanzamt hatte im November 2009 für die A OHG eine Steuernummer erteilt und die Übernahme der Akten erklärt.

Mit Bescheid vom 3. März 2010 setzte der Beklagte gegenüber der Klägerin ein Verzögerungsgeld in Höhe von EUR 4.800 fest.

Mit der Einspruchsentscheidung vom 16. März 2010 wies der Beklagte den Einspruch gegen die Prüfungsanordnung vom 8. Oktober 2008 als unbegründet zurück. Mit einer weiteren Einspruchsentscheidung vom 16. März 2010 wies der Beklagte auch den Einspruch gegen die geänderte Prüfungsanordnung vom 9. Dezember 2009 als unbegründet zurück. Dabei prüfte der Beklagte sowohl die Begründetheit eines Einspruch gegen die Festlegung des Prüfungsbeginns als auch die Begründetheit eines Einspruchs gegen die Mitteilung über den Prüfungsauftrag des Finanzamts Y nach § 195 Satz 2 AO.

Den gegen die Festsetzung des Verzögerungsgeldes gerichteten Einspruch wies der Beklagte mit der Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2010 als unbegründet zurück. Da die Klägerin die im Schreiben vom 9. Dezember 2009 angeforderten Unterlagen nicht bis zum 11. Januar 2010 vorgelegt habe, seien die Voraussetzungen des § 146 Abs. 2b AO erfüllt. Mit der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes solle regelmäßig ein Verzögerungsverhalten sanktioniert werden. Im Streitfall sei das Verhalten der Klägerin darüber hinaus weder gerechtfertigt noch entschuldbar. Da dem steuerlichen Vertreter die Durchführung einer Betriebsprüfung seit mehr als einem Jahr bekannt gewesen sei, könne eine weitere Verschiebung nicht mit dem Erziehungsurlaub einer Sachbearbeiterin und den Ausfällen weiterer Arbeitskräfte begründet werden. Zudem bestünden an der behaupteten Überlastung Zweifel, da dem Finanzamt Y im Januar 2010 Daten auf einer CD zur Verfügung gestellt worden seien. Darüber hinaus habe der Beklagte dem steuerlichen Vertreter der Klägerin bereits in dem Telefonat am 25. August 2009 telefonisch mitgeteilt, dass die Prüfungen durch den Beklagten durchgeführt würden. Spätestens durch das Schreiben des Beklagten vom 9. Dezember 2009 habe der Klägerin klar gewesen sein müssen, dass sie einer Prüfung durch den Beklagten nicht mehr ausweichen könne. Bei der Ausübung des Auswahlermessens zur Höhe des Verzögerungsgeldes habe sich der Beklagte an der Dauer der Verzögerung orientiert, wobei für den Zeitraum vom 11. Januar 2010 bis zum 1. März 2010 (48 Tage) EUR 100 pro Tag angesetzt worden seien. Unter Berücksichtigung der Dauer der Verzögerung, des offensichtlichen Willens der Klägerin, eine Prüfung durch den Beklagten zu vermeiden bzw. zu verzögern, und des Umfangs der fehlenden Unterlagen sei die festgesetzte Höhe des Verzögerungsgeldes ermessensgerecht, zumal dadurch nicht einmal 2 von Hundert des Maximalbetrags erreicht würden.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, dass der Beklagte sein Entschließungsermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Da Differenzen über die Zuständigkeit des Beklagten bestanden hätten, habe die Klägerin durch die Übermittlung der CD mit der GDPdU-Datei an das Finanzamt Y grundsätzlich ihre Mitwirkungspflichten erfüllt. Das Finanzamt Y habe seine Zuständigkeit erst mit Schreiben vom 19. Februar 2010 abgelehnt. Außerdem habe die Klägerin gegen den eigenständigen Verwaltungsakt vom 9. Dezember 2009 über den geänderten Prüfungsbeginn Einspruch eingelegt und einen AdV-Antrag gestellt. Diesen Antrag habe der Beklagte erst mit Bescheid vom 28. Januar 2010 abgelehnt. Der Beklagte hätte anschließend noch fehlende Unterlagen unter Androhung eines Verzögerungsgeldes anfordern müssen.

Weiterhin solle das Verzögerungsgeld nicht vorrangig bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten im Rahmen einer Außenprüfung zur Anwendung kommen. Vielmehr hätte bei zutreffender Ermessensübung zuerst die Nichtanerkennung von Betriebsausgaben (§ 160 AO), die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO) oder die Androhung eines Zwangsgeldes (§ 329 AO) in Betracht gezogen werden müssen. Ein Verzögerungsgeld könne wegen des gesetzlich festgelegten Mindestbetrags erst bei äußerster Verweigerung des Steuerpflichtigen zur Anwendung kommen.

Darüber hinaus habe der Beklagte sein Ermessen auch im Hinblick auf die Höhe des festgesetzten Verzögerungsgeldes fehlerhaft ausgeübt. Das Verzögerungsgeld verfolge die gleiche Intention wie der Steuerzuschlag nach § 162 Abs. 4 AO und der Verspätungszuschlag nach § 152 Abs. 2 Satz 2 AO , nämlich den Steuerpflichtigen zu einer zeitnahen Mitwirkung anzuhalten. In Anlehnung an diese Vorschriften sei deshalb ein Verzögerungsgeld in Höhe von 5 bis 10 von Hundert des zu erwartenden steuerlichen Mehrergebnisses ermessensgerecht. Darüber hinaus seien die Dauer der Fristüberschreitung und die aufgrund des Verzögerungsverhaltens erlangten Vorteile sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Bescheid über die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes in Höhe von EUR 4.800 vom 3. März 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2010 aufzuheben,

hilfsweise, die Revision zuzulassen,

die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.

Der Beklagte beantragt sinngemäß,

die Klage abzuweisen.

Er macht geltend, dass wegen der Mitteilung an die Klägerin, das Finanzamt Y habe einen Prüfungsauftrag nach § 195 Satz 2 AO erteilt, keine Zweifel über die Zuständigkeit des Beklagten bestanden hätten. Weiterhin habe die Klägerin ihre Mitwirkungspflichten nicht durch die Übermittlung der CD an das Finanzamt Y erfüllt. Zum einen seien die Unterlagen von ihm, dem Beklagten, angefordert worden. Zum anderen seien auf der CD nicht alle angeforderten Unterlagen enthalten. Schließlich seien die von der Klägerin aufgeführten Alternativmaßnahmen insbesondere dann nicht geeignet, wenn – wie im Streitfall – keinerlei Unterlagen oder Belege vorgelegt worden seien. Im Übrigen verweist der Beklagte auf die Antragserwiderung vom 14. Oktober 2010 im gerichtlichen Verfahren zum Antrag der Klägerin auf Aussetzung der Vollziehung des Bescheids über die Festsetzung des Verzögerungsgeldes nach § 69 Abs. 3 FGO (Az. 13 V 13298/09).

Die Klägerin legte die vom Beklagten angeforderten Unterlagen im April bzw. Juni 2010 teilweise vor. Das vom Finanzgericht Berlin-Brandenburg unter dem Az. 13 V 13298/09 geführte AdV-Verfahren beendete die Klägerin am 7. Dezember 2010 durch Rücknahme des Antrags.

Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 7. Dezember 2010 bzw. 8. April 2011 gemäß § 90 Abs. 2 AO auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags nimmt das Gericht auf die von den Beteiligten im hiesigen Verfahren und im Verfahren 13 V 13298/09 eingereichten Schriftsätze einschließlich sämtlicher Anlagen sowie auf die beigezogenen Steuerakten Bezug. Dem Gericht haben je ein Band Betriebsprüfungsakten, Akten über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte, Gewerbesteuerakten, Umsatzsteuerakten, Bilanzakten und Vertragsakten, zwei Bände und eine Heftung Betriebsprüfungsakten sowie eine Heftung Rechtsbehelfsakten vorgelegen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid über die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes in Höhe von EUR 4.800 vom 3. März 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Zwar sind die formellen und materiellen Voraussetzungen des § 146 Abs. 2b AO erfüllt. Der Beklagte hat jedoch sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt (§ 102 FGO).

1. Der Bescheid über die Festsetzung des Verzögerungsgeldes ist formell rechtmäßig. Insbesondere war der Beklagte für den Erlass des Bescheides zuständig, und zwar unabhängig davon, ob die Klägerin den Ort ihrer Geschäftsleitung tatsächlich zum Zeitpunkt der Festsetzung des Verzögerungsgeldes von … nach … verlegt hatte.

Zwar läge die örtliche Zuständigkeit gemäß §§ 17, 18, 20 und 21 AO im Fall der Verlegung des Ortes der Geschäftsleitung nach … grundsätzlich nicht mehr beim Beklagten, sondern beim Finanzamt Y. Dies ergibt sich aus dem Schreiben des Finanzamts Y vom 19. Januar 2010. Darin wird zutreffend erläutert, dass wegen der Umwandlung der A OHG in eine GmbH das Finanzamt Y zuständig geworden sei, auch wenn das Finanzamt Z für die OHG eine Steuernummer erteilt habe.

Auch im Fall der Verlegung der Geschäftsleitung bliebe aber letztlich der Beklagte zuständig. Denn das Finanzamt Y hat dem Beklagten mit Schreiben vom 23. November 2009 gemäß § 195 Satz 2 AO einen Prüfungsauftrag für die gesonderte und einheitliche Feststellung, die Gewerbesteuer und die Umsatzsteuer 2002 bis 2004 erteilt. Hierüber hat der Beklagte die damalige steuerliche Vertreterin der Klägerin mit Schreiben vom 9. Dezember 2009 informiert. Nach Auffassung des erkennenden Senats erfasst der Prüfungsauftrag nach § 195 Satz 2 AO auch die Zuständigkeit für die Festsetzung von Verzögerungsgeldern nach § 146 Abs. 2b AO, sofern es – wie im Streitfall – um die Verletzung von Mitwirkungspflichten im Rahmen einer Außenprüfung geht. Darüber hinaus ist es unerheblich, dass bei einem Zuständigkeitswechsel nach Bekanntgabe der Prüfungsanordnung grundsätzlich § 26 Satz 2 AO anwendbar ist, sich die vom Beklagten nach dieser Vorschrift am 19. Januar 2010 erteilte Zustimmung aber auf das Rechtsbehelfsverfahren gegen die Prüfungsanordnung vom 8. Oktober 2008 beschränkte. Denn ein Prüfungsauftrag nach § 195 Satz 2 AO erfasst als Minus auch den Auftrag zur Fortführung einer Außenprüfung und wird durch die Möglichkeit einer Regelung der örtlichen Zuständigkeit nach § 26 Satz 2 AO nicht ausgeschlossen.

2. Die materiellen Voraussetzungen des § 146 Abs. 2b AO sind ebenfalls erfüllt.

Nach § 146 Abs. 2b AO kann ein Verzögerungsgeld unter anderem dann festgesetzt werden, wenn der Steuerpflichtige einer Aufforderung der zuständigen Finanzbehörde zur Vorlage von Unterlagen im Sinne des § 200 Abs. 1 AO im Rahmen einer Außenprüfung nicht innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist nachkommt. Nach Auffassung des erkennenden Senats gilt dies für sämtliche Außenprüfungen, d. h. es ist keine Verbindung mit einer Verlagerung der Buchführung in das Ausland erforderlich. Zwar könnte die Gesetzessystematik für die Notwendigkeit einer solchen Verbindung sprechen. Aus dem Wortlaut und der Gesetzesbegründung (Bundestags-Drucksache – BT-Drucks. – 16/10189, S. 81) ist jedoch entscheidend auf eine allgemeine Anwendung zu schließen (vgl. Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht – FG –, Urteil vom 1. Februar 2011 3 K 64/ 10 m. w. N.; a. A. Druen, Die Unternehmensbesteuerung – Ubg – 2009, 549, 550 ff.).

Im Streitfall hat der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 9. Dezember 2009 eine Frist zur Vorlage von näher bestimmten Unterlagen bis zum 11. Januar 2010 gesetzt. Diese Frist von mehr als einem Monat ist nicht zu beanstanden, zumal die Liste der angeforderten Unterlagen bereits der Prüfungsanordnung vom 8. Oktober 2008 beigefügt war und die Beteiligten seit einem Telefonat am 25. August 2009 über den Fortgang des Prüfungsverfahrens diskutiert haben. Die Klägerin hat dem Beklagten innerhalb dieser Frist keine und dem Finanzamt Y lediglich einen Teil (CD mit der GDPdU-Datei) der angeforderten Unterlagen vorgelegt. Für die Frage der Einhaltung der Frist kommt es aber grundsätzlich auf den Zugang beim anfordernden Finanzamt an. Eine etwaige Ausnahme kann im Streitfall schon deshalb nicht greifen, weil die Klägerin dem Finanzamt Y eine Weiterleitung der Unterlagen an den Beklagten ausdrücklich untersagt hatte.

Schließlich erfolgte die Aufforderung zur Abgabe der Unterlagen auch im Rahmen einer Außenprüfung. Denn die Prüfungsanordnung vom 8. Oktober 2008 war nach Beendigung des Klageverfahrens 13 K 13107/09 weiterhin wirksam. Der Beklagte hatte in diesem Verfahren nur die Unwirksamkeit der Einspruchsentscheidung vom 16. März 2009 festgestellt. Darüber hinaus war die Prüfungsanordnung vollziehbar, selbst wenn die Ablehnung der AdV vom 12. Dezember 2008 ebenso wie die Einspruchsentscheidung vom 16. März 2009 wegen Erlöschens des Inhaltsadressaten durch Gesamtrechtsnachfolge unwirksam gewesen sein sollte. Denn das AdV-Verfahren ist jedenfalls dadurch abgeschlossen worden, dass die Klägerin in dem unter dem Az. 13 V 13108/09 geführten gerichtlichen AdVVerfahren nach § 69 Abs. 3 FGO (konkludent) eine Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache erklärt hat.

3. Der Beklagte hat das durch § 146 Abs. 2b AO eröffnete Ermessen („kann”) fehlerhaft ausgeübt.

a. Ein Ermessen ist sowohl für die Frage, ob ein Verzögerungsgeld festgesetzt werden soll (Entschließungsermessen), als auch für die Höhe eines Verzögerungsgeldes (Auswahlermessen) eröffnet. Die Ermessensentscheidung ist gemäß § 102 Satz 1 FGO nur dahingehend gerichtlich überprüfbar, ob der Beklagte die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Mit Ausnahme einer Spannbreite des Verzögerungsgeldes zwischen EUR 2.500 und EUR 250.000 sieht § 146 Abs. 2b AO keine ausdrücklichen Ermessensleitlinien oder -grenzen vor, so dass sich der Beklagte nach den allgemeinen Grundsätzen (§ 5 AO) richten musste.

Für die gerichtliche Prüfung ist auf den Zeitpunkt der letztlichen behördlichen Entscheidung abzustellen (BFH-Urteil vom 26. März 1991 VII R 66/90, BStBl 1991 II S. 545 m. w. N.). Zwar kann die Finanzbehörde ihre Ermessenserwägungen im gerichtlichen Verfahren nach § 102 Satz 2 FGO ergänzen. Diese Vorschrift gestattet der Finanzbehörde aber nur, bereits an- oder dargestellte Ermessenserwägungen im finanzgerichtlichen Verfahren zu vertiefen, zu verbreitern oder zu verdeutlichen, nicht dagegen, Ermessenserwägungen erstmals anzustellen, die Ermessensgründe auszuwechseln oder vollständig nachzuholen (BFH-Beschluss vom 9. November 2004 VI B 39/02, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2005, 378 m. w. N.).

b. Im Rahmen des Erschließungsermessens waren demnach spätestens in der Einspruchsentscheidung Ermessenserwägungen erforderlich, warum der Beklagte im Streitfall überhaupt von der Möglichkeit der Festsetzung eines Verzögerungsgeldes Gebrauch gemacht hat. Dabei war insbesondere auf den Zweck von § 146 Abs. 2b AO abzustellen. Das Verzögerungsgeld ist kein Zwangsmittel, sondern eine eigenständige steuerliche Nebenleistung ( FG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 15. Oktober 2010 3 V 1296/ 10 , Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2011, 298 – Beschwerde eingelegt, Az. des BFH IV B 120/ 10 ; a.A. Rätke in: Klein, Abgabenordnung , 10 . Aufl. 2010, § 146 Rz. 5b). Ähnlich wie der Verspätungszuschlag nach § 152 AO hat das Verzögerungsgeld als Druckmittel eigener Art zugleich präventiven als auch repressiven Charakter. Es ist also nicht nur auf ein Handeln oder Unterlassen des Steuerpflichtigen gerichtet (Beugecharakter), sondern soll auch als Sanktion wirken und der Abschöpfung von Vorteilen dienen ( Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 1. Februar 2011 3 K 64/ 10 m . w. N.).

Entgegen der Auffassung der Klägerin waren vor dem Hintergrund dieser Zielsetzungen keine Ermessenserwägungen erforderlich, warum der Beklagte statt des Verzögerungsgeldes (§ 146 Abs. 2b AO) nicht die Möglichkeiten einer Nichtanerkennung von Betriebsausgaben (§ 160 AO), einer Schätzung von Besteuerungsgrundlagen (§ 162 AO) oder einer Androhung von Zwangsgeld (§ 329 AO) gewählt hat. Diesen Möglichkeiten fehlt der repressive Charakter des Verzögerungsgeldes, so dass im Vergleich zum Verzögerungsgeld unterschiedliche Zielsetzungen bestehen. Darüber hinaus sind aus dem Gesetz keine Anhaltspunkte erkennbar, dass ein Verzögerungsgeld erst bei äußerster Verletzung der Mitwirkungspflichten in Betracht kommen soll. Die gesetzliche Mindesthöhe von EUR 2.500 spricht lediglich dafür, aus Gründen der Verhältnismäßigkeit Bagatellfälle auszuklammern. Ein solcher Bagatellfall liegt im Streitfall schon vor dem Hintergrund des Umfangs der fehlenden Unterlagen nicht vor.

Allerdings hat der Beklagte in der Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2010 nicht deutlich gemacht, dass kein vorgeprägtes Ermessen dahingehend besteht, ein Versäumen der nach § 146 Abs. 2b AO zur Vorlage von Unterlagen gesetzten Frist regelmäßig durch die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes zu sanktionieren (gegen ein vorgeprägtes Ermessen auch Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 1. Februar 2011 3 K 64/ 10 ; Dißars, Die Steuerberatung – Stbg – 2010, 247, 249 f.; Kuhfus, EFG 2010, 688, 689; a.A. Gebbers, Die steuerliche Betriebsprüfung – StBp 2009 –, 162, 167; Geißler, Neue Wirtschafts-Briefe – NWB – 2009, 4076, 4080 f.). Insbesondere hat der Beklagte lediglich geprüft, ob das Überschreiten der Frist gerechtfertigt bzw. entschuldbar ist. Zwar werden die von der Klägerin vorgebrachten Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe mit sachgerechten Erwägungen widerlegt, wobei insoweit nach § 105 Abs. 5 FG auf die Einspruchsentscheidung vom 30. Juli 2010 Bezug genommen wird (einschließlich der Ergänzungen nach § 102 Satz 2 FGO im Schriftsatz vom 13 . Oktober 2010 zum Verfahren 13 V 13298/ 10 , auf den der Beklagte in der Klageerwiderung vom 7. Januar 2011 verweist). Der BFH hält es aber für den Fall der Festsetzung eines Verspätungszuschlags nach § 152 AO nicht für ausreichend, wenn die Möglichkeit, von der Festsetzung eines Verspätungszuschlags abzusehen, allein deshalb nicht in Betracht gezogen wird, weil keine Gründe für eine entschuldbare Säumnis vorliegen (BFH-Urteil vom 28. März 2007 IX R 22/05, BFH/NV 2007, 1450).

c. Ob diese Rechtsprechung des BFH zum Verspätungszuschlag im Streitfall dazu führt, dass der Beklagte bereits sein Entschließungsermessen fehlerhaft ausgeübt hat, kann letztlich offen gelassen werden. Denn der Beklagte hat jedenfalls sein Auswahlermessen fehlerhaft ausgeübt.

Für eine ermessensgerechte Bestimmung der Höhe des Verzögerungsgeldes ist ebenfalls von dem Zweck des § 146 Abs. 2b AO auszugehen. Im Rahmen einer Betriebsprüfung besteht dieser Zweck zunächst darin, den Steuerpflichtigen zur Einhaltung der Mitwirkungspflichten nach § 200 Abs. 1 AO anzuhalten. Wegen der zugleich repressiven Zielsetzung der Vorschrift sind aber auch die Dauer der Fristüberschreitung, die Höhe des zu erwartenden Mehrergebnisses, die aus der verspäteten Mitwirkung gezogenen Vorteile, der Umfang der nicht vorgelegten Unterlagen sowie das Verschulden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zu berücksichtigen. Dabei ist nach Einführung der Vollverzinsung gemäß § 233a AO auch die dadurch eingetretene Abschöpfung des Zinsvorteils zu beachten (vgl. zum Verspätungszuschlag BFH-Urteil vom 28. März 2007 IX R 22/05, BFH/NV 2007, 1450). Letztlich ist eine Gesamtbetrachtung des konkreten Einzelfalls erforderlich, ohne dass auf eine schematische Berechnung zurückgegriffen werden kann.

Trotzdem ist es nicht zu beanstanden, dass der Beklagte unter Betonung des Sanktionscharakters des Verzögerungsgeldes in einem ersten Schritt maßgeblich auf die Dauer der Fristüberschreitung abgestellt hat. Denn der Beklagte hat die danach berechnete Höhe des Verzögerungsgeldes in einem zweiten Schritt anhand weiterer Ermessenkriterien überprüft, auch wenn sowohl bei der die Wahl der Höhe des Tagessatzes von EUR 100 als auch bei der Überprüfung des Gesamtbetrages von EUR 4.800 – zusätzlich zu den vom Beklagten geprüften Kriterien – die zu erwarteten Mehrergebnisse und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Klägerin zu berücksichtigen waren. Alternativ hätte im ersten Schritt beispielsweise auch an den zu erwartenden Mehrergebnissen (gegebenenfalls aufgrund einer Schätzung unter Berücksichtigung der Mehrergebnisse vorangegangener Außenprüfungen) angeknüpft werden können.

Eine fehlerhafte Ermessensausübung folgt aber daraus, dass der Beklagte unzutreffend von einer relevanten Verzögerung ab 11. Januar 2010 ausging. Denn nach Auffassung des erkennenden Senats dürfen in die Dauer der Fristüberschreitung keine Zeiten eingerechnet werden, in denen ein (behördlicher oder gerichtlicher) AdV-Antrag läuft bzw. AdV gewährt worden ist (z. B. hinsichtlich der Prüfungsanordnung, der Bestimmung des Prüfungsbeginns oder der Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen). Dies gebietet das Erfordernis eines umfassenden und effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG –, da die Vorlage von Unterlagen nicht wieder rückwirkend beseitigt werden kann. Außerdem ist nicht zu befürchten, dass dem Steuerpflichtigen dadurch die Möglichkeit eröffnet wird, durch wiederholte AdV-Anträge den Zweck des Verzögerungsgeldes auszuhebeln. Denn ein Aufschub des relevanten Verzögerungszeitraums setzt nach Auffassung des erkennenden Senats einen zulässigen AdV-Antrag voraus. Diese Voraussetzung ist beispielsweise dann nicht erfüllt, wenn die Finanzbehörde nach Beendigung eines AdV-Verfahrens lediglich eine wiederholende Verfügung erlässt, in der aktualisierte Termine für den tatsächlichen Beginn der Prüfung bzw. für die Frist zur Vorlage der angeforderten Unterlagen genannt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 4. März 2008 VII B 13 /07 , BFH/NV 2008, 1104; BFH-Urteil vom 25. Februar 1997 VII R 129/95, BFH/NV 1997, 542).

Im Streitfall begann die relevante Verzögerung demnach erst mit Bekanntgabe der ablehnenden Entscheidung des Beklagten hinsichtlich des AdV-Antrags gegen die „geänderte Prüfungsanordnung” vom 9. Dezember 2009, d. h. am 31. Januar 2009. Der AdV-Antrag richtete sich bei einer Rechtsschutz wahrenden Auslegung nicht nur gegen die (rein wiederholende) Prüfungsanordnung, sondern beispielsweise auch gegen die Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen und die Mitteilung über den Prüfungsauftrag des Finanzamts Y nach § 195 Satz 2 AO. Bei diesen Verwaltungsakten handelte es sich gerade nicht um lediglich wiederholende Verfügungen. Aufgrund der Art und Weise der Berechnung des Verzögerungsgeldes durch den Beklagten betrifft die konkrete Dauer der relevanten Verzögerung auch eine tragende Ermessenserwägung des Beklagten.

Im Hinblick auf den Umfang der fehlenden Unterlagen ging der Beklagte dagegen zutreffend davon aus, dass es grundsätzlich auf den Eingang dieser Unterlagen beim Beklagten ankommt. Wegen des zugleich repressiven Charakters des Verzögerungsgeldes ist die für das Zwangsgeld geltende Vorschrift des § 335 AO nicht anwendbar ( Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 1. Februar 2011 3 K 64/ 10 ; Hessisches FG, Beschluss vom 19. März 2010 12 V 396/ 10 ; Druen, Ubg 2011, 83, 91). Darüber hinaus konnte im Streitfall die Vorlage der CD mit der GDPdU-Datei schon deshalb nicht entlastend wirken, weil sie vom Finanzamt Y gegen den Willen der Klägerin an den Beklagten weitergeleitet worden ist.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10 , 711 Zivilprozessordnung – ZPO – . Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, da die Auslegung von § 146 Abs. 2b AO bisher noch nicht Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung war.

5. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig zu erklären, da die Sach- und Rechtslage nicht so einfach ist, dass die Klägerin sich selbst vertreten konnte.

RechtsgebietAOVorschriftenAO § 146 Abs. 2b AO § 195 S. 2 AO § 200 Abs. 1 AO § 5

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