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01.02.2012

Finanzgericht Schleswig-Holstein: Beschluss vom 20.12.2011 – 5 V 223/11

1. Begehrt ein eingetragener Lebenspartner die Eintragung der Lohnsteuerklasse III auf seiner Lohnsteuerkarte unter Berufung auf eine lohnsteuerrechtlich und einkommensteuerrechtlich verfassungswidrige Schlechterstellung eingetragener Lebenspartner gegenüber Ehegatten, so ist nach erfolgter Ablehnung der begehrten Eintragung durch das Finanzamt und Einspruchseinlegung bzw. Klagerhebung einstweiliger gerichtlicher Rechtsschutz nach § 69 Abs. 3 FGO durch Aussetzung der Vollziehung zu gewähren.

2. Im Hinblick auf die Entscheidungen des BVerfG vom 21. Juli 2010 (1 BvR 611/07 u. a., BGBl I 2010, 1295), des EuGH vom 10. Mai 2011 (C-147/08, NJW 2011, 2187) sowie diverse finanzgerichtliche Entscheidungen in einstweiligen Rechtsschutzverfahren bestehen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses eingetragener Lebenspartner von den Regelungen des so genannten Ehegatten-Splittings und damit auch von den Ehegatten begünstigenden Lohnsteuerklassen.

3. Insbesondere vor dem Hintergrund der Anzahl eingetragener Lebenspartnerschaften in Deutschland und der sich daraus ergebenden fehlenden Breitenwirkung bei der Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung in dieser Konstellation überwiegt in der Regel das Aussetzungsinteresse der eingetragenen Lebenspartner an der vorläufigen Eintragung der günstigen Lohnsteuerklasse auf ihrer Lohnsteuerkarte das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung.

4. Die Beschwerde wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

(siehe auch Parallelentscheidung mit im wesentlichen gleichen Sachverhalt:

Schleswig-Holsteinisches FG, Beschluss vom 20. Dezember 2011, 5 V 213/11)


Tatbestand

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege der Aussetzung der Vollziehung eine vorläufige Änderung der Lohnsteuerklasse auf der Lohnsteuerkarte für das Jahr 2011.

Die Antragstellerin begründete am 12. April 2007 eine eingetragene Lebenspartnerschaft. Sie erzielte im Jahre 2011 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Ihre Lebenspartnerin, die im Streitjahr Studentin war, erzielte freiberufliche Einkünfte. Die beiden Lebenspartner leben nicht dauernd getrennt und sind beide unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.

Mit Antrag vom 05. Mai 2011 beantragte die Antragstellerin bei dem Antragsgegner, auf der fortgeltenden Lohnsteuerkarte 2010 für das Jahr 2011 die Lohnsteuerklasse III für sie einzutragen. Den Antrag begründete sie damit, dass sie zu Anfang des Jahres 2011 bereits in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gelebt habe, so dass nicht die Steuerklasse I für Ledige für sie hätte eingetragen werden dürfen. Zwar sei sie auch nicht verheiratet. Die Lücke in den gesetzlichen Regelungen hätte jedoch dahingehend geschlossen werden müssen, dass die Lohnsteuerklasse III ebenso für die eingetragene Lebenspartnerschaft gelte. Dies ergebe sich insbesondere aus der Entscheidung des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 zur Erbschaftsteuer (1 BvR 611/07 u.a., NJW 2010, 2783). Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung seien die bisherigen Urteile des BFH vom 26. Januar 2006 (III R 51/05, Bundessteuerblatt -BStBl- II 2006, 515), vom 20. Juli 2006 (III R 8/04, BStBl II 2006, 883) und vom 19. Oktober 2006 (III R 29/06, BFH/NV 2007, 663), die in der fehlenden Möglichkeit einer Zusammenveranlagung eingetragener Lebenspartner keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung gegenüber Ehegatten gesehen hätten, als überholt anzusehen. Vor diesem Hintergrund ergebe sich ein Anspruch darauf, dass die Lohnsteuerkarte wie beantragt geändert würde. Dies müsse umso mehr gelten, als in ihrem Fall der Antragsgegner auch die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2009 auf entsprechenden Antrag hin aufgehoben habe.

Mit Bescheid vom 12. Mai 2011 lehnte der Antragsgegner die beantragte Änderung der Lohnsteuerklasse ab.

Hiergegen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 23. Mai 2011 Einspruch ein. Zur Begründung bezog sie sich auf ihren bisherigen Vortrag.

Die Antragstellerin beantragte sodann mit Schreiben vom 01. November 2011 die Aussetzung der Vollziehung des ablehnenden Bescheides über die Änderung ihrer Steuerklasse, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung ihres Antrags auf Änderung der Lohnsteuerklasse bestünden. Zum einen spreche auch nach Auffassung des Bundesfinanzhofs (vgl. Beschluss vom 08. Juni 2011 III B 210/10, BFH/NV 2011, 1692) vieles dafür, dass in der vorliegenden Konstellation vorläufiger Rechtsschutz nach § 69 Abs. 3 FGO zu gewähren sei, so dass zur Aussetzung der Vollziehung ernstliche Zweifel ausreichten. Zum anderen lägen auch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung vor. Diese ergäben sich insbesondere durch die inzwischen vorliegende finanzgerichtliche Rechtsprechung, die von einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Einkommensteuerrecht und der Unvereinbarkeit dieser Regelungen mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ausginge. Ferner ergebe sich die Verfassungswidrigkeit der Ungleichbehandlung insoweit auch aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 (1 BvR 611/07 u. a.). Im Streitfall überwiege auch ihr Aussetzungssetzungsinteresse die gegen die Gewährung der Vollzugsaussetzung sprechenden öffentlichen Belange. Ein Haushaltsvorbehalt könne in diesem Fall die Ablehnung der Gewährung von AdV nicht rechtfertigen, da nur ein geringfügiger Anteil Betroffener vorhanden sei, der finanzpolitisch keine Breitenwirkung entfalte.

Den Antrag der Antragstellerin lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 07. November 2011 ab.

Die Antragstellerin hat am 14. November 2011 beim Schleswig-Holsteinischen Finanzgericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des ablehnenden Bescheides des Antragsgegners vom 12. Mai 2011 gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 FGO gestellt.

Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die bereits bei der Beantragung der Aussetzung der Vollziehung geltend gemachten Gründe und macht ergänzend geltend, dass durch die Änderung der Lohnsteuerklassen die Einkommensteuerveranlagung der Antragstellerin auch nicht vorweggenommen werde. Falls das Bundesverfassungsgericht die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft in den anhängigen Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht für verfassungswidrig erklären sollte, könne die Änderung der Lohnsteuerklassen im nachfolgenden ESt-Veranlagungsverfahren durch Festsetzung einer höheren Nachzahlung rückgängig gemacht werden.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

die Vollziehung des Bescheides des Antragsgegners vom 12. Mai 2011 gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 FGO mit der Maßgabe auszusetzen, dass für das ganze Jahr 2011 in der Lohnsteuerkarte der Antragstellerin vorläufig bis einen Monat nach Bekanntgabe der Rechtsbehelfsentscheidung bzw. einer sonstigen Erledigung des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die ablehnende Entscheidung des Antragsgegners vom 12. Mai 2011 die Lohnsteuerklasse III eingetragen wird.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er macht geltend, dass ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsakts, der mit ernstlichen Zweifeln an der Verfassungswidrigkeit einer Norm, auf welcher der Verwaltungsakt aufbaue, begründet werde, wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich eines besonderen berechtigten Interesses des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bedürfe. Insofern sei eine Abwägung der für die Gewährung der Vollzugsaussetzung sprechenden Belange mit den öffentlichen Belangen vorzunehmen. Diese Abwägung führe im Streitfall - wie es auch das Finanzgericht München in seiner Entscheidung vom 05. August 2010 (VIII 51107/10, EFG 2011, 67) - angenommen habe, dazu, dass ein besonderes berechtigtes Interesse nicht vorläge. Es handele sich bei den Lohnsteuerabzugsverfahren nur um ein vorgelagertes Vorauszahlungsverfahren. Die eingetragene Lohnsteuerklasse I habe daher lediglich vorübergehend für wenige Monate höhere Vorauszahlungen zur Folge. Über die Anwendbarkeit des Splittingtarifs könne erst im Veranlagungsverfahren endgültig entschieden werden. Im Übrigen habe die Entscheidung des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 zur Erbschaftsteuer, da sie eine andere Rechtsmaterie betreffe, keine Bindungswirkung.

Gründe

II.1. Den Antrag der - nicht vertretenen - Antragstellerin, „den ablehnenden Bescheid vom 7. November 2011 aufzuheben und die Vollziehung des Bescheides des Antragsgegners vom 12. Mai 2011 gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 FGO auszusetzen und anzuordnen, dass die Steuerklasse der Antragstellerin für das ganze Jahr 2001 von I in III zu ändern ist”, legt der Senat wie aus den Gründen zu I. ersichtlich aus. Die Beschränkung des Antrags in zeitlicher Hinsicht ergibt sich insbesondere daraus, dass die AdV längstens bis zum bestandskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens angeordnet werden kann (Gräber in Koch, FGO, § 69 FGO Rz. 151; FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. Dezember 2011 3 V 3699/11), so dass hier eine Beschränkung der Aussetzung der Vollziehung bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchentscheidung bzw. einer sonstigen Erledigung des Einspruchsverfahrens zu erfolgen hat. Ggf. ist danach für den Fall einer Klagerhebung ein erneuter Antrag auf AdV bei Finanzamt zu stellen

Der so verstandene Antrag ist zulässig (dazu unter 2.). Er ist auch begründet (dazu unter 3.).

2. Der Antrag der Antragstellerin ist zulässig.

In der vorliegenden Konstellation einer Ablehnung der aus verfassungsrechtlichen Gründen begehrten Änderung der Lohnsteuerklasse von eingetragenen Lebenspartnern ist der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des ablehnenden Bescheides nach § 69 Abs. 3 FGO - und nicht der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO - die statthafte Rechtsschutzform des einstweiligen Rechtsschutzes (so tendenziell auch BFH, Beschluss vom 8. Juni 2011 III B 210/10; auch FG München, Beschluss vom 5. August 2010 VIII V 1107/10, EFG 2011, 67; Drenseck in Schmidt, EStG, 30. Aufl., § 39 Rz. 8; zum einstweiligen Rechtsschutz bei Ablehnung der Eintragung eines Freibetrages auf der Lohnsteuerkarte bereits BFH, Beschluss vom 25. August 2009 VI B 69/09, BStBl II 2009, 826, BFHE 226, 85 m. w. N.).

Darüber hinaus liegen nach Ablehnung der beantragten Aussetzung der Vollziehung durch Bescheid des Antragsgegners vom 7. November 2011 auch die Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 Satz 1 EStG vor.

3. Der Antrag erweist sich auch als begründet.

Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Bescheides auf Antrag ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 FGO liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs -BFH- vom 5. März 1979, GrS 5/77, BFHE 127, 140, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1979, 570). Da das Aussetzungsverfahren wegen seiner Eilbedürftigkeit und seines vorläufigen Charakters ein summarisches Verfahren ist, beschränkt sich die Überprüfung des Prozessstoffes auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen (insbesondere die Akten der Finanzbehörde) sowie auf die präsenten Beweismittel. Weitergehende Sachverhaltsermittlungen durch das Gericht sind nicht erforderlich (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 21. Juli 1994, IX B 78/94, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV- 1995, 116). Es ist auch nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe überwiegen (vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 20. Mai 1998 III B 9/98, BFHE 186, 236, BStBl II 1998, 721; vom 16. Juni 2004 I B 44/04, BFHE 206, 284, BStBl II 2004, 882). Vielmehr genügt es, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg; ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist im Regelfall die Vollziehung auszusetzen (BFH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2009 VIII B 62/09, BFHE 226, 353, BStBl II 2010, 180; vom 25. November 2005 V B 75/05, BFHE 212, 176, BStBl II 2006, 484). Ernstliche Zweifel können danach z.B. bestehen, wenn die streitige Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde und im Schrifttum oder in der Rechtsprechung der Finanzgerichte unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (BFH, Beschlüsse vom 8. September 2009 II B 63/09, BFH/NV 2010, 68; vom 29. Juli 2009 XI B 24/09, BFHE 226, 449, BFH/NV 2009, 1567). Ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärende Frage nicht im summarischen Verfahren der AdV zu entscheiden (BFH, Beschlüsse vom 9. August 2007 V B 96/07, BFHE 217, 319, BStBl II 2007, 850; vom 21. Juli 2009 II B 8/09, BFH/NV 2009, 1845; vom 25. August 2009 VI B 69/09, BFHE 226, 85, BStBl II 2009, 826; vom 19. Mai 2010 I B 191/09, BFHE 229, 322).

Hiervon ausgehend bestehen nach Auffassung des Senats ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der ablehnenden Entscheidung des Antragsgegners vom 12. Mai 2011.

Gemäß § 38 b Satz 2 Nr. 3 a) aa) EStG gehören in die Steuerklasse III Arbeitnehmer, die verheiratet sind, wenn beide Ehegatten unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind, nicht dauernd getrennt leben und der Ehegatte des Arbeitnehmers keinen Arbeitslohn bezieht. Zwar liegen dem Wortlaut nach diese Voraussetzungen im Streitfall nicht vor. Denn diese Regelung setzt dem Wortlaut nach das Bestehen einer Ehe voraus. Es besteht nach allgemeiner Meinung nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelungen im Einkommensteuerrecht auch kein Anspruch auf Zusammenveranlagung der eingetragenen Lebenspartner, weil der Gesetzgeber dieses Verfahren nach §§ 26, 26b EStG ausdrücklich auf Ehegatten beschränkt hat (BFH, Urteile vom 26. Januar 2006 III R 51/05, BFHE 212, 236, BStBl II 2006, 515; vom 20. Juli 2006 III R 8/04, BFH/NV 2006, 1966). Partner einer eingetragenen Lebenspartnerschaft sind vom Wortlaut dieser Vorschriften daher nicht erfasst. Eine entsprechende Anwendung der Vorschriften ist mangels einer unbewussten Regelungslücke des Gesetzgebers auch nicht geboten (BFH, Urteil vom 26. Januar 2006 III R 51/05, BFHE 212, 236, BStBl II 2006, 515).

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung der begehrten Änderung der Lohnsteuerklasse ergeben sich für den Senat jedoch aus einem möglichen, gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Ausschluss der eingetragenen Lebenspartner von diesen begünstigenden steuerrechtlichen Regelungen, die Ehegatten gewährt werden, soweit diese allein an den Status der Ehe anknüpfen. Dabei kann nach Auffassung des Senats dahinstehen, ob tatsächlich insoweit in § 38 b Satz 2 Nr. 3 a EStG ein gleichheitswidriger Ausschluss der eingetragenen Lebenspartner vorliegt. Denn im Rahmen des gerichtlichen Aussetzungsverfahrens genügt insoweit zur Begründung ernstlicher Zweifel die Tatsache, dass in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung zu dieser Frage unterschiedliche Rechtsmeinungen vertreten werden und vom Bundesfinanzhof und vom BVerfG diese Frage auch unter Berücksichtigung neuerer Rechtsprechung des BVerfG, des BFH und des EuGH nicht entschieden wurde. Der Senat folgt insoweit der vom FG Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 12. September 2011 (Az 3 V 2820/11, juris, StE 2011,743 (Ls.)) vertretenen Auffassung (so auch FG Düsseldorf, Beschluss vom 28. November 2011 7 V 3951/11 A(E); FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. Dezember 2011 3 V 3699/11).

Beim BVerfG sind zu dieser Rechtsfrage derzeit die Verfassungsbeschwerden 2 BvR 288/07, 2 BvR 1981/06 und 2 BvR 909/06 anhängig. Auch beim BFH sind zu dieser Rechtsfrage diverse Revisionsverfahren anhängig (siehe dazu die Nachweise im Beschluss des FG Baden-Württemberg vom 12. September 2011, 3 V 1820/11, juris). Während der BFH in seinen bisherigen Entscheidungen in Hauptsacheverfahren (BFH, Urteile vom 26. Januar 2006 III R 51/05, BFHE 212, 236, BStBl II 2006, 515; vom 20. Juli 2006 III R 8/04, BFH/NV 2006, 1966; vom 19. Oktober 2006 III R 29/06, BFH/NV 2006, 63) regelmäßig eine Zusammenveranlagung und damit auch eine Begünstigung der eingetragenen Lebenspartner wie Ehegatten bei der Lohnsteuerklasse abgelehnt hat, haben nunmehr mehrere Finanzgerichte in Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes einen anderen Standpunkt vertreten und ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelung bzw. das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs auf Eintragung der Lohnsteuerklasse III angenommen (vgl. FG Niedersachsen, Beschluss vom 9. November 2010 10 V 309/10, DStRE 2011, 675; vom 1. Dezember 2010 13 V 239/10 (juris); vom 15. Juni 2011 3 V 125/11 (juris); FG Nürnberg, Beschluss vom 16. August 2011 3 V 868/11 (juris), FG Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 16. Mai 2011 9 V 1339/11; vom 12. September 2011 3 V 2820/11 (juris); vom 2. Dezember 2011 3 V 3699/11; vom 7. Dezember 2011 4 V 1910/11; FG Münster, Beschluss vom 27. Juli 2011, 3 V 1199/11 E (dort mangels Anordnungsgrund Antrag aber abgelehnt); FG Düsseldorf, Beschluss vom 28. November 2011, 7 V 3951/11 A (E)). Die in diesen Beschlüssen vertretenen Auffassungen nahmen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in Frage stehenden steuerrechtlichen Regelungen oder gar eine Verfassungswidrigkeit zum einen insbesondere im Hinblick auf den BVerfG-Beschluss vom 21. Juli 2010 (1 BvR 611/07 u. a., BGBl I 2010, 1295): Verfassungswidrigkeit der Benachteiligung von Lebenspartnerschaften bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer) an; zum anderen wurden die ernstlichen Zweifel ergänzend auch mit dem Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 10. Mai 2011 C-147/08 (NJW 2011, 2187: Unionsrechtswidrigkeit der Diskriminierung von Lebenspartnerschaften bei der Berechnung von Versorgungsbezügen durch Zugrundelegung der Steuerklasse I statt III) begründet. Die Frage, ob diese beiden neuen Entscheidungen des BVerfG und des EuGH zu ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der § 26 ff. EStG und der Lohnsteuerklasseneinteilung in § 38 b Satz 2 a) EStG Anlass geben, ist höchstrichterlich nicht entschieden. Die BFH-Beschlüsse vom 23. Mai 2011 (III B 211/10, BFH/NV 2011,1517) und vom 8. Juni 2011 (III B 210/10, BFH/NV 2011,1692) haben die materielle Rechtsfrage aus anderen Gründen offen gelassen. Bereits angesichts dieser unterschiedlichen Auffassungen in der Rechtsprechung und dem Fehlen einer höchstrichterlichen Entscheidung ergeben sich im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der ablehnenden Entscheidung des Antragsgegners.

Der Gewährung einstweiligen Rechtschutzes steht insoweit auch nicht entgegen, dass die Hauptsache vorweggenommen würde oder dass es für die von der Antragstellerin begehrte Änderung keine gesetzliche Grundlage gäbe. Denn zum einen wird durch die hier erfolgende Gewährung von AdV lediglich eine vorläufige Regelung bis zur Entscheidung in der Hauptsache getroffen, die bereits bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung begründet ist und die Hauptsache nicht vorwegnimmt. Zum anderen bestünde aber auch im Falle des verfassungswidrigen Ausschlusses der eingetragenen Lebenspartner von der die Ehegatten begünstigenden Regelung ein Anspruch auf Änderung der Lohnsteuerkarte nach den einfachgesetzlichen Regelungen. Zwar geht der Änderungsanspruch nach § 39 Abs. 5 Satz 1 EStG von einem erst im Laufe des Kalenderjahres erfolgenden Eintritt der Voraussetzungen für eine dem Antragsteller günstigen Steuerklasse aus. Es ist jedoch anerkannt, dass auch bei einer von vornherein unrichtigen Eintragung eine Änderung auf der Lohnsteuerkarte vorgenommen werden kann (vgl. Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 39 Rn H 1; Fissenwert in Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 39 Rn 19).

Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt vorliegend auch die gegen die Gewährung der AdV sprechende öffentlichen Interessen.

Ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsakts, der mit ernstlichen Zweifeln an der Verfassungswidrigkeit einer Norm, auf welcher der Verwaltungsakt aufbaut, begründet wird, bedarf wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich eines besonderen berechtigten Interesses des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (BFH-Beschlüsse vom 1. April 2010 II B 168/09, BStBl II 2010, 558, m.w.N., und vom 26. Januar 2010 VI B 115/09, BFH/NV 2010, 935; Gräber/Koch, FGO, § 69 Rz. 113). Bei der Prüfung, ob ein solches berechtigtes Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen besteht, ist dieses mit den gegen die Gewährung der Vollzugsaussetzung sprechenden öffentlichen Belangen abzuwägen. Dabei kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung der Vollziehung hinsichtlich des Gesetzesvollzuges und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an.

Im Streitfall kann für die Antragstellerin von einem besonderen wirtschaftlichen und persönlichen Interesse daran ausgegangen werden, die Versagung der Zusammenveranlagung aus personenbezogenen Gründen wegen ihrer sexuellen Orientierung bereits vorläufig im Lohnsteuerabzugsverfahren zu beseitigen. Dieses Interesse wird dadurch verstärkt, dass das BVerfG, falls in den dort anhängigen Verfahren die Regelungen für verfassungswidrig erachtet würden, möglicherweise nicht die Nichtigkeit der maßgeblichen Regelungen feststellen, sondern die Vorschrift lediglich als grundgesetzwidrig ansehen und dem Gesetzgeber mit geräumiger Frist eine Änderung für die Zukunft aufgeben könnte (so BFH, Beschluss vom 25. August 2009 VI B 69/09, BFHE 226,85, BStBl II 2009, 826 im Beschluss des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zur Verfassungsmäßigkeit des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG). Dem stehen keine überwiegenden öffentlichen Belange entgegen. Nach der Antwort der Bundesregierung vom 23. September 2010 auf eine kleine parlamentarische Anfrage bestanden im Jahr 2007 15.000 und in den Jahren 2008 und 2009 19.000 eingetragene Lebenspartnerschaften (vgl. Bundestag-Drucksache 17/3009, Anlage 1). Angesichts der danach zu erwartenden geringen Zahl von Fällen betroffener Lebenspartner hat die Gewährung von AdV in den betreffenden Fällen keine große Breitenwirkung, so dass das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung nicht wesentlich beeinträchtigt würde (so auch Niedersächsisches FG, Beschlüsse vom 9. November 2010 - 10 V 309/10, DStRE 2011, 675, FG Nürnberg, Beschluss vom 16. August 2011 3 V 868/11; FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. September 2011 3 V 2820/11 (Juris)). Dabei muss auch berücksichtigt werden, dass ein ” Haushaltsvorbehalt” nicht jeden legislativen Verfassungsverstoß rechtfertigen kann (vgl. FG Nürnberg, Beschluss vom 16. August 2011, a.a.O.). Zudem werden durch die Verplanung bzw. Verausgabung (möglicherweise) verfassungswidriger Steuern eintretende Risiken für die öffentliche Haushaltsführung in diesen Fällen durch die Gewährung der AdV geradezu vermieden (vgl. Gräber/Koch, FGO, § 69 Rz. 113; BFH, Beschluss vom 15. August 2009, VI B 69/09, BFHE 226,85; BStBl II 2009, 826).

Schließlich ist nach Auffassung des Senats auch nicht zu befürchten, dass im Falle einer Entscheidung des BVerfG zu Lasten der Antragstellerin sie durch die vorläufige Gewährung von AdV einen ungerechtfertigten Steuervorteil erhält, der etwa mangels Notwendigkeit der Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung nicht mehr ausgeglichen werden könnte. Dabei kann dahinstehen, ob für den Fall der Gewährung von AdV in diesem Fall tatsächlich für die Antragstellerin im Falle der Verfassungsmäßigkeit der bisherigen einkommensteuerrechtlichen Regelungen eine Einkommensteuerveranlagung durchzuführen ist. Denn selbst dann, wenn nach Ende des Kalenderjahres und Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung durch den Arbeitgeber ein nachträglicher Einbehalt nicht möglich seine sollte (vgl. § 41 c Abs. 3 Satz 1 EStG), könnte - wie auch bei nachträglicher Änderung des Freibetrags und fehlender Einkommensteuerveranlagung (vgl. BFH, Urteil vom 24. September 1982 VI R 64/79, BFHE 136, 484, BStBl II 1983, 60) - von der Antragstellerin durch Lohnsteuernachforderungsbescheid nach rechtskräftiger Entscheidung im Hauptsacheverfahren die zu wenig erhobene Lohnsteuer verlangt werden.

Eine Aussetzung scheidet schließlich auch nicht deshalb aus, weil dadurch eine weitergehende Entscheidung getroffen würde als von dem Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung über die für verfassungswidrig gehaltene Rechtsnorm zu erwarten ist. Angesichts der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die entscheidungserheblichen Regelungen in den Verfahren zur steuerlichen Berücksichtigung von Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (Urteil vom 9. Dezember 2008 - 2 BvL 1/07, BVerfGE 122, 210) und von Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer (Urteil vom 6. Juli 2010 - 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268) rückwirkend wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG außer Kraft zu setzen, kann nicht vorhergesagt werden, ob im Falle der Annahme einer Verfassungswidrigkeit der hier in Rede stehenden Regelungen lediglich eine Unvereinbarkeiterklärung mit befristeter Fortgeltungsanordnung erfolgt (vgl. FG Nürnberg, Beschluss vom 16. August 2011 3 V 868/11 juris).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Beschwerde war zuzulassen, weil die Entscheidung grundsätzliche Bedeutung hat. Eine Beschwerde hat grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung (§ 131 Abs. 1 FGO).

VorschriftenArt. 3 Abs. 1 GG, § 38b Satz 2 Nr. 3 a EStG, § 39 Abs. 5 EStG, § 69 Abs. 3 FGO, § 114 FGO

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