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08.07.2011 · IWW-Abrufnummer 112255

Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 08.02.2011 – 14 K 329/09

1.Zum Begriff des häuslichen Arbeitszimmers.




2.Zum Begriff des „Mittelpunkts der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung”.




3.Wo ein Stpfl. seinen Schwerpunkt hat, ist im Wege einer Wertung der Gesamttätigkeit des Stpfl. festzustellen. Bei dieser Wertung kommt dem zeitlichen (quantitativen) Umfang der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers lediglich eine indizielle Bedeutung zu.




4.Bei einem Richter/Richterin am AG liegt der qualitative Schwerpunkt der beruflichen Betätigung nicht im häuslichen Arbeitszimmer.



5.Prägend sind für einen Zivilrichter vielmehr die mündlichen Verhandlungen, die bei Gericht stattfinden.


Niedersächsisches Finanzgericht v. 08.02.2011

14 K 329/09

Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbstständiger Arbeit als Werbungskosten steuermindernd zu berücksichtigen sind.

Die Klägerin erzielt als Richterin am Amtsgericht Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Beim Amtsgericht … betreut sie seit vielen Jahren ein zivilrechtliches Dezernat. Im Amtsgericht … steht ihr ein eigenes Dienstzimmer zur Verfügung, das sie im Streitjahr tatsächlich auch für ihre richterliche Tätigkeit nutzte. Zudem führte die Klägerin regelmäßig einmal in der Woche mündliche Verhandlungen im Sitzungssaal des Amtsgerichts … durch.

Die Klägerin wohnte im Streitjahr in der Nähe von … gemeinsam mit ihrem Sohn in ihrem Einfamilienhaus „…” in …. Das Wohnhaus hat eine Wohnfläche von ungefähr 150 qm. In diesem Wohnhaus hat die Klägerin sich in einem Anbau, der vom Wohnzimmer aus betreten werden kann, ein häusliches Arbeitszimmer eingerichtet, das ungefähr eine Größe von 19 qm hat.

In ihrer Einkommensteuererklärung 2008 machte die Klägerin bei ihren Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit unter anderem als Werbungskosten Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer i.H.v. insgesamt …. € steuermindernd geltend. Wegen der Einzelheiten dieser Aufwendungen wird auf Bl. 59 der Gerichtsakte verwiesen. Das beklagte Finanzamt (FA) setzte daraufhin gegenüber der Klägerin mit Einkommensteuerbescheid vom … die Einkommensteuer 2008 auf … € fest, ohne jedoch, wie erklärt, bei ihren Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit die Aufwendungen für das häusliches Arbeitszimmer steuermindernd zu berücksichtigen. In den Erläuterungen zu diesem Bescheid heißt es, die Aufwendungen für das häusliche Arbeitszimmer könnten nicht mehr berücksichtigt werden, weil das Arbeitszimmer nicht den Mittelpunkt der gesamten beruflichen und betrieblichen Betätigung der Klägerin darstelle. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Der Mittelpunkt ihrer beruflichen Betätigung habe sich im Streitjahr in ihrem häuslichen Arbeitszimmer befunden. Als Zivilrichterin nehme sie eine besondere, von anderen Richtern abgehobene Position ein. Ihre mündlichen Verhandlungen im Sitzungssaal des Amtsgerichts … seien lediglich die nach außen sichtbare Tätigkeit ihrer richterlichen Arbeit. Die Durchführung mündlicher Verhandlungen sei jedoch für ihre zivilrichterliche Tätigkeit nicht berufsprägend. Berufsprägend sei vielmehr das Fällen von Entscheidungen. Sämtliche Urteile und mindestens 90 % der übrigen Entscheidungen habe sie im Streitjahr nicht im Sitzungssaal, sondern in ihrem häuslichen Arbeitszimmer erarbeitet. Überdies verkünde sie ihre Urteile meistens schriftlich durch Zustellung und nicht mündlich im Sitzungssaal. Ferner treffe sie 20 % bis 30 % ihrer Entscheidungen sogar ohne mündliche Verhandlung. Mit Einspruchsbescheid vom … wies das FA den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 Einkommensteuergesetz in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19. Juli 2006, Bundesgesetzblatt I 2006, 1652 seien Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nur dann steuermindernd zu berücksichtigen, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit bilde. Für einen Richter sei die Tätigkeit im Gericht prägend, auch wenn er seine Urteile im häuslichen Arbeitszimmer abfasse.

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der die Klägerin in der Sache ihr bisheriges Begehren weiterverfolgt. Sie halte sich an den Arbeitstagen regelmäßig nur vormittags in ihrem Dienstzimmer im Amtsgericht … auf, wobei sie einmal wöchentlich im Sitzungssaal des Amtsgerichts … mündliche Verhandlungen durchführe. Nachmittags arbeite sie regelmäßig von ungefähr 14.00 Uhr bis 20.00 Uhr in ihrem häuslichen Arbeitszimmer. Lediglich an Sitzungstagen arbeite sie von 16.00 Uhr bis 18.00 Uhr in ihrem häuslichen Arbeitszimmer. Darüber hinaus arbeite sie auch am Wochenende in ihrem häuslichen Arbeitszimmer, und zwar am Samstag von ungefähr 15.00 Uhr bis 20.00 Uhr und am Sonntag von ungefähr 10.00 Uhr bis 20.00 Uhr. In ihrem Dienstzimmer im Amtsgericht … habe sie lediglich begleitende organisatorische und prozessleitende Tätigkeiten wahrgenommen. Dort bearbeite sie die täglichen Eingänge, bestimme und verlege Verhandlungstermine, lade Zeugen und führe Telefonate. Akten mit größerem Umfang, die Zeit und Ruhe benötigten, bearbeite sie zu Hause. Sämtliche Entscheidungen, wie Urteile und Beschlüsse, diktiere sie ebenfalls ausschließlich in ihrem häuslichen Arbeitszimmer. Im Streitjahr habe sie zudem begonnen, ab und zu donnerstags zu Hause zu bleiben. Der qualitative Schwerpunkt ihrer richterlichen Tätigkeit habe daher in ihrem häuslichen Arbeitszimmer gelegen. Prägend für ihre Tätigkeit als Zivilrichterin sei nämlich die Verifizierung des Sachvortrags, das Herausfiltern wesentlicher Umstände, rechtliche Recherchen, die Bewertung des Sachverhalts und der Rechtsansichten der Parteien, die Skizzierung eines Urteilsentwurfs oder Vergleichsvorschlags sowie die Skizzierung des Ablaufs der mündlichen Verhandlung und das Abfassen der Urteile oder Vergleiche. Überdies würden mündliche Verhandlungen eher selten neue Erkenntnisse bringen, die eine andere Entscheidung als die zuvor entworfene rechtfertigten. Auch die Urteilsverkündung selbst gehöre nicht mehr zur prägenden Tätigkeit ihrer Entscheidungsfindung. Darüber hinaus sei aufgrund der Neufassung des § 4 Abs. 5 Nr. 6b Einkommensteuergesetz (EStG) durch das Steueränderungsgesetz 2007 eine Neuausrichtung der Rechtsprechung zum Mittelpunktsbegriff erforderlich. Hierfür habe sich auch Drenseck ausgesprochen (vgl. Drenseck in Schmidt, EStG, 29. Auflage 2010, § 19 Rdz. 60, Stichwort „Arbeitszimmer” und Drenseck, DStR 2009, 1877). Nach seiner Ansicht könne die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zum Tätigkeitsmittelpunkt auf die ab dem Veranlagungsjahr 2007 geltende Vorschrift nicht einfach übertragen werden, weil sie auf der Basis der bisherigen abgestuften Abzugsmöglichkeiten ergangen sei, die es nun jedoch nicht mehr gebe. Der Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung müsse sich daher ab dem Veranlagungszeitraum 2007 an dem Ort befinden, an dem der Steuerpflichtige zeitlich überwiegend tätig sei. Sie habe im Streitjahr ihr häusliches Arbeitszimmer zu weit mehr als 50 % ihrer gesamten Arbeitszeit für ihre richterliche Tätigkeit genutzt, so dass auch schon allein aus diesem Grund die Aufwendungen für ihr häusliches Arbeitszimmer steuermindernd berücksichtigt werden müssten. Zudem hätten sich in der Fachliteratur auch bereits der Vorsitzende Richter am Bundesfinanzhof Kanzler, NWB 2010, 2505 sowie der Richter am Bundesfinanzhof Geserich, NWB 2010, 2606 für eine Neuinterpretation des Mittelpunktsbegriffs ausgesprochen. Ihr Klagebegehren habe sich auch nicht durch die rückwirkende Neufassung des § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG durch das Jahressteuergesetz 2010 vom 8. Dezember 2010, Bundesgesetzblatt I 2010, 1768 erledigt. Zwar habe der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG durch das Jahressteuergesetz 2010 die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli 2010 2 BvL 13/09, BFH/NV 2010, 1767 zum Abzug von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer vollständig umgesetzt. Gleichwohl müsse die bisherige Rechtsprechung zum Mittelpunktsbegriff, mit welchem Ergebnis auch immer, fortentwickelt werden.

Die Klägerin beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 2008 vom … in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom … dergestalt zu ändern, dass die Einkommensteuer 2008 auf den Betrag herabgesetzt wird, der sich ergibt, wenn bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer i.H.v. …€ zusätzlich als Werbungskosten abgezogen werden sowie,

hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es hält auch im vorliegenden Klageverfahren an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest. Der Klägerin stehe im Amtsgericht … ein eigenes Dienstzimmer zur Verfügung. Sie sei daher auf ihr häusliches Arbeitszimmer nicht angewiesen, um ihre richterliche Tätigkeit ausüben zu können. Im Übrigen nutze die Klägerin nach ihren eigenen Angaben ihr häusliches Arbeitszimmer lediglich zur Vorbereitung und zur Nachbereitung ihrer Sitzungssachen. Prägend für die Tätigkeit eines Richters sei jedoch die Rechtsprechung, das heißt die Urteilsverkündung im Anschluss an eine mündliche Verhandlung.



Gründe
Die Klage ist unbegründet.

Nach § 9 Abs. 5 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 kann ein Steuerpflichtiger Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sowie die Kosten der Ausstattung nicht als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit abziehen. Dies gilt nach Satz 2 der letztgenannten Vorschrift dann nicht, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesen Fällen wird nach Satz 3 Halbsatz 1 der Vorschrift die Höhe der abziehbaren Aufwendungen regelmäßig auf 1.250 € begrenzt. Nach Satz 3 Halbsatz 2 der Vorschrift gilt die Beschränkung der Höhe nach nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 f. EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 gilt auch im Streitfall, da nach § 52 Abs. 12 Satz 9 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetztes 2010 diese Vorschrift erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 2007 anzuwenden ist.

Nach diesen gesetzlichen Regelungen hat das FA zu Recht die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen für ihr häusliches Arbeitszimmer nicht bei ihren Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit als weitere Werbungskosten anerkannt.

I. Im Streitfall hat die Klägerin sich in ihrem Einfamilienhaus „….” in … ein häusliches Arbeitszimmer eingerichtet. Bei dem Begriff des häuslichen Arbeitszimmers handelt es sich um einen Typusbegriff, der durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs geprägt worden ist und den der Gesetzgeber mit der in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG geschaffenen Regelung übernommen hat. Wesentliche, repräsentative Ausformung des Typus „häusliches Arbeitszimmer” ist das häusliche Büro, also ein Arbeitsraum, der seiner Lage, Funktion und Ausstattung nach in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden ist und überwiegend der Erledigung gedanklicher, schriftlicher oder verwaltungstechnischer Arbeiten dient (BFH-Urteil vom 13. November 2002 VI R 164/00, BStBl II 2003, 350).

Im Streitfall gehört das Arbeitszimmer der Klägerin unmittelbar und ohne besondere räumliche Trennung zu ihrem Einfamilienhaus. Es befindet sich in einem Anbau, der vom Wohnzimmer aus betreten werden kann, und ist somit in die häusliche Sphäre der Klägerin eingebunden. Hiervon gehen übereinstimmend auch die Beteiligten des vorliegenden Rechtsstreits aus.

II. Im Streitfall verfügt die Klägerin jedoch über einen „anderen Arbeitsplatz” i.S.d. Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetztes 2010. Ein anderer Arbeitsplatz i.S.d. Abzugsbeschränkung ist grundsätzlich jeder Arbeitsplatz, der zur Erledigung büromäßiger Arbeiten geeignet ist. Er steht aber nur dann für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit zur Verfügung, wenn ihn der Steuerpflichtige in dem konkret erforderlichen Umfang und in der konkret erforderlichen Art und Weise tatsächlich nutzen kann. Übt der Steuerpflichtige, wie im Streitfall, nur eine berufliche Tätigkeit aus, muss geprüft werden, ob der an sich vorhandene andere Arbeitsplatz tatsächlich für alle Aufgabenbereiche der Erwerbstätigkeit zur Verfügung steht. Es genügt jedoch nicht, dass nach Feierabend oder am Wochenende im häuslichen Arbeitszimmer Arbeiten verrichtet werden, die grundsätzlich an dem anderen Arbeitsplatz verrichtet werden können (BFH-Urteil vom 7. August 2003 VI R 16/01, BStBl II BStBl 2001 II S. 2004, BStBl 2001 II S. 77). Überdies sind weitere Anforderungen an die Beschaffenheit des anderen Arbeitsplatzes nicht zu stellen. Der Begriff „anderer Arbeitsplatz” wird durch kein weiteres Adjektiv näher beschrieben oder eingeschränkt. Die gesetzliche Regelung setzt insbesondere nicht voraus, dass dem Steuerpflichtigen ein „angemessener” oder auch „ruhiger” anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht (BFH-Urteil vom 7. August 2003 VI R 17/01, BStBl II 2004, 78).

Im Streitfall steht der Klägerin im Amtsgericht …, wie sie im Rahmen der mündlichen Verhandlung noch einmal ausdrücklich bestätigt hat, ein eigenes Dienstzimmer zur Verfügung, dass sie auch im Streitjahr nutzen konnte. Tatsächlich hat die Klägerin regelmäßig vormittags, sofern sie keine mündlichen Verhandlungen im Sitzungssaal des Amtsgerichts … durchgeführt hat, auch in ihrem Dienstzimmer gearbeitet. Die Klägerin selbst hat im vorliegenden Verfahren zudem auch nicht behauptet, dass sie ihr Dienstzimmer im Amtsgericht … im Streitjahr nicht in dem konkret erforderlichen Umfang und in der konkret erforderlichen Art und Weise tatsächlich hat nutzen können. Hierfür ergeben sich aus den dem Gericht vorliegenden Akten auch keinerlei Anhaltspunkte. Die Klägerin hat in diesem Zusammenhang lediglich geltend gemacht, dass sie Akten mit größerem Umfang, die Zeit und Ruhe benötigten, zu Hause in ihrem häuslichen Arbeitszimmer bearbeite. Hieraus ergibt sich jedoch nicht, ihr Dienstzimmer im Amtsgericht … genüge qualitativ nicht den Anforderungen an einen anderen Arbeitsplatz, weil zumindest nachmittags ab 14.00 Uhr die Lärmbelästigung und/oder der Publikumsverkehr einer Nutzung des Arbeitszimmers entgegenstünden.

Überdies setzt die gesetzliche Regelung auch nicht voraus, wie bereits oben erwähnt, dass dem Steuerpflichtigen auch ein „ruhiger” anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Dementsprechend hat der Bundesfinanzhof bereits mit Urteil vom 7. August 2003 VI R 162/00, BStBl II 2004, 83 ausdrücklich entschieden, dass auch dann ein anderer Arbeitsplatz i.S.d. Abzugsbeschränkung zur Verfügung steht, wenn der Steuerpflichtige sich durch die konkreten Arbeitsbedingungen, wie z.B. das Anlaufen der Klimaanlage, die täglichen Reinigungsarbeiten oder den Kundenverkehr, in seiner Konzentration gestört fühlt.

III. Zu Unrecht geht die Klägerin davon aus, ihr häusliches Arbeitszimmer habe im Streitjahr den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit als Zivilrichterin gebildet.

1. Der Begriff „Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung” ist gesetzlich nicht näher bestimmt. Nach der (bisherigen) Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bestimmt sich der Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung nach dem inhaltlichen (qualitativen) Schwerpunkt der Betätigung eines Steuerpflichtigen. Wo dieser Schwerpunkt liegt, ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs im Wege einer Wertung der Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen festzustellen. Im Rahmen dieser Wertung kommt dem zeitlichen (quantitativen) Umfang der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers lediglich eine indizielle Bedeutung zu (BFH-Urteil vom 13. November 2002 VI R 82/01, BStBl II 2004, 62; BFH-Urteil vom 13. November 2002 VI R 104/01, BStBl II BStBl 2001 II S. 2004, BStBl 2001 II S. 65).

Nach diesen Grundsätzen liegt im Streitfall der qualitative Schwerpunkt der beruflichen Betätigung der Klägerin eindeutig nicht in ihrem häuslichen Arbeitszimmer. In ihrem häuslichen Arbeitszimmer hat sich die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag lediglich auf ihre Sitzungen im Amtsgericht … vorbereitet und zudem Urteile und Beschlüsse diktiert. Diese Tätigkeit bildet jedoch nicht den qualitativen Schwerpunkt ihrer richterlichen Tätigkeit. Berufsprägend für die richterliche Tätigkeit der Klägerin ist vielmehr die Erledigung zivilrechtlicher Streitigkeiten, die nach § 128 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) von den Parteien regelmäßig vor dem erkennenden Gericht mündlich verhandelt werde. In der mündlichen Verhandlung stellen die Prozessparteien nach § 137 Abs. 1 ZPO ihre Anträge und tragen in freier Rede zur Sache vor, § 137 Abs. 2 ZPO. Nach § 272 Abs. 1 ZPO i.V.m § 495 ZPO ist der Rechtsstreit zudem in der Regel in einem umfassenden vorbereitenden Termin zur mündlichen Verhandlung (Haupttermin) zu erledigen. Ferner soll nach § 279 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 495 ZPO im Haupttermin der streitigen Verhandlung die Beweisaufnahme unmittelbar folgen, wobei nach § 279 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 495 ZPO das Gericht im Anschluss an die Beweisaufnahme erneut den Sach- und Streitstand und, soweit bereits möglich, das Ergebnis der Beweisaufnahme mit den Parteien zu erörtern hat. Zudem werden Urteile in dem Termin, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird, oder in einem sofort anzuberaumenden Termin verkündet, § 310 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 495 ZPO.

Angesichts der Bedeutung der mündlichen Verhandlung im Verfahren vor dem Amtsgericht ist für das Gericht nicht nachvollziehbar, warum die mündlichen Verhandlungen der Klägerin beim Amtsgericht … regelmäßig keine neuen Erkenntnisse bringen sollen. Die mündliche Verhandlung ist jedenfalls keine reine Formalität, wie wohl die Klägerin meint, um rein mechanisch Rechtsstreite zu verhandeln, die sie in ihrem häuslichen Arbeitszimmer vorbereitet hat.

Die Durchführung von mündlichen Verhandlungen, die die Klägerin im Streitjahr tatsächlich auch wöchentlich im Amtsgericht … durchgeführt hat, um ihre Verfahren zu erledigen, bildet daher den qualitativen Schwerpunkt ihrer richterlichen Tätigkeit. Allein daraus, dass die Klägerin nicht sämtliche Entscheidungen, die sie als Amtsrichterin trifft, aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergehen, ergibt sich nichts anderes. Nach § 128 Abs. 4 ZPO können lediglich Entscheidungen, die nicht Urteile sind, wie z.B. Beschlüsse und Verfügungen, ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Ferner können in bestimmten Fällen auch Anerkenntnisurteile und Versäumnisurteile ohne mündliche Verhandlung ergehen, §§ 307 S. 2, 331 Abs. 3 ZPO i.V.m § 495 ZPO. Die Entscheidungen, die nach der Zivilprozessordnung im Verfahren vor dem Amtsgericht ohne mündliche Verhandlung ergehen können, bilden jedoch, selbst wenn die Klägerin diese Entscheidungen im Streitjahr tatsächlich ausschließlich in ihrem häuslichen Arbeitszimmer verfasst hat, nicht den qualitativen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit als Richterin am Amtsgericht. Vielmehr sind, wie oben bereits dargelegt, die Durchführung von mündlichen Verhandlungen sowie die sich daran anschließenden Urteilsverkündungen für den Beruf der Richterin am Amtsgericht prägend.

Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag mehr als 50 % ihrer gesamten Arbeitszeit im Streitjahr in ihrem häuslichen Arbeitszimmer verbracht hat. Da im Streitfall der qualitative Schwerpunkt der richterlichen Tätigkeit der Klägerin eindeutig im Amtsgericht … liegt, kommt dem zeitlichen (quantitativen) Umfang der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers nach Auffassung des Gerichts keine entscheidende Bedeutung mehr zu. Hinzu kommt im Streitfall, dass die Klägerin im Amtsgericht …, wie oben bereits dargelegt, ein eigenes Dienstzimmer als weiterer Arbeitsplatz zur Verfügung stand, das sie im Streitjahr tatsächlich auch für ihre richterliche Tätigkeit nutzen konnte. Schließlich fehlen auch leicht nachprüfbare objektive Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin im Streitjahr ihr häusliches Arbeitszimmer regelmäßig, wie von ihr vorgetragen, nachmittags von ungefähr 14.00 Uhr bis 20.00 Uhr und an ihrem wöchentlichen Sitzungstag von ungefähr 16.00 Uhr bis 18.00 Uhr sowie am Samstag von ungefähr 15.00 Uhr bis 20.00 Uhr sowie am Sonntag durchgehend von 10.00 Uhr bis 20.00 Uhr für ihre richterliche Tätigkeit genutzt hat.

2. Darüber hinaus ergibt sich für den Streitfall auch nichts anderes aus der Fachliteratur, auf die sich die Klägerin im vorliegenden Verfahren ausdrücklich berufen hat. Die von der Klägerin zitierte Fachliteratur hat sich lediglich mit der Neuregelung des Abzugs von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nach dem Steueränderungsgesetz 2007 beschäftigt. Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 waren Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nur dann steuermindernd zu berücksichtigen, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. Diese Regelung ist jedoch rückwirkend, wie oben bereits dargelegt, durch das Jahressteuergesetz 2010 ab dem Veranlagungszeitraum 2007 aufgehoben worden. Lediglich zur gesetzlichen Regelung zum Abzug von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nach dem Steueränderungsgesetz 2007 hat Drenseck die Auffassung vertreten, dass im Wege verfassungskonformer Auslegung der Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bereits dann im häuslichen Arbeitszimmer liege, wenn dort wesentliche Grundlagen für die Berufsausübung gelegt werden, ohne die der Beruf nicht zufriedenstellend ausgeübt werden kann, sofern für diese unumgänglichen Arbeiten dem Steuerpflichtigen kein anderer Arbeitsplatz als sein häusliches Arbeitszimmer zur Verfügung steht (Drenseck in Schmidt, EStG, § 19 Rdz. 60, Stichwort „Arbeitszimmer” und Drenseck, DStR 2009, 1877, 1879 f.). Je zwangsläufiger für den Steuerpflichtigen ein Arbeitszimmer ist, umso eher wird daher ein Vollabzug der Kosten durch das objektive Nettoprinzip geboten sein (Drenseck in Schmidt, EStG, § 19 Rdz. 60, Stichwort „Arbeitszimmer”). Eine derartige verfassungskonforme Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 ist ebenfalls von Greite, DB 2006, Beilage 6, 24 vorgeschlagen worden. Nach Greite bildet das häusliches Arbeitszimmer bereits dann den (lokalen) Mittelpunkt der betrieblichen/beruflichen Betätigung, wenn notwendige Büroarbeiten nur dort erledigt werden können, das Arbeitszimmer für die Berufstätigkeit unverzichtbar ist und beträchtliche Teile der Arbeitszeit dort verbracht werden (Greite, DB 2006 Beilage 6, 24, 29).

Im Streitfall liegt der Mittelpunkt der richterlichen Tätigkeit der Klägerin selbst dann nicht in ihrem häuslichen Arbeitszimmer, wenn man, wie von der Klägerin vorgeschlagen, den in der Literatur entwickelten lokalen Mittelpunktsbegriff zugrunde legt. Der Klägerin stand im Streitjahr, wie oben bereits dargelegt, im Amtsgericht … ein Dienstzimmer zur Verfügung, in dem sie die notwendigen Büroarbeiten, die mit ihrer richterlichen Tätigkeit zusammenhängen, erledigen konnte. Ihr häusliches Arbeitszimmer war für sie daher nicht unverzichtbar. Im Streitfall hat die Klägerin zudem auch keinen Gesichtspunkt (substantiiert) geltend gemacht, der die Annahme rechtfertigen könnte, sie sei aus irgendeinem Grund auf ihr häusliches Arbeitszimmer angewiesen, um die notwendigen Büroarbeiten, die mit ihrer richterlichen Tätigkeit verbunden sind, überhaupt erledigen zu können. Ihre Entscheidung, im Streitjahr nicht sämtliche Büroarbeiten in ihrem Dienstzimmer im Amtsgericht … zu erledigen, beruhte daher offensichtlich auf privaten Befindlichkeiten und war zudem auch nur möglich, da die Klägerin als Richterin, im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen, aufgrund flexibler Arbeitsbedingungen die erforderlichen Arbeiten auch weitgehend zu Hause erledigen kann.

Darüber hinaus haben sich Kanzler und Geserich in den von der Klägerin zitierten Aufsätzen lediglich mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli 2010 2 BvL 13/09, BFH/NV 2010, 1767 zum Abzugsverbot von Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten für ein häusliches Arbeitszimmer bei Fehlen eines andere Arbeitsplatzes gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetztes 2007 beschäftigt. Geserich hat in diesem Zusammenhang, ähnlich wie Greite, DB 2006 Beilage 6, 24, 29, ausgeführt, dass eine verfassungskonforme Auslegung einer entsprechenden gesetzlichen Neuregelung dazu führen müsse, den lokalen Mittelpunkt der betrieblichen/beruflichen Betätigung bereits dann im Arbeitszimmer anzusiedeln, wenn notwendige Büroarbeiten nur dort erledigt werden können, das Arbeitszimmer für die Berufstätigkeit unverzichtbar ist und beträchtliche Teile der Arbeitszeit dort verbracht werden (Geserich, NWB 2010, 2606, 2610 f.). Kanzler weist in diesem Zusammenhang ergänzend darauf hin, dass bei einer gesetzlichen Neuregelung eine einkunftsbezogene Betrachtung der Nutzung des Arbeitszimmers bei fehlendem anderen Arbeitsplatz einen Abzug nicht deshalb ausschließen kann, weil es insoweit an nachprüfbaren objektiven Anhaltspunkten für eine Kontrolle fehlt (Kanzler, NWB 2010, 2505 ).

IV. Schließlich ergibt sich für den Streitfall auch nichts anderes daraus, dass die Klägerin nach ihren eigenen Angaben im Streitjahr mehr als 50 % ihrer gesamten Arbeitszeit in ihrem häuslichen Arbeitszimmer verbracht hat. Lediglich nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetztes 1996 vom 11. Oktober 1995, Bundesgesetzblatt I 1995, 1250 durften Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sowie die Kosten der Ausstattung nicht steuermindernd berücksichtigt werden, wobei jedoch nach Satz 2 der Vorschrift eine Ausnahme vom Abzugsverbot dem Grunde nach galt, wenn die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 % der gesamten betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit betrug oder für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stand. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 6. Juli 2010 2 BvL 13/03 , BFH/NV 2010, 1767 jedoch ausdrücklich auch darauf hingewiesen, dass die Erweiterung des Abzugsverbots durch das Steueränderungsgesetz 2007 nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße, soweit die berufliche Veranlassung allein durch die Nutzung des Arbeitszimmers von mehr als 50 % der gesamten betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit indiziert werde. Bei einer typisierenden Betrachtung sei der Ausschluss dieser Fallgruppe vertretbar, da der Umfang der Nutzung des Arbeitszimmers allenfalls ein schwaches Indiz für dessen Notwendigkeit sei, soweit dem Steuerpflichtigen von seinem Arbeitgeber ein weiterer Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werde. Es fehle zudem an leicht nachprüfbaren objektiven Anhaltspunkten für die Kontrolle der Angaben des Steuerpflichtigen zum Umfang der zeitlichen Nutzung des Arbeitszimmers ( BVerfG-Beschluss vom 6. Juli 2010 2 BvL 13/03 , BFH/NV 2010, 1767, 1772). Dementsprechend hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung des Abzugs von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmers durch das Jahressteuergesetz 2010 diese Fallvariante nicht wieder eingeführt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen worden, um dem Bundesfinanzhof Gelegenheit zu geben, zu klären, ob und ggf. in welchem Umfang die bisherige Rechtsprechung zum „anderen Arbeitplatz” und zum „Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung” auch auf die Neuregelung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 übertragen werden kann.

RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG § 9 Abs. 5

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