Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

27.04.2011 · IWW-Abrufnummer 111334

Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 22.02.2011 – 3 K 2208/08

Ein Steuerbescheid ist nicht wegen neuer Tatsachen zuungunsten des Steuerpflichtigen zu ändern, wenn dieser mit seiner Steuererklärung alle erheblichen Tatsachen erklärt und die Belege hierzu vorgelegt hat, auch wenn er die unzutreffenden rechtlichen Schlussfolgerungen daraus gezogen und deshalb unzutreffende Besteuerungsgrundlagen erklärt hat.



Dass es sich bei der Veranlagung von Arbeitnehmern um Massenverfahren handelt, entbindet das Finanzamt nicht von der Verpflichtung, erkennbare Widersprüche aufzuklären.


Finanzgericht Rheinland-Pfalz v. 22.02.2011

3 K 2208/08

Tatbestand
Streitig ist, ob die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre 2003 bis 2005 geändert werden konnten.

Der Kläger erzielt aus nichtselbständiger Arbeit als Bezirksverkaufsleiter (BVL) der P Warenhandelsgesellschaft mbH Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In den Streitjahren machte er in Zeile 4 des Mantelbogens der Steuererklärungen für 2003 und 2005 keine Angaben zum ausgeübten Beruf. In der Steuererklärung für 2004 gab er zum ausgeübten Beruf „Verkaufsleiter” an (vgl. jeweils Bl. 1 Einkommensteuerakten - EStA - 2004 bis 2005).

Bei den Werbungskosten beantragte er in den Streitjahren u.a. die Berücksichtigung der folgenden Aufwendungen:

2003
Fahrten Wohnung - Arbeitsstätte 199 Tage x 20 km x Entfernungspauschale 1.513 €
Verpflegungsmehraufwendungen für Dienstreisen 66 Tage über 24 Std. à 24 € 1.584 €
78 Tage über 14 Std. à 12 € 936 €
58 Tage über 8 Std. à 6 € 348 €
202 Tage 2.868 €

2004
Fahrten Wohnung - Arbeitsstätte 172 Tage x 30 km x Entfernungspauschale 1.548 €
Verpflegungsmehraufwendungen für Dienstreisen 59 Tage über 24 Std. à 24 € 1.416 €
82 Tage über 14 Std. à 12 € 984 €
64 Tage über 8 Std. à 6 € 384 €
205 Tage 2.784 €

Er fügte jeweils eine „Anlage Reisekosten” bei und gab an, die Reisekosten ergäben sich anhand der Tagesberichte. Die Anlage ist vom Veranlagungsbeamten abgehakt (2003) bzw. mit dem Vermerk versehen: „Nachweise lagen vor”.

Für 2005 fügte er eine „Anlage zu den Werbungskosten” bei und vermerkte darauf: „Reisekosten als Revisor lt. Wochenberichte”:

2005
Fahrten Wohnung - Arbeitsstätte 181 Tage x 30 km x Entfernungspauschale 1.629 €
Verpflegungsmehraufwendungen für Dienstreisen 36 Tage über 24 Std. à 24 € 864 €
162 Tage über 14 Std. à 12 € 1.944 €
24 Tage über 8 Std. à 6 € 144 €
222 Tage 2.952 €

Die genannte Anlage ist vom Veranlagungsbeamten abgehakt.

In Bezug auf die Erhöhung der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ab 2004 verwies der Kläger in der Einkommensteuererklärung für 2004 auf ein Schreiben seines Arbeitgebers, welches „An alle Bezirksverkaufsleiter” gerichtet war. Darin wies der Arbeitgeber darauf hin, dass ab 2004 die Besteuerung für die Benutzung der Dienstwagen zu ändern sei und die Entfernung auf die erklärten 30 km zu erhöhen sei. In allen Anlagen vermerkte der Kläger, die Spesen seien durch seinen Arbeitgeber voll versteuert worden. Die Veranlagungen erfolgten zunächst der Erklärung gemäß (Bescheid für 2003 vom 17.06.2004, Bl. 9 EStA 2003; für 2004 vom 22.07.2005, Bl. 11 EStA 2004; für 2005 vom 28.06.2006, Bl. 9 EStA 2005). Dabei ist aus dem Verfügungsteil der Erklärungsformulare ersichtlich, dass die Erklärungen jeweils am Tage ihres Eingangs vom Veranlagungsbeamten zur maschinellen Verarbeitung freigegeben wurden.

Das für den Arbeitgeber zuständige Betriebsstättenfinanzamt D führte bei diesem eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch. In einer Kontrollmitteilung vom 13.06.2007 (Bl. 1 EStA - „KM” -) teilte es daraufhin dem Beklagten mit, dass der Kläger als BVL einen festen Filialbezirk mit durchschnittlich 5-9 Filialen zu betreuen habe. Er suche arbeitstäglich immer die gleichen Filialen auf, um die ihm als BVL übertragenen Aufgaben zu erledigen. Aufgrund dessen lägen die Voraussetzungen für eine Einsatzwechseltätigkeit nicht vor und die verschiedenen Filialen seien dementsprechend als regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers zu beurteilen, so dass VMA nicht zu berücksichtigen seien. Die Kontrollmitteilung nahm Bezug auf ein BFH-Urteil vom 07.06.2002, BStBl 2002 II S. 878.

Daraufhin erließ der Beklagte am 05.07.2007 nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geänderte Einkommensteuerbescheide für 2003 - 2005 und ließ die VMA nicht mehr zum Abzug zu. Dadurch wurden die Werbungskosten in 2003 um 2.868,- €, in 2004 um 2.784,- € und in 2005 um 2.952,- € gekürzt (Bl. 15 EStA 2003, Bl. 17 EStA 2004, Bl. 15 EStA 2005).

Zur Begründung seines hiergegen eingelegten Einspruchs (Bl. 1, 17 EStA „Einspruchsverfahren” - EV -) machte der Kläger geltend:

Die Änderung der Steuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO aufgrund neuer Tatsachen sei nicht zulässig. Das BFH-Urteil, auf welches sich die Änderungen stützten, sei aus dem Jahre 2002 und der Beklagte habe dieses Urteil bei dem ursprünglichen Erlass der Bescheide für 2003-2005 kennen und anwenden müssen. Das Nichtkennen und Nichtanwenden dieses Urteils könne nicht zu seinem Nachteil ausgewertet werden. Er habe seine Steuererklärungen mit den erforderlichen Angaben vollständig und richtig eingereicht. Jeder Erklärung seien Schreiben seines Arbeitgebers beigefügt gewesen, aus denen seine Tätigkeit als BVL erkennbar gewesen sei. Aus dieser Bezeichnung sei es dem Finanzamt möglich gewesen, die erforderlichen Schlussfolgerungen zu ziehen. Zwar seien auf Grund der bei seinem Arbeitgeber durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung bei vielen seiner Kollegen ebenfalls Änderungsbescheide seitens anderer Finanzämter ergangen. Den Einsprüchen seiner Kollegen sei aber abgeholfen worden.

Mit Einspruchsentscheidung vom 13.08.2008 (Bl. 50 EV) wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Dazu heißt es im Wesentlichen: Gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO könnten Steuerbescheide geändert werden, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt würden, die zu einer höheren Steuer führten. Die Änderung eines Bescheides sei aber ausgeschlossen, wenn dem Finanzamt die nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wären. Allerdings müsse der Steuerpflichtige seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben.

Danach sei eine Änderung der Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre zulässig. Der Kläger sei seiner Steuererklärungs- und Mitwirkungspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Aus den Angaben in den Steuererklärungen bezüglich seiner Berufsbezeichnung sei nicht zu schließen gewesen, welche Tätigkeit er tatsächlich bei seinem Arbeitgeber ausübe, nämlich die Betreuung eines festen Filialbezirks, den er arbeitstäglich aufsuchen müsse. Das der Steuererklärung für 2004 beigefügte Arbeitgeberschreiben lasse keine Rückschlüsse auf den Aufgabenbereich des Klägers zu.

Die Anzahl der Arbeitstage, die bei den Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte angegeben seinen, seien geringer als die Tage, an denen der Kläger VMA beantragt habe. Daraus habe das Finanzamt durchaus schließen können, dass der Kläger neben seinen Fahrten zu seiner Arbeitsstätte noch Dienstreisen durchgeführt habe und damit im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses eine umfangreiche Reisetätigkeit ausübe. Auch der Hinweis des Klägers darauf, dass die Spesen durch seien Arbeitgeber voll versteuert worden seien, habe keinen Anlass gegeben, die Reisetätigkeit und damit die Rechtmäßigkeit der VMA anzuzweifeln. Dem Finanzamt sei es demzufolge nicht möglich gewesen, aus den vom Kläger angegebenen Erläuterungen zu erkennen, dass er aufgrund seiner Tätigkeit als BVL mehrere regelmäßige Arbeitsstätten habe. Die dafür erforderlichen Angaben lägen alle in der Informations- und Tätigkeitssphäre des Klägers und diese Angaben habe er nicht hinreichend dargelegt. Das arbeitstägliche Aufsuchen eines festen Filialbezirks führe dazu, dass die Filialen des Klägers zu regelmäßigen Arbeitsstätten würden und ein Abzug von VMA nicht mehr möglich sei. Diese Tatsache sei dem Finanzamt erst nachträglich durch die Kontrollmitteilung bekannt geworden.

Dem Einwand des Klägers, das Finanzamt hätte bei ordnungsgemäßer Ermittlung den Sachverhalt richtig beurteilen können, könne nicht gefolgt werden. Das Finanzamt habe die beantragten VMA zwar bei der erstmaligen Bearbeitung der Steuererklärungen 2003-2005 übernommen. Es habe aber auf die Richtigkeit der Angaben in der Steuererklärung vertrauen können und es seien keine Umstände erkennbar gewesen, aus denen sich weitere Ermittlungsmaßnahmen hätten aufdrängen müssen.

Zur Begründung seiner Klage führt der Kläger aus:

Die Voraussetzungen für eine Änderung der Steuerbescheide nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO lägen nicht vor. Er habe in seinen Steuererklärungen für die Jahre 2003 bis 2005 vollständige Angaben zu seiner Tätigkeit gemacht. Er habe bei den Reisekosten nicht lediglich angegeben, an welchen Tagen er wie lange abwesend gewesen sei. Er habe in einer Aufstellung vielmehr genau angegeben, wann er welche Filiale besucht habe und wann ihm bei welcher Tätigkeit welche Verpflegungsmehraufwendungen entstanden seien. Weitere Unterlagen habe der Beklagte nicht sehen wollen, auch seien weitere Informationen nie erbeten worden. Er reiche seine Steuererklärungen bei dem Beklagten bereits seit dem Jahr 1994 ein, der also genau über die Tätigkeit als Bezirksverkaufsleiter und darüber informiert sei, dass er regelmäßig dieselben Filialen - die in seinem Bezirk liegenden Frankfurter Filialen 8, 9, 4, 15, 14 und 2 - aufsuche und dass er daneben auch andere Filialen, die nicht zu seinem Bezirk gehörten, besuche. Dazu hätte es nicht erst der Kontrollmitteilung des Finanzamts Dresden I bedurft. Der Beklagte habe den Steuererklärungen alle Informationen entnehmen können, um festzustellen, ob es sich um eine Reisetätigkeit handelt oder nicht. Auch das Urteil des BFH aus dem Jahr 2002, welches der Beklagte als Begründung für die Änderungsbescheide heranziehe, sei dem Beklagten zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt gewesen bzw. hätte ihm bekannt sein müssen.

Er habe seine Mitwirkungspflicht nicht dadurch verletzt, dass er seine Berufsbezeichnung „Bezirksverkaufsleiter” nicht angegeben habe. Der Beklagte führe selbst aus, dass in der Steuererklärung 2004 angegeben sei, er sei Verkaufsleiter und in der Steuererklärung 2005, dass ihm die VMA durch seine Tätigkeit als Revisor entstanden seien. Der Beklagte habe gewusst, welchen Beruf bzw. welche Tätigkeit er ausübe, zumal „Bezirksverkaufsleiter”, „Verkaufsleiter” und „Revisor” ein und dasselbe sei. Auch habe sich als Anlage zur Steuererklärung 2004 ein Schreiben seines Arbeitgebers an alle Bezirksverkaufsleiter befunden. Zwar sei dieses nicht an ihn persönlich gerichtet gewesen. Der Umstand aber, dass er dieses Schreiben als Anlage zu seiner eigenen Steuererklärung beigefügt habe, zeige, dass er der Auffassung gewesen sei, dass es auch ihn betroffen habe, er also Bezirksverkaufsleiter sei. Für den Beklagten hätte dieses Schreiben ein Signal dafür sein müssen, dass die Steuererklärung möglicherweise nicht eindeutig war und Unklarheiten in Bezug auf seine Tätigkeit bestanden und er zu einem Tun verpflichtet war.

Der Kläger beantragt,

die geänderten Einkommensteuerbescheide für 2003 bis 2005 vom 05.07.2007 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 13.08.2008 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er führt noch aus:

Es sei nicht zutreffend, dass der Kläger in den Streitjahren vollständige Angaben zu seiner konkreten beruflichen Tätigkeit gemacht und genau angegeben habe, wann er welche Filiale besucht habe und wann ihm bei welcher Tätigkeit welche Verpflegungsmehraufwendungen entstanden seien. In den Steuererklärungen 2003 und 2005 habe er wie auch in den Jahren zuvor keine Angabe zu dem ausgeübten Beruf gemacht. Aus den Steuererklärungen hätten nicht alle Informationen entnommen werden können, um festzustellen, ob es sich um eine Tätigkeit mit mehreren Arbeitsstätten handelt. Im Jahr 2004 habe er lediglich „Verkaufsleiter” eingetragen. Bei den Reisekosten habe er lediglich angegeben, an welchen Tagen er über 24, 14 und 8 Stunden abwesend gewesen sei.

Auf Grund der Kontrollmitteilung des Betriebsstättenfinanzamts D vom 11.06.2007 sei der Inhalt der Tätigkeit des Klägers bekannt geworden. Erst dann habe beurteilt werden können, ob das BFH-Urteil aus 2002 Anwendung finde. Dem Beklagten sei durch die Kontrollmitteilung die Tatsache bekannt geworden, dass der Kläger für die Betreuung eines festen Filialbezirkes mit durchschnittlich 5 - 9 Filialen zuständig gewesen sei und er diese Filialen in zeitlichem Abstand immer wieder aufgesucht habe und dass er in diesen Filialen nachhaltig und dauerhaft tätig gewesen sei. Aus der Bezeichnung „Verkaufsleiter”, „Bezirksverkaufsleiter” oder „Revisor” lasse sich nicht ableiten, dass der Kläger einen Filialbezirk mit durchschnittlich 5 - 9 Filialen betreut habe. Nicht die Verwendung der genannten sei als Tatsache i.S. des § 173 AO anzusehen, sondern die konkreten Tätigkeitsmerkmale, aus denen steuerrechtliche Schlussfolgerungen gezogen werden könnten. Diese den steuergesetzlichen Tatbestand bildenden Tatsachen seien dem Beklagten erst durch die Kontrollmitteilung bekannt geworden; diese Tatsachen seien auch neu.

Der Beklagte habe auch seine Ermittlungspflicht nicht in einer die Anwendung des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ausschließenden Weise verletzt hat. Eine Verletzung der Ermittlungspflicht könne nicht darin gesehen werden, dass die Angaben über die Verpflegungsmehraufwendungen ungeprüft übernommen worden seien bzw. dass nach Vorliegen des Schreibens der Firma P vom 22.04.2004 eine Überprüfung der Tätigkeit bzw. der steuerrechtlichen Zulässigkeit der Verpflegungsmehraufwendungen hätte erfolgen müssen. Denn es sei zu berücksichtigen, dass die Steuererklärung des Klägers als Arbeitnehmerfall im Rahmen eines Masseverfahrens einer eingeschränkten Ermittlungsdichte unterliege. Zwar habe das Finanzamt bei Erstellen der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide die angesetzten Verpflegungsmehraufwendungen unbesehen als Werbungskosten übernommen. Darauf lasse sich aber kein Vorwurf einer mangelhaften Sachverhaltsaufklärung stützen. Denn einerseits habe der Veranlagungsbeamte auf die Richtigkeit der erklärten Angaben vertrauen können und andererseits seien keine Umstände erkennbar gewesen, aus denen sich ihm weitere Ermittlungsmaßnahmen hätten aufdrängen müssen.

Mit Verfügung vom 10.02.2011 (Bl. 126 PA) hat das Gericht den Kläger aufgefordert, die Tages- und Wochenberichte vorzulegen. In der mündlichen Verhandlung erklärte der Prozessbevollmächtigte des Klägers hierzu, die Unterlagen hätten in der Kürze der Zeit nicht beschafft werden können.



Gründe
Die Klage ist begründet. Die Einkommensteueränderungsbescheide für 2003 bis 2005 vom 05.07.2007 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 13.08.2008 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, weshalb sie aufzuheben sind (§ 100 Abs. 1 Satz 2 FGO).

1.

Zwischen den Beteiligten besteht kein Streit über die Frage, dass es sich bei den dem Kläger als Bezirksverkaufsleiter der P Warenhandelsgesellschaft mbH in seinem Bezirk zugewiesenen Frankfurter Filialen Nummern 8, 9, 4, 15, 14 und 2 um regelmäßige Arbeitsstätten handelt und dass es sich bei dem Aufsuchen dieser Filialen nicht um eine Reisetätigkeit handelt, Verpflegungsmehraufwendungen also insofern grundsätzlich nicht anzusetzen sind (vgl. BFH-Urteil vom 07.06.2002 VI R 53/01, BStBl II 2002, 878).

2.

Streitig ist aber, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Änderung der Einkommensteuerbescheide für 2003 bis 2005 vorliegen.

Zu Unrecht hat der Beklagte angenommen, dass die Bescheide nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden konnten.

a)

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide zu ändern, soweit nachträglich Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Unter einer Tatsache im Sinne des § 173 AO ist das zu verstehen, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Als Beweismittel sind diejenigen Erkenntnismittel anzusehen, die der Aufklärung des steuerrechtlich erheblichen Sachverhalts dienen, d.h. die geeignet sind, das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Tatsachen zu beweisen (st. Rspr., z. B. BFH-Urteile vom 20. Dezember 1988 - VIII R 121/83, BStBl II 1989, 585 und vom 27. Oktober 1992 - VIII R 41/89, BStBl II 1993, 569). Demgegenüber sind rechtliche Schlussfolgerungen, insbesondere juristische Wertungen und Subsumtionen keine Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 AO. Auch eine geänderte Rechtsauffassung der Finanzverwaltung, d.h. eine andere rechtliche Wertung bereits bekannter Tatsachen, ist keine Tatsache im Sinne der genannten Vorschrift (st. Rspr., z. B. BFH-Urteil vom 14. Mai 2003 - X R 60/01, BFH/NV 2003, 1144).

b)

Die Änderung eines Bescheides ist nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn dem Finanzamt die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das Finanzamt es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel den Steuerpflichtigen die Verantwortung, mit der Folge, dass der Steuerbescheid geändert werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 24.01.2002 XI R 2/01, BStBl II 2004, 444).

c)

Die an die Ermittlungen der Finanzbehörde nach § 88 AO zu stellenden Anforderungen sind nicht allgemein festzulegen. Die Finanzbehörde verletzt ihre Amtsermittlungspflicht dann, wenn sie offenkundigen Zweifelsfragen oder Unklarheiten nicht nachgeht und Ermittlungsmöglichkeiten nicht nutzt, deren Ergiebigkeit sich ihr hätten aufdrängen müssen (vgl. BFH-Urteile vom 12.07.2001 VII R 68/00, BStBl II 2002, 44 und vom 28.06.2006 XI R 58/05, BStBl II 2006, 835; Beschluss vom 22.08.2007 VIII B 220/06 - juris -). Grundsätzlich darf die Finanzbehörde zwar davon ausgehen, dass der steuerliche erhebliche Sachverhalt richtig, vollständig und deutlich angegeben worden ist. Sie muss den Angaben des Steuerpflichtigen nicht mit Misstrauen begegnen. Werden Steuererklärungen abgegeben, so muss sie aber eventuellen Unklarheiten und Zweifelsfragen nachgehen, die sich aus der Erklärung oder den dazu eingereichten Unterlagen aufdrängen.

2.

Ausgehend von diesen Grundsätzen liegen im Streitfall die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht vor.

Die im vorliegenden Zusammenhang entscheidungserhebliche Tatsache, dass nämlich der Kläger als Bezirksverkaufsleiter einen Bezirk von 5 bis 9 Filialen zu betreuen hat - mit der rechtlichen Schlussfolgerung, dass diese Filialen regelmäßige Arbeitsstellen darstellen - war dem Beklagten im Zeitpunkt des Erlasses der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre zwar nicht bekannt, wäre ihm bei ordnungsgemäßer Erfüllung der behördlichen Ermittlungspflicht aber bekannt geworden.

a)

Bei den Fragen, welche berufliche Tätigkeit der Steuerpflichtige ausübt und ob von ihm im Rahmen dieser Tätigkeit Aufwendungen für Reisekosten (hier: Verpflegungsmehraufwendungen) entstanden sind, handelt es sich um die Mitteilung von Tatsachen, die der Steuerpflichtige im Rahmen seiner Steuererklärung anzugeben hat, während die Subsumtion, also die Prüfung der Frage, ob die rechtlichen Voraussetzungen für die steuerliche Berücksichtigung der geltend gemachten Aufwendungen vorliegen, von der Behörde bei der Veranlagung vorzunehmen ist.

aa)

In seinen Steuererklärungen für 2003 und 2005 hat der Kläger zwar die jeweils in den Zeilen 4 des Mantelbogens gestellte Frage nach dem ausgeübten Beruf nicht beantwortet und in der Steuererklärung für 2004 lediglich „Verkaufsleiter” angegeben. Auch konnte der Veranlagungsbeamte aus der Bezeichnung „Verkaufsleiter” nicht ohne weiteres schließen, dass der Kläger einen Bezirk, bestehend aus mehreren Filialen, zu leiten hat. Nichts anderes gilt in Bezug auf die Angabe „Revisor” in der Anlage zur Einkommensteuererklärung für 2005.

bb)

Die übrigen Angaben des Klägers in den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre hinsichtlich der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einerseits und zu Reisekosten andererseits waren aber widersprüchlich und boten dem Veranlagungsbeamten hinreichend Anlass, den sich daraus ergebenden Zweifeln in Bezug auf die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen nachzugehen, weitere Ermittlungen anzustellen und etwa bei dem Kläger nachzufragen.

So hat der Kläger einerseits auf Seite 2 der Anlage N (unter „Werbungskosten”) zur Einkommensteuererklärung bei den Wegen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte die Zahl der Tage mit 199 (für 2003), 172 (für 2004) und 181 (für 2005) angegeben. Gleichzeitig hat er aber Aufstellungen mit der Überschrift „Anlage Reisekosten” eingereicht und darin in Bezug auf Verpflegungsmehraufwendungen für Dienstreisen die Zahl der Tage angegeben, an denen er über 24, über 14 bzw. über 8 Stunden von seiner Wohnung entfernt tätig gewesen sein will, nämlich - am Beispiel des Jahres 2003 - an 66 Tagen über 24 Stunden, an 78 Tagen über 14 Stunden und an 58 Tagen über 8 Stunden. Bei diesen widersprüchlichen Angaben drängten sich Zweifel an dem angegebenen Verhältnis der Fahrten Wohnung/Arbeitsstätte einerseits zu den Dienstreisen andererseits auf. Dabei stellte sich insbesondere die Frage, wie eine so hohe Anzahl von Fahrten (199) zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte angefallen sein können, wenn gleichzeitig eine Zahl von Tagen mit Dienstreisen mit 268 (66 Tage über 24 Stunden = 132 Tage + 78 Tage über 14 Stunden + 58 Tage über 8 Stunden) angeben wird.

b)

Der Beklagte ist den beschriebenen offenkundigen Unklarheiten und Zweifelsfragen nicht nachgegangen und hat Ermittlungsmöglichkeiten nicht genutzt, deren Ergiebigkeit sich ihm hätten aufdrängen müssen. Denn der Veranlagungsbeamte hat trotz der offensichtlich in sich nicht stimmigen Angaben allein aus dem Umstand, dass die Anzahl der Arbeitstage, die bei den Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte angegeben sind, geringer war als die Tage, an denen der Kläger VMA beantragt hatte, den falschen rechtlichen Schluss gezogen, der Kläger habe neben seinen Fahrten zu seiner Arbeitsstätte noch Dienstreisen durchgeführt und im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses eine umfangreiche Reisetätigkeit ausgeübt. Es hätte sich aber aufgedrängt, dass der Veranlagungsbeamte bei dem Kläger nachfragt und ihn auffordert, eine schlüssige Erklärung zu seinen widersprüchlichen Angaben abzugeben. Dies aber ist unterblieben, womit der Beklagte seine Amtsermittlungspflichten verletzt hat.

c)

Eine Verletzung der Mitwirkungspflichten auf Seiten des Klägers ist demgegenüber nicht zu erkennen. Der Kläger hat die notwendigen Angaben gemacht und Unterlagen, wie etwa die erwähnten Berichte, eingereicht. Wenn der Kläger auch im Klageverfahren die vom Gericht angeforderten Unterlagen nicht hat vorlegen können, ist nach Aktenlage jedenfalls davon auszugehen, dass er dem Veranlagungsbeamten seinerzeit bei der Abgabe der Steuererklärungen tatsächlich jeweils sämtliche Belege zu den als Reisekosten geltend gemachten Beträgen vorgelegt hat. Denn die jeweiligen Anlagen sind „abgehakt” (2003 und 2005) bzw. mit dem Vermerk „Nachweise lagen vor” (2004) versehen. Weitere Unterlagen oder Erläuterungen hat der Veranlagungsbeamte nicht angefordert, wie er auch keine Rückfragen gestellt hat. Er hat die Erklärungen vielmehr jeweils noch am Tage ihres Eingangs zur maschinellen Verarbeitung freigegeben.

Damit liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Änderung der Einkommensteuerbescheide für 2003 bis 2005 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht vor.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

4.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

RechtsgebietAOVorschriftenAO § 88 AO § 173 Abs. 1 Nr. 1

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr