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24.02.2011 · IWW-Abrufnummer 104066

Oberlandesgericht Frankfurt/Main: Urteil vom 19.05.2010 – 7 U 110/09

1. Das versicherte Risiko des Schneedrucks ist verwirklicht, wenn fest steht, dass das Gewicht des auf dem Dach lastenden Schnees am Einsturz des Daches mitgewirkt hat. Ob das Dach theoretisch nicht mehr standsicher war und jederzeit auch ohne den zusätzlichen Schneedruck hätte einstürzen können, stellt die Mitursächlichkeit demgegenüber nicht in Frage.



2. Ist in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen für Elementarschäden bestimmt, dass der Versicherer die in Folge des Versicherungsfalls notwendigen Aufwendungen ersetzt, dann wird damit verdeutlicht, dass der Versicherungsnehmer Ersatz erst und nur dann erhält, wenn er tatsächlich Aufwand gehabt hat, also Aufräumungs- und Abbruchmaßnahmen tatsächlich durchgeführt hat bzw. insoweit Verbindlichkeiten eingegangen ist. Auf der Grundlage eines bloßen Kostenvoranschlag kann die Leistung danach nicht beansprucht werden.


7 U 110/09

Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters der 1. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 13.5.2009 abgeändert.

Auf den Hilfsantrag wird festgestellt, dass die Beklagte für das Schadenereignis vom ....2006 Versicherungsschutz zu gewähren hat.

Im übrigen wird die Berufung unter Abweisung des Hauptantrags zurückgewiesen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger zu tragen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 1/5, die Beklagte 4/5 zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe
I.

Für das Anwesen des Klägers besteht eine "landwirtschaftliche Betriebsversicherung", die auch das Risiko Schneedruck, d.h. die Wirkung des Gewichts von Schnee- oder Eismassen, abdeckt.

Das Dach eines der versicherten Gebäude, einer Halle, ist am 18.1.2006 eingestürzt. Das Dach war an diesem Tag schneebedeckt, wobei die Schneehöhe 15 - 25 cm betragen haben soll.

Der Kläger hat mit der Klage Aufräumungskosten, die zur Beseitigung der Reste des Dachs aufgewendet werden sollen, im Betrag von 14.800 € gemäß dem Angebot der Fa. ... X GmbH verlangt.

Im Auftrag der Beklagten hat der Sachverständige Dr.-Ing. SV1 das Dach begutachtet und festgestellt, dass es falsch gebaut war und deshalb jederzeit unter seinem eigenen Gewicht einstürzen konnte. Die Beklagte meint deshalb, dass der Schnee für den Einsturz der Halle nicht ursächlich gewesen sei.

Das Landgericht hat den Sachverständigen Dr.-Ing. SV1 als sachverständigen Zeugen vernommen und ein Gutachten des Bausachverständigen SV2 eingeholt. Der gerichtliche Sachverständige hat die Feststellungen des Sachverständigen Dr.-Ing. SV1 bestätigt und ausgeführt, dass ein Einsturz auch ohne Schnee jederzeit nur aufgrund des Eigengewichts der Konstruktion möglich gewesen wäre. Der Schnee sei keine notwendige Ursache gewesen. Man könne nicht nachvollziehen, warum die Halle 30 Jahre gehalten habe und dann erst eingestürzt sei. In der Einzelsituation sei die Last "ein Quäntchen zu viel" gewesen. Der Schnee stelle eine Last dar. Die Schneeeinwirkung sei für den Einsturz nicht nötig gewesen, habe aber in der konkreten Situation Kräfte entfaltet.

Daraufhin hat das Landgericht die Klage abgewiesen, weil der Versicherungsfall Schneedruck nicht bewiesen sei. Der Kläger habe den Nachweis, dass das Dach mit durch die Schneelast als notwendiger Ursache und nicht oder nicht allein durch bauliche Mängel eingestürzt sei, nicht erbracht. Bei ordnungsgemäßer Ausführung habe das Dach die Schneelast tragen können. Umgekehrt könne nicht festgestellt werden, dass sich die vorhandene Schneelast notwendigerweise konkret ausgewirkt habe. Auch wenn der Schnee Kräfte entfaltet habe, könne die Notwendigkeit dieser möglichen Mitursache nicht festgestellt werden. Die Schneelast stelle keine äquivalente Ursache dar, denn sie könne hinweggedacht werden, ohne dass das Ereignis entfalle. Dass das Dach 30 Jahre gehalten habe und erst jetzt eingestürzt sei, beruhe darauf, dass sich im Laufe der Jahrzehnte die Nagelanschlüsse in den Dachbindern und in den Querverbänden (Verschwertungen) durch Kriechen und hin und wieder durch Überbeanspruchung etwas gelockert hätten.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der geltend macht, dass nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen davon auszugehen sei, dass die Schneelast den Einsturz des Dachs mitverursacht habe. Es handle sich deshalb um eine adäquate Schadensursache. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass der Grundsatz der abstrakten Schadenberechnung auch für Aufräumungs- und Abbruchkosten gelte. Es handle sich bei den Abbruchkosten auch um Bestandteile der Wiederherstellungskosten, weil die Scheune nicht wieder aufgebaut werden könne, ohne dass die Reste zunächst abgebrochen würden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Wiesbaden vom 13.5.2009, Az. 1 O 293/06 die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 14.800,00 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7.6.2006 zu zahlen,

hilfsweise,

es wird festgestellt, dass die Beklagte für das Schadenereignis vom ....2006 Versicherungsschutz zu gewähren hat.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und tritt der zuletzt geäußerten Rechtsauffassung des Klägers, dass die Abbruchkosten als Bestandteil der Wiederherstellungskosten anzusehen seien, entgegen.

II.

Der Hauptantrag, der Gegenstand der erstinstanzlichen Verhandlung gewesen ist, kann mit der im angefochtenen Urteil gegebenen Begründung nicht abgewiesen werden.

Der Versicherungsfall Schneedruck setzt voraus, dass versicherte Sachen durch die Wirkung des Gewichts von Schnee- oder Eismassen beschädigt werden. Dem Kläger obliegt deshalb der Nachweis, dass der auf dem Dach liegende Schnee am Einsturz mitgewirkt hat. Diese Wirkung steht entgegen den Feststellungen des Landgerichts fest. Das Dach ist unter seinem eigenen und unter dem Gewicht des Schnees zusammengebrochen. Auch der Sachverständige ist davon ausgegangen, dass die Schneelast eine auf das Dach einwirkende Kraft gewesen ist. Er hat auch angenommen, dass die vorhandene Last an diesem Tag "ein Quäntchen" zuviel gewesen sei, so dass der Schnee zwangsläufig daran beteiligt gewesen ist. Beide Kräfte haben gleichzeitig und zusammen gewirkt. Die Mitursächlichkeit der Schneelast kann deshalb nicht verneint werden. Dass das Dach auch ohne die Mitwirkung des Schnees an diesem Tag eingestürzt wäre, ist deshalb nur eine theoretische Möglichkeit. Für die richterliche Überzeugung kommt es aber nicht auf bloß theoretische Zweifel an, sondern darauf, dass ein bestimmter Ursachenzusammenhang mit einer für das praktische Leben ausreichenden Gewissheit festgestellt werden kann. Eine solche Gewissheit ist hier gegeben, weil das Dach bei gleichzeitiger Wirkung einer zusätzlichen Kraft eingestürzt ist. Ob das Dach zwangsläufig später einmal auch ohne Schneelast eingestürzt wäre, ist unerheblich. Dass die Standsicherheit des Dachs rechnerisch nicht nachweisbar gewesen ist, besagt nur, dass mit einem Einsturz des Dachs gerechnet werden muss, nicht aber, dass es sofort einstürzen muss. Denn das ist angesichts der Zeit, die das Dach überdauert hat, offensichtlich nicht der Fall gewesen. Für die Äquivalenz kommt es aber nur darauf an, ob das auch zeitlich identische Ereignis ebenso eingetreten wäre, wenn man eine der fraglichen Ursachen hinwegdenkt. Davon kann man aufgrund der vorhandenen Schneelast, die tatsächlich Kraft ausgeübt hat, aber nicht ausgehen.

Soweit die Berufung den auf Zahlung der Aufräumungs- und Abbruchkosten gerichteten Antrag weiterverfolgt, bleibt sie jedoch aus einem anderen Grund ohne Erfolg. Der Kläger hat diese Kosten bisher nicht aufgewendet, denn er hat die Aufräumung der Schadenstelle bisher weder beauftragt noch durchführen lassen. Dass die versicherten Kosten aufgewendet, also tatsächlich angefallen sind, ist aber Voraussetzung für einen Anspruch gegen den Versicherer.

Für die versicherten Elementarschäden, also auch für den Versicherungsfall Schneedruck, gelten nach den vertraglichen Vereinbarungen die allgemeinen Bedingungen für die Sturmversicherung AStB 87. Für die Aufräumungs- und Abbruchkosten bestimmt § 3 AStB 87, dass der Versicherer die infolge des Versicherungsfalls notwendigen Aufwendungen ersetzt. Mit dem Begriff der Aufwendungen verdeutlichen die Bedingungen, dass der Versicherungsnehmer Ersatz nur und erst erhält, wenn er tatsächlich Aufwand gehabt hat, also Aufräumungs- bzw. Abbruchmaßnahmen tatsächlich durchgeführt bzw. insoweit Verbindlichkeiten eingegangen ist. Für die Auslegung von Versicherungsbedingungen sind die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen, um Verständnis der Bedingungen bemühten Versicherungsnehmers maßgeblich, wobei im allgemeinen der Sprachgebrauch des täglichen Lebens maßgeblich ist. Davon abweichend kommt es dagegen bei einem Ausdruck, mit dem die Rechtssprache einen feststehenden Begriff verbindet, auf diese Bedeutung an (BGH VersR 2000, 311 [BGH 08.12.1999 - IV ZR 40/99]). Nach dem alltäglichen Sprachgebrauch sind Aufwendungen Mittel, die zur Erreichung eines bestimmten Zwecks eingesetzt werden. Deshalb legt an sich schon der alltägliche Sprachgebrauch einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer das Verständnis nahe, dass dem Ersetzen von Aufwendungen zunächst der tatsächliche Einsatz dieser Mittel vorausgehen muss, weil andernfalls von Aufwendungen an sich noch nicht gesprochen werden kann. Der Ausdruck hat aber auch eine spezifische Bedeutung in der Rechtssprache und meint dann vor allem im Gegensatz zum Schaden freiwillige Vermögensopfer. Auch diese Bedeutung des Ausdrucks hat zur Folge, dass das Vermögensopfer zunächst erbracht sein muss, bevor es ersetzt werden kann. Aufwendungen, die noch gar nicht vorgenommen worden sind, können nicht ersetzt werden. Es würde sich dann vielmehr um einen Vorschuss handeln. Auch ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer erkennt aber, dass § 3 AStB 87 keine Vorschussregelung darstellt. Für dieses Verständnis spricht auch der Unterschied zwischen der Entschädigung wegen der Beschädigung versicherter Sachen und der Entschädigung versicherter Kosten. Bei der Beschädigung versicherter Sachen ist der Vermögensschaden bereits durch die Beschädigung eingetreten. Deshalb ist es, wenn nicht besondere Wiederherstellungsklauseln das verbieten, sachgerecht, den Schaden abstrakt zu berechnen und unabhängig von der tatsächlichen Verwendung der Entschädigung auszuzahlen. Den versicherten Kosten liegt aber nicht in gleicher Weise eine bereits eingetretene Vermögenseinbuße zugrunde; die Verwirklichung des versicherten Schadens hängt nicht nur davon ab, ob ein Bedarf, diese Kosten aufzuwenden, entstanden ist, sondern zusätzlich davon, ob sie tatsächlich aufgewendet werden (Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Aufl., W I Rdn. 25, 26.; OLG Celle VersR 2009, 631 [OLG Celle 29.01.2009 - 8 U 187/08]; LG Köln, U. v. 12.5.2005, Az. 24 S 36/04; Höra, in: van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht, 4. Aufl., § 3 Rdn. 62). Soweit das Oberlandesgericht Hamm in seinem Urteil vom 17.9.1997 (VersR 1998, 1152) angenommen hat, ein Versicherer könne den Versicherungsnehmer nicht darauf verweisen, dieser könne nur tatsächlich angefallene und nachgewiesene Aufräumungs- und Abbruchkosten erstattet verlangen, steht das der hier vorgenommenen Auslegung nicht entgegen, denn dort handelte es sich um Versicherungsbedingungen mit anderem Wortlaut. Die dort maßgebliche Bestimmung des § 2 Nr. 1 VGB 88 spricht nicht von Aufwendungen, die zu ersetzen sind, sondern von versicherten notwendigen Kosten. Überdies hielt es das Oberlandesgericht Hamm für bedeutsam, dass die notwendigen Kosten dort bereits in einem Sachverständigenverfahren festgesetzt worden waren.

Der hauptsächlich gestellte Zahlungsantrag kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass Aufräumungs- und Abbruchkosten auch als Teil der Widerherstellungskosten angesehen werden können. Es trifft zwar zu, dass sich Aufräumungs- und Abbruchkosten häufig mit den Wiederherstellungskosten überschneiden, weil der Abbruch beschädigter Gebäudeteile zugleich Voraussetzung und Bestandteil der Wiederherstellung der beschädigten oder zerstörten Sache ist (vgl. Johannsen/Johannsen, VVG, 8. Aufl., Feuerversicherung Anm. H 163 a.E.). Jedoch kann der Kläger derzeit nur den Zeitwertschaden beanspruchen. Zur Höhe des Zeitwertschadens - ebenso wie zur die Höhe des Gebäudeschadens überhaupt - hat der Kläger aber nichts vorgetragen.

Da, wie oben dargelegt, der Versicherungsfall Schneedruck gegeben ist, war die mit dem Hilfsantrag verlangte Feststellung zu treffen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 ZPO. Da der Kläger mit dem in erster Instanz gestellten Antrag auch im Berufungsverfahren keinen Erfolg gehabt hat, muss es für das erstinstanzliche Verfahren bei der Kostenentscheidung des Landgerichts bleiben. Im Berufungsverfahren ist § 92 ZPO anzuwenden; der Zahlungsantrag ist bei wirtschaftlicher Betrachtung in dem Feststellungsantrag teilweise enthalten, das Unterliegen des Klägers erschöpft sich daher im wesentlichen darin, nicht sofort eine Zahlung zu erhalten.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision zuzulassen bestand kein Anlass; bei der Auslegung der AStB 87 sieht sich der Senat in Übereinstimmung mit Rechtsprechung und Schrifttum. Die bereits angeführte Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm betrifft andere Versicherungsbedingungen.

Hinweise

Das Rechtsmittelverfahren wird beim BGH unter dem Aktenzeichen IV ZR 127/10 geführt.

RechtsgebieteHPflG, AStB 87Vorschriften§§ 1 ff. HPflG § 3 AStB 87

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