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16.02.2011 · IWW-Abrufnummer 110469

Oberlandesgericht Frankfurt/Main: Beschluss vom 18.05.2010 – 20 W 176/10

Hat bei Vorliegen einer letztwilligen Verfügung trotz Einwänden gegen die beabsichtigte Entscheidung der Rechtspfleger über den Erbscheinsantrag entschieden, ist seine Entscheidung gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 RpflG unwirksam.


20 W 176/10

Tenor
Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Amtsgerichts aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Auslagen sind nicht zu erstatten.

Gründe
1Die Beteiligte zu 2) legte zunächst dem Nachlassgericht mehrere Schriftstücke vor, die von der Erblasserin unterzeichnet sind und beantragte die Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses (Bl. 13 d. A.).

2Der Beteiligte zu 1), der der Auffassung ist, dass es sich bei sämtlichen zunächst von der Beteiligten zu 2) vorgelegten Schriftstücken nicht um wirksame Testamente handelt, beantragte mit Datum vom 18.01.2010 die Erteilung eines Erbscheins, der ihn als alleinigen gesetzlichen Erben nach der Erblasserin ausweist.

3Mit Schriftsatz vom 10.02.2010 ließ die Beteiligte zu 2) ein Schriftstück zur Akte reichen, bei dem es sich nach ihrer Auffassung um ein am 08.10.2009 von der Erblasserin errichtetes Testament handelt, in dem sie zur Alleinerbin bestimmt ist und überreichte gleichzeitig den Antrag auf Erlass eines Erbscheins, der sie als alleinige Erbin aufgrund testamentarischer Verfügung nach der Erblasserin ausweist.

4Die Beteiligten zu 1), 3) und 4) teilten mit, dass sie dem Antrag auf Erteilung eines Erbscheins für die Beteiligte zu 2) nicht zustimmen.

5Mit Beschluss vom 10.03.2010 hat die Rechtspflegerin die aufgrund des Antrags der Beteiligten zu 2) vom 10.02.2010 zur Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Es sei beabsichtigt den Erbschein wie beantragt zu erteilen. Anhand der eingereichten „Testamente“ sei davon auszugehen, dass die Erblasserin das Testament vom 08.10.2009 (Bl. 45 d. A.) eigenhändig geschrieben und unterschrieben habe.

6Gegen den Beschluss legte der Beteiligte zu 1) Beschwerde ein (Bl. 81 ff. d. A.).

7Mit Verfügung Bl. 85 Rs. d. A. hat die Rechtspflegerin der Richterin das Verfahren zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt.

8Ausweislich der Verfügung Bl. 85 Rs. wurde mit der richterlichen Dezernentin Rücksprache genommen und sodann das Verfahren mit dem Bemerken: „Der Beschwerde wird nicht abgeholfen“ der Beschwerdekammer des Landgerichts Wiesbaden vorgelegt, die das Verfahren wiederum dem Oberlandesgericht Frankfurt weitergeleitet hat.

9Auf das Verfahren ist, da beide Anträge auf Erlass eines Erbscheins sowie der Antrag auf Erteilung eines Testamentsvollstreckerzeugnisses nach dem 01.09.2009 gestellt wurden, das FamFG anzuwenden.

10Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) ist gemäß § 64 FamFG zulässig. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und Zurückverweisung an das Amtsgericht.

11Die Entscheidung des Amtsgerichts kann bereits deswegen keinen Bestand haben, da sie von der funktionell unzuständigen Rechtspflegerin erlassen worden ist.

12Gemäß § 3 Ziffer 2 c des Rechtspflegergesetzes (RpflG) sind die nach den gesetzlichen Vorschriften vom Richter wahrzunehmenden Geschäfte des Amtsgerichts in Nachlass- und Teilungssachen nach § 342 FamFG und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit dem Rechtspfleger zugewiesen. Jedoch ist gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 6 RpflG die Erteilung von Erbscheinen - sofern eine Verfügung von Todes wegen vorliegt - dem Richter vorbehalten. Zwar hat der Hessische Verordnungsgeber von der Möglichkeit des § 19 RpflG Gebrauch gemacht, durch Rechtsverordnung die nach § 16 Abs. 1 Nr. 6 und 7 RpflG bestimmten Richtervorbehalte ganz oder teilweise aufzuheben und hat insoweit den Richtervorbehalt ganz aufgehoben, jedoch entsprechend der Regelung des § 19 Abs. 2 RpflG in seiner Verordnung vom 29.10.2008 in § 1 Ziffer 3 vorgesehen, dass die Rechtspflegerin oder der Rechtspfleger das Verfahren der Richterin oder dem Richter zur weiteren Bearbeitung vorzulegen hat, soweit gegen den Erlass der beantragten Entscheidung Einwände erhoben werden.

13Bereits durch die gegenläufige Erbscheinsantragstellung durch den Beteiligten zu 1) ist deutlich, dass gegen den Erlass der beantragten Entscheidung Einwände erhoben werden, so dass das Verfahren der Richterin zur Entscheidung vorzulegen gewesen wäre.

14Die Entscheidung der Rechtspflegerin ist daher gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 RpflG unwirksam.

15Zwar ist von einer wirksamen Entscheidung des Rechtspflegers gemäß § 8 Abs. 2 RpflG dann auszugehen, wenn der Rechtspfleger ein ihm übertragbares Geschäft wahrnimmt, auch dann, wenn im Einzelfall die Übertragung durch den Richter fehlen sollte oder wenn die Voraussetzungen für die Übertragung im Einzelfall nicht gegeben waren (vgl. KG NJW-RR 2004, 801).

16Bei dem hier vorliegenden Verfahren der Erteilung eines Erbscheins bei Vorliegen einer letztwilligen Verfügung und Einwänden gegen den Erlass der beantragten Entscheidung handelt es sich jedoch nicht um ein Geschäft im Sinne des § 8 Abs. 2 RpflG. Liegen Einwände gegen den Erlass der beantragten Entscheidung vor, ist keine Möglichkeit der Übertragung des Geschäfts auf einen Rechtspfleger gegeben, sondern das Verfahren ist zur weiteren Bearbeitung dem Richter vorzulegen. Es handelt sich daher im vorliegenden Fall um ein nicht übertragbares Geschäft. Die Entscheidung des Rechtspflegers ist daher nach § 8 Abs. 4 Satz 1 RpflG unwirksam und im Rechtsbehelfsverfahren unabhängig von ihrer sachlichen Richtigkeit aufzuheben (vgl. Bassenge/Roth, FamFG/RpflG, 12. Aufl., § 8 RpflG Rn. 4 m. w. umfangreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur).

17Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 8 Abs. 4 Satz 2 RpflG, denn das Geschäft war der Rechtspflegerin nicht durch eine Entscheidung im Sinne des § 7 RpflG zugewiesen worden. Nach dieser Vorschrift entscheidet der Richter über die Zuständigkeit durch Beschluss, wenn Streit oder Ungewissheit darüber besteht, ob ein Geschäft von dem Richter oder dem Rechtspfleger zu bearbeiten ist. Im vorliegenden Fall hat die Rechtspflegerin das Verfahren der oder dem Nachlassrichter des Amtsgerichts zwar nach Eingang der Beschwerde gegen den Beschluss der Rechtspflegerin (zur Abhilfeentscheidung) vorgelegt. Der sich dann im weiteren ergebende Vermerk der Rechtspflegerin wäre aber selbst dann keine Entscheidung im Sinne des § 7 RpflG, wenn in diesem Vermerk eine innerdienstliche, den Beteiligten nicht bekannt gemachte Verfügung des Richters in dem Sinne zu sehen sei, dass die Rechtspflegerin das Verfahren weiter zuständigkeitshalber zu bearbeiten habe. Denn diese genügt den Anforderungen, die an eine Entscheidung nach § 7 RpflG zu stellen sind nicht (vgl. BGH RpflG 205, 520 f; Bassenge/Roth, FamFG/RpflG, 12. Aufl., § 8 RpflG Rn. 4 m. w. N.). Die Zuweisungsentscheidung setzt einen förmlichen Beschluss voraus, der den Beteiligten bekannt zu geben ist.

18Eine bloße Zuschreibung der Sache im Rahmen einer innerdienstlichen Verfügung ist nicht ausreichend (OLG München Rpfleger 2006, 263).

19Da das von der Rechtspflegerin vorgenommene Geschäft aufgrund ihrer funktionellen Unzuständigkeit unwirksam ist, ist der Beschluss aufzuheben und an das Amtsgericht Rüdesheim, Zweigstelle Eltville zur Bearbeitung durch den zuständigen Richter/die zuständige Richterin zurückzuverweisen.

20Im Rahmen der erneuten Bearbeitung wird das Amtsgericht Rüdesheim auch zu klären haben, wie es zur Vorlage des Testaments vom 08.10.2009 kommen konnte, nachdem zuvor Schriftstücke späteren Datums von der Beteiligten zu 2) vorgelegt worden waren, ohne dass sie auf das später zur Akte gereichte Schriftstück vom 08.10.2009 hingewiesen hätte. Auch wird zu klären sein, ob das Schriftstück tatsächlich von der Erblasserin herrührt und darüber hinaus auf die Einwände der übrigen Beteiligten hinsichtlich einer etwaigen fehlenden Testierfähigkeit der Erblasserin einzugehen sein.

21Gerichtsgebühren sind für das Verfahren vor dem Oberlandesgericht nicht entstanden, da keiner der in § 131 KostO vorgesehenen Gebührentatbestände erfüllt ist. Für die Auferlegung außergerichtlicher Auslagen ist kein Raum, da keine weiteren Personen im Beschwerdeverfahren beteiligt wurden.

Vorschriften8 RpflG, RPlGRiVAufhV HE

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