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02.11.2010 · IWW-Abrufnummer 102506

Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 30.03.2010 – 6 K 87/09

Das den Tänzerinnen und Tänzern eines Tabledance-Clubs von den Gästen zugesteckte „Spielgeld” ist, wenn es vom Arbeitgeber teilweise wieder in Geld eingetauscht wird, kein steuerfreies Trinkgeld, sondern ein steuerpflichtiger - erfolgsabhängiger - Lohnbestandteil.


Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob es sich bei Zahlungen, die die Klägerin als Tänzerin erhalten hat, um steuerfreie Trinkgelder im Sinne des § 3 Nr. 51 EStG handelt oder aber um steuerpflichtigen Arbeitslohn.
Die Einkünfte der Klägerin setzten sich aus drei Bestandteilen zusammen: Für jeden Abend, an dem die Klägerin als Tänzerin auftrat, erhielt sie von ihrem Arbeitgeber eine Tagesgage i.H.v. 75,00 €; für jeden Tanz, den die Klägerin auf einem der „Tables” aufführte, erhielt sie eine zusätzliche Gage von jeweils 10,00 €; und schließlich erhielt die Klägerin am Ende eines Arbeitstages von ihrem Arbeitgeber Geld für die „A-Spielgeldscheine”, die sie während der einzelnen Darbietungen von den Gästen erhalten hatte. Bei diesen „A-Spielgeldscheinen” handelte es sich um eine Art Spielgeld, das den Gästen des Lokals zu einem festen Preis und nur für den genannten Zweck angeboten wurde; Getränke (oder Ähnliches) konnten damit nicht bezahlt werden. Ein Rückumtausch erworbener und nicht verbrauchter „A-Spielgeldscheine” durch die Gäste war ausgeschlossen.
Über das Geld, das die Tänzerinnen und Tänzer von ihrem Arbeitgeber für die von den Gästen zugesteckten „A-Spielgeldscheinen” von ihrem Arbeitgeber erhielten, gab es keine schriftlichen Vereinbarungen. Den Feststellungen des Beklagten zufolge wurden die „A-Spielgeldscheine” den Tänzerinnen und Tänzern zu dem Preis vergütet, den die Gäste vorher dafür bezahlt hatten; allerdings behielt der Arbeitgeber einen Teil des Geldes für sich. Den Angaben der Klägerin zufolge variierte der „Wechselkurs” auf Veranlassung der Geschäftsführung in unregelmäßigen Abständen und lag üblicherweise unter dem, was die Gäste für die s„A-Spielgeldscheine” zu zahlen hatten.
Im Jahr 2008 stellte das Finanzamt für Prüfungsdienste und Strafsachen in Hamburg im Rahmen einer bei dem Arbeitgeber der Klägerin durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung erhebliche Abweichungen zwischen den erklärten Lohnzahlungen an die Tänzerinnen und Tänzer einerseits und den tatsächlich ausgezahlten Beträgen andererseits fest. Unter anderem waren die Zahlungen, die auf die Vergütung der zugesteckten „A-Spielgeldscheine” zurückgingen, vollständig als steuerfreie Trinkgelder behandelt worden; wegen der Einzelheiten wird auf die Prüfungsfeststellungen des Finanzamts vom 13.03.2006 Bezug genommen (Bl. 3 der „Handakten”). Aufgrund dieser Feststellungen wurde (auch) gegen die Klägerin ein Strafverfahren eingeleitet.
Nach den auf der Grundlage der sichergestellten Tagesabrechnungen getroffenen Feststellungen entfielen auf die Klägerin von Januar 2002 bis einschließlich Juni 2004 insgesamt folgende Lohnzahlungen:

200220032004
Tagesgagen10.950,008.310,003.050,00
Gagen für „Tables”9.910,006.580,001.770,00
aus „A-Spielgeldscheinen”23.823,5020.485,004.885,00
Gesamt:44.683,5035.375,009.705,00
Im Rahmen der Veranlagung zur Einkommensteuer wertete der Beklagte 10% der Gagen aus den „A-Spielgeldscheinen” als steuerfreies Trinkgeld und erfasste die verbleibenden Beträge i.H.v. 42.301,00 € (2002), von 34.461,00 € (2003) und von 9.216,00 € (2004) mit Bescheiden vom 07.04.2008 für 2003 und 2004 bzw. vom 11.04.2008 für 2002 als steuerpflichtigen Arbeitslohn.
Die Klägerin legte dagegen Einspruch ein.
Mit Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 17.02.2009 wurde die Klägerin zu einer Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen bei einem Tagessatz von 85,00 € verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig.
Mit Entscheidungen vom 30.03.2009 wies der Beklagte die Einsprüche der Klägerin als unbegründet zurück.
Am 29.04.2009 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie macht geltend, dass es sich bei ihren Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit, soweit diese auf den ihr von den Gästen zugesteckten und von dem Arbeitgeber eingetauschten „A-Spielgeldscheinen” beruhten, um Arbeitslohn handle, der als Trinkgeld gemäß § 3 Nr. 51 EStG steuerfrei sei. Die Gäste des „A” hätten die „A-Spielgeldscheine” freiwillig erworben; es habe weder eine rechtliche Verpflichtung noch ein faktischer Zwang zum Erwerb bestanden. Die Tänzerinnen und Tänzer hätten die „A-Spielgeldscheine” ihrerseits von den Gästen persönlich und ohne Rechtsanspruch erhalten. Die „A-Spielgeldscheine” seien auch keine Gegenleistung für die tänzerischen Darbietungen auf den jeweiligen „Tables” gewesen; denn es habe sich dabei um standardisierte Tanzabläufe und Choreographien gehandelt, die immer in gleicher Weise aufgeführt würden. Dies könne erforderlichenfalls durch Zeugen belegt werden. Außerdem seien die Darbietungen bereits mit der Zahlung des jeweiligen „Tables” durch die Gäste entlohnt worden. Die zugesteckten „A-Spielgeldscheine” hätten daher auch keine Auswirkung auf die Dauer oder die Art der tänzerischen Darbietung gehabt. Soweit sich aus einem „Flyer”, auf den sich der Beklagte beziehe, etwas anderes ergebe, sei festzuhalten, dass dieser „Flyer” nur ein Entwurf gewesen sei und tatsächlich niemals ausgelegen habe; auf die im Klageverfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen werde insoweit verwiesen (s. Anlagenband). Die vom Gesetz vorausgesetzte persönliche Beziehung zwischen Gast und Arbeitnehmer werde nicht dadurch unterbrochen, dass die tatsächliche Auszahlung des Trinkgeldes letztlich durch den Betreiber erfolge; entscheidend, sei, dass sich die Übergabe der „A-Spielgeldscheine” einzig und allein zwischen Tänzerin und Gast unmittelbar während der Tanzdarbietung vollziehe. Eine dem Tronc-System ähnelnde zentrale Sammelstelle habe es hier - anders als in dem von dem Bundesfinanzhof mit Urteil vom 28.12.2008 (VI R 49/06, BStBl. II 2009, 820) entschiedenen Fall - nicht gegeben; denn die „A-Spielgeldscheine” seien erst nach Erhalt durch die Tänzerinnen und Tänzer an den Arbeitgeber weitergereicht worden. Auf die Höhe des erhaltenen Trinkgeldes im Verhältnis zum Grundlohn dürfe es ebenfalls nicht ankommen; denn der Gesetzgeber habe auf Grund einer typisierenden Betrachtung ein solches Missverhältnis in Kauf genommen.
Die Klägerin beantragt,
die Einspruchsentscheidungen vom 30.03.2009 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid vom 11.04.2008 für 2002 sowie die Einkommensteuerbescheide vom 07.04.2008 für 2003 und 2004 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer für 2002 auf 2.612,00 €, für 2003 auf 2.048,00 € und für 2004 auf 0,00 € herabgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte erwidert, dass Trinkgelder typischerweise erst nach der erbrachten Dienstleistung als Ausdruck einer Belohnung gezahlt würden. Im vorliegenden Streitfall zahle der Gast jedoch die streitigen Gelder bereits während der Tanzleistung in der Hoffnung, die tänzerische Darbietung in ihrer Qualität beeinflussen zu können. Insoweit stelle aus der maßgeblichen Sicht des Gastes das Zustecken der „A-Spielgeldscheine” eine notwendige Entlohnung für die tänzerische Gegenleistung dar.
Der Streitfall ist mit den Beteiligten erörtert worden. Auf die Niederschrift über den Erörterungstermin vom 14.10.2009 wird Bezug genommen.
Dem Gericht haben folgende Akten vorgelegen: zwei Bände Einkommensteuerakten einschließlich einem Hefter „ESt-Vorgänge 2002 und 2003”, zwei Bände Rechtsbehelfsakten und ein Band „Handakten”.
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Die der Klägerin in den Streitjahren zugeflossenen Einnahmen aus nichtselbstständiger Arbeit sind in voller Höhe steuerpflichtiger Arbeitslohn; dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Die Einnahmen sind auch insoweit, als sie auf den „A-Spielgeldscheinen” beruhen und den von dem Beklagten angesetzten steuerfreien Anteil von 10% übersteigen, keine nach § 3 Nr. 51 EStG steuerfreien Trinkgelder.
a) Steuerfrei sind gemäß § 3 Nr. 51 EStG in der seit dem Streitjahr 2002 geltenden Fassung Trinkgelder, die anlässlich einer Arbeitsleistung dem Arbeitnehmer von Dritten freiwillig und ohne dass ein Rechtsanspruch auf sie besteht, zusätzlich zu dem Betrag gegeben werden, der für diese Arbeitsleistung zu zahlen ist. Dabei wird der Begriff „Trinkgeld” durch die genannte Bestimmung nicht abschließend definiert. Nicht jede „anlässlich einer Arbeitsleistung dem Arbeitnehmer von Dritten freiwillig und ohne dass ein Rechtsanspruch auf sie besteht, zusätzlich zu dem Betrag ..., der für diese Arbeitsleistung zu zahlen ist”, hingegebene Geldleistung ist daher ein Trinkgeld im Sinne des § 3 Nr. 51 EStG. Es handelt sich vielmehr um einen durch den allgemeinen Sprachgebrauch geprägten unbestimmten Gesetzesbegriff (Typusbegriff), den der Gesetzgeber in die gesetzliche Regelung übernommen hat (vgl. auch Senatsurteil vom 30.03.2009 - 6 K 45/08, EFG 2009, 1367; BFH-Urteil vom 18.12.2008 - VI R 49/06, BStBl. II 2009, 820: typologisch umschriebener Trinkgeldbegriff; s. allgemein zur Rechtsfigur des Typusbegriffs auch Drüen in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 4 AO Tz. 395 ff.). Ob eine Leistung Trinkgeld im Sinne des § 3 Nr. 51 EStG ist, lässt sich demnach nicht generell, sondern nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles entscheiden.
Wesentlich und prägend ist dabei die Beziehung zwischen dem Geber und dem Empfänger des Trinkgelds. Diese wird in der Rechtsprechung - typisierend - wie folgt umschrieben: Trinkgeld sei eine „dem dienstleistenden Arbeitnehmer vom Kunden oder Gast gewährte zusätzliche Vergütung”, die „eine gewisse persönliche Beziehung zwischen dem Arbeitnehmer und dem Dritten” voraussetze (BFH-Urteil vom 18.12.2008 - VI R 49/06, BStBl. II 2009, 820). Es handle sich um eine „freiwillige und typischerweise persönliche Zuwendung an den Bedachten als eine Art honorierende Anerkennung seiner dem Leistenden gegenüber erwiesenen Mühewaltung in der Form eines kleineren Geldgeschenks” (BFH-Urteil vom 03.05.2007 - VI R 37/05, BStBl II 2007, 712; vgl. auch BFH-Urteil vom 19.07.1963 - VI 73/62 U, BFHE 77, 433, BStBl III 1963, 479). Der Trinkgeldempfänger stehe dabei faktisch in einer doppelten Leistungsbeziehung und erhalte entsprechend dazu auch doppeltes Entgelt, nämlich das Arbeitsentgelt seitens seines Arbeitgebers und das Trinkgeld seitens des Kunden (BFH-Urteil vom 18.12.2008, a.a.O.).
b) Die Zahlungen, die die Klägerin aufgrund der „A-Spielgeldscheine” erhalten hat, können nicht dem Typus „Trinkgeld” zugeordnet werden.
Der Arbeitgeber der Klägerin hat über das System der „A-Spielgeldscheine” einen direkten Austausch von Bargeld zwischen den Gästen einerseits und den als Tänzerinnen und Tänzern angestellten Arbeitnehmern andererseits ausgeschlossen. Das Bargeld ist bei Erwerb der „A-Spielgeldscheine” durch die Gäste unmittelbar an den Arbeitgeber geflossen. Die Arbeitnehmer haben ihrerseits nur einen Teil dieses Geldes (wenn auch regelmäßig den überwiegenden Teil) bei Eintausch der „A-Spielgeldscheine” am Ende eines Arbeitstages von ihrem Arbeitgeber erhalten. Dabei hat es für den Rückumtausch der „A-Spielgeldscheine” in Euro durch den Arbeitgeber weder schriftliche Vereinbarungen noch sonstige feste Regeln gegeben. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 21.09.2009 noch einmal ausdrücklich bestätigt, dass die „Wechselkurse” für den Rückumtausch auf Veranlassung der Geschäftsleitung in unregelmäßigen Abständen variierten. Letztlich bestimmte damit aber nicht der Gast, was dem einzelnen Arbeitnehmer an Geld zufloss, sondern allein der Arbeitgeber. Dies ist für ein Trinkgeld untypisch. Dem Gesamtbild nach entspricht das System der „A-Spielgeldscheine” damit eher einer Beteiligung der Arbeitnehmer an den von ihnen durch die Tanzdarbietungen erwirtschafteten Einnahmen, die zunächst allein dem Arbeitgeber zugeflossen sind. Die streitigen Zahlungen sind daher als ein von dem Arbeitgeber der Klägerin gewährter erfolgsabhängiger Lohnbestandteil zu werten; dieser wird nicht von § 3 Nr. 51 EStG erfasst.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 135 Abs. 1, 115 Abs. 2 FGO. Insbesondere kommt der Rechtssache im Hinblick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Begriff des „Trinkgelds” i.S.d. § 3 Nr. 51 EStG keine grundsätzliche Bedeutung zu.

VorschriftenEStG § 3 Nr. 51, EStG § 19

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