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02.11.2010

Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 05.06.2009 – 3 K 269/08

- Bei Übermittelung der Einspruchsentscheidung durch die Post gilt die Entscheidung gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer sie ist nicht oder an einem späteren Tag zugegangen.


- Grundsätzlich hat die Behörde den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.


- Bestreitet der Empfänger, den VA innerhalb der Dreitagesfrist erhalten zu haben, hat er substantiiert Tatsachen vorzutragen, die schlüssig auf einen späteren Zugang hindeuten und Zweifel an der Zugangsvermutung begründen.


- Die Zugangsfiktion kann durch den Eingangsstempel des Stpfl. nicht widerlegt werden.


Tatbestand

Streitig ist, ob rechtzeitig Klage erhoben wurde.

Das Einspruchsverfahren wurde mit Einspruchsbescheid vom 06. Juni 2008 abgeschlossen. Die Rechtsmittelbelehrung lautet auszugsweise wie folgt:

„Die Frist für die Erhebung der Klage beträgt einen Monat. Sie beginnt mit Ablauf des Tages, an dem diese Entscheidung bekannt gegeben worden ist (§ 47 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung). Bei Zusendung durch einfachen Brief oder Zustellung mittels Einschreiben durch Übergabe gilt die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post bewirkt, es sei denn, dass diese Einspruchsentscheidung zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. …”

Der Bescheid wurde mit einfachem Brief am Freitag, den 06. Juni 2008 zur Post gegeben. Er war an die Adresse des Klägervertreters adressiert. Die Klage ist per Telefax am Donnerstag, den 10. Juli 2008 beim Gericht eingegangen. Mit Schreiben vom 08. September 2008 beantragte der Beklagte die Klage als unzulässig abzuweisen, da die Klagefrist versäumt sei. Mit Richterbrief vom 28. Oktober 2008 wurde der Klägervertreter durch das Gericht nochmals aufgefordert ggf. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 Finanzgerichtsordnung (FGO) zu beantragen oder die Klage binnen der gesetzten Frist von zwei Wochen zurück zu nehmen. Hierauf erfolgte keine Reaktion.

Mit Datum vom 05. Dezember 2008 erging ein Gerichtsbescheid, mit dem die Klage als unzulässig abgewiesen wurde. Es wurde fristgerecht Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt.

Der Kläger macht geltend, dass in der Rechtsbehelfsbelehrung des Einspruchsbescheids mitgeteilt worden sei, die Monatsfrist beginne mit dem Zeitpunkt an dem der Bescheid zugegangen sei. Dies sei der 10.06.2008 gewesen wie sich aus dem Eingangsstempel des Klägervertreters ergebe. Deshalb sei die Klage fristgerecht. Ein Posteingangs- und Fristenkontrollbuch werde bei seinem Anwalt nicht geführt. Fristen würden mittels EDV überwacht. Der verspätete Zugang sei durch den Beklagten hinzunehmen. Eine rechtzeitige Aufgabe zur Post führe nicht den Beweis der früheren Zustellung.

In der mündlichen Verhandlung wurde durch den Klägervertreter zudem ausgeführt, dass die erhöhten Anforderungen an das Widerlegen der Zugangsvermutung für Rechtsanwälte und Steuerberater nicht gelten würden. Für diese Personen sei der geführte Nachweis ausreichend. Im Nachhinein könne ein Grund für den längeren Postlauf nicht mehr ermittelt werden. Möglicherweise sei mit der citipost zugestellt worden, die montags grundsätzlich nicht ausliefere. Er habe anhand des Terminkalenders und mit seiner Sekretärin festgestellt, dass er am Montag den 09. Juni 2008 sowie am Folgetag im Büro gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 2006 vom 07. Februar 2008 und die Einspruchsentscheidung vom 06. Juni 2008 ersatzlos aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die Klage für verfristet. Eine pauschale Behauptung des verspäteten Zugangs genüge nicht, um die Wirkung der Bekanntgabefiktion zu vermeiden. Es sei substantiierter Vortrag erforderlich, weshalb ein späterer Zugang erfolgt sei. Der abweichende Eingangsvermerk alleine genüge nicht. Eine Zustellung binnen drei Tagen sei innerhalb des Stadtgebiets üblich. Es könne auch im Büro des Klägervertreters ein „falscher” Stempel verwendet worden sein.

Die citipost sei im fraglichen Zeitraum nicht genutzt worden, in früheren Zeiten sei einmal ein privater Anbieter mit der Postzustellung beauftragt worden. Die Bediensteten des Hauses seien darüber informiert, dass die Post an Freitagen im Laufe des Vormittags zur Poststelle gebracht werden müsse. Sie werde dann zwischen 12:00 Uhr und 13:00 Uhr von der Post abgeholt. Die den Vorgang bearbeitende Mitarbeiterin habe die Einspruchsentscheidungen um 7:05 und 7:33 Uhr am 06. Juni 2008 ausgedruckt und im Laufe des Vormittags zur Post gebracht. Sie sei an diesem Tag gegen 13:00 Uhr gegangen. Deshalb sei von einer Postaufgabe am 06. Juni 2008 auszugehen.

Das Verfahren wurde durch Beschluss des Senats vom 05. Mai 2009 der Berichterstatterin zur Entscheidung als Einzelrichterin übertragen.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Gründe

Die Klage ist unzulässig.

1. Die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) konnte nicht widerlegt werden.

Die Frist für die Erhebung einer Anfechtungsklage beträgt gem. § 47 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) einen Monat und beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf. Bei Übermittlung der Einspruchsentscheidung durch die Post gilt die Entscheidung gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekanntgegeben, außer sie ist nicht oder an einem späteren Tag zugegangen. Grundsätzlich hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zuganges nachzuweisen. Bestreitet der Empfänger den Verwaltungsakt innerhalb der Dreitagesfrist erhalten zu haben, so hat er substantiiert Tatsachen vorzutragen, die schlüssig auf einen späteren Zugang hindeuten und damit Zweifel an der Zugangsvermutung begründen (Beschluss des BFH vom 08. Februar 1996 III R 127/93, BFH/NV 1996, 850 m.w.N.; Urteil des BFH vom 17. Juni 1997 IX R 79/95, BFH/NV 1997, 828; Klein-Brockmeyer Kommentar zur AO, § 122, Rn. 53ff). Ein abweichender Eingangsvermerk reicht zur Begründung von Zweifeln nicht aus (Beschluss des BFH vom 30. November 2006 XI B 13/06, BFH/NV 2007, 389 m.w.N.). Bei überlangem Postlauf sind die Steuerpflichtigen verpflichtet Beweisvorsorge zu treffen (Beschluss des BFH vom 16. Mai 2007 V B 169/06, BFH/NV 2007, 1454).

Ausweislich des Akteninhaltes (paraphierter Postaufgabevermerk) wurde die Einspruchsentscheidung am 06. Juni 2008 zur Post gegeben. Anhaltspunkte für das Gegenteil liegen nicht vor. Die Schilderung des Beklagtenvertreters wegen der Aufgabe zur Post ist plausibel. Die Entscheidung wurde frühmorgens ausgedruckt. Es wurde auch glaubhaft dargelegt, dass sie rechtzeitig in die Poststelle des Finanzamts gelangt ist. Ein privater Anbieter wurde nicht benutzt. Deshalb geht das Gericht davon aus, dass der Einspruchsbescheid am 06. Juni 2008 in den Postlauf gelangt ist. Der Kläger selbst hat keine konkreten Angaben dazu gemacht wie er sich den längeren Postlauf erklärt. Seine Vermutung der Zustellung mit der citipost konnte nicht durch Vorlage eines Briefumschlages untermauert werden. Es wurde glaubhaft versichert, dass kein privater Anbieter eingeschaltet wurde. Der Beklagtenvertreter kennt die Abläufe im Finanzamt aufgrund seiner langjährigen Zugehörigkeit zu diesem genau.

Die Rechtsbehelfsbelehrung entspricht dem Wortlaut des § 122 Abs. 2 AO. Sie war insoweit nicht missverständlich. Aus ihr geht die Bekanntgabefiktion eindeutig hervor. Eine mögliche „fehlerhafte Interpretation” oder Unkenntnis der steuerlichen Besonderheiten, wäre im Rahmen eines Widereinsetzungsantrags geltend zu machen gewesen.

Die Regelung des § 122 Abs. 2 AO und die hierzu ergangene Rechtsprechung gilt – auch soweit sie nicht explizit zitiert wurde – für nicht vertretene Steuerpflichtige genauso wie für deren berufsmäßige Vertreter. Aus dem Wortlaut der Regelung lässt sich keine Differenzierung entnehmen. Ein sachlicher Grund hierfür ist nicht ersichtlich, insbesondere nicht, wenn eine Differenzierung dazu führen würde, dass nicht vertretene Steuerpflichtige höheren Anforderungen unterlägen als ihre berufsmäßigen Vertreter. Ansatzpunkte für eine andere Auffassung sind weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur erkennbar. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift kommt diese nach der Auffassung des Gerichts deshalb auch im vorliegenden Verfahren in ihrer Ausgestaltung durch die Rechtsprechung des BFH und der Finanzgerichte uneingeschränkt zur Anwendung.

Demnach ist davon auszugehen, dass die Entscheidung gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am 09. Juni 2008, einem Montag, bekannt gegeben wurde. Unerheblich ist es auch, dass ein Wochenende zwischen der Aufgabe zur Post und der Bekanntgabe liegt. Regelmäßig werden Schriftstücke durch die Post innerorts binnen 1 Tag zugestellt. Die Post wird zudem regelmäßig auch am Samstag ausgetragen. Der Montag 09. Juni war somit der zweite „Postaustragstag”. Dies stellt keine Verkürzung dar.

Danach endete die Klagefrist am Mittwoch, den 09. Juli 2008. Da die Klage per Fax jedoch erst am 10. Juli 2008 bei Gericht eingegangen ist, ist sie um einen Tag verspätet.

2. Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist gem. § 56 FGO kann nicht gewährt werden.

aa. War jemand ohne Verschulden verhindert eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und in dieser Zeit ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 FGO). Ein Verschulden des Bevollmächtigten müssen sich Steuerpflichtige wie eigenes Verschulden zurechnen lassen. Erforderlich ist binnen der Zweiwochenfrist eine vollständige Darlegung der Ereignisse, die zur Fristversäumnis geführt haben und welche die unverschuldete Säumnis belegen sollen (Urteil des BFH vom 23. April 1998 X R 83/97, BFH/NV 1998, 1493; Beschluss des BFH vom 18. Februar 2000 I B 136/99, BFH/NV 2000, 1108).

Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird bereits durch einfache Fahrlässigkeit ausgeschlossen (Urteil des BFH vom 09. Oktober 1998 III R 20/98, BFH/NV 1999, 499).

bb. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

Bei der Klagefrist handelt es sich um eine gesetzliche Frist in o.g. Sinne. Sie beträgt gem. § 47 Abs. 1 FGO einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung. Diese wurde am 09. Juni 2008, einem Montag, bekannt gegeben, so dass die Klagefrist mit Ablauf des 09. Juli 2008 (Mittwoch) endete. Da die Klage bei Gericht erst am 10. Juli 2008 eingegangen ist, wurde die Klagefrist versäumt.

Es wurde nicht zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht, dass der Kläger die Klagefrist schuldlos versäumt hat.

Trotz wiederholten Hinweises auf die Fristversäumnis hat der Kläger keinerlei Gründe dargelegt, die seine Säumnis bzw. eine Säumnis des Klägervertreters entschuldigen könnte. Da es erforderlich ist, die Gründe binnen zwei Wochen darzulegen und ein Verschulden eines Klägervertreters den Steuerpflichtigen zuzurechnen ist, kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 56 FGO gewährt werden. Der Kläger hat vielmehr vorgetragen, dass die Klage rechtzeitig eingereicht wurde, da auf die von seinem Anwalt bescheinigte Bekanntgabe am 10. Juni 2008 abzustellen sei. Dies ist jedoch nicht der Fall wie oben unter 1. ausgeführt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

VorschriftenAO § 122 Abs. 2 Nr. 1

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