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01.10.2010 · IWW-Abrufnummer 103162

Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 02.03.2010 – 16 K 381/09

1. Die sog. Kleinbetragsverordnung ist rechtswidrig, soweit sie Änderungen zum Vorteil des Stpfl. ausschließt. Die Regelung überschreitet die natürlichen Grenzen des Wortlauts der Ermächtigungsgrundlage in § 156 Abs. 1 AO.



2. Die Heraufsetzung des Höchstbetrags der Steuerermäßigung gemäß § 35a EStG ist erst mit Wirkung ab VZ 2009 erfolgt. Das folgt aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes, insbesondere aus der Anwendungsregelung in § 52 Abs. 50b Satz 5 EStG.


Niedersächsisches Finanzgericht v. 02.03.2010

16 K 381/09

Tatbestand
Streitig ist die Frage, ob für die Steuerermäßigung für Handwerkerleistungen im Sinne des § 35a EStG schon ab 2008 ein Höchstbetrag von 1.200,- € zur Anwendung kommt und ob höhere Sonderausgaben für steuerbegünstigte Zwecke zu berücksichtigen sind.

Die Kläger sind verheiratet und werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. In ihrer Einkommensteuererklärung für 2008 machten sie Zuwendungen für Steuerbegünstigte Zwecke gem. § 10 b EStG in Höhe von 145,- € sowie die Steuerermäßigung gem. § 35a EStG für Handwerkerleistungen in Höhe von 3.483,- € geltend. Die Zuwendungen für steuerbegünstigte Zwecke setzten sich laut Erklärung wie folgt zusammen: Spende an den TSV B.: 100,- €, Spende der Klägerin an den Feuerwehrverein B. : 30,- €, drei Spenden von jeweils 5,- € an SOS Kinderdorf, DRK, Blindensammlung.

Der Einkommensteuererklärung war eine Bescheinigung über die Spende an den TSV B. beigefügt, nicht aber ein Beleg über die übrigen Spenden im Volumen von 45,- €. Zwischen den Verfahrensbeteiligten ist unstreitig, dass die Kläger die Voraussetzungen für den Abzug der Steuerermäßigung für Handwerkerleistungen dem Grunde nach dargetan haben.

Der Beklagte ging davon aus, dass zur Steuerermäßigung nach § 35a EStG berechtigende Handwerkerleistungen in Höhe von 3.435,- € vorgelegen hätten. Deshalb berücksichtigte er im Einkommensteuerbescheid 2008 vom 22. Juni 2009 die Steuerermäßigung für Handwerkerleistungen mit dem – seiner Auffassung nach – gesetzlichen Höchstbetrag von 600,- €. Bei den Sonderausgaben ließ der Beklagte lediglich einen Betrag von 100,- € zum Abzug zu, weil für die weiteren Spenden keine Zuwendungsbescheinigung vorgelegt worden sei.

Am 21. Juli 2009 ging beim Beklagten ein Schreiben der Kläger vom 18. Juli 2009 ein, das wie folgt lautet:

„Beigefügt erhalten Sie eine Zuwendungsbestätigung mit der Bitte um schlichte Änderung. Weiterhin legen wir vorsorglich Einspruch ein. Die Begründung reichen wird nach.” Beigefügt war eine Zuwendungsbestätigung des Feuerwehrvereins B., die allerdings nicht dem amtlichen Muster entsprach. Da die angekündigte weitere Einspruchsbegründung nicht einging, erließ der Beklagte am 24. September 2009 einen als „Einspruchsbescheid” überschriebenen Bescheid mit folgendem Entscheidungstenor: „Entscheidung über den Einspruch vom 21. Juli 2009 der Herrn und Frau G. und B. M.: Der Antrag auf eine Änderung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO wird abgelehnt. Im Übrigen wird der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.” Begründet hat der Beklagte seine Entscheidung damit, dass die nachgereichte Zuwendungsbestätigung zu einer Änderung der Steuerfestsetzung von weniger als 10,- € führe und deshalb nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Kleinbetragsverordnung unterbleibe.

Mit ihrer dagegen gerichteten Klage begehren die Kläger weiterhin, die nicht anerkannten Spenden in Höhe von 45,- € zu berücksichtigen. Für die Spende an den Feuerwehrverein B. haben die Kläger eine weitere Zuwendungsbescheinigung eingereicht, die nunmehr dem amtlichen Vordruck entspricht. Die Kläger räumen ein, dass es sich bei den drei Spenden zu je 5,- € um an der Haustür gegebene Barspenden handele, für die sie über keine Zuwendungsbescheinigung – und auch keinen anderen Nachweis - verfügten. Die Kleinbetragsverordnung stehe einer Änderung des Bescheides nicht entgegen, weil der Beklagte die Spenden von vornherein hätte anerkennen können.

Daneben sei eine höhere Steuerermäßigung nach § 35a EStG anzusetzen. Sie verweisen auf eine in der Literatur vertretene Rechtsmeinung, wonach die Erhöhung des Förderhöchstbetrages von 600,- € auf 1.200,- € durch das Gesetz zur Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung vom 21. Dezember 2008 infolge einer Gesetzgebungspanne bereits in 2008 und nicht – wie vom Gesetzgeber beabsichtigt – erst 2009 in Kraft getreten sei. Da die Kläger in 2008 noch weitere – von ihnen allerdings nicht belegte – Aufwendungen getragen hätten (TÜV Nord: 110,79 €, Schornsteinfeger: 52,55 €), würde sich die die Bemessungsgrundlage der Steuerermäßigung auf 3.597,84 € belaufen. Die Steuerermäßigung betrage somit 719,- €.

Schließlich verwiesen die Kläger auf ein Verfahren betreffend die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags. Dieser Streitpunkt hat sich allerdings zwischenzeitlich dadurch einvernehmlich erledigt, dass der Beklagte mit Datum vom 14. Januar 2010 einen Vorläufigkeitskeitsvermerk bezüglich der Frage der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags in den Einkommensteuerbescheid 2008 aufgenommen hat.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 2008 vom 22. Juni 2009 in der Gestalt vom 14. Januar 2010 und der Einspruchsentscheidung vom 24. September 2009 dahingehend abzuändern, dass weitere Zuwendungen für steuerbegünstigte Zwecke in Höhe von 45,- € sowie eine zusätzliche Steuerermäßigung für Handwerkerleistungen in Höhe von 119,- € berücksichtigt und die Einkommensteuer 2008 entsprechend niedriger festgesetzt wird.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte verweist hinsichtlich der Steuerermäßigungen für Handwerkerleistungen auf § 52 Abs. 50 b Satz 4 EStG, wonach § 35a EStG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung steuerrechtlicher Regelungen des Maßnahmepakets „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung” vom 21. Dezember 2008 erstmals auf Aufwendungen anzuwenden sei, die im Veranlagungszeitraum 2009 geleistet werden. Dies entspreche auch dem in den Gesetzesbegründungen dokumentierten Willen des Gesetzgebers.

Die drei Kleinspenden könnten mangels Nachweises nicht abgezogen werden. Für die Spende an den TSV B. hat der Beklagte zunächst darauf hingewiesen, dass der Abzug daran scheitere, dass die Zuwendungsbescheinigung nicht entsprechend dem amtlichen Vordruck ausgestellt sei. Nach Vorlage der neuen Zuwendungsbescheinigung beruft er sich wieder darauf, dass die Kleinbetragsverordnung einer Änderung entgegenstehe.



Gründe
Die Klage ist teilweise begründet.

Es ist eine weitere Spende in Höhe von 30,- € als steuerbegünstigte Zuwendung zu berücksichtigen. Dadurch mindert sich die Steuerfestsetzung um 8,- €. Weitergehend hat die Klage keinen Erfolg.

1. Das Schreiben der Kläger vom 18. Juli 2009 ist als Einspruch, der Bescheid des Beklagten vom 24. September 2009 als Einspruchsentscheidung auszulegen. Zwar haben die Kläger in ihrem Schreiben beantragt, eine „schlichte Änderung” vorzunehmen, was an sich als Änderungsantrag im Sinne des § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a) AO zu verstehen ist. Sie haben aber gleichzeitig erklärt, vorsorglich Einspruch einzulegen. Beide Rechtsschutzwege stehen dem Steuerpflichtigen alternativ, aber nicht kumulativ offen. Hat der Steuerpflichtige sich für den Rechtsbehelf des Einspruchs entschieden, so überlagert dieser förmliche Rechtsbehelf einen daneben gestellten Antrag auf schlichte Änderung des Bescheids, weil der Einspruch die Rechts des Steuerpflichtigen umfassender und wirkungsvoller wahrt als der Antrag auf schlichte Änderung (BFH Urteil vom 27. September 1994 VIII R 36/89, BStBl. II BStBl 1989 II S. 1995, BStBl 1989 II S. 353). Ist damit das Schreiben der Kläger als Einspruch zu werten, so hat der Beklagte darüber – wie sich auch aus dem Bescheidkopf ergibt – trotz der widersprüchlichen Tenorierung durch Einspruchsbescheid entschieden.

2. Steuerermäßigung für Handwerkerleistungen

Die Klage ist unbegründet, soweit die Kläger begehren, über die bereits berücksichtigten 600,- € Steuerermäßigung für Handwerkerleistungen hinaus eine weitere Steuerermäßigung von 119,- € in Ansatz zu bringen.

Entgegen der Ansicht der Kläger ist der Höchstbetrag für die Steuerermäßigung für den Veranlagungszeitraum 2008 noch nicht auf 1.200,- € erhöht worden. Die insoweit gegenteilige Rechtsauffassung, die teilweise in der Literatur vertreten wird (Czisz/Krause, DStR 2009, 1518; möglicherweise ebenso Littmann/Bitz/Pust-Barein § 35a Rz. 2), ist unzutreffend.

Nach Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Umsetzung steuerrechtlicher Regelungen des Maßnahmepaketes „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung” vom 21. Dezember 2008 ( BGBl 2008 I S. 2896) wird in § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG die Zahl „600” durch die Zahl „1.200” ersetzt. Gem. Art. 4 des Gesetzes tritt Art. 1 Nr. 3 am Tage nach der Verkündung in Kraft. Das Gesetz wurde am 21. Dezember 2008 durch den Bundespräsidenten ausgefertigt mit der Schlussformel „Das vorstehende Gesetz wird hiermit ausgefertigt. Es ist im Bundesgesetzblatt zu verkünden.” Verkündet wurde das Gesetz im Bundesgesetzblatt vom 29. Dezember 2008. Infolgedessen ist die geänderte Fassung des § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG am 30. Dezember 2008 in Kraft getreten.

Art. 1 des Gesetzes zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen vom 22. Dezember 2008 (BGl- I 2008, 2955) lautet: „Das Einkommensteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Oktober 2002 (BGBl. I, S. 4210; 2003, S. 179), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2008 ( BGBl 2008 I S. 2896), wird wie folgt geändert:…18. § 52 wird wie folgt geändert:…f) dem Absatz 50 b wird folgender Satz angefügt: „§ 35a in der Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 2008 ( BGBl 2008 I S. 2955) ist erstmals für im Veranlagungszeitraum 2009 geleistete Aufwendungen anzuwenden, soweit die den Aufwendungen zugrunde liegenden Leistungen nach dem 31. Dezember 2008 erbracht worden sind.” Das Gesetz tritt nach Art. 9 Abs. 1 am 1. Januar 2009 in Kraft. Auch das Gesetz zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen ist am 29. Dezember 2008 im Bundesgesetzblatt verkündet worden.

Daraus folgt, dass das Einkommensteuergesetz bereits vor Inkrafttreten der Erhöhung des Förderhöchstbetrages am 30. Dezember 2008 erneut geändert und um die Anwendungsregelung des § 52 Abs. 50 b Satz 5 EStG ergänzt wurde, d.h. am 30. Dezember 2008 enthielt das Einkommensteuergesetz eine – wenngleich noch nicht in Kraft getretene – Bestimmung, wonach die geänderte Gesetzesfassung des § 35 a Abs. 2 Satz 2 EStG erstmals im Veranlagungszeitraum 2009 zur Anwendung kommt; gleichzeitig sollte nach der Regelung des Art. 4 des Gesetzes zur Umsetzung steuerrechtlicher Regelungen des Maßnahmepaketes „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung” die Erhöhung des Förderbetrages am 30. Dezember 2008 in Kraft tritt. Dieser Widerspruch ist nach den allgemeinen Grundsätzen über die Gesetzeskonkurrenz aufzulösen. Insoweit gilt der Grundsatz des „lex posterior derogat legi priori”, d.h. das spätere Gesetz verdrängt die früheren Gesetze. Auf den Streitfall bezogen bedeutet dies, dass der Gesetzgeber die Regelung des Art. 4 des Gesetzes zur Umsetzung steuerrechtlicher Regelungen des Maßnahmepaketes „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung” vom 21. Dezember 2008 bereits am 22. Dezember 2008 dadurch wieder aufgehoben hat, dass er eine andere Regelung über die Geltungsanordnung der geänderten Fassung des § 35a Abs. 2 Satz 2 EStG in das Einkommensteuergesetz aufgenommen hat. Bestätigt wird das Auslegungsergebnis im übrigen auch durch die Materialien zur Gesetzesentstehung, aus denen sich eindeutig ergibt, dass der Gesetzgeber den Förderhöchstbetrag erst mit Wirkung ab 2009 erhöhen wollte (Entwurf des Gesetzes zur Umsetzung steuerrechtlicher Regelungen des Maßnahmepakets „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung”, Bundestags-Drucksache 16/10930). Insoweit wird auf die sich mit der Entstehungsgeschichte des Gesetzes im Detail beschäftigenden Entscheidungen der Finanzgerichte Münster (Beschluss vom 14. Dezember 2009 10 V 4132/09 E, juris) und Rheinland-Pfalz (Urteil vom 26. Januar 2010 3 K 2002/09, juris) verwiesen, die zum gleichen Ergebnis wie das erkennende Gericht kommen (ebenso auch Hermann/Heuer/Raupach-Apitz, § 35a Rz. 2; Blümich-Erhard, § 35a Rz. 1).

3. Spenden

a) Die Spende an den Feuerwehrverein B. ist steuermindernd zu berücksichtigen. Nach § 10 b Abs. 1 EStG können Zuwendungen zur Förderung steuerbegünstigter Zwecke im Sinne der §§ 52 bis 54 AO an eine inländische juristische Person des öffentlichen Rechts oder an eine nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG steuerbefreite Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse insgesamt bis zu 20 v.H. des Gesamtbetrags der Einkünfte als Sonderausgaben abgezogen werden. Zuwendungen im Sinne des § 10 b EStG dürfen nach § 50 Abs. 1 EStDV nur abgezogen werden, wenn sie durch eine Zuwendungsbestätigung nachgewiesen werden, die der Empfänger der Spende nach amtlich vorgeschriebenen Vordruck ausgefüllt hat.

Mit der im Klageverfahren nachgereichten Spendenbescheinigung liegt nunmehr – dies wird auch vom Beklagten nicht mehr in Frage gestellt – eine dem amtlichen Vordruck entsprechende Zuwendungsbescheinigung vor. Dass die übrigen Voraussetzungen des § 10 b EStG für den Abzug der Spende als Sonderausgabe erfüllt sind, ist zwischen den Verfahrensbeteiligten nicht streitig.

b) Soweit die Kläger begehren, weitere 15,- € für Kleinspenden zum Abzug zuzulassen, kann dem nicht gefolgt werden. Denn für diese drei weiteren Spenden zu je 5,- € liegt nicht nur keine Zuwendungsbescheinigung nach amtlichen Vordruck, sondern überhaupt kein Beleg vor. Dies geht zum Nachteil der Kläger, die die Feststellungslast für den Nachweis steuermindernder Tatsachen tragen.

c) Entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten steht die Kleinbetragsverordnung der Berücksichtigung der Spende an den Feuerwehrverein B. nicht entgegen.

Allerdings kann im Streitfall nach der für das Streitjahr 2008 geltenden Fassung der Kleinbetragsverordnung der Einkommensteuerbescheid 2008 nicht zugunsten der Kläger geändert werden. Gem. § 1 Abs. 1 der Kleinbetragsverordnung in der Fassung des Gesetzes zur Umrechnung und Glättung steuerlicher Euro-Beträge vom 19. Dezember 2000 ( BGBl 2000 I S. 1790(1805)), der gem. Art. 38 Abs. 1 dieses Gesetzes am 1. Januar 2002 in Kraft getreten ist, werden Festsetzungen der Einkommensteuer nur geändert oder berichtigt, wenn die Abweichung von der bisherigen Festsetzung mindestens 10 Euro beträgt. Die Berücksichtigung der Spende an den Feuerwehrverein B. von 30,- € führt demgegenüber nur zu einer um lediglich 8,- € niedrigeren tariflichen Einkommensteuer, d.h. der Grenzbetrag der Kleinbetragsverordnung für eine Berichtigung der Steuerfestsetzung wird nicht erreicht. Insoweit hat der Verordnungsgeber die maßgebliche Regelung der Kleinbetragsverordnung mit Wirkung ab dem 1. Januar 2002 geändert. Während nach § 1 Abs. 1 der Kleinbetragsverordnung vom 10. Dezember 1980 ( BGBl 1980 I S. 2255) Festsetzungen der Einkommensteuer zum Nachteil der des Steuerpflichtigen nur dann geändert oder berichtigt wurden, wenn die Abweichung von der bisherigen Festsetzung oder von dem bisherigen Erstattungsbetrag mindestens 20 Deutsche Mark betrug oder der Steuerpflichtige die Änderung oder Berichtigung beantragt hat, schließt die Neufassung des § 1 Abs. 1 Kleinbetragsverordnung auch Änderungen zum Vorteil des Steuerpflichtigen aus (Hübschmann/Hepp/Spitaler-Trzaskalik, Kommentar zur AO, § 156 AO Rz. 6; Tipke/Kruse, Kommentar zur AO, § 156 Rz. 8).

Allerdings hält sich § 1 Abs. 1 der Kleinbetragsverordnung nach Auffassung des Gerichts nicht in den Grenzen der Ermächtigungsgrundlage, soweit sie Änderungen zugunsten des Steuerpflichtigen ausschließt, ist insoweit rechtswidrig und nicht anzuwenden. Gem. Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen im Gesetz bestimmt werden. Die aufgrund der Ermächtigungsgrundlage ergangene Rechtsverordnung muss ihrerseits Inhalt und Grenzen der Ermächtigung beachten.

Ermächtigungsgrundlage der Kleinbetragsverordnung ist § 156 Abs. 1 AO. Nach dieser Rechtsnorm kann der Bundesminister der Finanzen zur Vereinfachung der Verwaltung durch Rechtsverordnung bestimmen, dass Steuern und steuerliche Nebenleistungen nicht festgesetzt werden, wenn der Betrag, der festzusetzen ist, einen durch diese Rechtsverordnung zu bestimmenden Betrag voraussichtlich nicht übersteigt; der zu bestimmende Betrag darf 10,- € nicht überschreiten. § 156 Abs. 1 AO wird allgemein nicht etwa dahingehend ausgelegt, dass allein eine Steuerfestsetzung in der Spanne zwischen 0,- und 10,- € unterbleibt, sondern so verstanden, dass bei einer Änderung der Steuerfestsetzung das Änderungsvolumen mindestens 10,- € betragen muss (Hübschmann/Hepp/Spitaler-Trzaskalik, Kommentar zur AO, § 156 Rz. 7; Tipke/Kruse-Seer, Kommentar zur AO § 156 AO Rz. 7). Ist § 156 AO aber in diesem Sinne zu verstehen, dann kann mit der Formulierung „Steuern … werden nicht festgesetzt” und „Betrag, der festzusetzen ist” nur eine positive, zusätzliche Steuerfestsetzung gemeint sein, d.h. eine Änderung der Steuerfestsetzung zum Nachteil des Steuerpflichtigen. Indem die Kleinbetragsverordnung in ihrer gegenwärtigen Gestalt auch Änderungen zugunsten des Steuerpflichtigen ausschließt und damit Nichtfestsetzungen von Steuern mit Steuerfestsetzungen gleichsetzt, überschreitet sie die natürlichen Grenzen des Wortlauts der Ermächtigungsgrundlage und ist von ihr infolgedessen nicht gedeckt.

Das Gericht ist befugt, die Rechtsmäßigkeit der Kleinbetragsverordnung in ihrer gegenwärtigen Fassung zu prüfen. Zwar ist die Änderung der Kleinbetragsverordnung in Gestalt eines förmlichen Gesetzes – des Gesetzes zur Umrechnung und Glättung steuerlicher Euro-Beträge – erfolgt. Damit hat die Kleinbetragsverordnung jedoch nicht Gesetzesrang erlangt mit der Konsequenz, dass dem Gericht die Kontrolle der Einhaltung von Inhalt und Grenzen der Ermächtigung entzogen ist. Vielmehr stehen die im Verfahren förmlicher Gesetzgebung in eine Verordnung eingefügten Teile der abermaligen Änderung durch die Exekutive offen, die dabei allein an die Ermächtigungsgrundlage gebunden ist. Dies folgt daraus, dass es sich bei diesem Recht im Ergebnis um Recht im Range einer Verordnung handelt. Die Ermächtigung der Exekutive, den betreffenden Gegenstand selbst zu regeln, wird durch den Gesetzgeber nicht aufgehoben oder ausgesetzt (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. September 2005 2 BvF 2/03, BVerfGE 114, 196).

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 136 Abs. 1 FGO

5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

6. Das Gericht lässt die Revision gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu im Hinblick auf die Frage, ob die Kleinbetragsverordnung eine Änderung der Steuerfestsetzung zugunsten des Steuerpflichtigen ausschließt.

RechtsgebieteEStG, KBVO, AOVorschriftenEStG § 35a EStG § 52 Abs. 50b Satz 5 KBVO § 1 Abs. 1 AO § 156 Abs. 1

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