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27.08.2010 · IWW-Abrufnummer 102504

Landgericht Münster: Urteil vom 24.09.2009 – 15 O 275/09

Bei Führen eines Kraftfahrzeugs im alkoholbedingten Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit ist in der Kaskoversicherung eine Leistungskürzung nach § 81 VVG auf "Null" gerechtfertigt.


Landgericht Münster
015 O 275/09

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

T a t b e s t a n d :
Der Kläger nimmt die Beklagte als Kaskoversicherer nach einem Verkehrsunfall vom 24.12.2008 auf Versicherungsleistungen in Anspruch.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit dem 01.01.2007 für einen Pkw N eine Kraftfahrtversicherung mit Vollkasko (500,00 € Selbstbeteiligung) und Teilkasko (150,00 € Selbstbeteiligung), Versicherungsschein vom 11.01.2007, Bl. 25 – 26 d.A). Nach dem Inhalt des Versicherungsscheins war im Jahr 2008 noch die Geltung der AKB alter Fassung vereinbart (Bl. 33 - 40 d.A.), die Beklagte hat sich gegenüber dem Kläger bereit erklärt, dass sie sich aufgrund einer "Selbstbindung" durch die kulanzweise Behandlung von Altfällen nicht auf völlige Leistungsfreiheit bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls gemäß §§ 2d b) 3.Alt., 3 AKB a.F. berufen wolle, sondern Leistungsfreiheit gemäß § 81 Abs. 2 VVG n.F. geltend machen wolle.
Eigenverantwortlicher Nutzer des versicherten Fahrzeugs war der Sohn des Klägers, der 25 Jahre alte C. Dieser war mit dem versicherten Fahrzeug unterwegs und hatte nach Arbeitsschluss am 23.12.2008 gegen Mitternacht ein Lokal im Zentrum von B aufgesucht, in dem seine Arbeitskollegen feierten. Bis gegen 5 Uhr morgens trank er dort Alkohol, eine ihm um 6.50 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,67 ‰.
Nach Verlassen der Feier machte sich der Sohn des Klägers mit dem Pkw N auf den Heimweg. Auf der L ### zwischen B und U fuhr er im Bereich einer langgezogenen Linkskurve geradeaus weiter und landete schließlich im Graben. Gegenüber den herbeigerufenen Polizeibeamten gab er an, plötzlich Herzrasen bekommen zu haben.
An dem Fahrzeug entstand Totalschaden, der Wiederbeschaffungswert betrug 12.950,00 €, der Restwert 110,00 €.
Der Kläger verlangt Ersatz der Hälfte des nach Abzug der Selbstbeteiligung verbleibenden Fahrzeugschadens in Höhe von 12.340,00 €, nämlich 6.170,00 €.
Die Beklagte lehnte Versicherungsleistungen ab mit der Begründung, der Sohn des Klägers habe den Versicherungsfall durch Führen des Kraftfahrzeugs im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit grob fahrlässig herbeigeführt.
Der Kläger behauptet, der genossene Alkohol sei nicht die alleinige Ursache für das Abkommen seines Sohnes von der Fahrbahn. Sein Sohn habe sich in der Lage gefühlt, das Fahrzeug sicher nach Hause zu führen und hätte dies auch geschafft, wenn nicht ein plötzliches Unwohlsein in Form von Herzrasen aufgetreten wäre.
Der Kläger beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, an ihn 6.170,00 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskont-Überleitungsgesetzes vom 09.06.1998 seit dem 15.05.2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beruft sich auf Leistungsfreiheit auch nach § 81 Abs. 2 VVG n.F.. Sie ist der Ansicht, bei Führen eines Kraftfahrzeugs im alkoholbedingten Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit sei ein derart schweres Verschulden gegeben, dass eine Kürzung des Leistungsanspruchs auf "0" gerechtfertigt sei.
Die Beklagte bestreitet, dass bei dem Sohn des Klägers plötzliches Herzrasen aufgetreten sei und behauptet, selbst wenn dieses tatsächlich aufgetreten wäre, wäre es eine Folge des vorangegangenen Alkoholkonsums gewesen.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen sowie auf die beigezogenen Akten ##### StA Münster, mit deren beweismäßiger Verwertung sich die Parteien einverstanden erklärt haben.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist nicht begründet.
Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung einer Vollkaskoentschädigung zu, da die
Beklagte wegen grob fahrlässigen Herbeiführens des Versicherungsfalls vollständig leistungsfrei geworden ist.
Die Beklagte beruft sich zu Recht auf eine vollständige Leistungsfreiheit gemäß § 81 Abs. 2 VVG n.F. . Da diese Regelung grundsätzlich gegenüber der früheren Regelung des § 61 VVG a.F. für den Kläger günstiger ist, kann die Neuregelung Anwendung finden.
Die Voraussetzungen für eine Anspruchskürzung liegen vor. Der Sohn des Klägers hat als Repräsentant des Versicherungsnehmers den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt. Der Sohn des Klägers war unstreitig zur vollständigen Nutzung des Fahrzeugs berechtigt und damit befugt, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln (Risikoverwaltung). Damit war er Repräsentant des Klägers, so dass eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles dem Kläger als Versicherungsnehmer zuzurechnen ist.
Unstreitig hat der Sohn des Klägers mit einer BAK von mindestens 1,67 ‰ das Fahrzeug geführt und dabei den Verkehrsunfall verursacht hat.
Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass der Vorwurf grober Fahrlässigkeit begründet ist, wenn der Versicherungsnehmer oder sein Repräsentant im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit, also mit einem Blutalkoholgehalt von über 1,1 ‰, ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr führt. Ein solches Verhalten ist als ein besonders schwerer, grober Verstoß gegen die einen Kraftfahrer treffenden Verkehrspflichten zu werten, der zu den schwersten Verkehrsverstößen überhaupt gehört. Es ist ausgeschlossen, dass ein alkoholisierter Kraftfahrer mit einem höheren Wert als 1,1 ‰ selbst bei besonderer Fahrbefähigung oder Alkoholverträglichkeit noch in der Lage ist, sein Fahrzeug in einer den alltäglichen Anforderungen des Straßenverkehrs genügenden Weise zu beherrschen (vgl. Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl. 2004, § 12 AKB Rn. 102 m.w.N.). Von der absoluten Fahruntüchtigkeit des Sohnes des Klägers zum Unfallzeitpunkt ist vorliegend auszugehen, denn bei ihm wurde im Zuge der polizeilichen Unfallaufnahme um 6.50 Uhr ein Blutalkoholwert von 1,67 ‰ festgestellt (Untersuchungsbefund des Instituts für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums N1 vom 05.01.2009, Bl. 25 der Beiakte).
Auch subjektiv ist der Vorwurf grober Fahrlässigkeit gerechtfertigt. Die Einsicht, dass man sich unter starker Alkoholeinwirkung nicht an das Steuer eines Kraftfahrzeugs setzen darf, weil das Fahren in fahruntüchtigem Zustand andere Verkehrsteilnehmer, den Fahrer selbst und das Fahrzeug einer unverantwortlichen Gefährdung aussetzt, ist heute derart bekannt, dass die Hemmschwelle für ein Fahren trotz alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit erheblich heraufgesetzt ist. Derjenige, der dies aus mangelnder Einsicht außer Acht lässt, muss sich dies in aller Regel als grobes Verschulden zurechnen lassen. Dass für den Sohn des Klägers, der insbesondere Kenntnis davon hatte, in welchem Zeitraum er welche Mengen an Alkohol konsumiert hatte, seine Fahruntüchtigkeit etwa nicht erkennbar gewesen sein könnte, ist nicht ersichtlich.
Für den Kausalzusammenhang zwischen der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit und dem Unfall spricht der Beweis des ersten Anscheins (vgl. Prölss/Martin, a.a.O.). Dieser Anscheinsbeweis ist im vorliegenden Fall nicht erschüttert, denn dem Kläger ist es bereits nicht gelungen, die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Verlaufs in der Form darzulegen, dass der Unfall unabhängig von einer absoluten Fahruntüchtigkeit seines Sohnes eingetreten wäre. Erforderlich zur Widerlegung des Anscheinsbeweises sind der Vortrag und der Nachweis von Umständen, aus denen sich die ernsthafte und nicht nur theoretische Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes ergibt, den auch ein nicht alkoholisierter Fahrer nicht gemeistert hätte.
Umstände, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines solchen anderen Geschehensablaufes ergibt, hat der Kläger nicht dargelegt, er behauptet lediglich, dass die absolute Fahruntüchtigkeit seines Sohnes nicht die alleinige Ursache des Unfalls sei. Selbst wenn ein plötzlich bei seinem Sohn aufgetretenes Herzrasen zu Gunsten des Klägers als wahr unterstellt wird, ist nicht nachvollziehbar, warum es einem nüchternen Fahrer bei angepasster Geschwindigkeit nicht gelungen wäre, das Fahrzeug zum Stillstand zu bringen und ein Geradeausfahren in einer Kurve zu vermeiden.
Gemäß § 81 Abs. 2 VVG ist die Beklagte somit aufgrund des Vorliegens der groben Fahrlässigkeit berechtigt, ihre Leistungen in einem der Schwere des Verschuldens des Sohnes des Klägers entsprechenden Verhältnis zu kürzen.
Wie und nach welchen Maßstäben die hiernach gebotene Quotenbildung zu erfolgen hat, ist bislang in der Rechtsprechung noch nicht behandelt worden. In der Literatur werden hierfür verschiedene Modelle vorgeschlagen.
Die Kammer hält es (wie im Urteil der Kammer vom 20.08.2009, Az. 15 O 141/09, bereits näher dargelegt) für sachgerecht, von einem Standard-Einstiegswert abzusehen und die Bemessung der Quote nach den besonderen Umständen des Einzelfalls entsprechend ohne starre Vorgaben vorzunehmen. Um dabei allerdings ein zu großes Auseinanderklaffen etwaiger Entscheidungen zu verhindern, hält es die Kammer für sinnvoll und geboten, einzelne Quotenstufen festzulegen, innerhalb derer dann die Bemessung zu erfolgen hat. So ist nach der Auffassung der Kammer ein Quotenmodell mit den einzelnen Quotenstufen 0,25, 50, 75 und 100 Prozent sinnvoll und sachgerecht, innerhalb dieser Stufen ist dann jeweils unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die Quote nach dem Grad des Verschuldens zu bemessen.
Die Kammer ist im vorliegenden Fall der Auffassung, dass die Schwere des hier maßgeblichen Verstoßes so groß ist, dass eine völlige Leistungsfreiheit angemessen ist. Selbst wenn das von Klägerseite behauptete Herzrasen vor dem Unfall tatsächlich aufgetreten sein sollte, ist die in dem Führen des Fahrzeugs mit 1,67 ‰ liegende Schwere der groben Fahrlässigkeit so hoch zu bewerten, dass eine völlige Leistungsfreiheit sachgerecht ist. Damit wird berücksichtigt, dass das Führen eines Kraftfahrzeugs im Zustand alkoholbedingter absoluter Fahruntüchtigkeit einen besonders gravierenden Pflichtverstoß darstellt und jegliche Unachtsamkeit in diesem Bereich als besonders schwerwiegend anzusehen ist.
Ansprüche des Klägers auf Leistungen aus der Vollkaskoversicherung bestehen aufgrund des Vorfalls vom 24.12.2008 danach nicht.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

RechtsgebietVVGVorschriftenVVG § 81 Abs. 2

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