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25.08.2010 · IWW-Abrufnummer 101472

Finanzgericht München: Urteil vom 10.12.2009 – 5 K 3018/09

§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass die Einkünfte des Kindes aus im Wege der vorweggenommenen Erbfolge erhaltenem Vermögen um Versorgungsleistungen zu mindern sind, die das Kind an den Vermögensübergeber als vorbehaltene Vermögenserträge zu leisten hat.


FG München v. 10.12.2009

5 K 3018/09

Tatbestand

Gründe
I.

Der Kläger ist Vater des Kindes A, geb. am 3. Dezember 1979. A war im streitigen Zeitraum an der Universität H im Studiengang Kulturwissenschaft/Ästhetische Praxis immatrikuliert. A war in den Streitjahren an der B Grundbesitz GbR beteiligt (vgl. Notarvertrag vom 24. Oktober 1994), die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielte. Voraussetzung für die Erzielung dieser Einkünfte war die Zahlung monatlicher Unterhaltsbeiträge als dauernde Last an die Mutter des Klägers (Versorgungsleistungen) im Gegenzug für die Übertragung von Grundbesitz von der Mutter an die B Grundbesitz GbR, die einkommensteuerrechtlich wegen der unentgeltlichen Vermögensübergabe Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 a des Einkommensteuergesetzes – EStG – darstellen.

Der Kläger beantragte im November 2005 bei der Beklagten (der Familienkasse), ihm Kindergeld für A zu gewähren und berief sich dabei auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 11. Januar 2005 (2 BvR 167/02, amtliche Sammlung von Entscheidungen des BVerfG – BVerfGE – 112, 164). Unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe des Beschlusses des BVerfG (in BVerfGE 112, 164) seien die durch das Kind A tatsächlich geleisteten Versorgungsleistungen bei der Ermittlung der eigenen Einkünfte des Kindes abzuziehen, auch wenn die Aufwendungen einkommensteuerrechtlich keine Werbungskosten seien.

Die Einkünfte von A abzüglich der Versorgungsleistungen lagen in den Streitjahren bei Berücksichtigung der Versorgungsleistungen als Abzugsposten unter der jeweils geltenden Jahresentgeltgrenze und stellten sich in den Jahren 2001, 2003 und 2004 wie folgt dar:

2001 2003 2004
Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit 0 DM 5.036 EUR 4.659 EUR
+ Anteil an den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung 19.817 DM 11.635 EUR 10.422 EUR
- Versorgungsleistungen - 18.000 DM - 9.204 EUR - 7.669 EUR
- Kranken- und Pflegeversicherung- besondere Ausbildungskosten - 2. 867 DM - 2.639 EUR- 1.227 EUR - 2.647 EUR- 2.345 EUR
– – – –
Einkünfte nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG 0 DM ohneohne Versorgungsleistungen: 16.950 DM 3.601 EUR ohneohne Versorgungsleistungen: 12.805 EUR 2.420 EUR ohneohne Versorgungsleistungen: 9.289 EUR

Die Familienkasse lehnte mit Bescheid vom 30. November 2005 die Gewährung von Kindergeld für A für die Kalenderjahre 2001, 2003 und 2004 ab, weil das Einkommen des Kindes A die in den Kalenderjahren 2001, 2003 und 2004 maßgeblichen Jahresentgeltgrenzen überschritten habe. Sie berücksichtigte bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG die Versorgungsleistungen nicht.

Der dagegen vom Kläger eingelegte Einspruch blieb erfolglos (vgl. Einspruchsentscheidung vom 17. September 2007).

Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Das Zahlenwerk sei zwischen ihm und der Familienkasse nicht streitig. Lediglich hinsichtlich der Abzugsfähigkeit der Versorgungsleistungen bei der Ermittlung des jeweiligen Grenzbetrags bestehe Uneinigkeit. Das BVerfG (in BVerfGE 112, 164) habe klargestellt, dass § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verfassungskonform so auszulegen sei, dass nicht nur Bezüge, sondern auch Einkünfte eines Kindes nur dann in den Jahresgrenzbetrag der genannten Vorschriften einflössen, wenn sie zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet seien. Zwar gehe es im entschiedenen Fall um Sozialversicherungsbeiträge, jedoch habe das BVerfG allgemein ausgeführt, dass jedenfalls diejenigen Beträge, die dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht verfügbar seien und deshalb keine Entlastung bei den Eltern bewirken könnten, sondern anderen Zwecken als der Bestreitung des Unterhalts des Kindes zu dienen bestimmt seien, nicht in den Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen seien. Nicht für das Kind verfügbare Mittel dürften nicht in Ansatz gebracht werden. Im Streitfall sei von Anfang an unabdingbare Voraussetzung für die Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung die Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags in Höhe von 4.500 DM an seine Mutter gewesen. Der Bundesfinanzhof – BFH – habe in seiner Entscheidung vom 16. November 2006 (III R 74/05, BStBl 2007 II S. 527) explizit ausgeführt, dass eine tatsächliche Entlastung nicht nur verfehlt werde, wenn die fraglichen Einkünfte dem Kind von Gesetzes wegen nicht zur Verfügung stünden, sondern auch dann, wenn sie nicht verfügbar seien, weil die Einkünfte durch unvermeidbare (zwangsläufige) Aufwendungen gebunden seien und daher nicht zur Bestreitung des Existenzminimums zu Verfügung stünden. Diese Grundsätze der BFH-Entscheidung träfen auch für den Streitfall zu. Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung seien A nur zugeflossen, weil an die Mutter des Klägers Versorgungsleistungen bezahlt worden seien. Die Verpflichtung zur Übernahme der dauernden Last sei für A unvermeidbar gewesen. Konsequenterweise habe die Familienkasse zudem die nachgewiesenen Beträge für Kranken- und Pflegeversicherung, obwohl es sich nicht um Pflichtversicherungsbeiträge gehandelt habe, und die Aufwendungen für Aus- und Weiterbildung anerkannt. Auch diese Beträge seien weder für seine Tochter noch für ihn verfügbar gewesen.

Das Gericht ordnete das Ruhen des Verfahrens bis zur Entscheidung des BFH im Verfahren III R 20/06 (zum Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 29. November 2005 13 K 189/02, juris) an. Der BFH wies in diesem Fall die Revision einstimmig als unbegründet gemäß § 126 a der Finanzgerichtsordnung – FGO – zurück. Dieser Beschluss ist nicht veröffentlicht.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Bescheids vom 30. November 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 17. September 2007 die Familienkasse zu verpflichten, ihm Kindergeld für A für das Jahr 2001 in Höhe von monatlich 270 DM (138,05 EUR) sowie für die Jahre 2003 und 2004 in Höhe von monatlich 154 EUR zu gewähren,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Ergänzend zur Einspruchsentscheidung weist sie darauf hin, dass sich die Einkünfte im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nach § 2 Abs. 1 EStG definierten. Bei Einkünften aus Vermietung und Verpachtung sei danach der Überschuss nach Abzug der Werbungskosten maßgeblich. Die Versorgungsleistungen stellten keine Werbungskosten, sondern Sonderausgaben dar. Der Kläger, seine Töchter und die Überlasserin hätten den Wegder Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen im Generationenverbund gewählt, die lediglich zum Sonderausgabenabzug führe. Sonderausgaben könnten im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht berücksichtigt werden. Dem Beschluss des BVerfG (in BVerfGE 112, 164) sei zu entnehmen, dass freiwillig begründete Leistungsverpflichtungen, die nicht zu Betriebsausgaben oder Werbungskosten führten, bei der Ermittlung der kindergeldschädlichen Bezüge nicht von den Einkünften abzusetzen seien.Eine Ausnahme gelte insoweit nur für unvermeidbare, den Sozialversicherungsbeiträgengleichstehende Ausgaben für eine freiwillige Krankenversicherung (so auch BFH-Urteilvom 26. September 2007 III R 4/07, Sammlung der Entscheidungen des BFH – BFHE 219, 112, BStBl 2008 II S. 738 mit weiteren Nachweisen – m. w. N. –). Aufgrund des Urteilsdes Niedersächsischen Finanzgerichts (in juris) und des BFH-Beschlusses im nachfolgenden Revisionsverfahren stehe für die Familienkasse im Allgemeinen fest, dass dauernde Lasten nicht einkunftsmindernd zu berücksichtigen seien.

Zur Ergänzung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die Einspruchsentscheidung vom 17. September 2007, die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 10. Dezember 2009.



Gründe

II.

Die Klage ist begründet.

Entgegen der Auffassung der Familienkasse ist im Streitfall § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zugunsten des Klägers verfassungskonform im Sinne des Beschlusses des BVerfG (in BVerfGE 112, 164) auszulegen und ihm Kindergeld für A für den streitigen Zeitraum in vollem Umfang zu gewähren. Denn die Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG durch die Familienkasse wird den Anforderungen an eine folgerichtige Ausgestaltung der verfassungskonkretisierenden Grundentscheidung des Gesetzes für die steuerliche Verschonung des familiären Existenzminimums und für eine weitergehende Familienförderung durch die Gewährung von Kinderfreibeträgen und Kindergeld nicht gerecht.

1. Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG wird ein über 18 Jahre altes Kind dann nicht berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge von mehr als 7.178,54 EUR im Kalenderjahr 2001, mehr als 7.188 EUR im Kalenderjahr 2003 und mehr als 7.680 EUR im Kalenderjahr 2004 hat, mit denen es seinen Unterhalt oder die Kosten seiner Berufsausbildung decken kann.

a) Aus dem Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, der von Einkünften und nicht von Einkommen oder zu versteuerndem Einkommen spricht, ergibt sich zwar, dass lediglich Betriebsausgaben/Werbungskosten bei der Errechnung des Kindeseinkommens abziehbar sind. Der Begriff der „Einkünfte” in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 EStG. Bei der Ermittlung der Einkünfte können keine Sonderausgaben berücksichtigt werden (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 21. Juli 2000 VI R 153/99, BFHE 192, 316, BStBl 2000 II S. 566, vom 26. März 2009 VI R 60/08, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 2009, 1418). § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG bietet jedoch nach dem Beschluss des BVerfG (in BVerfGE 112, 164) Raum für eine verfassungskonforme Auslegung, wonach der Relativsatz „die zur Bestreitung des Unterhalts (…) bestimmt oder geeignet sind” nicht nur auf Bezüge, sondern auch auf Einkünfte des Kindes zu beziehen sei. Dabei könne offen bleiben, in welchen Fällen der Relativsatz im Einzelfall auf Einkünfte anzuwenden sei. Jedenfalls seien diejenigen Beträge, die, wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge, von Gesetzes wegen dem einkünfteerzielenden Kind oder dessen Eltern nicht verfügbar seien und deshalb keine Entlastung bei den Eltern bewirken könnten, sondern anderen Zwecken als der Bestreitung des Unterhalts zu dienen bestimmt seien, nicht in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen. Das BVerfG begründet diese Rechtsauffassung wie folgt: Mit seiner Begrenzung des Anspruchs auf Kinderfreibeträge gemäß § 32 Abs. 6 EStG und auf Kindergeld gemäß §§ 62 ff. EStG ist § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zwei unterschiedlichen Sachund Regelungsbereichen zuzuordnen. Zum einen geht es um die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Verschonung des Familienexistenzminimums, zum anderen dienen die Regelungen zum Kindergeld, soweit dieses für die steuerliche Freistellung nicht erforderlich ist, der Förderung der Familie (§ 31 Satz 2 EStG), haben also eine von den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die steuerrechtliche Belastung unabhängige sozialrechtliche Funktion. Bei der verfassungsrechtlich gebotenen einkommensteuerrechtlichen Freistellung des Familienexistenzminimums, der differenzierenden Würdigung und Berücksichtigung auch von Aufwendungen jenseits des Existenzminimums, jedoch innerhalb der grundrechtlich geschützten Sphäre privater Lebensführung, sowie bei der grundsätzlichen Ausrichtung der Steuerbelastung an der wirtschaftlichen bzw. finanziellen Leistungsfähigkeit unterliegt der Gesetzgeber tendenziell strikteren Bindungen als bei sozialrechtlichen Regelungen zur Förderung der Familie. Bei der Überprüfung, ob eine Regelung, die allein eine Begünstigung gewährt, den begünstigten vom nicht begünstigten Personenkreis im Einklang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz abgrenzt, ist nicht zu untersuchen, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, sondern nur, ob er die verfassungsrechtlichen Grenzen seiner hierbei grundsätzlich weiten Gestaltungsfreiheit eingehalten hat. Dem Gesetzgeber ist aber, auch soweit etwa das Kindergeld als Sozialleistung zu den Maßnahmen der darreichenden Verwaltung gehört, nicht gestattet, bei der Abgrenzung der Leistungsberechtigten sachwidrig zu differenzieren. Gewährt er aus bestimmten Gründen eine staatliche Sozialleistung, so hat deren Zweckbestimmung wesentliche Bedeutung dafür, unter welchen Voraussetzungen Ausnahmen sachlich hinreichend gerechtfertigt sind. Danach bleibt auch für die Würdigung der Kindergeldregelungen in ihrer sozialrechtlichen Funktion verfassungsrechtlich von Gewicht, dass der Gesetzgeber diese Regelungen in ein abgestimmtes System von Steuerentlastung und Sozialleistung eingefügt hat und dass es in jedem Fall auch um die Erfüllung und Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Schutzauftrags des Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geht mit der Zielsetzung, die im Vergleich mit Kinderlosen verminderte finanzielle Leistungsfähigkeit der Familie teilweise auszugleichen. Wie auch der BFH hervorhebt, ist deutlich erkennbarer und verfassungsrechtlich bedenkenfreier Zweck der Begrenzung von Ansprüchen gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, diejenigen Eltern von finanziellen Entlastungen durch Freibeträge und Kindergeld auszuschließen, deren Kinder über eigene Einkünfte und Bezüge in einer das zu schützende Existenzminimum übersteigenden Höhe verfügen, so dass zugleich die Unterhaltspflicht der Eltern entfällt oder sich mindert. Die folgerichtige Beachtung dieses Zwecks verlangt, dass für die Einbeziehung von Mitteln des Kindes in die Bemessungsgröße für die Freigrenze die mögliche Entlastungswirkung solcher Mittel bei den unterhaltspflichtigen Eltern entscheidet, denn auf deren Leistungsfähigkeit kommt es für Gewährung und Begrenzung von Kindergeld und Kinderfreibeträgen an. Das Gesetz präsentiert so ein im Ansatz stimmiges Konzept von Grund- und Folgeentscheidung: Mit den zunächst für alle unterhaltspflichtigen Eltern geltenden Beträgen für Kindergeld und Kinderfreibeträge für Kinder im Alter von 18 bis 27 Jahren, die sich in der Ausbildung befinden und auswärtig untergebracht sind, bestimmt der Gesetzgeber die bezweckte Entlastungswirkung dem Grunde und der Höhe nach. Mit dem Jahresgrenzbetrag für „unschädliche” Einkünfte und Bezüge des Kindes wird bestimmt, ob und wieweit anderweitige finanzielle Entlastungen der Unterhaltsverpflichteten eine aus öffentlichen Haushalten finanzierte zusätzliche Entlastung ausschließen. Stellt man bei dieser Abgrenzung dagegen auf Mittel ab, die eine effektive Entlastung der unterhaltsverpflichteten Eltern nicht bewirken können, so wird das folgerichtige Konzept des Gesetzes durchbrochen und einer Teilgruppe der durch Unterhaltspflichten belasteten Eltern die staatliche Entlastung zweckwidrig und deshalb ohne hinreichenden sachlichen Grund verweigert. Dies ist der Fall bei der Einbeziehung von Sozialversicherungsbeiträgen in den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. In Höhe dieser Beiträge, die vom Arbeitgeber abgeführt werden und deshalb nicht in den Verfügungsbereich des Arbeitnehmers gelangen, können Einkünfte des Kindes keine Minderung der Unterhaltslasten und somit auch keine Erhöhung der Leistungsfähigkeit der unterhaltsverpflichteten Eltern bewirken – unabhängig von deren Willen und vom Willen des unterhaltsberechtigten Kindes. Angesichts der tendenziell strikteren Anforderungen an die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen bei der steuerrechtlichen Freistellung des Familienexistenzminimums bedarf es keiner weiteren Begründung dafür, dass die Einbeziehung von Sozialversicherungsbeiträgen in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG auch im Hinblick auf die steuerrechtliche Funktion des Kindergeldes die Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG an eine folgerichtige Ausgestaltung der gesetzlichen Grundentscheidung verfehlt.

b) Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze des BVerfG auf den Streitfall sind die Versorgungsleistungen von den Einkünften im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG abzusetzen. Die aufgrund der dauernden Last aufgewandten Beträge standen weder A noch dem Kläger zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung des Kindes zur Verfügung.

aa) Würden die Versorgungsleistungen in Fällen wie dem vorliegenden nicht einkunftsmindernd berücksichtigt, würden unterhaltsverpflichtete Eltern von Kindern, die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung eines Objekts erzielen, das sie zwar unentgeltlich aber nur gegen Übernahme von Versorgungsleistungen an den Übergeber erworben haben, unterhaltsverpflichteten Eltern gleichgestellt, deren Kinder Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung eines Objekts erzielen, das sie ohne gleichzeitige Übernahme einer dauernden Last unentgeltlich erworben haben. Damit würde gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, der dem Gesetzgeber gebietet, ohne sachlich hinreichende Gründe nicht nur wesentlich Gleiches gleich sondern auch wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG in BVerfGE 112, 164). Übersteigen die Einkünfte des jeweiligen Kindes aus Vermietung und Verpachtung den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, stünden den Eltern in beiden Fällen weder Kindergeld noch Kinderfreibeträge zu, obwohl in ersterem Fall die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nur bei gleichzeitigen, aus diesen Einkünften zu finanzierenden Versorgungsleistungen zu erzielen waren, die Einkünfte in Höhe der Versorgungsleistungen für den laufenden Unterhalt des Kindes nicht verfügbar waren und deshalb eine unmittelbare Erhöhung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Eltern auch nicht bewirkt haben können, während in letzterem Fall die Einkünfte für den Unterhalt des Kindes in voller Höhe zur Verfügung standen. Für die Benachteiligung der ersten Gruppe unterhaltspflichtiger Eltern sind hinreichende Gründe nicht erkennbar.

bb) Der vorliegend für richtig befundenen Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG stehen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts (in juris) und der diesem Urteil nachfolgende BFH-Beschluss nicht entgegen.

Den dortigen Entscheidungen lag zum einen ein anderer Sachverhalt zugrunde, da die Altenteilsleistungen im Zuge des Verzichts der Kindergeldberechtigten auf ein ihr eingeräumtes Nießbrauchsrecht an einem vom Kind geerbten Hof eingeräumt wurden. Die Altenteilsleistungen flossen daher vom Kind an die Kindergeldberechtigte – nicht wie im vorliegenden Rechtsstreit vom Kind an eine dritte Person – und führten damit zu einer tatsächlichen Entlastung der unterhaltsverpflichteten Kindergeldberechtigten. Zum anderen urteilte das Finanzgericht Niedersachsen insoweit in einem Sonderfall, als der Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft nach Durchschnittssätzen gemäß § 13 a EStG ermittelt wurde. Gegen die von der Familienkasse vertretene Ansicht, dass aufgrund des obigen Verfahrens aus Sicht der Familienkassen grundsätzlich zur Frage der Berücksichtigung dauernder Lasten entschieden worden sei, spricht zudem, dass in die Neufassung zur Dienstanweisung zur Durchführung des Familienlastenausgleichs vom 30. September 2009 (DA-FamEStG, in BStBl 2009 I S. 1030 ff) keine Regelung zur Nichtabziehbarkeit dauernder Lasten aufgenommen worden ist.

cc) Nach der Überzeugung des Senats steht auch die sonstige Rechtsprechung des BFH dem Abzug der Versorgungsleistungen von den Einkünften nicht entgegen.

Entgegen der Auffassung der Familienkasse spricht nicht allein der Umstand, dass eine Leistungsverpflichtung freiwillig bzw. aufgrund eigener Willensbetätigung des Kindes begründet wurde, gegen die Abziehbarkeit der Versorgungsleistungen. Denn auch bei Abschluss einer privaten Krankenversicherung, die auf einem freien Willensentschluss des Versicherten fußt, hat der BFH wie beim Sozialversicherungsbeitrag eine unvermeidbare Ausgabe angenommen (vgl. BFH in BFHE 219, 112, BStBl 2008 II S. 738). Die Gewährung der Versorgungsleistungen von A an die Mutter des Klägers beruht zwar auf einer eigenen Willensbetätigung des Kindes. Diese Willensbetätigung erfolgte aber zwangsläufig, da zwischen der Möglichkeit, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu erwirtschaften, und der Verpflichtung zur Zahlung von Versorgungsleistungen an die Mutter des Klägers ein untrennbarer Zusammenhang bestand. Das Kind konnte vorliegend Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nämlich nur dann erzielen, wenn es gleichzeitig eine Verpflichtung zur Zahlung der Versorgungsleistungen einging. Ein derartiger Veranlassungszusammenhang ist bei dem Abschluss einer Kfz-Versicherung oder einer privaten Krankenzusatzversicherung (vgl. BFH-Urteile in BFHE 219, 112, BStBl 2008 II S. 738; vom 29. Mai 2008 III R 33/06, BFH/NV 2008, 1664; vom 14. Dezember 2006 III R 24/06, BFHE 216, 225, BStBl 2007 II S. 530; und vom 16. November 2006 III R 74/05, BFHE 216, 69, BStBl 2007 II S. 527) einerseits und der Erzielung von Einkünften andererseits dagegen nicht gegeben.

Kerngedanke für das Rechtsinstitut der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen und dessen Grundtypus ist, dass die nachfolgende Generation (Vermögensübernehmer) die Erträge aus dem übernommenen Vermögen erwirtschaftet und diese Erträge dem Vermögensübergeber in Form von Versorgungsleistungen wieder zuwendet. Der Vermögensübergeber behält sich in Gestalt der Versorgungsleistungen typischerweise Erträge seines Vermögens vor, die nunmehr vom Vermögensübernehmer erwirtschaftet werden müssen; diese vorbehaltenen Vermögenserträge sind daher keine Zuwendungen des Vermögensübernehmers aufgrund freiwillig begründeter Rechtspflicht (vgl. hierzu Schmidt/Drenseck, EStG, 28. Aufl., § 12 Rz. 39 m. w. N.). Da der Vermögensübergeber sich die Vermögenserträge in Form von Versorgungsleistungen zurückbehält, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die für die Versorgungsleistungen vom Kind aufzuwendenden Beträge zur Bestreitung des Unterhalts des Kindes bestimmt oder geeignet sind.

dd) Auch § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG steht dem Abzug der Versorgungsleistungen nicht entgegen.

Der Gesetzgeber hat zwar in § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG eine Regelung geschaffen, wonach Mittel für alle über die Lebensführung hinausgehenden ausbildungsbedingten Mehraufwendungen bei der Ermittlung des Jahresgrenzbetrags unberücksichtigt bleiben, und damit bestimmte Sonderausgaben (§ 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG) ausdrücklich zum Abzug zugelassen. Daraus ist aber nicht etwa im Umkehrschluss zu folgern, dass der Abzug von Sonderausgaben im Übrigen ausgeschlossen ist. Diesen Schluss hat auch das BVerfG (in BVerfGE 112, 164) nicht gezogen, da es die nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG abziehbaren gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge von der Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ausnahm.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Satz 1 FGO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz auf § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung und die Entscheidung über die Zulassung der Revision auf § 115 Abs. 2 FGO.

RechtsgebieteEStG, GGVorschriftenEStG 1997 § 32 Abs. 4 S. 2 EStG 1997 § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG 2002 § 32 Abs. 4 S. 2 EStG 2002 § 10 Abs. 1 Nr. 1a GG Art. 3 Abs. 1

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