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30.06.2010 · IWW-Abrufnummer 101917

Kammergericht Berlin: Urteil vom 07.12.2009 – 23 U 24/09

Eine Unterbilanzhaftung wegen unterlassener Offenlegung der "wirtschaftlichen Neugründung" einer Vorrats-GmbH kommt nicht in Betracht, wenn das statutarische Stammkapital der Gesellschaft vollständig eingezahlt und bei Aufnahme der Geschäftstätigkeit noch unverbraucht vorhanden ist


(Abgrenzung zu BGHZ 153, 158 und BGHZ 155, 318).


23 U 24/09

Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 02.02.2009 verkündete Urteil der Kammer für Handelssachen 99 des Landgerichts Berlin geändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Streithilfe zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten oder der Streithelfer vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe
Die Parteien streiten um die Frage, ob die in den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 9.12.2002 - II ZB 12/02 (BGHZ 153, 158) und 07.07.2003 - II ZB 4/02 (BGHZ 155, 318) für den Fall der Aktivierung einer Vorrats-GmbH angesprochenen Grundsätze der Unterbilanzhaftung auch dann Anwendung finden, wenn die in den genannten Entscheidungen geforderte Offenlegung der „Neugründung“ und Versicherung nach § 8 II 1 GmbHG unterblieben ist, das Stammkapital im Zeitpunkt der Aufnahme der operativen Tätigkeit aber unstreitig vollständig vorhanden war.

Der Kläger verlangt als Insolvenzverwalter der Gesellschaft von dem Beklagten zu 1) als Gesellschafter entsprechend dessen Geschäftsanteil Zahlung von 96 % des zur Erfüllung der zur Tabelle festgestellten Forderungen (4.861,49 EUR) erforderlichen Betrages. Von dem Beklagten zu 2) als Geschäftsführer und Minderheitsgesellschafter verlangt er gesamtschuldnerisch denselben Betrag sowie die fehlenden 4 %. Darüber hinaus begehrt der Kläger unter Hinweis auf weitere, teilweise noch bestrittene Forderungen in Höhe von 379.094 EUR die Feststellung, dass die Beklagten in demselben Verhältnis verpflichtet sind, ggf. die zur Befriedigung dieser Forderungen erforderlichen Beträge zu zahlen.

Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 02.02.2009, auf dessen Inhalt und tatsächliche Feststellungen verwiesen wird, antragsgemäß stattgegeben. Die Beklagten und der Streithelfer haben gegen das den Beklagten am 05.02.2009 zugestellte Urteil am 03.03.2009 Berufung eingelegt. Der Streithelfer hat die Berufung am 01.04.2009 begründet, die Beklagten haben sie innerhalb verlängerter Frist am 27.04.2009 begründet.

Die Beklagten und der beurkundende Notar als ihr Streithelfer halten die Entscheidung des Landgerichts, dass die Beklagten wegen unterlassener Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung und unterlassener Versicherung nach § 8 II 1 GmbHG für die nach Eintragung der Gesellschaft entstanden Verluste haften, für rechtsfehlerhaft; eine Haftung des Beklagten zu 2) nach § 9a I GmbHG scheide ebenfalls aus. Die Beklagten und der Streithelfer sind außerdem der Ansicht, dass der Tatbestand einer wirtschaftlichen Neugründung auch ohne ausdrückliche Erklärung für das Registergericht nach den Umständen und auf Grund der Tatsache, dass die Gesellschafter der übernommenen GmbH als gewerbliche Verkäufer von Vorrats-GmbHs jeweils fast gleichlautender Firmierung gerichtsbekannt gewesen seien, erkennbar gewesen sei.

Die Beklagten und ihr Streithelfer beantragen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

II. Die Berufung der Beklagten wahrt die gesetzlichen Formen und Fristen und ist daher zulässig.

Die Berufung ist begründet. Die Beklagten haften weder nach den Grundsätzen der Vorbelastungshaftung (Unterbilanzhaftung) noch entsprechend § 9a I GmbHG für die nach Aufnahme der Geschäftstätigkeit entstandenen Verluste der Gesellschaft.

1. Eine Haftung des Beklagten zu 2) als Geschäftsführer entsprechend § 9a I GmbHG wegen unterlassener Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung der Gesellschaft und/oder unterlassener Angaben über den Bestand der Stammeinlagen kommt im Ergebnis schon deswegen nicht in Betracht, weil sich der Anspruch - wenn er dem Grunde nach bestünde - jedenfalls nur auf Herstellung des Zustandes richtete, der bestünde, wenn die unterbliebenen Erklärungen abgegeben worden wären und richtig gewesen wären (vgl. OLG Köln, ZIP 2002, 713 Rz. 77 m.w.N.). Richtigerweise hätte der Beklagte zu 2) dem Registergericht wahrheitsgemäß versichern müssen, dass das statutarische Stammkapital, soweit nach § 7 II, III GmbHG erforderlich, eingezahlt und durch keinerlei Auszahlungen oder Passiva gemindert war. Tatsächlich war die Vermögenslage der GmbH bei der Anmeldung des Anteilserwerbs sogar besser, denn das Stammkapital war vollständig eingezahlt und wertmäßig in voller Höhe vorhanden. Es gibt daher keine negative Differenz zwischen dem tatsächlichen Zustand und dem Zustand, wie er sein sollte, die von dem Beklagten zu 2) auszugleichen wäre.

2. Eine Haftung der Beklagten nach den Grundsätzen der Vorbelastungshaftung (Unterbilanzhaftung) kommt nicht in Betracht.

Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen der Vorbelastungshaftung (Unterbilanzhaftung) haften die Gesellschafter anteilig für die Wertdifferenz zwischen dem Stammkapital und dem Gesellschaftsvermögen, die sich am Stichtag der Eintragung aus Vorbelastungen der GmbH ergibt (vgl. BGHZ 80, 129; 134, 333).

Eine Vorbelastung der GmbH zum Zeitpunkt ihrer Eintragung wird nicht behauptet.

3. Der Ansicht des Klägers, dass die Beklagten nach den Grundsätzen der Unterbilanzhaftung auch die seit 2006 entstandenen Belastungen der Gemeinschuldnerin ausgleichen müssen, weil sie die vom Bundesgerichtshof geforderte Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung und die Versicherung nach § 8 II 1GmbHG unterlassen haben, kann sich der Senat nicht anschließen.

Nach der vom Kläger zitierten Rechtsprechung des BGH (BGHZ 153, 158; 155, 318) muss der Geschäftsführer im Falle der tatsächlichen Verwendung des leeren Mantels einer GmbH, sei es nun eine bereits tätig gewesene, stillgelegte GmbH oder eine Vorrats-GmbH, gegenüber dem Registergericht diese wirtschaftliche Neugründung offenlegen und analog §§ 7 III, 8 II GmbHG die Erklärung abgeben, dass die GmbH noch über ein Mindestvermögen in Höhe der satzungsmäßigen Stammkapitalziffer verfügt und dass sich hiervon ein Viertel – zumindest aber 12.500 EUR – zu ihrer freien Verfügung befindet.

a) Ob die Beklagten die wirtschaftliche Neugründung der GmbH im Herbst 2005 gegenüber dem Registergericht offengelegt haben oder der Tatbestand für das Registergericht jedenfalls offenkundig war, ist fraglich. Nach den beiläufigen Bemerkungen des Bundesgerichtshofs in der Entscheidung BGHZ 153, 158 (dort Rz. 10) liefern die mit der Mantelverwendung im Anschluss an eine offene Vorratsgründung regelmäßig einhergehenden Änderungen des Unternehmensgegenstandes, der Firma, des Geschäftssitzes und/oder die Neubestimmung der Organmitglieder dem Registergericht - sei es kumulativ, sei es auch nur einzeln - ein hinreichendes Indiz dafür, dass sich die Verwendung des bisher „unternehmenslosen“ Mantels vollziehen soll.

Die Beklagten haben im Oktober 2005 einen Wechsel des Geschäftsführers und im November 2005 eine Firmenänderung angezeigt. Aus der im Oktober 2005 beigefügten Vollmachtsurkunde hätte der Registerrichter ersehen können, dass die Geschäftsanteile veräußert worden sind und dass die Verkäufer den unverbrauchten Bestand des Stammkapitals garantierten. Der Senat hat Zweifel, ob diese Mitteilungen für die geforderte Offenlegung ausreichen. Die Frage kann aber dahinstehen, denn der Senat hält eine entsprechende Anwendung der Grundsätze der Unterbilanzhaftung im vorliegenden Fall schon deswegen nicht für geboten, weil keine der Vorbelastung einer noch nicht eingetragenen GmbH vergleichbare Sachlage vorliegt.

b) Mehrere Gerichte und weite Teile des Schrifttums wollen aus den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 9.12.2002 - II ZB 12/02 (BGHZ 153, 158) und 07.07.2003 - II ZB 4/02 (BGHZ 155, 318) herauslesen, dass die Gesellschafter nach Maßgabe der für die Vor-GmbH entwickelten Vorbelastungshaftung auch dann haften, wenn bei der wirtschaftlichen Neugründung das satzungsmäßige Stammkapital uneingeschränkt vorhanden war, jedoch eine Offenbarung unterblieben ist (vgl. OLG Jena, ZIP 2007, 124 Rz. 18; OLG Köln, ZIP 2008, 973; LG Berlin, Urt. vom 26.02.2008 - 92 O 24/07 = EWiR 2008, 401 LS; OLG Jena, GmbHR 2004, 1468 Rz. 13, das sogar eine Außenhaftung bejaht.)

Der Senat kann dem nicht beitreten. Denn ungeachtet aller weiteren verfassungsrechtlichen und rechtsdogmatischen Bedenken, die gegen die rechtsschöpferische Statuierung von Rechtspflichten und Haftungsgründen praeter legem durch den Bundesgerichtshof im Schrifttum, teils mit beachtlichen Gründen, erhoben werden (vgl. Schmidt, NJW 2004, 1345 ff.; Altmeppen, DB 2003, 2050; Heidenhain, NZG 2003, 1051 ff.; weitere Nachweise bei Goette, DStR 2004, 461 ff.), spricht gegen eine Haftung der Beklagten im vorliegenden Fall jedenfalls der Umstand, dass die der Sicherung der realen Kapitalaufbringung dienenden Gründungsvorschriften bei der wirtschaftlichen Neugründung der Gemeinschuldnerin im Oktober 2005 im wirtschaftlichen Ergebnis vollständig gewahrt worden sind. Es besteht daher unter dem Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes überhaupt kein Anlass, die Beklagten wegen Umgehung des Gründungsrechts haften zu lassen. Eine Verurteilung der Beklagten würde vielmehr dazu führen, dass die Gläubiger aufgrund einer registerrechtlichen Versäumnis der Beklagten besser stünden, als sie stünden, wenn die zu ihrem Schutz vom Bundesgerichtshof statuierten Meldepflichten gewahrt worden wären.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 91 I, 101 I ZPO.

Gemäß § 543 II Nr. 1 und 2 ZPO wird die Revision zugelassen, da die Frage, welche materiellen Rechtsfolgen die Versäumung der vom Bundesgerichtshof in den Entscheidungen BGHZ 153, 158 und BGHZ 155, 318 statuierten Rechtspflichten hat, von grundsätzlicher Bedeutung und in Rechtssprechung und Schrifttum umstritten ist.

RechtsgebietGmbHGVorschriften§ 9a GmbHG

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