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25.06.2010 · IWW-Abrufnummer 101729

Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 15.02.2010 – 4 K 361/09

1. Unter den Begriff der Berufsausbildung fallen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufes geeignet sind, unabhängig davon, ob sie in einer Studien- oder Ausbildungsordnung vorgeschrieben sind oder – mangels solcher Regelungen – dem Erwerb von Kentnissen und Fähigkeiten dienen, die für den angestrebten Beruf zwingend notwendig sind.



2. Ein sog. Esra-Training – eine Ausbildung auf christlicher Grundlage mit Schwerpunkt Jugendarbeit –, bei dem eine strukturierte Wissensvermittlung mit einem Zeitaufwand erfolgt, der die Arbeitskraft des Auszubildenden weitgehend in Anspruch nimmt, handelt es sich um eine Berufsausbildung.


FG Baden-Württemberg v. 15.02.2010

4 K 361/09

Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger (Kl) für die Dauer der Teilnahme seiner volljährigen Tochter an einem sog. Esra-Training Kindergeld zusteht.

Der Kl ist der Vater der am 27. Juni 1990 geborenen X, für die er bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres im Juni 2008 Kindergeld erhielt. Am 3. Juli 2008 wurde der Tochter des Kl von der Hauswirtschaftlichen Schule Y nach zweijährigem Besuch der dortigen Berufsfachschule das Zeugnis über die Fachschulreife (Profil: Gesundheit und Pflege) ausgehändigt.

Vom 11. Oktober 2008 bis zum 13. September 2009 nahm die Tochter des Kl an einem sog. Esra-Training des Wort des Lebens e.V. teil, wofür die folgenden Aufwendungen entstanden:

Kost: 250 EUR/mtl.

Logis: 150 EUR/mtl.

Kursnotizen, Lehrbücher: ca. 100 EUR/pro Quartal

Unterricht: 0 EUR/mtl.

Der Lehrplan des Esra-Trainings umfasste der Bescheinigung des Wort des Lebens e.V. vom 20. Oktober 2008 zufolge die folgenden Fächer und den folgenden Unterrichtsumfang:

Fächer Wochenstunden pro Quartal
Akademisch Herbst Winter Frühjahr Sommer Gesamt
Systematische Theologie 3 3 3 – 90
Bibelüberblick 3 3 3 – 90
Bibelkunde 10 10 10 – 300
Theologisches Englisch 1 1 1 – 30
Sport 1 1 1 – 30
Prüfung/Lernkontrolle 1 1 1 – 30
Praktisch
Charakterentwicklung 28 28 28 – 840
Praktikum – – – 40 400
Gesamtstunden pro Woche/Gesamt 47 47 47 40 1.810

Wegen der Lehrinhalte im Einzelnen wird auf das vom Kl vorgelegte Eltern-Handbuch des Wort des Lebens e.V. für 2008/2009 [Bl. 27 ff Finanzgerichts(FG-)Akte] Bezug genommen.

In der Bescheinigung des Wort des Lebens e.V. vom 20. Oktober 2008 wird weiter ausgeführt, die erfolgreiche Teilnahme am Esra-Training sei nicht mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung gleichzusetzen. Die vermittelten praktischen und theologischen Inhalte würden jedoch von akkreditierten Bibelschulen im In- und Ausland auf deren Ausbildungsinhalte zu einem internationalen B.A.-Abschluss im Bereich des Bibelstudiums und der Theologie hinführend angerechnet, sollte sich ein Absolvent des Esra-Trainings entschließen, eine solche Ausbildung im Anschluss an das Esra-Training anzustreben (Für die USA: z.B. Word of Life Bible Institute, 4200 Glendale Road, Pottersville, NY 12860-0129; für Deutschland: z.B. Bibelschule Brake e.V., Eikermannsberg 12, 32657 Lemgo [im Einzelfall zu entscheiden]).

Am Ende des Esra-Trainings wurde der Tochter des Kl das Abschlusszeugnis vom 11. September 2009 ausgehändigt. Wegen des Inhalts wird auf das Zeugnis Bezug genommen.

Die Tochter des Kl hatte im streitgegenständlichen Zeitraum keine Einkünfte oder Bezüge.

Auf die im September 2008 eingereichte Bewerbung der Tochter des Kl für das Berufskolleg für Praktikantinnen ab dem Schuljahr 2009/2010 erteilte die Evangelische Fachschule für Sozialpädagogik Z der Tochter des Kl mit Schreiben vom 26. November 2008 die Zusage für ihre Aufnahme als „interne Schülerin” für das Schuljahr 2009/2010. Seit September 2009 besucht die Tochter des Kl das Berufskolleg. Wegen des Ausbildungsablaufs und der Ausbildungsinhalte wird auf das Schreiben der Schulleiterin der Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik Z an die Tochter des Kl vom 26. November 2008 (Bl. 25 FG-Akte) und den zugleich übersandten Entwurf des Schul- und Wohnheims-Vertrags (Bl. 23 FG-Akte) Bezug genommen.

Am 6. November 2008 reichte der Kl einen „Antrag auf Weiterzahlung des Kindergeldes für ein volljähriges Kind” bei der Beklagten (Bekl) ein. Als Grund für die von ihm begehrte kindergeldrechtliche Berücksichtigung bezog er sich auf das von seiner Tochter absolvierte Esra-Training und die von ihm vorgelegte Bescheinigung des Wort des Lebens e.V. vom 20. Oktober 2008.

Mit Bescheid vom 13. November 2008 hob die Bekl die Festsetzung des Kindergeldes für die Tochter X für die Zeit ab Juli 2008 unter Bezugnahme auf § 70 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) auf. Zur Begründung führte sie aus, Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten, könnten nur bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG berücksichtigt werden. Bei der Tochter X des Kl seien diese besonderen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt. Das Esra-Training von Oktober 2008 bis September 2009 könne nicht als Berufsausbildung nach dem EStG anerkannt werden.

Mit Schreiben vom 8. Dezember 2008 legte der Kl Einspruch ein. Zur Begründung trug er vor, das Esra-Training sei als Vorbereitung für die von seiner Tochter vorgesehene Berufsausbildung zur Erzieherin an der evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik anzusehen. Bei dem Esra-Training handle es sich zwar nicht um eine Ausbildung, es habe jedoch nach der Zielsetzung des Wort des Lebens e.V. den Erwerb von sozialen Fähigkeiten, wie z.B. konfliktlösungsorientiertem Zusammenleben bzw. sozialdiakonische Einsätze, zum Ziel. Unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei eine Berufsausbildung gegeben, da gewisse Fähigkeiten für den späteren Beruf der Tochter erlernt würden.

Mit Einspruchsentscheidung vom 15. Dezember 2008 wies die Bekl den Einspruch des Kl als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, im Streitfall lägen die besonderen Berücksichtigungsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG für volljährige Kinder nicht vor bzw. seien nicht nachgewiesen. Die Tochter X des Kl habe im Juni 2008 ihr 18. Lebensjahr vollendet und habe sich im streitgegenständlichen Zeitraum nicht in Berufsausbildung befunden. Als Berufsausbildung im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG sei die Ausbildung für einen künftigen Beruf anzusehen, z.B. die Ausbildung für einen handwerklichen, kaufmännischen, technischen oder wissenschaftlichen Beruf. In Berufsausbildung befinde sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht habe, sich jedoch ernsthaft auf dieses Berufsziel vorbereite. Die vom Kind absolvierten Ausbildungsmaßnahmen müssten konkret berufsbezogen sein. Dies sei insbesondere nicht der Fall, wenn die Vermittlung nur allgemein nützlicher Fertigkeiten oder allgemeiner Lebenserfahrung oder die Herausbildung sozialer Eigenschaften im Vordergrund stehe, wie dies vorliegend der Fall sei. Im Streitfall stelle die vom Kind besuchte Maßnahme keine Berufsausbildung im Sinne des Kindergeldrechts dar. Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung sei § 70 Abs. 2 EStG. Hiernach sei die Festsetzung des Kindergeldes aufzuheben, soweit in den Verhältnissen, die für die Zahlung des Kindergeldes erheblich seien, Änderungen eingetreten seien. Die Aufhebung habe mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, also ggf. auch rückwirkend, zu erfolgen. Ein Ermessensspielraum stehe der Familienkasse im Rahmen des § 70 Abs. 2 EStG nicht zu.

Mit Schriftsatz vom 12. Januar 2009 erhob der Kl Klage, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung lässt er im Wesentlichen vortragen, der Bescheid der Bekl vom 13. November 2001 sei rechtswidrig, da die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG erfüllt seien. Neben bibelwissenschaftlichen und theologischen Inhalten würden den Teilnehmern eines Esra-Trainings auch Bildungsinhalte wie „Charakterentwicklung” oder „Biblische Seelsorge in Ehe und Familie” vermittelt. Die im Esra-Training erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten stünden damit in unmittelbarem Zusammenhang mit den Inhalten des Ausbildungsgangs, den die Tochter des Kl ab September 2009 an der evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik Z besuche. Besonders deutlich werde dies bei der Betrachtung von Absatz 2 der Präambel des Schulvertrags mit der evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik Z, wonach die Ausbildung zur Erzieherin an der Fachschule für Sozialpädagogik dazu befähigen solle, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten ganzheitlich zu fördern. In unmittelbarem Zusammenhang hierzu seien die Bildungsinhalte des Esra-Trainings zu sehen, in dem den Teilnehmern z.B. im Kurs „Biblische Seelsorge in Ehe und Familie” biblische Seelsorgeprinzipien in den Bereichen Ehe, Familie und Kindererziehung vermittelt würden. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hinzuweisen, dass es sich beim Esra-Training Jüngerschaftsprogramm dem Grunde nach um ein systematisches, durchkonzipiertes Lernprogramm handle, welches zu großen Teilen aus im Rahmen eines Lehrplanes festgeschriebenen Unterrichtseinheiten bestehe. Zum Beweis bezog sich der Kl auf das von ihm in Kopie vorgelegte „Esra-Training, Elternhandbuch”. Weiter verwies die Klägerseite auf die Rechtsprechung des BFH zu Au-pair-Aufenthalten und die hiernach erforderliche theoretisch-systematische Unterrichtsbegleitung, die im Streitfall gegeben sei. Angesichts der inhaltlichen Parallelen zwischen den Unterrichtszielen der von der Tochter des Kl ab September 2009 im Rahmen ihrer Berufsausbildung zur Erzieherin besuchten evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik Z und den Unterrichtsgegenständen des Esra-Trainings sei ohne Weiteres davon auszugehen, dass die Tochter des Kl ihre Berufsziele noch nicht erreicht habe, sich jedoch bereits im Rahmen des Esra-Trainings ernsthaft darauf vorbereitet habe. Sie habe sich damit – gemessen an den Kriterien der ständigen Rechtsprechung des BFH – schon während des Esra-Trainings in Berufsausbildung im Sinne von § 32 Abs. 4 Nr. 2a EStG befunden. Insbesondere sei das streitgegenständliche Esra-Training zum überwiegenden Teil durch systematischen, mittels Richtlinien und Kursbeschreibungen standardisierten Unterricht gekennzeichnet, weshalb ein wissensvermittelndes Element im Vordergrund stehe.

Der Kl beantragt,

den Bescheid der Bekl vom 13. November 2008 und die Einspruchsentscheidung vom 15. Dezember 2008 aufzuheben und die Bekl zu verpflichten, für die Zeit von Juli 2008 bis August 2009 Kindergeld für die Tochter X festzusetzen.

Die Bekl beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bezieht sich zur Erwiderung auf die Gründe ihrer Einspruchsentscheidung.



Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid der Bekl vom 13. November 2008 und die Einspruchsentscheidung vom

15. Dezember 2008 sind rechtswidrig und verletzen den Kl in seinen Rechten.

Dem Kl steht für die Zeit von Juli 2008 bis August 2009 Kindergeld für seine Tochter X zu.

Nach § 62 Abs. 1 in Verbindung mit (i.V.m.) § 63 Abs. 1 Satz 2 und § 32 Abs. 4 Satz 1 EStG wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es

… oder

noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und

für einen Beruf ausgebildet wird oder

sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes, einer vom Wehr- oder Zivildienst befreienden Tätigkeit als Entwicklungshelfer oder als Dienstleistender im Ausland nach § 14b des Zivildienstgesetzes oder der Ableistung eines freiwilligen Dienstes im Sinne des Buchstaben d liegt, oder





A. Während der Teilnahme am Esra-Training befand sich die Tochter des Kl in Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG.

Nach ständiger Rechtsprechung des BFH befindet sich in Berufsausbildung, wer seine Berufsziele noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft darauf vorbereitet (BFH-Urteile vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBl II BStBl 1988 II S. 1999, BStBl 1988 II S. 701; vom 16. April 2002 VIII R 58/01, BFHE 199, 111, BStBl II 2002, 523 mit weiteren Nachweisen – m.w.N. –; vom 15. Juli 2003 VIII R 78/99, BFHE 203, 90, BStBl II BStBl 1990 II S. 2003, BStBl 1990 II S. 841 und vom 15. Juli 2003 VIII R 75/00, BFH/NV 2004, 171). Da das Berufsziel und die Gestaltung der Ausbildung nach ständiger Rechtsprechung weitgehend von den Vorstellungen der Eltern und des Kindes bestimmt werden (vgl. BFH-Urteile vom 8. November 1972 VI R 54/70, BFHE 107, 447, BStBl II 1973, 138; vom 11. Oktober 1984 VI R 69/83, BFHE 142, 140, BStBl II 1985, 91 und vom 2. Juli 1993 III R 81/91, BFHE 172, 59, BStBl II 1993, 870), ist das Berufsziel nicht ohne Weiteres dann als erreicht anzusehen, wenn das Kind die Mindestvoraussetzungen für die Ausübung des von ihm gewählten Berufs erfüllt (BFH-Urteil in BFHE 107, 447, BStBl II 1973, 138). Kindern muss deshalb zugebilligt werden, zur Vervollkommnung und Abrundung von Wissen und Fähigkeiten auch Maßnahmen außerhalb eines fest umschriebenen Bildungsgangs zu ergreifen (BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 24/99, BFH/NV 2000, 27 m.w.N.). Unter den Begriff der Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG zu subsumieren sind daher alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufes geeignet sind, unabhängig davon, ob sie in einer Studien- oder Ausbildungsordnung vorgeschrieben sind oder – mangels solcher Regelungen – jedenfalls dem Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten dienen, die für den angestrebten Beruf zwingend notwendig sind. Die Auslegung des Begriffs der Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG hat den Sinn und Zweck des seit 1. Januar 1996 geltenden steuerrechtlichen Kindergelds zu berücksichtigen, der darin liegt, die durch den kindbedingten Mehraufwand geminderte Leistungsfähigkeit der Eltern abzumildern. Die Leistungsfähigkeit der Eltern ist aber auch dann gemindert, wenn sich Kinder unabhängig von vorgeschriebenen Ausbildungs- oder Studiengängen in Ausbildung befinden und von ihren Eltern unterhalten werden bzw. wenn sich das Kind im Rahmen einer bestimmten Bildungsmaßnahme Kenntnisse und Fähigkeiten aneignet, die über die Mindestvoraussetzungen für die Ausübung des gewählten Berufs hinausgehen (vgl. BFH-Urteile vom 8. November 1972 VI R 309/70, BFHE 107, 450, BStBl II 1973, 139; vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701; vom 9. Juni 1999 VI R 24/99, BFH/NV 2000, 27; vom 19. Februar 2002 VIII R 83/00, BFHE 198, 192, BStBl II 2002, 469 m.w.N. und vom 24. Juni 2004 III R 3/03, BFHE 206, 413, BStBl II 2006, 294).

Ausgehend von diesen Grundsätzen, denen der Senat folgt, ist das von der Tochter des Kl absolvierte Esra-Training als Berufsausbildung im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG anzusehen. Wie sich aus der Bescheinigung des Wort des Lebens e.V. vom 20. Oktober 2008 sowie dem vom Kl vorgelegten Elternhandbuch des Wort des Lebens e.V. ergibt, erfolgt im Rahmen des Esra-Trainings eine strukturierte Wissensvermittlung mit einem Zeitaufwand für die Teilnehmer, der die Arbeitskraft und -zeit weitgehend in Anspruch nimmt. Außerdem finden – wie sich ebenfalls aus den genannten Unterlagen sowie dem vom Kl vorgelegten Abschlusszeugnis vom 11. September 2009 ergibt – regelmäßige Lernkontrollen unter Vergabe von Noten für die einzelnen Fächer statt. Zwar ist das Esra-Training nicht unmittelbar berufsqualifizierend, doch weist es aufgrund seiner Lehrinhalte – insbesondere seiner theologisch-sozialen Ausrichtung und seiner Schwerpunktsetzung in Richtung Jugendarbeit – einen ausreichenden inhaltlichen Zusammenhang zu dem von der Tochter des Kl bereits zu Beginn des Esra-Trainings beabsichtigten und nach dessen Abschluss auch tatsächlich aufgenommenen Besuch der Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik Z mit dem Ziel des Ausbildungsabschlusses als Erzieherin auf. Denn sowohl im Esra-Training (vgl. Elternhandbuch, S. 3) als auch im Rahmen des Besuchs der Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik (vgl. hierzu das Schreiben der Schulleiterin an die Tochter des Kl vom 26. November 2008, Seite 2 Nr. 2) erfolgt eine Ausbildung auf christlicher Grundlage mit Schwerpunktsetzung in Richtung Jugendarbeit. Zwar haben im Esra-Training ausweislich der oben dargestellten Übersicht über die einzelnen Fächer und den Lehrumfang theologische Inhalte ein deutlich stärkeres Gewicht als im Rahmen des Kollegs an der Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik. Dies ist jedoch – wie sich aus der zitierten ständigen Rechtsprechung des BFH ergibt – unschädlich, da den Eltern bzw. dem Kind bei der Ausgestaltung der Ausbildung ein weiter Entscheidungsspielraum zuzugestehen ist und deshalb auch abrundende oder ergänzende Maßnahmen vom Begriff der Berufsausbildung umfasst werden.

Diese – etwas weitere – Auslegung des Begriffs der Berufsausbildung fügt sich auch ohne Weiteres in die ständige Rechtsprechung des BFH zu Au-pair-Aufenthalten im Ausland ein, wonach die Abgrenzung zwischen kindergeldrechtlich nicht förderungsfähigen Tätigkeiten zur Erlangung allgemeiner Erfahrungswerte und solchen, die unter den Begriff der Berufsbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG zu subsumieren sind, dergestalt vorzunehmen ist, dass eine Berufsausbildung in der Regel dann anzunehmen ist, wenn der Auslandsaufenthalt von einem theoretisch-systematischen Sprachunterricht mit einem Umfang von wöchentlich mindestens 10 Stunden begleitet wird (BFH-Urteile vom 9. Juni 1999 VI R 143/98, BFHE 189, 107, BStBl II 1999, 710; vom 9. Juni 1999 VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701; vom 9. Juni 1999 VI R 24/99, BFH/NV 2000, 27; vom 19. Februar 2002 VIII R 83/00, BFHE 198, 192, BStBl II 2002, 469; BFH-Beschluss vom 31. August 2006 III B 39/06, BFH/NV 2006, 2256). Denn ebenso wie bei Au-pair-Aufenthalten im Ausland wird bei einer Betätigung, die auch dem Erwerb nicht unmittelbar beruflich zu nutzender Kenntnisse und Fähigkeiten dienen kann (bei Au-pair-Aufenthalten: das Erlangen bzw. Verbessern von Fremdsprachenkenntnissen; im Streitfall: die Beschäftigung mit theologisch-sozialen Inhalten), die Schwelle zur Berufsausbildung im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG dann überschritten, wenn diese Betätigung einen gewissen zeitlichen Mindestaufwand und eine ausreichende theoretische Systematisierung erfährt. Dies ist beim Esra-Training angesichts des dargestellten sachlichen und zeitlichen Umfangs sogar deutlich stärker gegeben als bei einem Au-pair-Aufenthalt, der nur die zeitlichen Mindestvoraussetzungen von 10 Stunden wöchentlich erfüllt.

B. Da das von der Tochter des Kl in der Zeit ab Oktober 2008 absolvierte Esra-Training als Berufsausbildung im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG anzusehen ist, befand sie sich in der Zeit zwischen dem Abschluss der Berufsfachschule und dem Beginn des Esra-Trainings in einer Übergangsphase von höchstens vier Monaten im Sinne des § 63 Abs. 1 Satz 2 und § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b, weshalb auch für diese Zeit Kindergeld zu gewähren ist.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

III. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3; 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11; 711 bzw. 709 Zivilprozessordnung (ZPO).

IV. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.

RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 62 Abs. 1 EStG § 63 Abs. 1 S. 2 EStG § 32 Abs. 4 S. 1

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