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10.12.2009 · IWW-Abrufnummer 093962

Oberlandesgericht Koblenz: Beschluss vom 07.05.2009 – 5 U 478/09

Fehlinterpretation der Symptome eines leichten Schlaganfalls



Erleidet ein erheblich vorgeschädigter Patient während der Implantation einer Hüftgelenksprothese einen leichten Schlaganfall, liegt kein zur Umkehr der Beweislast führender Befunderhebungsmangel oder grober Diagnoseirrtum vor, wenn die Ärzte die postoperativen Symptome vertretbar als Folgen des orthopädischen Eingriffs deuten.


5 U 478/09

In dem Rechtsstreit
...
weist der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz
den Kläger darauf hin,
dass beabsichtigt ist, seine Berufung
durch
einstimmigen Beschluss zurückzuweisen ( § 522 Abs. 2 ZPO ).

Gründe
Die Berufung ist ohne Aussicht auf Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Was die Berufung dagegen vorbringt, ist nicht stichhaltig.

1.

Der Kläger behauptet, während eines stationären Krankenhausaufenthaltes bei der Beklagten im April/ Mai 2006 habe er einen leichten Schlaganfall erlitten. Das sei vermeidbar gewesen. Den Schlaganfall selbst habe man übersehen. Die gebotene Therapie sei daher versäumt worden. Das habe Ausfälle und Beschwerden mitverursacht, die nach einem zweiten Schlaganfall im Dezember 2006 eingetreten seien.

2.

Das sachverständig beratene Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dem beweisbelasteten Kläger sei nicht der Nachweis gelungen, dass seine heutigen Beschwerden auf einem Behandlungsfehler der beim beklagten Krankenhaus angestellten Ärzte beruhten.

3.

Dagegen wendet sich die Berufung, die unter Wiederholung, Vertiefung und Ergänzung des erstinstanzlichen Vorbringens insbesondere meint, eine weitere Sachaufklärung durch Befragung eines Internisten und eines Anästhesisten sei unerlässlich.

4.

Dem kann nicht gefolgt werden.

a.

Beim Kläger bestanden vor der Operation vom 20. April 2006 multiple Vorerkrankungen. Allerdings nicht in einer Weise, dass sein Allgemeinzustand der Implantation einer Hüftgelenksprothese entgegenstand. Insoweit sind auch keine Bedenken erhoben oder sonst ersichtlich.

b.

Unterstellt man, der Kläger habe unter der Operation einen leichten Schlaganfall erlitten, wirkt sich die Ungewissheit, ob aufgrund der richtigen Diagnose die Möglichkeit bestanden hätte, die Schädigung des Klägers zu verhindern oder zumindest zu mildern, zu Lasten des Berufungsführers aus. Denn er trägt grundsätzlich die Beweislast dafür, dass das Verhalten des Beklagten schadensursächlich war (vgl. BGH NJW 1988, 2949).

c.

Anders wäre es nur, wenn den Ärzten ein grober, möglicherweise schadensträchtiger Behandlungsfehler anzulasten wäre. Dann würde es zu einer Beweislastumkehr kommen (vgl. BGHZ 85, 212, 216 [BGH 21.09.1982 - VI ZR 302/80]; BGH NJW 1988, 2303, 2304 [BGH 29.03.1988 - VI ZR 185/87]; BGH NJW 1988, 2948; BGH NJW 1998, 814, 815) [BGH 02.12.1997 - VI ZR 386/96]. Eine solche Beweislastumkehr würde sich überdies nur wegen des (primären) Gesundheitsschadens, nicht jedoch wegen möglicher weiter gehender (sekundärer) Schäden ergeben, die der Kläger mit seinem Feststellungsbegehren verfolgt (vgl. BGH NJW 1988, 2948).

Die dem ärztlichen Dienst der Beklagten angelasteten Versäumnisse sind jedoch gegebenenfalls kein grober Behandlungsfehler.

Ein grober Behandlungsfehler setzt einen eindeutigen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse voraus; es geht mithin um einen Fehler, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (vgl. BGH NJW 1998, 815; BGH NJW 1998, 1782, 1783) [BGH 27.01.1998 - VI ZR 339/96].

Davon kann hier keine Rede sein. Die Vorwürfe des Klägers zielen dahin, die behandelnden Ärzte hätten eine falsche Diagnose gestellt, indem sie deutliche Zeichen eines Schlaganfalls übersehen oder nicht richtig gewichtet hätten. Damit hebt der Kläger jedoch nicht auf einen groben Behandlungsfehler ab, der eine Umkehr der Beweislast bewirken könnte.

Freilich ist der Begriff des Behandlungsfehlers in einem weiten Sinn zu verstehen und nicht auf Unzulänglichkeiten und Versäumnisse beschränkt, die während der Therapie unterlaufen. Vielmehr werden auch Fehldiagnosen erfasst. Insoweit ist aber Zurückhaltung geboten. Diagnoseirrtümer verlagern die Beweislast nur dann vom Patienten auf den Arzt, wenn sie fundamentaler Natur sind (vgl. BGH VersR 1981, 1033, 1034; OLG Düsseldorf VersR 1984, 446, 448).

Ein fundamentaler Irrtum ist den bei der Beklagten tätigen Ärzten indessen nicht anzulasten. Die postoperativen Auffälligkeiten konnten auch als normale Folgewirkungen der erheblich traumatisierenden Hüftgelenksoperation bei einem noch dazu erheblich vorgeschädigten Patienten gedeutet werden. Vor diesem Hintergrund hat der Sachverständige Dr. R. bei seiner mündlichen Anhörung einen schweren Diagnosefehler überzeugend verneint (Seite 6 der Sitzungsniederschrift - Bl. 126 GA). Er hat sich bei dieser Einschätzung mit allen Details der nachoperativen Befundlage auseinandergesetzt.

Als wichtiges Indiz hat der Sachverständige den von der Ehefrau des Klägers unter anderem berichteten "schiefen Mund" bezeichnet. Zutreffend hat Dr. R. allerdings in seinem schriftlichen Gutachten bemerkt, dass die Angaben der Zeugin "etwas in Kontrast zu der Pflegedokumentation" stehen.

Der Senat hält die Pflegedokumentation für verlässlich, die zu einem Zeitpunkt gefertigt wurde, als sich eine gerichtliche Auseinandersetzung der Parteien nicht abzeichnete. Hält man sich an die Pflegedokumentation, lässt sich nicht sicher feststellen, dass der Patient tatsächlich sämtliche Symptome aufwies, auf die der Kläger heute den Vorwurf eines groben Diagnoseirrtums stützt.

Das gilt um so mehr, als die weit überwiegende Zahl dieser Symptome durchaus mehrdeutig war. Zutreffend hat der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten dargelegt, ausgeprägte Symptome eines Schlaganfalls wären bei den häufigen Kontakten des Pflegepersonals mit dem Patienten sicher entdeckt und dokumentiert worden. Der Senat teilt diese Sicht der Dinge.

Angesichts der Mehrdeutigkeit der Symptome kann nicht von einem Diagnoseirrtum ausgegangen werden, der als grober Behandlungsfehler zu qualifizieren wäre. Daher bleibt der Kläger beweisbelastet dafür, dass etwaige Versäumnisse des beklagten Krankenhauses für die jetzigen bedauerlichen Ausfälle und Beschwerden ursächlich sind. Dieser Beweis ist nicht geführt.

d.

Der Beweis kann auch nicht durch die von der Berufung erstrebten weiteren Gutachten erbracht werden. Der Beweisantrag stützt sich auf die Ausführungen auf Seite 34 des schriftlichen Gutachtens des Neurologen Dr. R.. Den Hinweis auf einen denkbaren Erkenntnisgewinn durch Befragung zweier Ärzte anderer Fachrichtungen hat Dr. R. bei der maßgeblichen mündlichen Anhörung dadurch entkräftet, dass er erklärte, die Verstärkung der Basistherapie hätte an dem Ergebnis letztlich nichts geändert.

e.

Nach alledem scheitert die Klage daran, dass sich eine Ursächlichkeit der behaupteten Versäumnisse des beklagten Krankenhauses für die Schädigung des Klägers nicht feststellen lässt.

f.

Die erstinstanzliche Behauptung des Klägers, eine gerinnselauflösende Behandlung sei geboten gewesen, ist unzutreffend. Das bedarf angesichts der Äußerungen des Sachverständigen Dr. R., die in Einklang stehen mit Erkenntnissen aus anderen Verfahren, keiner weiter gehenden Klärung durch Befragung anderer Sachverständiger.

Weil beim Kläger eine gerinnselauflösende Lysetherapie nicht in Betracht kam, waren - auch wenn die bei dem Kläger aufgetretenen neurologischen Auffälligkeiten von den behandelnden Ärzten nicht auf ein Schlaganfallereignis zurückgeführt wurden - die eingeleiteten Behandlungsmaßnahmen ausreichend, um die nach einem akuten Schlaganfall erforderliche sogenannte Basistherapie zu gewährleisten. Hierzu gehören die Senkung des Blutzuckers, die Einstellung des Blutdruckes und die Überwachung von Herzfrequenz, Temperatur sowie Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt. All das ist während der intensivmedizinischen postoperativen Betreuung erfolgt.

Dass noch weiter greifende Maßnahmen auch zu eine weiteren Besserung geführt hätten, ist spekulativ.

g.

Letztlich ist auch nicht zu ersehen, dass eine weitergehende Diagnostik zum Nachweis eines Hirninfarktes in der frühen postoperativen Phase zu weiteren Konsequenzen in der Behandlung und darüber hinaus zu einem Erfolg geführt hätte.

5.

Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Ebenso wenig erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts.

Frist zur Stellungnahme: 15. Juni 2009

RechtsgebietBGBVorschriften§ 276 BGB § 278 BGB § 611 BGB § 823 BGB

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