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04.12.2009 · IWW-Abrufnummer 091918

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 28.01.2009 – L 9 KR 101/03

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


L 9 KR 101/03

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Juni 2003 wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des gesamten Rechtsstreits zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Status des Klägers als abhängig Beschäftigter der Beigeladenen.

Der 1976 geborene Kläger ist seit Februar 2000 als Veranstaltungstechniker für verschiedene Auftraggeber und in geringerem Umfang für eigene Veranstaltungen tätig. Zu seinen Aufgaben gehören Transport und Aufbau, Einrichtung und Bedienung sowie Abbau von Beleuchtungs-, Projektions- und Beschallungsanlagen und der Aufbau von Satelliten- und Telefonanlagen im Rahmen von Pressekonferenzen, Messen und Konzerten. Der Kläger erzielte zwischen Februar 2000 und Dezember 2001 Umsätze in Höhe von 83.734, 76 DM aus dieser Tätigkeit für insgesamt zehn verschiedene Auftraggeber (Konzert-, Messe- und Eventveranstalter), zu denen auch die Beigeladene gehörte. Die Rechnungsbeträge für die Arbeiten lagen zwischen 24.572,76 und 400 DM; davon zahlte die Beigeladene für Arbeiten des Klägers 5.370 DM an diesen. Die Arbeiten für seine Auftraggeber rechnete der Kläger z.T. nach Stunden mit unterschiedlichen Sätzen, z.T. pauschal ab, machte z.T. Fahrtkosten für die Benutzung seines PKW und Verpflegungskosten geltend und berechnete seinen Auftraggebern die gesetzliche Mehrwertsteuer. Nach seinen Angaben gegenüber der Beklagten handelte er seine Entgelte mit jedem Auftraggeber gesondert aus. Bei mehreren gleichzeitigen Aufträgen entscheide er selbst, welchen er annehme und welchen nicht. Der Kläger besitzt nach seinen Angaben ein eigenes Büro, das mit den üblichen Kommunikationseinrichtungen sowie den Einrichtungen zur Bewältigung der organisatorischen und buchhalterischen Aufgaben seines Betriebes (Festnetzanschluss, Telefax und Mobiltelefon, EDV-Anlage und Kopierer) ausgestattet ist. Er setzt eigene Spezialwerkzeuge, Materialien und Betriebsmittel wie einen eigenen PKW und mobile EDV-Technik (Kopfhörer, Mikrofone, Discman, Notebook, Kabel und Adapter) ein, die nicht von seinen Auftraggebern gestellt werden. Mit eigenem Briefpapier und Visitenkarten ist er am Markt werbend tätig; auf Grund seiner Arbeit ist er nach seinen Angaben so bekannt, dass die Veranstalter ihn

auf neue Anträge ansprechen. Er unterliege bei seiner Tätigkeit keinen Weisungen, auch wenn Aufführungsort sowie Auf- und Abbauzeit durch die Veranstaltungen vorgegeben seien. Er übe seine Tätigkeit nicht selten auch auf mehrwöchigen Live-Touren aus, auf denen er eigenverantwortlich für die Beleutung und Beschallung zuständig sei. Unter Umständen greife er auf Helfer zurück, die er selbst aussuche und bezahle. Seit dem 1. Januar 2002 beschäftige er einen Angestellten.

Im Juni 2001 beantragte er bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (im folgenden BfA), auf Veranlassung der Beigeladenen eine Feststellung seines sozialversicherungsrechtlichen Status. Mit Bescheid vom 29. August 2001, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2002, stellte die BfA fest, dass der Kläger seine Tätigkeit als Veranstaltungstechniker bei der Beigeladenen im Rahmen eines abhängigen und dem Grunde nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausübe. Deshalb unterliege er der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Denn er setze ausschließlich seine eigene Arbeitskraft ein und sei funktionsgerecht dienend in einer fremden Arbeitsorganisation tätig, weil er mit anderen Beschäftigten der Beigeladenen habe zusammenarbeiten müssen. Da die Ausführung der Arbeiten nur an dem ihm zugewiesenen Arbeitsplatz möglich gewesen sei, habe er auch bezüglich Zeit, Dauer, Art und Ort der Arbeitsausführung dem Direktionsrecht der Beigeladenen unterlegen. Auch wenn er frei entscheiden könne, ob er bestimmte Aufträge annehme oder ablehne, werde ihm bei Annahme eines Auftrages die Arbeitszeit vorgegeben. Allein die Tatsache, dass er verpflichtet gewesen sei, die ihm übertragenen Arbeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt auszuführen, schließe eine eigene Disposition über die Arbeitszeit aus. Schließlich habe der Kläger kein eigenes Kapital eingesetzt und kein Unternehmerrisiko getragen. Seit dem Zeitpunkt der Beschäftigung eines Beschäftigten setze er jedoch eigenes Kapital ein, so dass ab dem 1. Januar 2002 eine selbständige Beschäftigung ausgeübt werde.

Auf die hiergegen erhobenen Klage hat das Sozialgericht Berlin mit Urteil vom 13. Juni 2003 die Bescheide der BfA aufgehoben und festgestellt, dass der Kläger bei der Beigeladenen ein selbständiges Dienstleistungsverhältnis ausübe. Der Kläger habe nämlich in erheblichem Umfang auch für andere Auftraggeber gearbeitet und sei im Hinblick auf eine freie Einteilung seiner Arbeit hinsichtlich seiner Arbeitszeit keinen Weisungen unterworfen gewesen. Der Tatsache, dass er sich bei seiner Tätigkeit sächlicher oder personeller Hilfsmittel der Beigeladenen bedient habe, komme demgegenüber ebenso wenig Bedeutung zu wie den sonstigen Umständen der Auftragerledigung.

Gegen dieses ihr am 11. Juli 2003 zugestellte Urteil hat die BfA am 6. August 2003 Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, dass der Kläger von der Beigeladenen abhängig beschäftigt worden sei. Der Kläger sei schon deshalb nicht für die Beigeladene selbständig tätig geworden, weil er keinem unternehmerischen Risiko ausgesetzt gewesen sei. Er habe kein eigenes Kapital eingesetzt. Ein Risiko des Verlustes der eigenen Arbeitskraft habe ebenso wenig gedroht, weil er für die geleistete Arbeit nach Arbeitsstunden bezahlt worden sei. Die Tätigkeit des Klägers habe sich im Auf- und Abbau der von der Beigeladenen zur Verfügung gestellten Gerätschaften erschöpft. Deshalb sei es lebensfremd anzunehmen, dass dem Kläger hinsichtlich Zeit, Ort, Dauer und Art der Ausführung der Arbeit Freiräume verblieben seien. Seine Weisungsgebundenheit ergebe sich daraus, dass er an den Veranstaltungsorten für den Auf- und Abbau häufig nur sehr kurze Zeit zur Verfügung gehabt habe. Die Tatsache, dass er für mehrere Auftraggeber gearbeitet habe, schließe eine abhängige Beschäftigung nicht aus, sondern gebe dieser nur den Charakter einer unständigen Beschäftigung.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Juni 2003 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das sozialgerichtliche Urteil für richtig, weil er für die Beigeladene selbständig tätig geworden sei.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die, soweit wesentlich, Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die angefochtenen Bescheide zu Recht aufgehoben; denn sie sind rechtwidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten. Er war und ist bei der Beigeladenen nicht abhängig beschäftigt. Vielmehr übt er seine Tätigkeit als Veranstaltungstechniker selbständig aus.

Nach § 7a Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch/Viertes Buch (SGB IV) in der hier maßgeblichen, bis zum 31. Dezember 2002 gültigen Fassung konnte der Kläger schriftlich eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliege, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet, was hier nicht der Fall war. Über den Antrag entschied abweichend von § 28h Abs. 2 SGB IV die BfA aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles.

Die BfA ist in dem vom Kläger eingeleiteten Anfrageverfahren auf Grund ihrer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls rechtsfehlerhaft zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis zur Beigeladenen steht.

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1, a.a.O.). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (zuletzt BSG, Urteil vom 28. Mai 2008, - B 12 KR 13/07 -, zitiert nach juris).

Danach ist der Kläger als Veranstaltungstechniker selbständig tätig. Für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2002 hat dies die BfA in der Begründung ihres Widerspruchsbescheides selbst eingeräumt, ohne jedoch im Tenor der Entscheidung daraus die Konsequenzen zu ziehen und dem Widerspruch ab diesem Zeitpunkt abzuhelfen. Ihre Entscheidung bleibt deshalb in vollem Umfang rechtswidrig. Denn auch für den davor liegenden Zeitraum sprechen die maßgeblichen Gesichtspunkte nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung für eine selbständige Tätigkeit des Klägers: - Er war für eine Vielzahl von Auftraggebern tätig, - hat ohne eine besondere Bindung an einen Auftraggeber über die Auftragsannahme entschieden und - die Entgelte für seine Arbeit nicht einheitlich mit demselben Satz/Stunde vereinbart und abgerechnet, sondern in unterschiedlicher Höhe pro Zeiteinheit und Auftraggeber bzw. pauschal nach Leistungen bzw. Tagen. - Nebenkosten hat er gesondert abgerechnet. Den mit seinen Auftraggebern vereinbarten Entgelten liegt deshalb insgesamt eine unternehmerische Entscheidung zu Grunde, die auch zu Verlusten führen kann, weil der Kläger feste Betriebskosten hat. - Der Kläger ist am Markt selbst werbend aufgetreten. Er unterhält einen eigenen Betrieb, der Kosten verursacht. - Er hat seine Rechnungen im eigenen Namen geltend gemacht und ist nach außen als Selbständiger aufgetreten. - Für seine Arbeit waren ihm nur "Endzeitpunkte" vorgegeben, i.Ü. entschied er selbst über die Arbeitsabläufe. - Entscheidend für die Arbeit waren die Arbeitsergebnisse und nicht die Arbeitszeit, weil sich sonst keine Nachfrage dritter Unternehmen ohne Werbung nach seiner Arbeit ergeben hätte. - Nach dem Vorbringen des Klägers und der Beigeladenen gibt es keine Veranstaltungstechniker auf dem Markt, die ihre Arbeit in abhängiger Beschäftigung anbieten.

Vor dem Hintergrund dieser eindeutig für eine selbständige Tätigkeit sprechenden Umstände fällt nicht ins Gewicht, dass der Kläger nur in geringem Umfang eigenes Kapital eingesetzt hat, weil dies bei Dienstleistungen höherer Art, die auf besonderen Kenntnissen beruhen, typisch ist so schon BSG, Urteil vom 27. März 1980, SozR 2200 § 165 Nr. 45). Auch die Terminvorgaben durch seine Auftraggeber sprechen nicht für eine Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation und damit für eine abhängige Beschäftigung, weil sie durch die Veranstaltungen und nicht durch eine unternehmerische Entscheidung des Auftraggebers vorgegeben waren und sind. Schließlich ist auch das Fehlen eigener Beschäftigter ohne Bedeutung, wenn sich die Tätigkeit nach anderen Kriterien schon als selbständig erweist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.

RechtsgebietSGBVorschriften§ 7 SGB 4, § 7a SGB 4

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