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15.09.2009 · IWW-Abrufnummer 092964

Oberlandesgericht Köln: Beschluss vom 03.07.2009 – 83 Ss 51/09

Kommt es infolge einer trunkenheitsbedingten Fahruntüchtigkeit zu einem Verkehrsunfall, so muss der Tatrichter in den Urteilsgründen zwingend Angaben zum Anlass und zur Dauer der Fahrt sowie zur Fahrstrecke machen, und mitteilen, unter welchen Umständen es zur Alkoholaufnahme gekommen ist; insbesondere ob der Angeklagte bereits zu diesem Zeitpunkt damit gerechnet hat, später noch ein Fahrzeug zu führen. Unterbleibt die Angabe dieser näheren Umstände, so sind die gerichtlichen Feststellungen als derart lückenhaft anzusehen, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Bemessung einer tat- und schuldangemessenen Strafe darstellen.


OBERLANDESGERICHT KÖLN

BESCHLUSS

In der Strafsache

wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Köln

auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Gummersbach vom 19. Februar 2009
nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und teilweise auf deren Antrag einstimmig gemäß § 349 Abs. 4 StPO
am 3. Juli 2009

beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Gummersbach zurückverwiesen.

Gründe

I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt; es hat zudem die Entziehung der Fahrerlaubnis, die Einziehung des Führerscheins und eine Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis von sieben Monaten angeordnet.

Zum Schuldspruch heißt es im Urteil:

„Am 03.10.2008 nahm der Angeklagte alkoholische Getränke zu sich. Anschließend führte er am 04.10.2008 gegen 02:45 Uhr in Gummersbach-Derschlag seinen dunkelfarbigen Pkw Opel-Vectra, obwohl er infolge des genossenen Alkohols nicht mehr in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen. Der Angeklagte befuhr ohne Beleuchtung die Kölner Straße aus Fahrtrichtung Bergneustadt kommend. Im durch Straßenlaternen gut ausgeleuchteten Kreuzungsbereich Kölner Straße / Turmstraße / Epelstraße – aus Sicht des Angeklagten eine Linkskurve – stieß er mit seiner rechten Fahrzeugseite gegen den auf dem rechts von der Fahrbahn vor dem Hause Kölner Straße 39 auf dem dortigen breiten gepflasterten Gehweg abgestellten Pkw des Zeugen, der durch die Wucht des Anstoßes gegen den davor abgestellten Pkw des Zeugen S.… G.… geschleudert wurde. Obwohl der Angeklagte den Zusammenstoß mit dem anderen Pkw bemerkt hatte, setzte er seine Fahrt auf der Kölner Straße fort und fuhr weiter ohne Beleuchtung an den einige Meter weiter vor dem Hause Kölner Straße 37 erhöht auf der dortigen Hauseingangstreppe stehenden Zeugen und vorbei. Der durch den Knall auf das Geschehen aufmerksam gewordene Zeuge …, der sich im Hause Kölner Straße 37 befand, begab sich ebenfalls nach draußen und sah den Pkw des Angeklagten ohne Licht an sich vorbei fahren.

Die Zeugen riefen noch hinter dem Angeklagten her, der seine Fahrt jedoch fortsetzte. Der Zeuge sah dem Pkw des Angeklagten nach und konnte beobachten, wie dieser an der nächsten Kreuzung nach rechts auf die Eckenhagener Straße in Richtung Allenbach/Mittelagger abbog. Kurz hinter dieser Kreuzung befanden sich auf dem Theodor-Braeucker-Platz mit ihrem Streifenwagen die Polizeibeamten POK und PHK, die bereits durch das Anstoßgeräusch und die Rufe der Zeugen aufmerksam geworden waren und den Pkw des Angeklagten ohne Beleuchtung hatten von der Kölner Straße herannahen und in die Eckenhagener Straße hatten abbiegen sehen. Die Polizeibeamten folgten mit ihrem Dienstfahrzeug dem Pkw des Angeklagten, konnten auf diesen nach etwa 300 Metern Fahrtstrecke aufschließen und ihn etwa zwei Kilometer weiter in der Ortschaft Allenbach zum Anhalten bringen.

Die Beamten stellten an der Beifahrerseite des Pkw des Angeklagten vom vorderen Kotflügel bis zur Türe frische Kratzspuren und Lackschäden fest, der rechte Außenspiegel war abgerissen. Der Pkw des Zeugen … wies korrespondierende Schäden auf. Ein durch die Polizeibeamten vor Ort beim Angeklagten durchgeführten Atemalkoholtest ergab einen Wert von 0,61 mg/1 AAK, die dem Angeklagten um 03:23 Uhr entnommene Blutprobe hat eine BAK von 1,25 Promille im Mittelwert ergeben, womit unwiderleglich feststeht, dass der Angeklagte im Zeitpunkt der Fahrt absolut fahruntüchtig war. Nach den Bekundungen des Zeugen ist durch den Anstoß des Pkw des Angeklagten am Pkw des Zeugen ein Schaden in Höhe von 6 737,29 EUR verursacht worden, der Zeuge hat bekundet, dass an seinem Pkw ein Schaden in Höhe von 1 716,12 EUR eingetreten ist.“

Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.
Das Rechtsmittel hat insofern (zumindest vorläufigen) Erfolg, als es gemäß §§ 353, 354 Abs. 2 StPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts führt.

Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil es materiell-rechtlich unvollständig ist.
Schon im Falle der Verurteilung wegen einer folgenlosen Trunkenheitsfahrt ist der Tatrichter regelmäßig verpflichtet, neben der Höhe der Blutalkoholkonzentration und der Schuldform weitere Umstände festzustellen, die geeignet sind, den Schuldumfang näher zu bestimmen und einzugrenzen ( BayObLG VRS 93, 108 = NZV 1997, 244 = NStZ 1997, 359 = MDR 1997, 486; OLG Karlsruhe VRS 79, 199 [200]; SenE v. 19.12.2000 – Ss 488/00 – = StV 2001, 355; SenE v. 29.02.2008 – 83 Ss 14/08 ). Dazu zählen insbesondere die Umstände der Alkoholaufnahme (Trinken in Fahrbereitschaft) sowie der Anlass und die Gegebenheiten der Fahrt ( BayObLG VRS 97, 359 [360] = NZV 1999, 483; SenE v. 27.10.2006 – 82 Ss 123/06 –).

Für das Ausmaß der abstrakten Gefahr und den Schuldumfang kommt es weniger auf die Höhe der Blutalkoholkonzentration (den Grad der Fahruntüchtigkeit) als auf die Fahrweise, die Art (Verkehrsverhältnisse) und Länge der zurückgelegten Strecke an ( BayObLG NZV 1997, 244; OLG Karlsruhe VRS 81, 19 [20] und VRS 79, 199 [200]; Fischer, StGB, 56. Aufl., § 316 Rdnr. 54). Wichtige Kriterien sind mithin Dauer und Länge der bereits zurückgelegten und noch beabsichtigten Fahrstrecke, Verkehrsbedeutung der befahrenen Straßen sowie der private oder beruflich bedingte Anlass der Fahrt. Bedeutsam kann ferner sein, ob der Angeklagte aus eigenem Antrieb handelte oder von Dritten verleitet wurde, ob ihm bewusste oder unbewusste Fahrlässigkeit anzulasten ist und ob er sich in ausgeglichener Gemütsverfassung oder einer Ausnahmesituation befand ( BayObLG VRS 93, 108; SenE v. 04.11.1997 – Ss 547/97 –; SenE v. 19.12.2000 – Ss 488/00 – = StV 2001, 355). Auch polizeilich festgestellte Auffälligkeiten des Angeklagten am Kontrollort oder bei der Blutentnahme können von Bedeutung sein ( BayObLG DAR 2004, 282).

Feststellungen hierzu oder wenigstens zu einigen nach Lage des Einzelfalles besonders bedeutsamen Umständen sind im Allgemeinen zur näheren Bestimmung des Schuldgehalts der Tat als Grundlage für eine sachgerechte Rechtsfolgenbemessung erforderlich. Wenn außer der Angabe von Tatzeit, Tatort und Blutalkoholwert keine weiteren, für den Schuldumfang wesentlichen Feststellungen möglich sind, weil der Angeklagte schweigt und Beweismittel dafür entweder nicht zur Verfügung stehen oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu beschaffen wären, so ist dies im Urteil hinreichend klarzustellen. In einem solchen Fall ist für die Strafzumessung ein entsprechend geringer Schuldumfang ohne wesentliche Besonderheiten zugrunde zu legen (SenE v. 04.11.1997 – Ss 547/97 –; SenE v. 19.12.2000 – Ss 488/00 – = StV 2001, 355).

Die genannten Grundsätze gelten erst recht, wenn es – wie hier – infolge der trunkenheitsbedingten Fahruntüchtigkeit zu einem Verkehrsunfall gekommen ist ( so insgesamt: SenE v. 03.04.2009 – 83 Ss 20/09 ).

Gemessen an diesen Maßstäben weist das angefochtene Urteil revisionsrechtlich beachtliche Unvollständigkeiten auf. Den Feststellungen können die Umstände, die geeignet sind, den Schuldumfang näher zu bestimmen und einzugrenzen, nicht hinreichend entnommen werden. So bleibt nicht nur offen, unter welchen näheren Umständen (Anlass und Dauer der Fahrt sowie Fahrstrecke) der Angeklagte das Fahrzeug geführt hat. Es wird aber auch nicht ausgeführt, unter welchen Umständen es zur Alkoholaufnahme gekommen ist, insbesondere ob der Angeklagte bereits zu diesem Zeitpunkt damit gerechnet hat, später noch ein Fahrzeug zu führen.

Allerdings ist den Urteilsgründen zu entnehmen, dass sich der Angeklagte – bis auf die Äußerung in seinem letzten Wort, dass ihm leid tue, was passiert sei – zur Sache nicht eingelassen hat. Dass aber keine sonstigen Beweismittel zur Verfügung standen (z.B. Aussagen der Polizeibeamten oder des Bewährungshelfers zu Angaben des Angeklagten ihnen gegenüber) oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu beschaffen gewesen wären, ist durch die Urteilsgründe nicht klargestellt.
Die in einer solchen Weise lückenhaften Feststellungen stellen keine hinreichende Grundlage für die Bemessung einer tat- und schuldangemessenen Strafe dar (SenE vom 03.04.2009 – 83 Ss 20/09 ).

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Soweit im Rahmen der Strafzumessung Vorbelastungen eines Angeklagten mitberücksichtigt werden sollen, setzt dies voraus, dass der Tatrichter sie im Urteil so genau mitteilt, dass dem Revisionsgericht die Nachprüfung ermöglicht wird, ob und inwieweit Vorstrafen überhaupt noch verwertet werden dürfen und – falls verwertbar – ob sie im Hinblick auf ihre Bedeutung und Schwere für die Strafzumessung richtig bewertet worden sind. Neben dem Zeitpunkt und der Rechtskraft der Verurteilung und der Art und der Höhe der Strafen sind daher in der Regel die den als belastend eingestuften Vorverurteilungen zugrunde liegenden Sachverhalte zwar knapp, aber doch in einer aussagekräftigen Form zu umreißen (zu vgl. SenE vom 12.12.2008 – 81 Ss 98-99/08 –; SenE vom 26.06.2007 – 81 Ss 61/07 –; SenE vom 20.04.2007 – 81 Ss 52/07 –; Senat, StV 1996, 321 ff.; OLG Frankfurt, StV 1995, 27 ff. und StV 1989, 155; OLG Koblenz, StV 1994, 291). Das gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – eine kurzfristige Freiheitsstrafe gemäß § 47 StGB festgesetzt wird (vgl. SenE vom 16.12.2003 – Ss 513/03 –; SenE vom 06.08.2004 – Ss 337/04 –; SenE vom 26.10.2007 – 81 Ss 166/07 –; SenE v. 23.06.2009 – 83 Ss 48/09 ).

Soweit Bewährungsversagen als Strafschärfungsgrund berücksichtigt werden soll, müssen die Urteilsgründe ausweisen, dass die abzuurteilende Tat während laufender Bewährungszeit begangen worden ist. Dazu ist festzustellen, wann hinsichtlich der früheren Entscheidung(en) die Rechtskraft eingetreten ist (SenE v. 27.12.2005 – 83 Ss 72/05 –; SenE v. 28.07.2006 – 82 Ss 68/06 –; SenE v. 28.07.2006 – 82 Ss 68/06 –; SenE v. 31.10.2008 – 81 Ss 93/08 –; SenE v. 14.11.2008 – 83 Ss 70/08 –).

RechtsgebietStGBVorschriftenStGB § 316

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