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13.07.2009 · IWW-Abrufnummer 092188

Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 08.01.2009 – 5 K 64/09

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


FINANZGERICHT HAMBURG

Aktz: 5 K 64/09
08.01.2009

Urteil - Einzelrichter
Rechtskraft: Nzb, Az: III B 32/09, Az.: III S 10/09 (PKH)

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Festsetzung für Kindergeld für den Sohn A des Klägers im Zeitraum August 2005 bis September 2007 sowie die Rückforderung des in diesem Zeitraum gezahlten Kindergeldes streitig.

Der Kläger bezog für seinen Sohn A laufend bis einschließlich August 2007 Kindergeld. A, geb. am XXXXX 1987 befand sich vom 01.08.2004 bis Ende Juli 2007 in einer Ausbildung als Koch (Berufsausbildungsvertrag vom 22.04.2004 - Gerichtsakte (GA) Bl.25).

Mit Bescheid vom 21.02.2008 hob die Beklagte die Festsetzung für A für den Zeitraum 01.08.2005 bis 30.09.2007 auf, weil für diesen Zeitraum trotz mehrfacher Aufforderungen (KG-Akte Bl. 46) keine Nachweise für die Ausbildung von A vorgelegt worden waren. Gleichzeitig wurde der überzahlte Betrag von 4.654 Euro zurückgefordert.
Die Beklagte übersandte den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid am 28.02.2008 mit einfacher Post.

Am 13.05.2008 legte der Kläger telefonisch Einspruch ein und führte mit Schreiben vom 15.05.2008 aus, dass er den Bescheid erst am 13.05.2008 zur Kenntnis erhalten habe. Er sei von seinen Kindern, die gewöhnlich den Briefkasten leerten, aus dem Briefkasten entnommen worden und dann versehentlich im Altpapier gelandet, wo er ihn erst jetzt gefunden habe.

Sein Sohn habe seine Lehre zeitgemäß im Juli 2007 beendet und gleich eine Anstellung gefunden. Dem Lehrvertrag, der der Beklagten bereits vorliege, habe das Ende der Ausbildung im Juli 2007 entnommen werden können. Gleichzeitig bat der Kläger um Rücknahme des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides.

Die Beklagte wertete das Einschreiben auch gleichzeitig als Antrag auf Wiedereinsetzung.

Mit Einspruchsentscheidung vom 28.05.2008 verwarf sie den Einspruch als unzulässig, weil ihrer Ansicht nach keine Wiedereinsetzungsgründe vorgelegen hätten. Der Kläger müsse sich die Nichtweitergabe des Briefes in seinem häuslichen Bereich zurechnen lassen.

Mit Schreiben vom 30.06.2008, beim Finanzgericht eingegangen am gleichen Tage, beantragte der Kläger Prozesskostenhilfe (PKH) zur Durchführung des Klageverfahrens gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung des im streitigen Zeitraum gezahlten Kindergeldes, und fügte seinem Schreiben eine Klagschrift bei, die neben der Überschrift Klage in Klammern die Bezeichnung Entwurf enthielt.
Zur Begründung wiederholte er im Wesentlichen seine Ausführungen im Einspruchsverfahren.

Mit Beschluss vom 26.09.2008 (GA Bl. 29) wurde dem Kläger Prozesskostenhilfe gewährt unter Beiordnung des Klägervertreters.

Der Kläger beantragt,

1. dem Kläger Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist zu gewähren
2. den Bescheid vom 21.02.2008 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 28.05.2008 dahin abzuändern, dass die Kindergeldfestsetzung für A erst am 01.09.2007 aufgehoben und die Rückforderung auf 179 Euro (September 2007) ermäßigt wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage, da ihr die Klagschrift nicht nach dem gewährenden Prozesskostenhilfebeschluss nochmals zugestellt worden sei und sie vom Inhalt lediglich im Rahmen des PKH-Verfahrens Kenntnis erlangt habe.
Daneben führt sie im Wesentlichen aus, dass der Kläger nicht unverschuldet die Einspruchsfrist versäumt habe. Er müsse sich das Verhalten seiner Kinder zurechnen lassen. Der Kläger habe mit dem Bescheid der Beklagten rechnen müssen, nachdem er die Aufforderung der Beklagten, Nachweise über den Ausbildungsstand und die Einkünfte von A unbeantwortet gelassen habe.

Mit Beschluss vom 19.11.2008 (GA Bl. 40) hat der Senat den Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen.

Die Einzelrichterin hat am 20.11.2008 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt; insoweit wird auf den Inhalt des Protokolls vom 20.11.2008 (GA Bl. 27 ff) Bezug genommen.
In der mündlichen Verhandlung vom 08.01.2009 wurden die beiden Kinder des Klägers B und C als Zeugen gehört. Auf die Vernehmung der weiteren Tochter des Klägers D wurde seitens der Beteiligten verzichtet. Für den Inhalt der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 08.01.2009 Bezug genommen (GA Bl. 60 ff).

Die Kindergeldakte XXXXXXX hat dem Gericht vorgelegen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig.
Sie wurde fristgerecht gemäß § 47 FGO erhoben. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger innerhalb der Klagfrist von einem Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gestellt hat, die der Senat mit Beschluss vom 26.09.2008 gewährt hat. Denn er hat zusätzlich mit dem PKH-Antrag die begründete Klagschrift eingereicht.
Die Beteiligten haben - wie üblich- von dem PKH gewährenden Beschluss eine Ausfertigung erhalten, die die Namen der an der Entscheidung beteiligten Richter trägt. Der Beschluss mit den Originalunterschriften befindet sich im PKH-Beiheft.

Die Klagschrift wurde der Beklagten mit dem Prozesskostenhilfeantrag seitens des Gerichts gemäß § 71 FGO zugestellt. Der Kläger beantragte PKH für die Durchführung der Klage gegen die Aufhebung und der Kindergeldfestsetzung und Rückforderung von gezahltem Kindergeld. Anders als im Zivilverfahren treten im öffentlich-rechtlichen Gerichtsverfahren die Wirkungen der Rechtshängigkeit nicht erst durch die Zustellung, sondern bereits durch die Erhebung der Klage ein (Tipke/Kruse FGO § 71 RdNr 1). Mit der Gewährung der Prozesskostenhilfe wird der Zeitpunkt der Erhebung der Klage auf den der PKH Antragstellung fingiert. Eine zusätzliche Zustellung der Klagschrift ist deshalb nicht erforderlich.

II.

Die Klage hat größtenteils auch Erfolg.
Der Bescheid vom 21.02.2008 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 28.05.2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger soweit in seinen Rechten, als die Festsetzung von Kindergeld für den Sohn A für den Zeitraum August 2005 bis August 2007 aufgehoben und das für diesen Zeitraum gezahlte Kindergeld zurückgefordert worden ist. Der Beklagte hat dem Kläger in der streitgegenständlichen Einspruchsentscheidung zu Unrecht Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist versagt.

1.
Gemäß § 110 Abgabenordnung (AO) ist demjenigen, der ohne Verschulden gehindert ist, eine gesetzliche Frist einzuhalten, auf dessen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Binnen gleicher Frist sind die Tatsachen zur Begründung des Antrags vorzutragen und glaubhaft zu machen (§ 110 Abs. 2 AO).

a) Eine Fristversäumnis ist als entschuldigt anzusehen, wenn sie durch die den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zur erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte (BFH, Urteil vom 12.08.1986 VII R 202/83, BFH-NV 1988, 89 m.w.N.).
Grundsätzlich gehört zu der einem Steuerpflichtigen zumutbaren Sorgfalt, eingehende Post genau daraufhin durchzusehen, ob es sich um einen förmlichen Bescheid einer Behörde handelt. Zu Unrecht hat die Beklagte dem Kläger das Verschulden seiner Kinder zugerechnet. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob den Kindern tatsächlich ein Verschulden zur Last fällt. Denn jedenfalls stünde dieses Verschulden nicht einem Verschulden des Klägers gleich.

Zwar ist gemäß § 155 Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden des Bevollmächtigten als ein Verschulden des Beteiligten selbst anzusehen (vgl. § 110 Abs. 1 Satz 2 AO). Gedacht ist in diesem Zusammenhang jedoch an das Verschulden des Prozessbevollmächtigten, wie die systematische Stellung des § 85 ZPO deutlich macht. Überdies wird für die Frage der Wiedereinsetzung das Verschulden der Hilfspersonen eines prozessbevollmächtigten Anwalts nur dann als Verschulden des Beteiligten erachtet, wenn es vom Anwalt selbst - z. B. wegen eines Organisationsverschuldens - zu vertreten ist (BFH, Urteil vom 11.01.1983 VII R 92/80, BStBl II 183, 334).

b) Die gleichen Grundsätze müssen auch für den Beteiligten selbst gelten, wenn er Hilfspersonen heranzieht. Es ist allgemein anerkannt, dass ein Beteiligter nicht für diese haften muss, er muss sie nur in zumutbarer Weise unterweisen und beaufsichtigen.
Familienangehörige, die nicht mit der Vornahme fristwahrender Handlungen, sondern - wie hier - nur mit der Entgegennahme eingehender Post beauftragt sind, sind nach der Rechtsprechung keine Vertreter im Sinne des § 110 Abs. 1 Satz 2 AO oder des § 85 Abs. 2 ZPO, sondern nur Hilfspersonen, deren Verschulden der Steuerpflichtige sich nicht zurechnen lassen muss (BFH, Beschluss vom 23.10.2001, VIII B 51/01, BFH-NV 202, 162 f m.w.N.) Insoweit könnte ein Verschulden des Klägers lediglich dann angenommen werden, wenn er eine für die konkreten Aufgabe erkennbar ungeeignete Hilfsperson hinzugezogen oder diese unzureichend unterwiesen hätte (BFH a.a.O.).
Der Kläger hat seine drei Kinder mit der Briefkastenleerung beauftragt. Diese waren zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Ablehnungs- und Rückforderungsbescheides im Februar 2008 17 Jahre (B), 14 Jahre (C) und 13 Jahre (D) alt. B und C machten in ihren Zeugenausführungen einen ruhigen und verständigen Eindruck. Beide haben erklärt, dass sie von ihren Eltern darüber informierte worden waren, dass die Post auf den Tisch gelegt werden müsse und auf keinen Fall im Altpapier landen dürfe. Dass sich auch die Tochter D, die wegen Krankheit in der mündlichen Verhandlung als Zeugin nicht hat vernommen werden können, dieser Verantwortung bewusst war, kann unterstellt werden, denn die Beklagte hat auf diese Zeugin verzichtet.

2.
Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid in Gestalt der Einspruchentscheidung war dahin abzuändern, dass eine Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Rückforderung von überzahltem Kindergeld erst ab September 2007 in Frage kommen. Der Kläger hat im tenorierten Umfang Anspruch auf Festsetzung und Zahlung von Kindergeld.

Für ein Kind, dass das 18. Lebensjahr vollendet hat, besteht ein Anspruch auf Kindergeld, wenn es noch nicht das 25. Lebensjahr beendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Nr. 2 Buchstabe a EStG).
Bei der von seinem Sohn A durchgeführten Lehre als Koch handelt es sich gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG um eine berufliche Ausbildung. Der Kläger hat mit der Vorlage des Ausbildungsvertrages, des betrieblichen Zeugnisses und des Prüfungszeugnisses (GA Bl. 25 - 27) nachgewiesen, dass A diese Ausbildung auch durchgeführt hat.
Die Einkünfte von A haben im streitigen Zeitraum auch nicht den Grenzbetrag gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG überschritten.

III.

Die Kosten des Verfahrens waren dem Kläger gemäß § 137 FGO aufzuerlegen, weil der die Unterlagen und Nachweise für die berufliche Ausbildung und deren Ende sowie über die Einkünfte seines Sohnes erst im Klagverfahren vorgelegt hat. Es sind keinerlei Anhaltspunkte erkennbar, weshalb er diese nicht bereits im Einspruchsverfahren hat vorlegen können. Soweit der Kläger sich nicht mehr gegen die Rückzahlung des im September 2007 gezahlten Kindergeldes wendet, kommt dies einer Teilklagrücknahme gleich, für die ihm gemäß § 136 Abs. 2 FGO analog ebenfalls die Kostenpflicht trifft.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür gemäß
§ 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

RechtsgebietAOVorschriftenAO § 110 Abs. 1 S. 2 ZPO § 85 Abs. 2 EStG § 32 Abs. 4

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